Normen
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegen den Beschwerdeführer, der aus dem Kosovo stammt und der albanischen Volksgruppe angehört, besteht ein unbefristetes Aufenthaltsverbot (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0349).
Mit Antrag vom 6. April 1999, den der Beschwerdeführer in der Folge wiederholte (vgl. Akt Seiten 75, 125 und 244), ersuchte er, gemäß § 75 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festzustellen, dass seine Abschiebung "nach Jugoslawien" unzulässig sei.
Zur Begründung führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er habe seine Heimat verlassen, um einer Teilnahme an den kriegerischen Handlungen der jugoslawischen Armee gegenüber der albanischen Minderheit zu entgehen. Daher müsse er als Kriegsdienstverweigerer im Heimatland mit strafgerichtlicher Verfolgung und Folter sowie mit der neuerlichen Einberufung in den Heeresdienst rechnen. Die befürchtete Einberufung zum Militärdienst, so der Beschwerdeführer weiter (Akt S. 270), sei für die Entscheidung über den genannten Feststellungsantrag relevant, weil die ihm drohende Bestrafung wegen der (neuerlichen) Wehrdienstverweigerung aus den im § 57 FrG genannten Gründen resultiere. Außerdem sei die wirtschaftliche Situation im Kosovo seit dem dortigen Krieg katastrophal. Seit seiner Flucht sei er aus sämtlichen sozialen Strukturen seiner Heimat entwurzelt und daher im Falle seiner Rückkehr in seiner Existenz gefährdet. Dasselbe gelte für seine in Österreich lebende Familie. Abgesehen davon würden Rückkehrer in den Kosovo, die im Falle eines langen Auslandsaufenthaltes an ihrer Sprachfärbung erkennbar seien, von Seiten der Zivilbevölkerung angefeindet und Repressionen ausgesetzt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. In der Begründung gelangte sie zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer seit der Stationierung internationaler Truppen im Kosovo eine "innerstaatliche Fluchtalternative" zukomme, und dass er auch im restlichen Teil der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien durch die geänderten Verhältnisse nicht mehr bedroht sei. Serbien könne seine Staatsgewalt im Kosovo seit dem 20. Juni 1999 nicht mehr ausüben, weil entsprechend einer UN-Resolution die UNMIK und die KFOR die Hoheitsgewalt in dieser Provinz übernommen und die serbischen Sicherheitskräfte den Kosovo verlassen hätten. Die UN-Verwaltung, so die belangte Behörde unter Hinweis auf einschlägige Länderberichte, gewährleiste gemeinsam mit dem eingerichteten Kosovo-Police-Service die Sicherheit in dieser Provinz und sei um Aufklärung aller dort begangenen Straftaten bemüht. Dadurch seien die Kriminalitätsrate stabilisiert und die Gewalttaten im Jahr 2001 signifikant reduziert worden. Es gebe trotz mehrerer hunderttausend Rückkehrer in den Kosovo keine Anhaltspunkte dafür, dass regelmäßige private Übergriffe gegen diese Personengruppe stattfänden. Auch ein Sozialhilfesystem für Hilfsbedürftige sei von der UN-Verwaltung in der genannten Provinz aufgebaut worden. Ungeachtet der geänderten Verhältnissen im Kosovo sei eine Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG auch im restlichen Teil der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien nicht mehr anzunehmen. Die vom Beschwerdeführer gehegte Befürchtung, er habe im Falle seiner Rückkehr in die Heimat mit staatlicher Verfolgung wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes zu rechnen, sei nach Ansicht der belangten Behörde unbegründet. Dazu stellte sie fest, dass das Parlament der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien nach dem Machtwechsel am 27. Februar 2001 ein Gesetz über die Amnestie der Wehrpflichtigen, die sich ihrer Einberufung während des Kosovo-Krieges entzogen hätten oder aus der Armee desertiert seien, beschlossen habe. Daraus lasse sich, so die belangte Behörde weiter, die Prognose ableiten, dass "eine militärstrafgerichtliche Verfolgung" des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in die ehemalige Bundesrepublik Jugoslawien nicht mehr wahrscheinlich sei. Zusammengefasst sei daher auf Grund der geänderten (politischen) Verhältnisse in der Heimat des Beschwerdeführers nicht mehr von den behaupteten Gefahren im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 FrG auszugehen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 24. Februar 2004, B 12/04-7, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.
Gemäß § 57 Abs. 2 FrG ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre.
Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2005, Zl. 2003/21/0219, mwN).
Das Hauptgewicht der Beschwerde liegt im Einwand des Beschwerdeführers, er sei in seiner Heimat wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes weiterhin im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG gefährdet. Der vom Beschwerdeführer befürchteten staatlichen Bedrohung habe die belangte Behörde lediglich das Gesetz über die Amnestie für Kriegsdienstverweigerer entgegen gehalten. Damit ziehe sie sich auf die Rechtsverhältnisse in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien bzw. Serbien und Montenegro zurück, ohne die faktische Situation geprüft zu haben. Nach dem Jahresbericht 2003 von Amnestie International hätten aber im Jahr 2002 mindestens zwei Personen die gegen sie wegen Kriegsdienstverweigerung verhängten Freiheitsstrafen in Serbien und Montenegro antreten müssen, außerdem seien mindestens sieben Männer (gemeint: wegen Kriegsdienstverweigerung) vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Im Falle der Rückkehr in seine Heimat müsse der Beschwerdeführer auf Grund seiner langen Abwesenheit mit Sicherheitsproblemen rechnen und es stehe ihm wegen der Kriegsdienstverweigerung vor allem die neuerliche Einberufung zum Wehrdienst bevor. Als Kriegsdienstverweigerer stehe ihm keine gesetzliche Alternative zum Militärdienst offen, sodass er im Fall der neuerlichen Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen mit Folter oder unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK rechnen müsse.
Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides ausgehend vom Antrag des Beschwerdeführers festgestellt hat, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer sei "in Jugoslawien" im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht. Da sie sich auch in der Begründung fallbezogen mit den Verhältnissen in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (und nicht bloß in der Provinz Kosovo) auseinander gesetzt hat, ist der Spruch des angefochtenen Bescheides (anders als etwa in jenem dem hg. Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0157, zu Grunde liegenden Beschwerdefall) nicht von vornherein als rechtswidrig zu erkennen (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0550 mwN, zum Konzept zweier Herkunftsstaaten, dem Kosovo einerseits und der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ohne den Kosovo andererseits). Im Hinblick auf den gegenständlichen, auf "Jugoslawien" bezogenen Spruch wäre die Abschiebung des Beschwerdeführers nicht bloß in den Kosovo zulässig, sondern auch in den zweiten Herkunftsstaat, die ehemalige Bundesrepublik Jugoslawien. Der angefochtene Bescheid wäre daher nur dann rechtmäßig, wenn der Beschwerdeführer weder im Kosovo noch in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) eine Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG zu befürchten hätte.
Entscheidungsrelevant ist im Hinblick auf den geltend gemachten Fluchtgrund insbesondere, ob die behauptete Gefährdung des Beschwerdeführers wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb der Provinz Kosovo mit maßgebender Wahrscheinlichkeit besteht. Dazu hat die belangte Behörde festgestellt, dass das ehemalige jugoslawische Bundesparlament ein Gesetz über die Amnestie für Kriegsdienstverweigerer beschlossen habe. Sie hat daraus den Schluss gezogen, dass der Beschwerdeführer eine "militärstrafgerichtliche Verfolgung" nicht mehr befürchten müsse und dass die Verweigerung des Kriegsdienstes daher nicht mehr zu einer Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG führe.
Zur letztgenannten Feststellung wurde dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage kein Parteiengehör eingeräumt. Das Beschwerdevorbringen, die bloße Erlassung eines Amnestiegesetzes lasse noch nicht auf den tatsächlichen Wegfall der staatlichen Bedrohung von Kriegsdienstverweigerern schließen, zumal nach der einschlägigen, in der Beschwerde zitierten Berichtslage zu Jugoslawien weiterhin vom Vollzug von Freiheitsstrafen wegen Kriegsdienstverweigerung auszugehen sei, ist daher zulässig und führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Nach der eingangs zitierten hg. Rechtsprechung (vgl. abermals das Erkenntnis Zl. 2003/21/0219, mwN, und zu den Kriterien der Relevanz der Wehrdienstverweigerung unter diesem Gesichtspunkt das dort zitierte Erkenntnis Zl. 99/20/0401) ist es für die Beurteilung einer in § 57 FrG umschriebenen Gefährdung nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in dieser Gesetzesstelle umschriebenen Art durch den betreffenden Staat bekannt geworden sind. Entscheidend für die Annahme grundlegend geänderter (politischer) Verhältnisse zu Gunsten des Fremden ist daher die Beantwortung der Frage, ob die Veränderung tatsächlich eingetreten ist und ob sie über einen gewissen Beobachtungszeitraum andauerte (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0057). Es kann daher, anders als die belangte Behörde meint, der Wegfall der Gefährdung des Beschwerdeführers wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes nicht schon aus der Erlassung eines Amnestiegesetzes abgeleitet werden, solange Feststellungen über die praktische Anwendung dieses Gesetzes fehlen. Insoweit hat die belangte Behörde somit die Rechtslage unrichtig beurteilt.
Der Vollständigkeit halber ist für das fortgesetzte Verfahren darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer die Furcht vor Verfolgung wegen der Verweigerung des Kriegsdienstes im Kosovo-Krieg nicht bloß mit der ihm drohenden (militärgerichtlichen) Bestrafung sondern, wie erwähnt, auch mit der ihm bevorstehenden neuerlichen Einberufung zum Wehrdienst begründet hat. Dazu erläutert er in der Beschwerde, dass es für ihn als ehemaligen Kriegsdienstverweigerer keine gesetzliche Alternative zum Wehrdienst gebe, und da er einer Verpflichtung zur Leistung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen auch weiterhin nicht nachkommen könne, müsse er mit Folter oder unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK rechnen. Die belangte Behörde wird sich daher nicht nur mit der bereits angesprochenen praktischen Umsetzung, sondern auch mit der Reichweite des in Rede stehenden Amnestiegesetzes und der daraus abzuleitenden Möglichkeit einer (neuerlichen) Einberufung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst sowie mit den daraus resultierenden Folgen für den Beschwerdeführer (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2003/21/0219) auseinander zu setzen haben.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 27. Februar 2007
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