VwGH 2005/05/0315

VwGH2005/05/031530.1.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. des Mag. Rainer Wolfsberger, 2. der Mag. Christine Wolfsberger, 3. der Maria Bürger, 4. des Mag. Hannes Scheiner, 5. des Dipl. Kfm. Wolfgang Steindl und 6. der Dr. Lydia Matziuk, alle in Wien, alle vertreten durch Dr. Michael Prager, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in 1010 Wien, Seilergasse 9, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 22. Juni 2005, Zl. BOB - 554 und 555/04, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: GEWO Bauträger GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Michael Buresch und Dr. Ilse Korenjak, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Gußhausstraße 6), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Wr §134a Abs1 litb;
BauO Wr §134a;
BauO Wr §5 Abs4 liti;
BauO Wr §5 Abs4 litk;
BauO Wr §81 Abs2;
BauO Wr §81 Abs4;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §8;
BauO Wr §134a Abs1 litb;
BauO Wr §134a;
BauO Wr §5 Abs4 liti;
BauO Wr §5 Abs4 litk;
BauO Wr §81 Abs2;
BauO Wr §81 Abs4;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 586/8 der Liegenschaft EZ 626, Grundbuch Obersievering (in der Folge: Baugrundstück). Dieses rund 900 m2 große Grundstück grenzt im Osten in einer Länge von über 20 m an die öffentliche Verkehrsfläche Siolygasse und erstreckt sich über 45 m Richtung Westen.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 1. Dezember 2003 wurden für das Baugrundstück der mitbeteiligten Partei antragsgemäß nach § 9 der Bauordnung für Wien die Bebauungsbestimmungen wie folgt bekannt gegeben (auszugsweise):

"Die Baulinie ist durch die Linie a-b für die 8,00 m breite Siolygasse gegeben.

Die durch den Bebauungsplan festgesetzte Baufluchtlinie sowie die Grenzlinie sind im beiliegenden Plan festgehalten.

Aus dem Bebauungsplan ergibt sich für die Liegenschaft an der Siolygasse:

Wohngebiet, Bauklasse I (eins) und die offene oder gekuppelte

Bauweise.

Es bestehen folgende Bebauungsbeschränkungen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer sind (Mit-)Eigentümer von dem Baugrundstück der mitbeteiligten Partei benachbarten Liegenschaften. Sie haben rechtzeitig im Sinne des § 134 Abs. 3 zweiter Satz Bauordnung für Wien (in der Folge: BO) Einwendungen erhoben.

Gemäß § 134a Abs. 1 BO werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

"…

b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;

..."

Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist somit in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat. Im § 134a BO sind die subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte taxativ aufgezählt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 28. April 2006, Zl. 2004/05/0237). Die hier genannten Nachbarrechte werden durch die Tatbestandsvoraussetzung "sofern sie ihrem" (gemeint: der Nachbarn) "Schutze dienen" eingeschränkt. Dies bedeutet, dass trotz objektiven Verstoßes gegen eine unter § 134a BO subsumierbare baurechtliche Vorschrift auf die Verletzung subjektiv-öffentlichen Rechtes eines Nachbarn dann nicht zu erkennen ist, wenn nach der Situierung des bewilligten Bauvorhabens schon der Lage nach in subjektive Rechtes des Nachbarn nicht eingegriffen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 2004, Zl. 2002/05/1507).

Unter dem Gesichtspunkt einer Unzuständigkeit der Behörde führen die Beschwerdeführer aus, die mitbeteiligte Bauwerberin hätte keinen Antrag auf Genehmigung der Aufschüttung des Baugrundstückes gestellt, die Baubehörden hätten jedoch "materiell über die Erhöhung des Niveaus durch Geländeaufschüttung" abgesprochen, obwohl dies nicht Gegenstand des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens gewesen sei.

Die Baubewilligung wurde, wie von der mitbeteiligten Partei beantragt, erteilt. Die zur Bewilligung eingereichten Pläne, die die Anschüttung enthalten, sind von der belangten Behörde zu einem Bestandteil des angefochtenen Baubewilligungsbescheides erklärt worden. Die im Berufungsverfahren erfolgte Projektänderung war zulässig im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG. Die Grenzen der Entscheidungsbefugnis wurden von der belangten Behörde nicht überschritten. Die behauptete Verletzung der funktionellen Zuständigkeit liegt somit nicht vor (vgl. zu den Grenzen der Entscheidungsbefugnis bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten die hg. Erkenntnisse vom 31. März 1987, Zl. 84/07/0086, und vom 8. Oktober 1996, Zl. 94/04/0248).

