VwGH 2000/16/0055

VwGH2000/16/005519.3.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dipl.-Ing. Dr. Peter Benda, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 2/1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 13. Dezember 1999, Zl. RV 305/1-9/99, betreffend Wiedereinsetzung in einer Grunderwerbsteuersache, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1002;
AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1002;
AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Kaufvertrag vom 20. Juli 1998 erwarb der Beschwerdeführer von F. die Liegenschaft EZ 145, KG 66160 Ratsch, BG Leibnitz, bestehend aus landwirtschaftlich genutzten Grundstücken im Ausmaß von 16.248 m2 um den Kaufpreis von S 1,350.000,--. Vereinbart war, dass der Käufer die Grunderwerbsteuer zu bezahlen hat. Die vom nunmehrigen Beschwerdeführervertreter abgegebene, bei der Finanzbehörde am 29. Juli 1998 eingelangte Abgabenerklärung enthielt keinen Antrag auf Grunderwerbsteuerbefreiung.

Mit Bescheid vom 17. November 1998 setzte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Graz für diesen Kaufvertrag die Grunderwerbsteuer mit 3,5 % vom Kaufpreis fest.

Mit Eingabe vom 30. Dezember 1998 beantragte der Beschwerdeführer unter anderem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Antrag enthält zwar kein ausdrückliches Begehren; aus seiner Begründung ist aber zu entnehmen, dass die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 17. November 1998 angestrebt wird. Der Beschwerdeführer habe, nachdem ihm der Grunderwerbsteuerbescheid zugestellt worden sei, seinen Bruder gebeten, die zugekommenen Schriftstücke zur Agrarbezirksbehörde "bzw." zum Rechtsanwalt zu bringen. Der Bruder des Beschwerdeführers, ein Nationalratsabgeordneter, habe sämtliche Schriftstücke, unter anderem einen Kaufvertrag in Kopie, die nötigen Pläne und den Bescheid des Finanzamtes nach Graz mitgenommen, da er ständig in Graz zu tun hatte, und habe offensichtlich sämtliche Schriftstücke der Agrarbezirksbehörde am 1. Dezember 1998 übergeben. Nach Vertragsabschluss sei davon die Rede gewesen, dass ein Zusammenlegungsverfahren bei der Agrarbezirksbehörde zwecks Befreiung von der Grunderwerbsteuer beantragt werde. Offensichtlich habe der Bruder des Beschwerdeführers vergessen, dass er den Bescheid des Finanzamtes beim Rechtsanwalt vorbeibringen solle. Der Beschwerdeführer habe aber darauf vertrauen können, dass sein Bruder die Angelegenheit für ihn ordnungsgemäß abwickle. Er sei durch ein unvorhergesehenes Ereignis ohne sein Verschulden daran gehindert worden, rechtzeitig eine Berufung gegen den Grunderwerbsteuerbescheid einzubringen. Der Bruder des Beschwerdeführers habe immer verlässlich Sachen, die ihm vom Beschwerdeführer aufgetragen worden seien, erledigt und nie etwas vergessen. Im gegenständlichen Fall habe der Bruder des Beschwerdeführers als Nationalratsabgeordneter offensichtlich infolge seiner teilweise sehr komplizierten Tätigkeit vergessen, dass er den Bescheid zum Anwalt bringen müsse. Es sei ihm aber ausdrücklich aufgetragen worden, mit den Schriftstücken den Vertragserrichter (den Beschwerdeführervertreter) aufzusuchen.

Mit diesem Antrag wurde eine Bestätigung der Agrarbezirksbehörde Graz vorgelegt, wonach der Bruder des Beschwerdeführers am 1. Dezember 1998 mehrere Dokumente zwecks eines Zusammenlegungsverfahrens abgegeben habe, wobei sich darunter auch der gegenständliche Grunderwerbsteuerbescheid befunden habe.

Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 wies das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Graz den Wiedereinsetzungsantrag ab. Durch die Übergabe sämtlicher Unterlagen an den Bruder des Beschwerdeführers und dessen Nichtübermittlung an den Rechtsvertreter sei beiden Beteiligten ein Verschulden anzulasten.

In seiner dagegen erstatteten Berufung verwies der Beschwerdeführer insbesondere darauf, dass sein Bruder immer wieder als Bote gehandelt habe und dabei noch nie einen Fehler gemacht habe. Das Verhalten des Boten stelle nur einen minderen Grad des Versehens dar. Mit der Berufung wurde eine Bestätigung der Agrarbezirksbehörde Graz vorgelegt, wonach der gegenständliche Kaufvertrag unmittelbar zur Durchführung einer Bodenreformmaßnahme diene. Der diesbezügliche Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen.

