VwGH 2004/07/0092

VwGH2004/07/009220.10.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Chlup, über die Beschwerde der E GmbH in R, vertreten durch Rechtsanwälte-Partnerschaft Mag. Gerhard Mader und Dr. Christian Tschiderer in 6600 Reutte, Claudiastraße 8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 2. April 2003, Zl. 680.434/01- I6/03, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung und Zurückweisung einer Berufung i.A. einer wasserrechtlichen Bewilligung (mitbeteiligte Partei: S GmbH & Co in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs4;
AVG §72 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
WRG 1959 §101 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs4;
AVG §72 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
WRG 1959 §101 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. (Abweisung des Antrages der beschwerdeführenden Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Im Übrigen (Spruchpunkt II., Zurückweisung der Berufung der beschwerdeführenden Partei) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Eingabe vom 30. April 2001 suchte die mitbeteiligte Partei (MP) bei der Bezirkshauptmannschaft B (BH) um die Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung für die Erweiterung ihrer Beschneiungsanlage (u.a. mit Wasserentnahme aus zwei Bächen) an.

Mit Schreiben des Landeshauptmannes von Vorarlberg (LH) vom 15. Oktober 2002 wurde die BH gemäß § 99 Abs. 1 lit. c und § 101 Abs. 3 Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 mit der Durchführung des Verfahrens betreffend das Ersuchen der MP um wasserrechtliche Bewilligung zur Entnahme von Wasser aus dem K-Bach und dem L-Bach zum Betrieb einer Beschneiungsanlage bei einer maximalen Entnahmemenge von 30 l/sec betraut und ermächtigt, in seinem Namen zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 29. Jänner 2003 erteilte die BH der MP gemäß §§ 9, 11, 12 und 111 sowie 101 Abs. 3 WRG 1959 unter Berufung auf ihre Betrauung und Ermächtigung durch den LH, in seinem Namen zu entscheiden, die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung einer Pumpstation zur Entnahme von Wasser aus den genannten Bächen mit den zur Benutzung der beiden Gewässer dienenden Anlagen für den Betrieb einer Beschneiungsanlage nach Maßgabe der dem Bescheid zu Grunde liegenden Plan- und Beschreibungsunterlagen unter Setzung einer Reihe von Auflagen. Der Bescheid wurde der beschwerdeführenden Partei, die die Berührung von Rechten im Sinn des § 102 Abs. 1 lit. b leg. cit. geltend gemacht hat und als Partei des Verfahrens beigezogen wurde, am 4. Februar 2003 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei die an die BH adressierte, mit 13. Februar 2003 datierte und am 19. Februar 2003 sowohl mit Telefax übermittelte als auch zur Post gegebene Berufung, die der belangten Behörde im Wege des LH vorgelegt wurde.

Mit Schreiben vom 18. März 2003 stellte die beschwerdeführende Partei beim LH den Antrag, ihr gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den obgenannten Bescheid der BH gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, und begründete dies im Wesentlichen damit, dass infolge des plötzlichen Todes der Chefsekretärin der beschwerdeführenden Partei die vorgesehene postmäßige Abfertigung der Berufung am 14. Februar 2003 unterblieben sei und die beschwerdeführende Partei erst am 11. März 2003 vom Amt der Tiroler Landesregierung (Fax des Vorlageschreibens an die belangte Behörde vom 5. März 2003) erfahren habe, dass die Berufung offensichtlich zu spät eingebracht worden sei.

Mit (weiterem) Schreiben vom 18. März 2003 übermittelte die beschwerdeführende Partei eine Ablichtung ihres Wiedereinsetzungsantrages samt Beilagen unter Hinweis darauf, dass sie beim Amt der Vorarlberger Landesregierung auf Grund besonderer Umstände den Wiedereinsetzungsantrag gestellt habe, der belangten Behörde.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 2. April 2003 wies die belangte Behörde unter Spruchpunkt I. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab und unter Spruchpunkt II. die Berufung gegen den Bescheid der BH vom 29. Jänner 2003 gemäß § 63 Abs. 5 iVm § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Berufungsschriftsatz am 13. Februar 2003 von der Geschäftsleitung der beschwerdeführenden Partei abgezeichnet worden sei und sich am darauf folgenden Tag vor Absenden der Berufung der tragische Zwischenfall (Ableben der Chefsekretärin) ereignet habe. Spätestens seit 13. Februar 2003 seien sich die Geschäftsleitung und der zuständige Sachbearbeiter der Berufung bewusst gewesen, und es wäre, auch wenn das zur Versendung gedachte Schriftstück nicht rechtzeitig auffindbar gewesen sei, möglich gewesen, eine Kopie dieses Schriftstückes sicherheitshalber an die Behörde zu faxen oder an diese via E-Mail zu schicken, handle es sich hiebei doch um eine Computerdatei, die zumindest am PC der Chefsekretärin abgespeichert oder sogar über das interne Netzwerk von allen PCs abrufbar gewesen sei. Es könne also nur von einer temporären Dispositionsunfähigkeit der beschwerdeführenden Partei gesprochen werden, die jedoch nicht vier Tage angedauert haben könne. Da zwischen der Zustellung des Bescheides der BH vom 29. Jänner 2003 an die beschwerdeführende Partei und der Einbringung der Berufung 15 Tage vergangen seien, sei die Berufung als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zuerst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 23. Februar 2004 (B 742/03-7) die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof ab.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellte die beschwerdeführende Partei unter Geltendmachung der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften den Antrag, diesen aufzuheben, und brachte dazu vor, dass der tragische und plötzliche Tod der einzig zuständigen Sekretärin ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis im Sinn des § 71 Abs. 1 AVG darstelle, der beschwerdeführenden Partei kein den minderen Grad des Versehenes übersteigendes Verschulden zur Last gelegt und ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, nicht vorweg eine Kopie der Berufung an die zuständige Behörde übermittelt zu haben. Darüber hinaus habe die belangte Behörde als unzuständige Behörde über den Wiedereinsetzungsantrag der beschwerdeführenden Partei abgesprochen. Die Rechtswidrigkeit der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages habe unmittelbaren Einfluss auf die Zurückweisung der Berufung, weshalb der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, auf die Begründung des angefochtenen Bescheides zu verweisen und die diesem Bescheid zu Grunde gelegte Rechtsansicht beizubehalten, und sie den Antrag stellte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die MP hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 71 Abs. 4 AVG ist zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

Versäumte Handlung war im Beschwerdefall die (rechtzeitige) Einbringung der Berufung gegen den Bescheid der - gemäß § 101 Abs. 3 WRG 1959 ermächtigten - BH vom 29. Jänner 2003.

Gemäß § 63 Abs. 5 erster Satz AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Demnach war die BH jene Behörde, bei der die versäumte Handlung, nämlich die (rechtzeitige) Berufung vorzunehmen war. Die BH war daher auch jene Behörde, die über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden hatte.

Indem die belangte Behörde über den vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag abgesprochen hat, nahm sie eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nicht zukam (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 31. Mai 1999, Zl. 99/10/0026, und vom 16. Oktober 2002, Zl. 2001/03/0212, mwN).

Demzufolge war der angefochtene Bescheid in Ansehung des Spruchpunktes I. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

B. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde wurde der genannte Bescheid der BH am 4. Februar 2003 an die beschwerdeführende Partei zugestellt und von dieser die Berufung am 19. Februar 2003, somit erst nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist (vgl. § 63 Abs. 5 AVG), bei der BH eingebracht, sodass die mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid erfolgte Zurückweisung der Berufung mit dem Gesetz im Einklang steht. Hiebei war die Frage der Verspätung des Rechtsmittels unabhängig von dem bloß anhängigen, nicht bejahend entschiedenen Wiedereinsetzungsantrag sogleich auf Grund der Aktenlage zu entscheiden. Sollte die Wiedereinsetzung später bewilligt werden, so tritt der Zurückweisungsbescheid nach § 72 Abs. 1 AVG außer Kraft (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zl. 2005/07/0004, mwN).

Die Beschwerde war daher in Ansehung des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

C. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. Oktober 2005

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