Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, gelangte am 27. Februar 2004 in das Bundesgebiet und stellte am 1. März 2004 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. März 2004 brachte er vor, er habe "seit 2002" keinen Lohn mehr von seinem Arbeitgeber bekommen. Er habe sich vergeblich an die Geschäftsführung der Firma gewandt und auch von Seiten der Regierung hätten die Arbeiter keine Unterstützung erfahren. Daraufhin habe er mit mehr als hundert weiteren Personen aus seiner Fabrik am 10. Dezember 2003 an einer Straßen- und Eisenbahnblockade teilgenommen, um "Aufmerksamkeit von der Regierung (zu bekommen), da wir vorher erfolglos versucht (hatten), unsere Meinung nach oben zu transportieren". Als die Polizei eingeschritten sei, sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Die Polizisten hätten einige Leute festgenommen, dem Beschwerdeführer sei aber die Flucht gelungen. Danach hätten "die Polizisten jeden Tag nach mir zu Hause gesucht", er habe sich aber bis Februar 2004 bei einem Freund versteckt und von dort aus die Flucht nach Österreich (auf dem Luftweg über Peking) angetreten. Im Falle seiner Rückkehr würde er festgenommen werden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 9. März 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die VR China" zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er mit Schriftsatz vom 16. April 2004 ergänzte. Darin führte er u.a. aus, die Versammlung am 10. Dezember 2003 sei von ihm und sieben weiteren Arbeitern organisiert worden. Im Gegensatz zu den Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid würde eine Blockade von Eisenbahnschienen sehr wohl ein gravierendes Delikt darstellen, aufgrund dessen man strafrechtlich verfolgt würde und somit eine menschenunwürdige Behandlung fürchten müsse.
Am 24. Februar 2005 führte die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer nicht erschien. Die Verhandlung fand in seiner Abwesenheit statt.
In der Berufungsverhandlung wurde ein von der belangten Behörde in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten vom Februar 2005 vorgelegt, in dem unter Hinweis auf Berichte in der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. Juni 2000 und in der Berliner Tageszeitung vom 26. Juli 2000 ausgeführt wird, derartige Protestmaßnahmen hätten schon vor etlichen Jahren "Routinecharakter" erlangt und es sei "völlig unglaubwürdig", dass bei jener Art von Demonstration, wie der Beschwerdeführer sie geschildert habe, ein "derart konstantes polizeiliches Interesse" wie vom Beschwerdeführer behauptet, an seiner Person "auch nur entfernt" gerechtfertigt wäre. Das schriftlich erstattete Gutachten ergänzte der Sachverständige in der mündlichen Berufungsverhandlung dahingehend, dass "ohne Hinzutreten besonderer Umstände (etwa Gewalt gegenüber Sachen oder Personen)" aus den in Rede stehenden Protestaktionen nicht einmal für Organisatoren solcher Versammlungen eine ernsthafte Gefährdung resultiere.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. In der Begründung wird zunächst eine geraffte Darstellung des Verfahrensganges gegeben und sodann "hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens" auf die im Bescheid des Bundesasylamtes gegebene Darstellung und "hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung auf die Verhandlungsschrift" verwiesen. Daran schließen folgende Ausführungen zu den der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegten Feststellungen an:
"Dieser Entscheidung liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zugrunde
a) hinsichtlich der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat des Berufungswerbers die diesbezüglichen Ausführungen des politologischen Sachverständigen,
b) hinsichtlich der konkreten Lebensumstände des Berufungswerbers dessen Vorbringen, soweit es mit der Beurteilung des zugezogenen Sachverständigen im Einklang steht; hinsichtlich des komplementären Teils (...) folgt der unabhängige Bundesasylsenat den diesbezüglichen, schlüssigen und nachvollziehbaren, auf dieses Vorbringen konkret Bedacht genommen habenden Darlegungen des Sachverständigen, denen der Berufungswerber nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist."
Nach Wiedergabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen führt die belangte Behörde sodann in rechtlicher Hinsicht aus, dass selbst wenn man das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als "konstruierte Fluchtgeschichte" bewerte,
"sondern annimmt, dass der Berufungswerber tatsächlich zum angegebenen Zeitpunkt (10.12.2003) in der näher geschilderten Weise aus dem näher geschilderten Grund demonstriert habe, so ergibt sich hieraus, auf der Grundlage des in der Berufungsverhandlung ergänzend aufgenommenen Sachverständigenbeweises, für den Berufungswerber keine relevante Gefährdung, hat der Sachverständige doch, 'gerade vor dem Hintergrund der konkreten ökonomischen Situation in der Heimatprovinz des BW' die noch in der Berufungsergänzung enthaltene Einschätzung, die Durchführung solcher Versammlungen stelle in China ein gravierendes Delikt dar, nachvollziehbar und detailliert entkräftet.
