Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "BR Jugoslawien", der am 3. Februar 1996 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 5. Februar 1996 die Gewährung von Asyl. Er wurde am selben Tag niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab er an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens. Er habe in seiner Heimat zuletzt in Iglarevo bei Klina gewohnt. Die serbische Polizei habe ihn am 20. Jänner 1996 wegen seiner mehrjährigen Mitgliedschaft zur LDK gesucht.
Die Behörde erster Instanz wies den Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 u.a mit der Begründung ab, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Furcht vor Verfolgung nicht objektivierbar sei. Er sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991.
Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ der Bundesminister für Inneres den Bescheid vom 9. Mai 1996. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher die Beschwerde gemäß § 44 Abs. 3 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 - AsylG, zurückwies, weil der angefochtene Bescheid gemäß § 44 Abs. 2 AsylG mit dem Inkrafttreten des AsylG in das Stadium vor Erlassung des Berufungsbescheides zurückgetreten ist.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren mit Schreiben vom 3. Dezember 1998 im Wesentlichen vor, seit der UN-Sicherheitsratsresolution 1199 vom 23. September 1998 seien die Kampfhandlungen, die sich nach einer "umfangreichen Sicherheitsoperation" der serbischen Sicherheitskräfte im Februar 1998 ("verschärfte" Lage) in Teilen des Kosovo zu einer "bürgerkriegsähnlichen" Situation ausgeweitet hätten, weitestgehend eingestellt worden. Es sei am 13. Oktober 1998 zu einer Einigung zwischen Jugoslawiens Staatspräsident Milosevic und dem US-Sondervermittler Holbrooke gekommen. Unter Hinweis auf näher bezeichnete Beweisquellen (zB. Pressemitteilungen, UNHCR-Auskünfte, Feststellungen des NATO-Rates) stehe fest, dass in der Folge einen Tag vor Ablauf des NATO-Ultimatums 27. Oktober 1998 ein serbischer Truppenrückzug "im großen Umfang" durchgeführt worden sei. Flüchtlinge seien zurückgekehrt. Es gebe nunmehr Konzentrationen von Polizeikräften nur mehr als Reaktion auf Aktionen der albanischen Untergrundkämpfer. Es sei "aufgrund dieser geänderten Situation bzw. der noch zu erwartenden Verbesserung im Heimatland des Asylwerbers ... davon auszugehen, dass die bei seiner Vernehmung bzw. in der Berufung behauptete Verfolgungsgefahr nicht mehr gegeben" sei.
Der Beschwerdeführer nahm zu diesem Vorhalt nicht Stellung. Sodann erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid vom 11. Jänner 1999, mit welchem sie der Berufung des Beschwerdeführers erneut keine Folge gab. Angesichts der aufgrund Abwesenheit des Beschwerdeführers ohne Repression verlaufenen Suche bei ihm zu Hause und einer vier Jahre zurückliegenden ebenfalls ohne Repressionen zu Hause vorgenommenen Waffensuche komme die erkennende Behörde in Anwendung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Schluss, dass die Vorfälle mangels asylrelevanter Eingriffsintensität keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - darstellten. Die jüngste, im Sinne des dargestellten Vorhaltes festgestellte Entwicklung im Kosovo lasse weitere massive Verfolgungen ethnischer Albaner nicht glaubwürdig erscheinen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Insoweit der Beschwerdeführer vorbringt, aus den ihm individuell widerfahrenen Ereignissen sei bereits eine asylrelevante Verfolgung zu ersehen, ist ihm zu entgegnen, dass er trotz gebotener Gelegenheit im Verwaltungsverfahren niemals behauptet hat, es sei gegen ihn "konkrete Gewalt geübt, und zwar durch Einsperren und Verprügeln" worden. Somit unterliegt diese in der Beschwerde erstmalig aufgestellte Behauptung dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot. Die belangte Behörde ist im Recht, dass sie in der im zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Ausreise stehenden einmaligen, ohne Übergriffe verlaufenen Suche von Polizeikräften wegen der Mitgliedschaft des Beschwerdeführers zur LDK allein keine asylrelevante Verfolgung gesehen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht es jedoch insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica erstreckten, wobei im September 1998 eine weitere gebietsmäßige Ausdehnung in Richtung Nordosten (Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn sowie Richtung Suha Reka erfolgte.
Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN). Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF
BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 96 wiedergegebene hg. Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 AVG). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte.
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Ort im Bereich des von den Vorgängen betroffenen Gebietes (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287).
Die belangte Behörde hat diesen Vorgängen die ab der UNO-Sicherheitsratsresolution 1199 eingetretene, von ihr als wesentlich angesehene Änderung der Lage entgegengesetzt und daraus geschlossen, dass nunmehr keine Verfolgung von Albanern aus dem Kosovo allein wegen der Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe zu erwarten sei. Der Beschwerdeführer tritt dem damit entgegen, dass sich die Situation im Kosovo innerhalb kürzester Zeit ändere und ändern könne, was sich wiederholt gezeigt habe. Versprechungen der Regierung von Restjugoslawien seien wiederholt nicht eingehalten worden, weshalb weiterhin eine aktuelle Verfolgungsgefahr bestehe.
In diesem Punkt gleicht der gegenständliche Fall dem hg. Erkenntnis vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0126, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird. Die darin für den Beobachtungszeitraum enthaltene Begründung gilt gleichermaßen dann, wenn dem Beschwerdeführer keine UCK-Aktivitäten vorgeworfen werden. Auch der hier gegebene Beobachtungszeitraum von etwa vier Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides am 12. Jänner 1999 erweist sich aus den im zitierten Erkenntnis vom 8. September 1999 genannten Gründen (insbesondere wegen der langen vorangegangenen Zeit der Repressionen in wechselnder Intensität) als zu kurz, um von einer wesentlichen und nachhaltigen Veränderung der vormals gegebenen Umstände sprechen zu können.
Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Oktober 1999
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