VwGH 2003/18/0271

VwGH2003/18/027120.4.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A, geboren 1973, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. August 2003, Zl. SD 509/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §48 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §48 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. August 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer habe am 6. Jänner 2000 in Serbien die österreichische Staatsbürgerin S. geehelicht und sei anschließend am 14. März 2000 auf Grund eines Visums D nach Österreich eingereist. Am 24. Juli 2000 habe er bei der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" eingebracht. Anschließend seien ihm Niederlassungsbewilligungen, zuletzt bis 3. Oktober 2002, erteilt worden.

Im Zug von Erhebungen durch die Erstbehörde habe sich der Verdacht ergeben, dass es sich bei der von ihnen geschlossenen Ehe um eine Scheinehe handle. Am 12. April 2001 niederschriftlich vernommen habe seine Ehegattin zugegeben, dass die Ehe im Dezember 1999 vermittelt worden wäre. Sie hätte in die Scheinehe eingewilligt, um ihre Bankschulden bezahlen zu können. In weiterer Folge wäre die Ehe mit dem Beschwerdeführer in Belgrad geschlossen worden. Sie hätte, wie vereinbart, ATS 25.000,-- (EUR 1.816,82) vor und nach der Eheschließung erhalten. Diese wäre nur zum Zweck der Erlangung eines Aufenthaltstitels bzw. eines Befreiungsscheines und gegebenenfalls der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Beschwerdeführer erfolgt. Es hätte nie ein gemeinsamer Wohnsitz bestanden. Ihre Meldung in 1160 Wien wäre eine mit dem Beschwerdeführer vereinbarte Scheinmeldung gewesen. Abschließend habe S. ausgeführt, dass sie seit ca. fünf Jahren mit ihrem Lebensgefährten K. zusammenlebte und von diesem im vierten Monat schwanger wäre. Sie beabsichtigte daher, in nächster Zeit die Scheidung vom Beschwerdeführer einzureichen.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer (wiederholend) ausgeführt, mit seiner Ehegattin eine "dem Ehewesen entsprechende Lebensgemeinschaft" (zwar geführt, aber nunmehr) aufgegeben zu haben, sodass derzeit lediglich eine "formelle Ehe" bestünde.

Die belangte Behörde sehe keinen Grund, an der Richtigkeit der Zeugenaussage von S. zu zweifeln. Nachvollziehbar habe diese begründet, dass sie sich auf die Scheinehe eingelassen hätte, weil sie Schulden bei ihrer Bank hätte begleichen wollen. Ebenso sei kein Grund ersichtlich, warum sie den Erhalt eines Geldbetrages in der Höhe von ATS 50.000,-- (EUR 3.633,64) zur Abdeckung (eines Teiles) ihrer Schulden bloß vortäuschen sollte. Vor diesem Hintergrund überzeuge der Versuch des Beschwerdeführers - der im Übrigen die Bezahlung eines Geldbetrages für die Eheschließung gar nicht bestreite -, der Behörde Glauben zu machen, dass bis zum (angeblichen) Auszug seiner Ehegattin von der Adresse in 1160 Wien eine eheliche Gemeinschaft bestanden hätte, wenig. Klar und überzeugend klinge im Gegensatz dazu die Aussage von S., dass sie sich nur vereinbarungsgemäß an der genannten Adresse angemeldet, tatsächlich jedoch nie dort gewohnt hätte. Jedenfalls ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie das Vorliegen einer Scheinehe bloß vortäusche; dies umso weniger, als nach der Lebenserfahrung kein vernünftiger Grund erkennbar sei, der eine solche Annahme rechtfertigen könnte. Im Gegensatz dazu habe der Beschwerdeführer seinerseits das größte Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe, weil sein weiterer Verbleib im Bundesgebiet und darüber hinaus sein freier Zugang zum Arbeitsmarkt davon abhingen.

Die belangte Behörde sei sohin zur Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehegattin ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben, und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllt.

Der Missbrauch des Rechtsinstituts der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 48 Abs. 1 leg. cit. rechtfertige. Diese Gefährdung sei nach wie vor gegeben, weil seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung erst ca. dreieinhalb Jahre vergangen seien.

Der Beschwerdeführer sei seit ca. dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Er verfüge im Bundesgebiet über familiäre Beziehungen zu einem Onkel und einer Tante und gehe rechtmäßig einer Beschäftigung - wenn auch mit ständig wechselnden Arbeitgebern - nach. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - somit zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - dringend geboten. Wer - wie der Beschwerdeführer - rechtsmissbräuchlich vorgehe, um sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig erscheinen ließen.

Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch im Rahmen der gemäß § 37 Abs. 2 FrG gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer Beschäftigungsverhältnisse als Arbeiter eingehen können, weshalb die durch den ca. dreieinhalbjährigen Aufenthalt erzielte Integration wesentlich geschmälert werde. Die familiären Bindungen zu einem Onkel und einer Tante seien schon deshalb nicht von großer Relevanz, weil der Beschwerdeführer mit den genannten Personen nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet wögen keinesfalls schwerer als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund und, weil auch keine besonderen, zu seinen Gunsten sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

Die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung des Aufenthaltsverbotes sei gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Interessen und der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens durch seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet, nicht vor Ablauf der festgesetzten Frist angenommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass laut dem - in der Gegenschrift der belangten Behörde unwidersprochen gebliebenen - Beschwerdevorbringen die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin S. am 4. Juni 2002 (einvernehmlich) geschieden wurde, sodass ihm im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr die Rechtsstellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen (vgl. § 47 Abs. 3 Z. 1 und § 49 Abs. 1 FrG) zukam und auch für die Anwendung der Sonderbestimmung des § 48 Abs. 1 FrG keine Veranlassung bestand. Ebenso liegt kein Fall vor, für den das Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005 in der Rechtssache C-136/03 (Georg Dörr gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten und Ibrahim Ünal gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg) einschlägig wäre.

Soweit die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid anstelle des § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 leg. cit. auf § 48 Abs. 1 leg. cit. stützte, wurde der Beschwerdeführer jedoch nicht in Rechten verletzt, ist doch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach dieser Bestimmung an strengere Voraussetzungen geknüpft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2002, Zl. 2001/18/0262; ferner in diesem Zusammenhang etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2004/18/0031, mwN).

2. Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer auf den ihm von der Erstbehörde zur Kenntnis gebrachten Verdacht einer Scheinehe niederschriftlich selbst angegeben habe, "eine dem Wesen entsprechende Lebensgemeinschaft aufgegeben zu haben". Ein "Berufen" auf ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK sei im Juli 2001 - also im anhängigen Verfahren betreffend die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung - nicht mehr vorgelegen. Obwohl die Erstbehörde davon Kenntnis gehabt habe, sei ihm eine Niederlassungsbewilligung bis zum 3. Oktober 2002 erteilt worden. Durch die Erteilung des Aufenthaltstitels habe die Behörde eindeutig signalisiert, dass im Hinblick auf die soziale und berufliche Integration die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht notwendig gewesen sei.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

3.1. Nach ständiger hg. Judikatur steht die in Kenntnis eines Versagungsgrundes erfolgte Erteilung eines Aufenthaltstitels der Erlassung eines ausschließlich auf die diesen Versagungsgrund bildenden Umstände gestützten Aufenthaltsverbotes entgegen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/18/0578, mwN).

3.2. Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde im Hinblick auf die - im angefochtenen Bescheid angeführte (vgl. oben I.1.) - Aussage der (damaligen) Ehegattin des Beschwerdeführers vom 12. April 2001 diesem von der Erstbehörde mit Schreiben vom 15. Mai 2001 vorgehalten, die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen zu haben, um rechtsmissbräuchlich einen Aufenthaltstitel bzw. Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt und die Anwartschaft auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen, und sich im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen zu haben, obwohl er kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt habe.

In seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Erstbehörde vom 4. Juli 2001 ging der Beschwerdeführer auf diesen Vorwurf nicht näher ein, sondern brachte (u.a.) vor, dass er den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet deshalb anstrebe, weil er mittlerweile hier sozial und beruflich verwurzelt sei.

Mit Schreiben vom 20. Juli 2001 stellte der Beschwerdeführer an die Erstbehörde den Antrag, die ihm von dieser Behörde am 16. August 2001 (mit Gültigkeit für ein Jahr) erteilte Niederlassungsbewilligung (quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher") zu verlängern. Ergänzend zu diesem Antrag brachte er mit Schriftsatz vom 20. Juli 2001 gegenüber der Erstbehörde vor, dass eine "dem Ehewesen entsprechende Lebensgemeinschaft derzeit nicht existiert, zumal Frau (S.) nunmehr ausgezogen ist".

In der Folge erteilte die Erstbehörde dem Beschwerdeführer am 1. Oktober 2001 eine weitere, bis 3. Oktober 2002 gültige Niederlassungsbewilligung für den bisherigen Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher", dies trotz des bei der Erstbehörde anhängigen Aufenthaltsverbotsverfahrens.

3.3. Im vorliegenden Fall war somit der Erstbehörde bei Erteilung dieser weiteren Niederlassungsbewilligung an den Beschwerdeführer das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Fehlverhalten des Beschwerdeführers in den wesentlichen Bereichen bekannt. Im Hinblick darauf erweist sich auf dem Boden der obzitierten hg. Judikatur das vorliegende Aufenthaltsverbot im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG (iVm § 34 Abs. 1 Z. 1 leg. cit.) als unzulässig.

4. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem

pauschalierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand eine gesonderte Vergütung an Umsatzsteuer nicht zusteht.

Wien, am 20. April 2006

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