Normen
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;
StbGNov 1998;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;
StbGNov 1998;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines im Jahr 1962 geborenen irakischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß § 11 StbG" ab.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei anerkannter Konventionsflüchtling, ledig und lebe laut eigenen Angaben seit 30. September 1987 in Wien. Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gehe die belangte Behörde jedoch nur von einem nachgewiesenen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet seit dem 25. Jänner 1999 (mit Voraufenthalten von September 1987 bis Februar 1995 und von November 1996 bis März 1997) aus, womit der Beschwerdeführer das Erfordernis einer zumindest vierjährigen Wohnsitzdauer nach § 10 Abs. 5 Z 4 StbG erfülle. Laut einem Versicherungsdatenauszug der Wiener Gebietskrankenkasse weise er "von Oktober 1990 bis Dezember 2003 insgesamt lediglich ca. achteinhalb Monate einer aufrechten Beschäftigung, ohne nebenbei öffentliche Hilfe zu beziehen, nach". In den restlichen Zeiträumen habe der Beschwerdeführer laufend entweder eine Beihilfe gemäß § 20 Abs. 2 AMFG, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Notstandshilfe und/oder Sozialhilfe bezogen. Auch seine letzte Beschäftigung beim Trendwerk-Verein zur Förderung der Integration "vom 29. Jänner 2001" habe nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers mit Dezember 2003 geendet. Seit 26. Juni 2001 beziehe der Beschwerdeführer "weiterhin" Notstandshilfe. Ein aktuelles Beschäftigungsverhältnis sei "der Behörde nicht bekannt". Eine Stellungnahme des Arbeitsmarktservice Wien vom 4. Juni 2004 habe zudem Folgendes ergeben: Der Beschwerdeführer sei seit 28. Juli 2002 erneut arbeitslos gemeldet. Seit diesem Zeitpunkt bis dato seien ihm nur fünf Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden, da der Beschwerdeführer Hilfstätigkeiten ablehne. Die Eigenaktivitäten des Beschwerdeführers, einen Job zu finden, seien sehr gering und er habe bis dato noch nie Nachweise zwecks Eigenbewerbung beim Arbeitsmarktservice Wien erbracht.
Im Folgenden gab die belangte Behörde die Stellungnahmen des Bewerbers zur Frage seiner beruflichen Integration wieder, wonach er sich ständig um eine, seiner akademischen Qualifikation entsprechende Beschäftigung bemüht habe. Er habe Weiterbildungsmaßnahmen des AMS besucht, des Weiteren sei er ohne Bezahlung als Dolmetscher sowie freier Schriftsteller tätig gewesen und habe bisher vergeblich eine feste Anstellung zu bekommen versucht. Auch sei er als Asylberater, Sprach- und Kulturkritiker, Künstler oder Journalist beruflicher Tätigkeit nachgegangen und habe an Workshops ohne öffentliche Gelder, Unterstützungen und Subventionen teilgenommen. Er verfüge über eine lange Liste von Bewerbungen, welche seine Arbeitssuche dokumentiere. Zum Nachweis seiner Bemühungen legte er der belangten Behörde vier Absagen auf seine Bewerbungen vor. Im Übrigen verwies der Beschwerdeführer mehrmals auf seine Rechte als anerkannter Konventionsflüchtling.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG könne vom Erfordernis des mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes bei Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes abgesehen werden. Ein solcher liege im Falle des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 5 Z 4 StbG auf Grund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Der Beschwerdeführer gehe jedoch laut Aktenlage seit Jänner 2004 erneut keiner Erwerbstätigkeit nach, beziehe seit 26. Juni 2001 wieder Notstandshilfe und ab 1999 Sozialhilfe. Als anerkannter Konventionsflüchtling habe er grundsätzlich freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Eine unverschuldete Notlage, welche dem Beschwerdeführer die Ausübung einer Beschäftigung unmöglich machen würde, sei von ihm nicht geltend gemacht worden und im Ermittlungsverfahren auch nicht hervorgekommen. Es könne nicht im öffentlichen Interesse gelegen sein, einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, der bei einem behaupteten Aufenthalt seit 1987 (nachgewiesen ununterbrochen seit Jänner 1999) in Österreich seinen Lebensunterhalt mit Ausnahme von kurzfristigen Unterbrechungen lediglich durch Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Beihilfen gemäß § 20 Abs. 2 AMFG und/oder Sozialhilfe bestreite. Dass sich der Beschwerdeführer um einen Arbeitsplatz bemüht haben soll, vermöge an seiner fehlenden beruflichen Integration nichts zu ändern. Auch unter Berücksichtigung der guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers und seines (mit Unterbrechungen) langen Aufenthaltes in Österreich, liege nach Ansicht der belangten Behörde eine maßgebliche Integration des Beschwerdeführers im Sinne des § 11 StbG auf Grund seiner bisher sehr geringen beruflichen Integration nicht vor.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde ging zunächst zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Flüchtlingseigenschaft gemäß § 10 Abs. 5 Z 4 StbG einen besonders berücksichtigungswürdigen Grund für sich in Anspruch nehmen kann, der gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 StbG ein Absehen von dem nach § 10 Abs. 1 Z 1 StbG erforderlichen mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet ermöglicht, und er bereits nach der festgestellten Wohnsitzdauer von zumindest vier Jahren die Staatsbürgerschaft verliehen bekommen könnte. Ungeachtet dessen vermeint die belangte Behörde, das ihr bei Vorliegen aller Verleihungsvoraussetzungen eingeräumte Ermessen im Hinblick auf
§ 11 StbG nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers üben zu können.