Nach abweisender Berufungsvorentscheidung beantragte der Beschwerdeführer die Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Der Bruder des Beschwerdeführers habe für den Beschwerdeführer, der einfacher Landwirt sei, immer wieder Behördenwege erledigt. Der Beschwerdeführer habe sich auf seinen Bruder verlassen können, weshalb eine Kontrolle, wie in einem herkömmlichen Kanzleibetrieb, nicht erforderlich sei. Wenn jemand Botengänge aus Gefälligkeit mache, sei es befremdlich, dass derjenige, der ihn um etwas bittet, lästig immer wieder nachfrage, ob die Sache erledigt sei. Im gegebenen Fall habe der Beschwerdeführer seinen Boten gefragt, ob alles in Ordnung sei, und habe dieser gesagt, dass er alle Wege erledigt habe. Wenn der Bote irrtümlicherweise bei einer anderen Behörde etwas mitüberreichte, so treffe diesbezüglich den Beschwerdeführer kein Verschulden, weil derartige Dinge auch in geordneten Kanzleibetrieben passieren könnten. Es wurde die Vernehmung des Bruders des Beschwerdeführers begehrt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Es sei nicht einmal behauptet worden, dass der Beschwerdeführer oder der "rechtskundige" Bruder des Beschwerdeführers oder der den Beschwerdeführer beratende Schwiegervater gegen den maßgeblichen Bescheid eine Berufung konzipiert oder gar ausgeführt hätte, obwohl ihnen die Unrichtigkeit dieses Bescheides offenkundig sein musste, nachdem ihnen die Sach- und Rechtslage angeblich bekannt gewesen sei. Nicht einmal der die Abgabenerklärung verfassende Vertreter des Beschwerdeführers sei von ihm kontaktiert worden. Selbst als die Berufungsfrist abzulaufen drohte und Fälligkeit des vorgeschriebenen Betrages eintrat, habe niemand, insbesondere nicht der Beschwerdeführer, sich bei seinem Vertreter erkundigt, warum der Bescheid nicht den Erwartungen entsprach und ob Berufung zu erheben sei. Der einzige Schritt, der vom Beschwerdeführer gesetzt worden sei, sei die Bitte an den Bruder gewesen, mit dem Bescheid über die Vorschreibung der Grunderwerbsteuer den Vertreter des Beschwerdeführers aufzusuchen und ihm diese Unterlagen auszuhändigen.

Bei dieser Sachlage habe der Beschwerdeführer jede Sorgfalt vermissen lassen. Wenn es sich beim Beschwerdeführer um einen "einfachen Landwirt" handle, so sei es umso weniger verständlich, dass nicht einmal der Versuch unternommen worden sei, ein Rechtsmittel zu ergreifen, dass er es nicht einmal der Mühe wert gefunden habe, seinen Anwalt, sei es auch nur telefonisch, zu kontaktieren. Ob auch den Vertreter ein Verschulden treffe, müsse nicht untersucht werden, weil der Beschwerdeführer selbst in einer über die leichte Fahrlässigkeit weit hinausgehenden Weise sorglos gehandelt habe. Aus diesem Grund hätte auch die beantragte Einvernahme des Bruders des Beschwerdeführers entfallen können.

In seiner dagegen erhobenen Beschwerde beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unstrittig, dass die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Bescheid vom 17. November 1998 versäumt worden ist. Der Beschwerdeführer gibt nicht nur nicht an, wann ihm der Grunderwerbsteuerbescheid zugestellt wurde; er erstattet auch keine Ausführungen darüber, wann er von der Versäumung der Frist Kenntnis erlangt hat. In Anbetracht der Kürze des Zeitraumes zwischen 17. November 1998 und 30. Dezember 1998 muss aber davon ausgegangen werden, dass die einmonatige Wiedereinsetzungsfrist (§ 308 Abs. 3 BAO) jedenfalls gewahrt ist.

Nach § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Ereignis als unabwendbar zu qualifizieren, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann; als unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und mit zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erwarten konnte (vgl. dazu Stoll; BAO-Kommentar, Pkt. 4b zu § 308 BAO, S. 2983, mwN). Von einem minderen Grad des Versehens kann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Wiedereinsetzungswerber die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (Stoll aaO Pkt 4c sowie beispielsweise das hg. Erk. vom 17. Februar 1994, Zl. 93/16/0020).