Die Beschwerdeführer bemängeln die von der belangten Behörde vorgenommene Berechnung der Gebäudehöhe des bewilligten Bauvorhabens und weisen insbesondere darauf hin, dass die als Dachgeschosse bezeichneten Bauteile nicht "im vollständigen Gebäudeumriss" lägen. Die Errichtung von Dachschossen innerhalb gedachter Giebelflächen sei nur insoweit möglich, als dadurch auf die Gesamtarchitektur Rücksicht genommen werde und nicht die Bestimmungen über die absolute Gebäudehöhe umgangen würden.

Das bewilligte Gebäude liegt nicht an den im § 81 Abs. 1 BO aufgezählten Fluchtlinien. Für die Berechnung der Gebäudehöhe sind daher im Beschwerdefall folgende Bestimmungen des § 81 BO maßgeblich:

"Gebäudehöhe und Gebäudeumrisse; Bemessung

§ 81. …

(2) Bei den über eine Gebäudetiefe von 15 m hinausragenden Teilen von Gebäuden an der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie sowie bei allen nicht an diesen Fluchtlinien gelegenen Gebäuden darf die Summe der Flächeninhalte aller Gebäudefronten nicht größer als das Produkt aus der Summe der Längen aller Gebäudefronten und der höchsten zulässigen Gebäudehöhe sein; hiebei darf die höchste zulässige Gebäudehöhe an der Grundgrenze und bis zu einem Abstand von 3 m von derselben überhaupt nicht und an den übrigen Fronten an keiner Stelle um mehr als 3 m überschritten werden. Bei dieser Ermittlung sind die Feuermauern ab 15 m hinter der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie wie Fronten in Rechnung zu stellen. Die der Dachform entsprechenden Giebelflächen bleiben bei der Bemessung der Gebäudehöhe außer Betracht, und der oberste Abschluss des Daches darf keinesfalls höher als 7,5 m über der zulässigen Gebäudehöhe liegen, sofern der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt.

(4) Durch das Gebäude darf jener Umriss nicht überschritten werden, der sich daraus ergibt, dass in dem nach Abs. 1 bis 3 für die Bemessung der Gebäudehöhe maßgeblichen oberen Anschluss der Gebäudefront ein Winkel von 45 Grad , im Gartensiedlungsgebiet von 25 Grad , von der Waagrechten gegen das Gebäudeinnere ansteigend, angesetzt wird. Ist im Bebauungsplan eine besondere Bestimmung über die Höhe oder die Form der Dächer festgesetzt, ist der dieser Festsetzung entsprechende Winkel für die Bildung des Gebäudeumrisses maßgebend.

(5) In den Fällen des § 75 Abs. 4 und 5 ist zum Erreichen des nach der Bauklasse zulässigen Gebäudeumrisses das Staffeln der Baumasse hinter der Baulinie, Straßenfluchtlinie, Verkehrsfluchtlinie oder Baufluchtlinie oder das Zurückrücken der Hauptfront zulässig; beim Zurückrücken der Hauptfront müssen Feuermauern, die sonst sichtbar würden, gedeckt und die zwischen der Fluchtlinie und der Vorderfront des Gebäudes gelegenen Flächen gärtnerisch ausgestaltet oder mit einer Oberflächenbefestigung versehen werden.

(6) Der nach den Abs. 1 bis 5 zulässige Gebäudeumriss darf durch einzelne, nicht raumbildende Gebäudeteile untergeordneten Ausmaßes überschritten werden; mit raumbildenden Dachaufbauten darf der Gebäudeumriss nur durch einzelne Dachgauben sowie im unbedingt notwendigen Ausmaß durch Aufzugstriebwerksräume und durch Stiegenhäuser überschritten werden. Die einzelnen Dachgauben müssen in ihren Ausmaßen und ihrem Abstand voneinander den Proportionen der Fenster der Hauptgeschosse sowie dem Maßstab des Gebäudes entsprechen. Die Dachgauben dürfen insgesamt höchstens ein Drittel der Länge der betreffenden Gebäudefront in Anspruch nehmen.

