VwGH 2001/01/0550

VwGH2001/01/05509.7.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des A M in L, geboren am 10. September 1981, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Oktober 2001, Zl. 220.424/0-III/12/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus Presevo/Südserbien und gehört der albanischen Volksgruppe an. Nach seiner Einreise nach Österreich am 1. Oktober 2000 beantragte er die Gewährung von Asyl, was er im Wesentlichen damit begründete, dass er von (serbischen) Polizisten zu Unrecht verdächtigt worden sei, der Befreiungsarmee Presheva, Medvegja und Bujanovc (UCPMB) anzugehören; im Zuge der Suche nach seiner Person habe in seinem Elternhaus eine Hausdurchsuchung stattgefunden, wobei sein Bruder brutal zusammengeschlagen und Hausrat beschädigt/zerstört worden sei; auch nach seiner Flucht sei die Suche nach ihm, wie ihm seine Mutter telefonisch mitgeteilt habe, fortgesetzt worden; es handle sich bei diesen Maßnahmen um einen jener vorwiegend gegen junge Angehörige der albanischen Volksgruppe gesetzte Gewalt- und Willkürakte, um diese Bewohner aus dem betreffenden Gebiet zu vertreiben.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Fremdengesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die unter internationaler Verwaltung stehende, vormalig autonome Provinz Kosovo (BR Jugoslawien) zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer insofern individueller Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, als er von serbischen Sicherheitskräften der Zugehörigkeit zur UCPMB verdächtigt und deshalb gesucht worden sei. Im Hinblick darauf habe er einen jederzeit möglichen Zugriff serbischer Sicherheitskräfte befürchten müssen und deswegen die BR Jugoslawien verlassen.

Bezüglich der Situation ethnischer Albaner in Südserbien führte die belangte Behörde zusammenfassend aus, dass diese in den letzten Jahren Opfer grausamster serbischer Übergriffe geworden seien; tausende Flüchtlinge aus dieser Region seien auch heute noch Opfer dieser Vorgänge; der Einmarsch der NATO-Truppen in den Kosovo und zuletzt der Sturz von Milosevic hätten zum ersten Mal zu einer Annäherung zwischen den Albanern und den Serben in Südserbien geführt, um den Konflikt durch friedliche Mittel zu lösen; auch wenn die neue Führung in Belgrad auf die Konfrontations- und Gewaltpolitik ihres Vorgängers verzichtet zu haben scheine, bleibe das Misstrauen unter der albanischen Bevölkerung nach wie vor groß. Zahlreiche albanische Flüchtlinge aus Südserbien hielten sich noch im Kosovo auf, viele von ihnen hätten auf Grund der familiären Bindungen bei Verwandten Unterkunft gefunden; UNHCR habe im Mai 2000 vor der Rückkehr aus dem Ausland von ethnischen Albanern, die aus Südserbien kommen und im Kosovo keine Wurzeln haben, gewarnt, das UNO-Flüchtlingshilfswerk habe aber Familien unterstützt, die Vertriebene aus Südserbien aufgenommen hätten. Der Kosovo sei seit Anfang der Krise "bis heute" die Zufluchtsstätte für alle fliehenden Albaner aus Südserbien. Im Laufe des Sommers 2001 seien ungeachtet vereinzelt stattfindender Übergriffe zahlreiche geflüchtete Albaner in das Presheva-Tal zurückgekehrt.

Zum Kosovo stellte die belangte Behörde ua. fest, dass dieser "eine Art westliches, militärisches 'Protektorat'" sei, obwohl die Provinz gemäß UNO-Resolution 1244 de jure weiterhin zu Serbien gehöre und damit Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien sei. De facto habe die serbisch-jugoslawische Regierung jedoch die Kontrolle über die Provinz verloren. Am 15. Mai 2001 sei der so genannte Verfassungsrahmen für die provisorische Selbstverwaltung unterzeichnet worden, womit der Weg für die Parlamentswahlen im Kosovo am 17. November 2001 geebnet worden sei. Die internationalen Organisationen (im Kosovo) würden grundsätzlich auch jenen ethnischen Albanern lebensnotwendige Hilfe anbieten, die ursprünglich in Serbien (Südserbien) gelebt hätten.