Als das die Fristversäumung auslösende Ereignis wird vom Beschwerdeführer die Nichtweiterleitung des Bescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers angesehen. Dazu kam es, weil sein damit beauftragter Bruder den Bescheid nicht rechtzeitig beim Rechsanwalt abgegeben, sondern bei der Agrarbezirksbehörde vorgelegt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Allerdings ist eine andere Betrachtungsweise geboten, wenn es sich bei dem Überbringer nicht um einen Vertreter, sondern um einen Boten gehandelt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im Erkenntnis vom 28. November 1978, Slg. Nr. 9.706/A, ausgeführt, dass dann, wenn ein Bote den ihm erteilten Auftrag, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, versäumt, darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis erblickt werden kann, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist.

Im vorliegenden Fall kommt also der Frage Bedeutung zu, ob der Bruder des Beschwerdeführers als Bote oder als Vertreter anzusehen war. Ein Stellvertreter gibt an Stelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung ab, hingegen überbringt der Bote bloß eine Erklärung des Auftraggebers (Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I12, 198). Allein deshalb, weil eine Person mit der Verrichtung "aller Behördenwege" beauftragt ist, kann noch nicht zwingend auf ihre Vertretereigenschaft geschlossen werden (hg. Erkenntnis vom 20. April 2001, Zl. 98/05/0083).

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren hat er seinen Bruder gebeten, die ihm zugekommenen Schriftstücke zur Agrarbezirksbehörde bzw. zum Rechtsanwalt zu bringen (Wiedereinsetzungsantrag); in der Berufung wurde behauptet, der Beschwerdeführer habe seinem Bruder ausdrücklich aufgetragen, mit allen Schriftstücken den Vertreter des Beschwerdeführers aufzusuchen, bevor er die Schriftstücke bei der Agrarbezirksbehörde übergebe. Dieses Vorbringen lässt den zwingenden Schluss zu, dass von der Erhebung einer Berufung überhaupt keine Rede war, sondern dass es dem Bruder des Beschwerdeführers überlassen war, "die Angelegenheit ordnungsgemäß abzuwickeln" (Wiedereinsetzungsantrag). Im Vorlageantrag wurde dargetan, dass der Beschwerdeführer darauf vertrauen konnte, dass ein Nationalratsabgeordneter rechtskundig sei und "die nötigen Schritte" setzen würde.

Überlässt es ein Beschwerdeführer seinem (juristisch geschulten) Bekannten, die ihm erforderlich erscheinenden Schritte zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Beschwerdeführers zu veranlassen, so hatte der Bekannte an den Rechtsanwalt nicht nur eine Erklärung des Beschwerdeführers zu überbringen, sodass er nicht nur als Bote, sondern als Vertreter anzusehen ist, dessen Verschulden dem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 94 zu § 71 AVG). Daher ist auch im vorliegenden Fall der Bruder des Beschwerdeführers als Vertreter und nicht als Bote anzusehen.

Wieso es dazu kam, dass der Vertreter des Beschwerdeführers den Bescheid dem Rechtsanwalt nicht überbrachte, wird nicht konkret dargestellt. Insoweit diesbezüglich im Vorlageantrag die zeugenschaftliche Vernehmung des Vertreters begehrt wurde, handelt es sich um einen Erkundungsbeweis, dem keine konkreten Sachverhaltsbehauptungen zugrunde liegen.

Soweit vom Beschwerdeführer dargetan wird, sein Bruder habe aufgrund seiner komplizierten Tätigkeit als Nationalratsabgeordneter auf die Überbringung des Bescheides an den Anwalt "offensichtlich vergessen", kann insofern von einem minderen Grad des Versehens auf Seiten des Vertreters keine Rede sein (siehe beispielsweise die hg. Entscheidungen vom 11. September 1998, Zl. 96/19/2067, vom 25. Jänner 1995, Zl. 94/12/0354, und vom 4. März 1986, Zl. 84/14/0064). Im Übrigen läuft das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers darauf hinaus, dass die Befassung vielbeschäftigter Vertreter stets einer Wiedereinsetzung zugänglich sei.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen war. Auf Basis der zitierten Rechtsprechung konnte die Entscheidung in einem gem. § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 19. März 2003

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