§ 11 StbG hat seit der Staatsbürgerschaftsnovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, folgenden Wortlaut:
"Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."
Wie die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsnovelle 1998 (1283 BlgNR 20. GP 5 und 9) festhalten, sollte - u.a. durch die Neufassung des § 11 StbG - die Integration des Fremden als das für die Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Kriterium verankert werden, sodass die Staatsbürgerschaftsbehörde bei ihrer Entscheidung nach § 11 StbG vor allem die Integration des Fremden und deren Ausmaß zu beachten hat. Bei der Beurteilung nach § 11 StbG kommt es auf den Stand des Integrationsprozesses im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides an (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2005, Zl. 2002/01/0464, m.w.N.). Es bedarf einer Gesamtschau, wobei integrationsfördernde Umstände in einem Bereich hemmende Faktoren auf einem anderen Gebiet auszugleichen vermögen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2002, Zl. 2002/01/0214; in gleichem Sinne - wenngleich zu § 10 Abs. 5 Z 3 StbG - das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0043).
Ausgehend von dieser Rechtslage erweist sich die Ermessensübung der belangten Behörde als mangelhaft. Zu Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers - entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0121, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; vgl. weiters die hg. Erkenntnisse vom 25. März 2003, Zl. 2002/01/0229, und vom 24. August 2004, Zl. 2004/01/0127) - bei der Ermessensübung nach § 11 StbG außer Acht gelassen hat. Auch finden sich im angefochtenen Bescheid - mit Ausnahme eines nicht näher präzisierten abschließenden Hinweises auf einen "langen Aufenthalt in Österreich" - keine Feststellungen über die persönliche Integration des Beschwerdeführers, obwohl insbesondere sein Vorbringen in der Stellungnahme vom 18. Juni 2004, es lebten auch Familienmitglieder "als österreichische Staatsbürger und Konventionsflüchtling" in Wien, eine Auseinandersetzung mit diesem Gesichtspunkt nahe gelegt hätte. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, wonach das Ermittlungsverfahren "auch keine überdurchschnittliche persönliche Bindung" des Beschwerdeführers in Österreich ergeben habe, die im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen gewesen wäre. Zum Einen ist - wie zuvor erwähnt - darauf zu verweisen, dass sich die belangte Behörde mit persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Zum anderen erweckt ihr Argument, die persönlichen Kontakte des Beschwerdeführers gingen über ein durchschnittliches Maß nicht hinaus, den Eindruck, als wolle die belangte Behörde hier den Maßstab des § 10 Abs. 5 Z 3 StbG einführen, den sie für den vorliegenden Fall an anderer Stelle der Gegenschrift - zu Recht - als nicht maßgeblich erachtete.
Schon aus diesen Gründen kann der angefochtene Bescheid - wegen Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde - keinen Bestand haben.
Hinzu kommt, dass die - zum Teil widersprüchlichen - Feststellungen der belangten Behörde zur beruflichen Integration des Beschwerdeführers eine abschließende Beurteilung dieser Frage nicht zulassen.
So führt die belangte Behörde zunächst aus, einem Versicherungsdatenauszug der Wiener Gebietskrankenkasse zufolge sei der Beschwerdeführer "von Oktober 1990 bis Dezember 2003 insgesamt nur ca. achteinhalb Monate aufrecht beschäftigt gewesen, ohne nebenbei öffentliche Hilfe zu beziehen." Schon diese Formulierung lässt offen, ob es nach Ansicht der Verleihungsbehörde auch Zeiträume gab, in denen der Beschwerdeführer zwar "öffentlicher Hilfe" in Anspruch nahm, gleichzeitig aber auch einer Beschäftigung nachging. Im Folgenden erwähnt die belangte Behörde, dass die "letzte Beschäftigung" des Beschwerdeführers beim Trendwerk-Verein zur Förderung der Integration "nach eigenen Angaben des Bewerbers mit Dezember 2003" geendet habe. Anschließend verweist sie jedoch auf eine vom Beschwerdeführer vorgelegte Bestätigung "über seine letzte, bereits aktenkundige Beschäftigung beim Verein Trendwerk Wien Neu vom 29. Jänner 2001 bis 31. Dezember 2001". Unkommentiert gibt die belangte Behörde in der angefochtenen Entscheidung auch eine Stellungnahme des Arbeitsmarktservice Wien vom 4. Juni 2004 wieder, wonach der Beschwerdeführer seit 28. Juli 2002 "erneut arbeitslos gemeldet" sei. Ungeachtet dessen stellt sie an anderer Stelle ihrer Entscheidung fest, der Beschwerdeführer gehe "laut Aktenlage seit Jänner 2004 erneut keiner Erwerbstätigkeit nach", womit sie offenkundig für die Zeit davor eine nicht näher präzisierte Erwerbstätigkeit als erwiesen ansah. Keine nähere Auseinandersetzung enthält der angefochtene Bescheid auch mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, "zum Teil" als Dolmetscher, Asylberater, Journalist, Schriftsteller, Künstler, Wirtschaftswissenschaftler, "wissenschaftlicher Wissensberater" sowie Sprach- und Kulturkritiker tätig gewesen zu sein.
Im fortgesetzten Verfahren werden daher - nach allfälligen ergänzenden Erhebungen - nachvollziehbare Feststellungen über den Beschäftigungsverlauf des Beschwerdeführers zu treffen sein, um - neben den zuvor bereits erwähnten sonstigen Gesichtspunkten - Überlegungen zur beruflichen Integration des Beschwerdeführers (im Sinne einer Teilnahme am österreichischen Arbeitsmarkt) als einen Aspekt der Ermessensübung nach § 11 StbG anstellen zu können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2005
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