Nachdem nun der Berufungswerber vom eine andere Beurteilung allenfalls indizierenden Hinzutreten besonderer Umstände (insbesondere Gewalt gegen Personen bzw. Sachen, aber auch Ausweitung des Protests ins Regimekritische) nichts berichtet hat, vermag der unabhängige Bundesasylsenat weder die subjektive Gefährdungsbefürchtung des Berufungswerbers objektiv nachzuvollziehen noch auch schon jenem Teil des Vorbringens, der davon handelt, der Berufungswerber habe sich nach dem 10.12.2003 bei einem Freund verborgen gehalten, während die Polizei täglich nach ihm gesucht habe, Glauben zu schenken."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde habe zu Unrecht die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Gefährdung wegen der von ihm mitorganisierten Protestversammlung als unglaubwürdig beurteilt. Es gebe zahlreiche Berichte, wonach Teilnehmer von Demonstrationen mit "strengen polizeilichen Repressalien" rechnen müssten. Mit der Beschwerde wurden Länderberichte von Human Rights Watch und Amnesty International für die Jahre 2003 und 2004 vorgelegt. Der belangten Behörde ist zunächst zum Vorwurf zu machen, dass ihre Ausführungen zu den dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Feststellungen (nämlich die von der belangten Behörde mit a) und b) bezeichneten Punkte) nicht dem gesetzlichen Gebot, in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise (unter anderem) darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, entsprechen (vgl. dazu das einen insofern ähnlich formulierten Bescheid betreffende hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0620, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Soweit die belangte Behörde dem in der Berufungsergänzung erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe die Versammlung am 10. Dezember 2003 mitorganisiert, den in der Berufungsverhandlung ergänzend aufgenommenen Sachverständigenbeweis, wonach für den Berufungswerber "ohne Hinzutreten besonderer Umstände (etwa Gewalt gegenüber Sachen oder Personen)" keine relevante Gefährdung resultiere, entgegenhält, so sind die Ausführungen des Sachverständigen nicht geeignet, die Verneinung einer asylrelevanten Gefährdung des Beschwerdeführers zu tragen. Der Sachverständige hat nämlich seine Ausführungen in der Berufungsverhandlung, dass "nicht einmal für Organisatoren solcher Versammlungen" eine "ernsthafte Gefährdung" bestehe, sofern nicht die erwähnten "besonderen Umstände" hinzuträten, nicht näher begründet.
Die von ihm angestellten Überlegungen hätten, damit die belangte Behörde sich auf sie stützen konnte, ihre Grundlage in einschlägigen Berichten über die aktuellen Verhältnisse im Herkunftsstaat haben müssen. Schon in seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige als Quellen für seine Einschätzung nur zwei Zeitungsberichte genannt, deren Erscheinungsdatum (Juni bzw. Juli 2000) ca. dreieinhalb Jahre vor dem vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfall vom Dezember 2003 lag. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides waren diese Berichte bereits fünf Jahre alt. Für die in der Ergänzung des Gutachtens gezogenen Schlüsse im Hinblick auf Personen, die bei der Organisation von Protesten mitgewirkt haben, fehlt eine nähere Begründung überhaupt.
In der Beschwerde wird dagegen auf aktuellere Quellen hingewiesen und geltend gemacht, dass die Heranziehung weiterer Erkenntnisquellen durch die belangte Behörde erforderlich gewesen wäre. Damit ist die Beschwerde im Recht.
Der unabhängige Bundesasylsenat als Spezialbehörde hat seinen Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zugrunde zu legen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348; zur Nachvollziehbarkeit von Gutachten und zur allfälligen Notwendigkeit der Heranziehung von Berichtsmaterial auch im Falle der Beiziehung eines Sachverständigen vgl. die Erkenntnisse vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0440, und vom 25. Oktober 2005, Zl. 2002/20/0328, sowie das schon zitierte Erkenntnis vom 23. November 2006). Hätte die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer zitierten Berichte sowie allenfalls weiteres aktuelles Berichtsmaterial berücksichtigt - wozu sie als Spezialbehörde auf dem Gebiet des Asylrechts auch dann verpflichtet ist, wenn der Asylwerber nicht ausdrücklich auf solche Berichte hingewiesen hat (vgl. das Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0351) -, so ist nicht auszuschließen, dass sie zu einem anderen Bescheid gelangt wäre. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigten - relevanten - Verfahrensmangel behaftet, sodass er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 14. November 2007
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