Im durchgeführten Ermittlungsverfahren - so die belangte Behörde weiter - seien keine Umstände hervorgekommenen, wonach jedenfalls im Kosovo die Lebensumstände im Allgemeinen und für den Beschwerdeführer im Besonderen aktuell derart wären, dass ihm unmittelbare Lebensgefahr infolge des gänzlichen Fehlens jedweder Lebensgrundlage drohen würde. Es sei auch nicht hervorgekommen, dass gerade dem Beschwerdeführer im Fall einer Aufenthaltnahme im Kosovo die notwendigste Hilfe der internationalen Hilfsorganisationen zum weiteren Fortkommen verweigert werden bzw. dass ihm eine solche Hilfe überhaupt nicht angeboten werden würde. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er bei Aufenthaltnahme im Kosovo aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre oder dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass er Gefahr liefe, im Kosovo einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Ungeachtet dessen, dass ihm allenfalls in einzelnen Teilgebieten der BR Jugoslawien (Südserbien) asylrelevante Gefahren aktuell drohen könnten, bestehe für ihn im Kosovo - wohin ihm eine "Rückkehr" möglich und zumutbar sei - daher eine "inländische Fluchtalternative", weshalb einerseits eine Asylgewährung nicht in Betracht komme und andererseits die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers dorthin zulässig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem Beschwerdeführer in Südserbien asylrelevante Verfolgung drohe, im Hinblick darauf unterlassen, dass ihm jedenfalls im Kosovo eine interne Schutzalternative offen stehe. Diese Provinz gehöre zwar nach wie vor der Bundesrepublik Jugoslawien an und es seien ihre Einwohner auch jugoslawische Staatsbürger. Dem jugoslawischen Staat fehle aber für diesen Teil seines Territoriums infolge einer die Gebietshoheit umfassenden Verwaltung durch Organe der Vereinten Nationen (UNMIK, unterstützt durch KFOR) nunmehr die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit. Diese Staatsgewalt sei auf die genannten Organe der Vereinten Nationen übergegangen.

In ihrer Gegenschrift gibt die belangte Behörde zutreffend die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes wieder, wonach die dargestellte Situation bezüglich des Kosovo dazu führe, dass für aus dem Kosovo stammende Asylwerber auch der Kosovo selbst als Bezugsobjekt der zu prüfenden asylrechtlichen Verfolgung anzusehen sei. Sie nimmt jedoch nicht ausreichend auf die weiter vom Verwaltungsgerichtshof gezogenen Schlussfolgerungen Bedacht, wonach für diese Personengruppe im Hinblick auf ihre nach wie vor gegebene jugoslawische Staatsbürgerschaft auch die Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) als Herkunftsstaat im Sinn der §§ 7 und 8 AsylG iVm § 1 Z 4 leg. cit. betrachtet werden muss und dass insoweit daher zwei Herkunftsstaaten vorliegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Juni 2000, Zl. 2000/01/0162, vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0116, und Zl. 2000/01/0122, vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0126, und vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0402). Geht man von dem Konzept zweier Herkunftsstaaten (dem Kosovo einerseits und der Bundesrepublik Jugoslawien ohne den Kosovo andererseits) aus, welches der Verwaltungsgerichtshof seit Institutionalisierung der UN-Verwaltung verfolgt und von dem abzurücken kein Anlass besteht, so bedeutet das im Hinblick auf den Kosovo umgekehrt aber, dass für Personen jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die nicht von dort stammen, jenes Gebiet bei der Prüfung der Voraussetzungen der Asylgewährung nicht als Teil des "Herkunftsstaates" Bundesrepublik Jugoslawien in Betracht zu ziehen ist. Diese Personen haben bloß einen "Herkunftsstaat" im beschriebenen Sinn, eben die Bundesrepublik Jugoslawien ohne den Kosovo, was in ihrem Fall dann aber die Heranziehung des Kosovo als interne Schutzalternative ausschließt. Von da her ist der vorliegenden Entscheidung der belangten Behörde jedoch von vornherein die Grundlage entzogen, unabhängig davon, ob die tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo Albanern aus Südserbien dort eine Lebensmöglichkeit erlauben würden - was in der Beschwerde bestritten wird - oder nicht. Der bekämpfte Bescheid, der die Frage asylrelevanter Verfolgung des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) offen gelassen hat, war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Wien, am 9. Juli 2002

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