VwGH 2006/11/0076

VwGH2006/11/007618.12.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 14. März 2006, Zl. UVS-FSG/48/1975/2006/2, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
SMG 1997 §28 Abs2;
StGB §12 ;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
SMG 1997 §28 Abs2;
StGB §12 ;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus der vorliegenden Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich Folgendes:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 14. März 2006 entzog der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Zeit von 19 Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstbehördlichen Bescheides und ohne Einrechnung von Haftzeiten. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen für den angeführten Zeitraum verboten.

Begründend führte der UVS nach Wiedergabe der nach seiner Auffassung maßgebenden Vorschriften aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. November 2005 wegen einer strafbaren Handlung nach dem § 28 Abs. 2 SMG (teilweise als Beteiligter gemäß § 12 zweiter Fall StGB) mit einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, welche gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren vorläufig bedingt nachgesehen worden sei, bestraft worden. Der Beschwerdeführer sei schuldig erkannt worden, "in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtmittel in einer die Grenzmenge (§ 28 Abs. 6 SMG) übersteigenden Menge jeweils andere zur Ein- und Ausfuhr bestimmt bzw zur Einfuhr beigetragen sowie selbst in Verkehr gesetzt zu haben". Es sei im Hinblick auf das rechtskräftige Strafurteil davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die strafbaren Handlungen auch begangen habe. Zu Recht habe dabei schon die Erstbehörde das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im § 7 Abs. 3 Z. 11 des Führerscheingesetzes (FSG) angenommen. Die strafbare Handlung des Beschwerdeführers sei wegen der damit verbundenen Gefahr für die Gesundheit von Menschen als besonders verwerflich anzusehen. Es sei daraus eine Sinnesart abzuleiten, wonach sich der Beschwerdeführer auch im Hinblick auf die seit Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens verstrichene kurze Zeit wegen der erleichternden Umstände beim Lenken von Kraftfahrzeugen sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde. Zum Nachteil des Beschwerdeführers falle außerdem ins Gewicht, dass er durch seinen Tatbeitrag als Mittelsmann zur Verschleierung der Transport- und Absatzwege, der Hintermänner und Verkaufsstrukturen von gesellschaftlich höchst verwerflicher Ware einen Anteil geleistet habe. Die vom Beschwerdeführer "monierte" untergeordnete Position könne nicht erkannt werden. Die über den Beschwerdeführer verhängte Strafe sei jedoch vom Strafgericht auf eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen worden, sodass unter weiterer Berücksichtigung des Geständnisses und des bisher tadellosen Vorlebens die Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit bereits mit Ablauf des nunmehr festgesetzten Zeitraumes anzunehmen gewesen sei. Einer weiteren Herabsetzung der Entziehungsdauer stünden die innerhalb eines kurzen Zeitraums in Verkehr gebrachte große Suchtgiftmenge bzw. der Beitrag des Beschwerdeführers zu dieser Tat entgegen. Das gezeigte Verhalten lasse "doch auf eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der von Suchtmitteln ausgehenden Gefahr für die Gesundheit von Menschen vermissen". Es bedürfe nach Ansicht der erkennenden Behörde im Hinblick auf die angeführten Umstände der Tat und die seit der Tat verstrichene Zeit der nunmehr festgesetzten Entziehungszeit, um auf Grund des innerhalb dieses Zeitraums gezeigten Wohlverhaltens auf eine Änderung der Sinnesart und damit eine Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit schließen zu können. Aus denselben Überlegungen sei auch das Lenkverbot auszusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof gab mit Verfügung vom 17. Mai 2006 der belangten Behörde die Gelegenheit, innerhalb einer dreiwöchigen Frist ein Vorbringen zu erstatten, welches geeignet wäre, das Vorliegen der vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzung - hier: zu lange Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung und des Lenkverbots - vor dem Hintergrund der mittlerweile ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - hier: zur Bedeutung von bedingter Strafnachsicht bei Suchtgiftdelikten sowie zur Bedeutung von vorangehender Unbescholtenheit des Betreffenden (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 25. November 2003, Zlen. 2002/11/0165, 2002/11/0223, 2002/11/0124, und das hg. Erkenntnis vom 28. April 2005, Zl. 2005/11/0042) für die Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit - als nicht gegeben erkennen zu lassen.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2006 teilte die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof mit, dass nach ihrer Auffassung keine Rechtsverletzung vorliege, weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens nach § 28 Abs. 2 SMG verurteilt worden sei und die festgelegte Entziehungszeit von 19 Monaten - damit auch der Neuerwerb einer Lenkberechtigung - im Sinne der bisherigen Judikatur "und im speziellen Fall" gerechtfertigt und angemessen angesehen werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

...

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

11. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, BGBl. I Nr. 112/1997, begangen hat;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, ... .

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ...

...

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern,

vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

..."

2.1. Der Beschwerdeführer tritt den Feststellungen der belangten Behörde zum Inhalt des strafgerichtlichten Urteils nicht entgegen. Auch der Verwaltungsgerichtshof legt der folgenden Beurteilung die Feststellungen der belangten Behörde zu Grunde.

2.2. Im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens nach § 28 Abs. 2 SMG kann die Ansicht der belangten Behörde, im Falle des Beschwerdeführers sei die bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 11 FSG verwirklicht, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Dass der Beschwerdeführer zum Teil nur als Beitragstäter gehandelt hat, ändert daran nichts (vgl. in diesem Sinne die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0389, und vom 21. März 2006, Zl. 2005/11/0196).

2.3. Damit ist allerdings für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nichts gewonnen.

Dem angefochtenen Bescheid ist nicht zu entnehmen, wann die strafbare Handlung des Beschwerdeführers stattgefunden hat. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof daher nicht erkennbar, welcher Zeitraum zwischen der strafbaren Handlung und dem strafgerichtlichen Urteil vom 24. November 2005 vergangen ist. Ebenso wenig ist dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen, ab welchem Datum die Entziehung und das Lenkverbot wirksam geworden sind. Selbst unter der Annahme, dass die strafbare Handlung zeitlich unmittelbar vor dem strafgerichtlichen Urteil erfolgt und der erstbehördliche Bescheid ohne Verzögerung zugestellt worden wäre, wäre die belangte Behörde implizit davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer für einen Zeitraum von mindestens 22 Monaten - hier gerechnet ab der Verurteilung - verkehrsunzuverlässig sei.

In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu führe, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, weil sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht zur Gänze mit jenen decken, die für das Gericht betreffend die bedingte Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 1 StGB von Bedeutung sind. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber darauf hingewiesen, dass nach der letztgenannten Gesetzesstelle die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen sind und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln könne, die für die im § 7 Abs. 4 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2006, Zl. 2003/11/0190).

Das Strafgericht hat im Fall des Beschwerdeführers den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe durch den Beschwerdeführer nicht als erforderlich angesehen. Schon auf der Basis der von der belangten Behörde selbst getroffenen Feststellungen zur vorhergehenden Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ist ihre implizite Annahme, der Beschwerdeführer werde entgegen der Auffassung des Strafgerichts die Verkehrszuverlässigkeit erst 22 Monate nach der Verurteilung wiedererlangen, nicht haltbar.

2.4. Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus diesen Erwägungen gemäß § 35 Abs. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben.

2.5. Für das fortzusetzende Verfahren ist der belangten Behörde überdies die neuere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Nichteinrechnung von Haftzeiten in die ausgesprochene Entziehungsdauer in Erinnerung zu rufen (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 2006, Zl. 2004/11/0129, und vom 21. März 2006, Zl. 2005/11/0196).

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 18. Dezember 2006

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte