VwGH 2004/05/0154

VwGH2004/05/015420.9.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des DI Friedrich Moser in Wien, vertreten durch Mayrhofer & Rainer Rechtsanwälte OEG in Wien 1, Fleischmarkt 20, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 28. April 2004, Zl. BOB - 467/03, betreffend die Abweisung eines Baugesuches (mitbeteiligte Parteien: 1. DI Helmut Krzywon, 2. Mag. Gerolt Krzywon und 3. Arnolt Krzywon, alle in Wien, alle vertreten durch DDr. Karl Pistotnik, Rechtsanwalt in Wien 1, Börsegasse 12), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Wr §134 Abs3;
BauO Wr §134a Abs1 litb;
BauO Wr §69 Abs1 litm;
BauO Wr §69;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §8;
BauO Wr §134 Abs3;
BauO Wr §134a Abs1 litb;
BauO Wr §69 Abs1 litm;
BauO Wr §69;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 14. November 2000 bei der MA 37, Außenstelle für den 6./7. Bezirk, eingelangten Baugesuch vom 14. November 2000 kam der Beschwerdeführer um baubehördliche Bewilligung eines "Dachgeschossausbaus" beim Haus in Wien 7, Seidengasse 31, ein. Die mitbeteiligten Parteien sind zusammen Eigentümer der Liegenschaft Seidengasse 30, die sich, getrennt durch die weniger als 20 m breite Seidengasse, zum Teil gegenüber der zu bebauenden Liegenschaft befindet. Die Mitbeteiligten (und zunächst auch andere Nachbarn) sprachen sich gegen das Vorhaben aus. Es kam zu einer Überarbeitung des Projektes; zuletzt maßgeblich sind Pläne vom "Juni 2000" (mit einem behördlichen Eingangsvermerk vom 14. Mai 2002). Vorgesehen sind das Abtragen des bestehenden und die Errichtung eines neuen Dachgeschosses mit zwei Ebenen für den Einbau einer Wohnung mit Büroräumen sowie das Errichten eines Aufzugsschachtes im Hof im Anschluss an das Hauptstiegenhaus (wobei die straßenseitige Fassade des Altbaues nicht, wohl aber die Firsthöhe angehoben wird).

Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2002 erhob der Erstmitbeteiligte, auch im Namen seiner beiden Söhne (der beiden weiteren Mitbeteiligten), Einwendungen gegen das Vorhaben unter anderem in Bezug auf die Höhe; von einer bloß geringfügigen Abweichung von den Bebauungsbestimmungen könne nicht mehr gesprochen werden.

Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den

7. Bezirk in Wien vom 27. Mai 2003 wurden gemäß § 69 Abs. 1 lit. f, k, m und q der Bauordnung für Wien (kurz: BO) nachstehende Abweichungen von den Bebauungsvorschriften für zulässig erklärt:

abweichend von den Bestimmungen des Bebauungsplanes dürfe der Dachgeschoßzubau als Staffelgeschoss ausgeführt werden und der höchste Punkt des Daches um 1,90 m höher als 4,50 m über der oberen Deckenoberkante des obersten Hauptgeschosses liegen,

abweichend von den Bestimmungen des § 7a Abs. 4 BO dürfe ein Teil des Dachgeschosses für Bürozwecke ausgebaut werden,

durch den Dachgeschoßzubau auf dem Gassentrakt dürfe die in der Bauklasse IV festgesetzte höchst zulässige Gebäudehöhe von 18,00 m dem Bestand entsprechend gassenseitig um 4,69 m und hofseitig um 3,03 m überschritten werden,

die hofseitig angeordneten Dachgauben dürften mehr als ein Drittel der Länge der betreffenden Gebäudefront in Anspruch nehmen.

Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Einwendungen der Mitbeteiligten unzutreffend seien. Das Projekt weiche in Bezug auf die Liegenschaft der Mitbeteiligten durch die bestehende Gebäudehöhe und die "Ansteilung" des Daches lediglich fiktiv ab, wodurch weder die Bebaubarkeit vermindert noch der konsensgemäße Baubestand dieser Liegenschaft beeinträchtigt werde. Durch die Überschreitung der festgesetzten Firsthöhe werde ebenso weder die Bebaubarkeit noch der gesetzliche Lichteinfall auf den konsensgemäßen Baubestand der Nachbarliegenschaft gemindert. Die straßenseitige Gaube liege der Liegenschaft der Mitbeteiligten nicht unmittelbar gegenüber.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37/7, vom 27. August 2003 wurde dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf den zuvor genannten Bescheid vom 27. Mai 2003 die angestrebte Baubewilligung zum Abtragen des bestehenden und zur Errichtung eines neuen Dachgeschosses mit zwei Ebenen für den Einbau einer Wohnung und Büroräumen sowie zur Errichtung eines Aufzugsschachtes im Hof im Anschluss an das Hauptstiegenhaus mit einer Reihe von Vorschreibungen erteilt. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Bauführung nach den bestehenden Rechtsvorschriften zulässig sei.

Der Erstmitbeteiligte erhob - auch im Namen der beiden weiteren Mitbeteiligten - mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2003 Berufung gegen beide Bescheide.

Mit Erledigung vom 19. Dezember 2003 hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, dass vor dem Hintergrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis unter anderem auf das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 2003, Zl. 2001/05/1123) die hier relevanten Abweichungen von den Bebauungsvorschriften nicht als unwesentlich, sondern vielmehr als wesentlich anzusehen seien. Es werde ihm anheim gestellt, sein Bauvorhaben entsprechend abzuändern. Der Beschwerdeführer machte hievon nicht Gebrauch und bekräftigte seine Auffassung, dass die Abweichungen von den Bebauungsvorschriften lediglich unwesentlich seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung Folge gegeben, gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Bescheid vom 27. Mai 2003 behoben und den erstinstanzlichen Baubewilligungsbescheid vom 27. August 2003 dahin abgeändert, dass der Bauantrag abgewiesen wurde.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte die belangte Behörde aus, zunächst sei festzuhalten, dass die Mitbeteiligten Miteigentümer einer benachbarten Liegenschaft im Sinne des § 134 Abs. 3 BO seien. Sie hätten mit ihren Einwendungen subjektivöffentliche Nachbarrechte im Sinne des § 134a BO geltend gemacht, womit ihnen sowohl im Verfahren zur Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von den Bebauungsvorschriften als auch im Baubewilligungsverfahren jedenfalls Parteistellung zukomme.

Nach dem dem Bauansuchen beigeschlossenen Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen vom 23. Februar 2000 sei für die zu bebauende Liegenschaft von der Baulinie entlang der Seidengasse bis zu der in einem Abstand von 15 m verlaufenden inneren Baufluchtlinie die Widmung gemischtes Baugebiet, die Bauklasse IV mit einer maximalen Gebäudehöhe von 18 m sowie die geschlossene Bauweise festgesetzt. Dieser Teil der Liegenschaft liege in einer Wohnzone. Für den restlichen Teil der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft gelte nach den bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen die Widmung gemischtes Baugebiet, Geschäftsviertel, Bauklasse II mit einer maximalen Gebäudehöhe von 10,50 m sowie die geschlossene Bauweise. Weiters sei die Errichtung von Staffelgeschossen an den zu den Baulinien orientierten Schauseiten der Gebäude untersagt, und es dürfe der höchste Punkt des Daches der errichteten Gebäude nicht höher als 4,50 m über der oberen Deckenoberkante des obersten Hauptgeschosses liegen.

Nach dem Projekt solle das bestehende Dachgeschoß abgetragen und unter Beibehaltung der bisherigen Gebäudehöhe ein neues Dachgeschoß mit zwei Ebenen zwecks Schaffung einer Wohnung mit Büroräumen eingerichtet werden. Das Bauvorhaben weiche von den bekannt gegebenen Bebauungsbestimmungen unter anderem insofern ab, als durch dieses die in der Bauklasse IV festgesetzte höchstzulässige Gebäudehöhe von 18 m gassenseitig um 4,69 m und an der Hoffront um 3,03 m dem Bestand entsprechend überschritten werde. Für das Bauvorhaben wäre daher unter anderem die Bewilligung einer unwesentlichen Abweichung von Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Abs. 1 lit. m BO erforderlich.

Die durch das gegenständliche Vorhaben gegebene Überschreitung der in der Bauklasse IV festgesetzten höchstzulässigen Gebäudehöhe von 18 m entsprechend dem Bestand beziehe sich nach dem Einreichplan nicht bloß auf einen kleinen Teil des Bauvorhabens, sondern erstrecke sich auf die gesamte in der Bauklasse IV bebaubare Fläche, wobei gassenseitig und hofseitig unterschiedliche Gebäudehöhen erreicht würden. Die höchstzulässige Gebäudehöhe von 18 m werde durch das Vorhaben dem Bestand entsprechend gassenseitig um 4,69 m, somit um ca. 26 %, sowie hofseitig um 3,03 m, somit um rund 16,8 %, überschritten. Ebenso überschreite das Bauvorhaben dem Bestand entsprechend die gemäß § 75 Abs. 4 lit. c BO im Interesse der gegenüber liegenden Liegenschaft einzuhaltende Gebäudehöhe an der Gassenseite gleich um mehrere Meter (ca. 3,5 m). Das vorliegende Ansuchen um Baubewilligung widerspreche den Bestimmungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes derart, dass der Umfang einer unwesentlichen Abänderung überschritten werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligten Parteien, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 134 Abs. 3 BO sind benachbarte Liegenschaften im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder nur durch Fahnen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch die öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. Nach § 134 Abs. 3 BO sind die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a BO erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4 (Anmerkung: dieser Fall ist hier nicht relevant), bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a BO gegen die geplante Bauführung erheben.

Gemäß § 134a Abs. 1 lit. b BO werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3 BO) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, unter anderem durch Bestimmungen über die Gebäudehöhe, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet.

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, es sei nicht näher begründet worden, weshalb die Mitbeteiligten Eigentümer einer benachbarten Liegenschaft im Sinne des § 134 Abs. 3 BO sein sollen. In der Begründung des Bescheides vom 27. Mai 2003 heiße es vielmehr, eine Beeinträchtigung (gemeint: der Mitbeteiligten) durch die gassenseitig angeordnete Gaube könne gar nicht vorliegen, weil sie der Liegenschaft Seidengasse 30 nicht unmittelbar gegenüberliege.

Diesen Bedenken kommt keine Berechtigung zu: Schon aus dem vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Lageplan ergibt sich, dass die Liegenschaft der Mitbeteiligten - teilweise - der zu bebauenden Liegenschaft (wenngleich möglicherweise nicht gerade im Bereich der Gaube) gegenüber liegt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 1996, Zl. 95/05/0181), was zur Begründung der Nachbarliegenschaft ausreicht, weil das Gesetz nicht normiert, dass Liegenschaften auf der gegenüberliegenden Straßenseite nur dann benachbart im Sinne des § 134 Abs. 3 BO sind, wenn sie zur Gänze der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen.

Nach § 69 Abs. 1 BO hat die Behörde für einzelne Bauvorhaben nach Maßgabe des Abs. 2 über die Zulässigkeit in der Folge genannter Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden, unter anderem nach lit. m über das Überschreiten der gemäß § 5 Abs. 4 lit. h BO und gemäß § 77 Abs. 3 lit. c BO bestimmten sowie der bauklassenmäßigen Gebäudehöhe in allen Bauklassen, wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht entgegensteht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2005, Zl. 2004/05/0031, ausgeführt hat, ist bei der Beurteilung, ob eine Bewilligung gemäß § 69 BO in Frage kommt, stets vom jeweils eingereichten Projekt auszugehen; wenn durch ein Projekt die für die Bemessung der Gebäudehöhe maßgebende vorhandene Bausubstanz nicht verändert wird, könne nicht davon ausgegangen werden, dass durch dieses Projekt die zulässige Gebäudehöhe überschritten wird, sodass in einem solchen Fall auch die Heranziehung des § 69 Abs. 1 lit. m BO nicht in Frage komme und eine Ausnahme nach dieser Bestimmung nicht erforderlich sei. Auf die Begründung des genannten Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

Auch im vorliegenden Fall wird die den mitbeteiligten Nachbarn gegenüberliegende Straßenfassade des Altbaues nicht verändert. Damit bleibt aber die für die Bemessung der Gebäudehöhe maßgebende (vgl. auch dazu die Darlegungen im genannten hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2005) vorhandene Bausubstanz unverändert und ist § 69 Abs. 1 lit. m BO nicht zur Entscheidung über das Bauansuchen heranzuziehen.

Maßgeblich im Hinblick auf das Nachbarrecht auf Gebäudehöhe (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1997, Zl. 96/05/0162, und das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2005) ist hingegen, ob gemäß § 69 Abs. 1 lit f iVm § 5 Abs. 4 lit k BO eine Ausnahme von der Bestimmung des Bebauungsplanes, dass der höchste Punkt des Daches der errichteten Gebäude nicht höher als 4,50 m über der oberen Deckenoberkante des obersten Hauptgeschosses liegen darf (vgl. zu einer derartigen Regelung im Bebauungsplan das zitierte hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1997), erteilt werden kann. Die belangte Behörde ist darauf nicht eingegangen.

Durch die Bebauungsbestimmungen wird der höchste Punkt des Daches hier somit nicht "absolut" (vgl. dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2005) festgesetzt. Es lässt sich daher nicht sagen, dass schon die Überschreitung der jetzt zulässigen Gebäudehöhe durch den vorhandenen Baubestand eine Ausnahme für die Abweichungen von den das Dach betreffenden Bebauungsbestimmungen unmöglich macht. Vielmehr wird nach § 69 Abs. 2 BO (auch mit der dort vorgesehenen Bedachtnahme auf den konsensgemäßen Baubestand) zu beurteilen sein, ob eine entsprechende Ausnahme in Frage kommt.

Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, wie sich aus dessen Begründung eindeutig ergibt, ausschließlich auf § 69 Abs. 1 lit m BO gestützt hat, belastete sie ihn mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Es erübrigt sich daher, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, wobei Kosten gemäß § 59 Abs. 1 VwGG nur im ausdrücklich beantragten Ausmaß zuzuerkennen waren.

Wien, am 20. September 2005

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