(7) Der zulässige Gebäudeumriss darf auch durch Verglasungen untergeordneten Ausmaßes überschritten werden."

Die "der Dachfläche entsprechenden Giebelflächen" gemäß § 81 Abs. 2 BO sind nicht nur die tatsächlichen, von der vorhandenen Dachform gebildeten Giebelflächen, sondern auch gedachte Giebelflächen, die innerhalb der zulässigen Dachform möglich sind. Auch solche gedachte Giebelflächen haben daher bei der Bemessung der Gebäudehöhe nach dieser Gesetzesstelle außer Betracht zu bleiben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Juni 1995, Zl. 94/05/0172, und vom 22. September 1998, Zl. 95/05/0068, VwSlg 14.975/A). Die Bildung gedachter Giebelflächen bei der Ermittlung der Gebäudehöhe gemäß § 81 Abs. 2 BO im Zusammenhang mit Abs. 4 dieses Paragraphen durch die belangte Behörde stimmt daher mit der Rechtslage überein.

Die im Beschwerdefall anzuwendenden, auf den Bebauungsplan PD Nr. 6665 gestützten Bebauungsbestimmungen enthalten Festlegungen gemäß § 5 Abs. 4 lit. k BO betreffend die zulässige Höhe des Daches über der ausgeführten Gebäudehöhe sowie gemäß § 5 Abs. 4 lit. i BO betreffend die Massengliederung. Sind im Zusammenhalt mit den hier maßgeblichen Regelungen des § 81 Abs. 2 und 4 BO als Bestimmungen über die Gebäudehöhe gemäß § 134a Abs. 1 lit. b BO anzusehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. September 2005, Zl. 2004/05/0231).

Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung des Gebäudeumrisses zwar § 81 Abs. 4 erster Satz BO zu Grunde gelegt und für die Ermittlung des Umrisses einen von der maßgeblichen Waagrechten gegen das Gebäudeinnere ansteigenden 45 Grad -igen Winkel angesetzt. Diese Vorgangsweise lässt jedoch die Anordnung des § 81 Abs. 4 zweiter (letzter) Satz BO unberücksichtigt, wonach dann, wenn im Bebauungsplan eine besondere Bestimmung über die Höhe oder die Form der Dächer festgesetzt ist, der dieser Festsetzung entsprechende Winkel für die Bildung des Gebäudeumrisses maßgebend ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2006, Zl. 2005/05/0073).

Die in den hier anzuwendenden Bebauungsbestimmungen enthaltene Regelung, dass "bei den innerhalb des Baulandes zur Errichtung gelangenden Gebäuden (…) der höchste Punkt des Daches nicht höher als 4,5 m über der ausgeführten Gebäudehöhe liegen" darf, ist eine solche Bestimmung über die Höhe der Dächer im Sinne des § 81 Abs. 4 zweiter Satz BO. Ausgehend von der maßgeblichen Länge der Gebäudefront (rd. 33 m) beträgt der hier entsprechende Winkel für die Bildung des Gebäudeumrisses unter Beachtung des höchstzulässigen Punktes des Daches maßgeblich weniger als der von der belangten Behörde angenommene 45 Grad -ige Winkel. Damit wird der im Sinne des § 81 Abs. 4 erster Satz BO zu bildende Umriss vom bewilligten Bauvorhaben überschritten.

Auf Grund ihrer Rechtsauffassung, die die Festsetzung des entsprechenden Winkels für die Bildung des Gebäudeumrisses im Sinne des § 81 Abs. 4 zweiter Satz BO unbeachtet lässt, hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht mit der weiteren auf § 5 Abs 4 lit. i BO gestützten Regelung des Bebauungsplanes über die Gliederung der Baumassen bei der Ermittlung der zulässigen Gebäudehöhe nach § 81 Abs. 2 BO auseinander gesetzt.

Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Beschwerdeführer durch die Bewilligung des Bauvorhabens in dem von ihnen geltend gemachten subjektiv-öffentlichen Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über die Gebäudehöhe gemäß § 134a Abs. 1 lit. b BO verletzt werden.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 30. Jänner 2007

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