VwGH 84/14/0064

VwGH84/14/00644.3.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Hnatek, Dr. Pokorny und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Tobola, über die Beschwerde des Mag. MG in L, vertreten durch Dr. Peter Wiesenauer, Rechtsanwalt in Linz, Hauptplatz 23/11, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 15. März 1984, Zl. 93/1‑10/Bo‑1983, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Lohnsteuersache, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §308 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1984140064.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Verwaltungsjurist, der die gemäß § 63 Abs. 1 EStG mit 31. März 1982 endende Frist für die Einbringung von Anträgen auf Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben für das Jahr 1981 versäumt hatte, brachte derartige Anträge am 26. April 1982 in Verbindung mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt ein. Den zuletzt genannten Antrag begründete er damit, daß er durch das im März 1982 erfolgte unerwartete Ableben seines Schwiegervaters, mit dem ihn ein besonders gutes persönliches Verhältnis verbunden habe, in einen Zustand von Trauer und Konfusion versetzt worden sei. Für die Zeit vom 29. bis 31. März 1982 habe er einen Sonderurlaub in Anspruch genommen, um sich den Vorbereitungen für das am 2. April 1982 stattfindende Begräbnis widmen zu können. Am 1. April 1982 sei er an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, wo er die zur Einreichung beim Finanzamt vorbereiteten Formulare vorgefunden habe. Erst dadurch sei ihm die inzwischen versäumte Antragstellung wieder in den Sinn gekommen. Über den Krankenhausaufenthalt und die Art der Erkrankung des Schwiegervaters sowie über das Ausmaß von Trauer und Konfusion könnten erforderlichenfalls noch nähere Angaben gemacht werden. Außerdem wären sicherlich Angehörige und Ärzte bereit, in dieser Angelegenheit als Zeugen zur Verfügung zu stehen.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung ab, daß ein Vergessen, auch wenn es durch bedauernswerte Umstände verursacht worden sei, durch § 308 BAO „nicht saniert“ werden könne.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Im Hinblick auf die zu seinem Schwiegervater bestandene besondere persönliche Bindung habe die Wendung zum Tode, die in dessen Befinden völlig überraschend eingetreten sei, bei ihm einen Schock sowie Bestürzung und Trauer hervorgerufen. Hieraus habe eine die „normalen“ Dinge des Lebens betreffende Dispositionsunfähigkeit resultiert. Diese habe sich erst wieder zu lösen begonnen, als er anläßlich der am 1. April 1982 erfolgten zwischenzeitigen Rückkehr in sein Büro mit der Bearbeitung der dringendsten dienstlichen Akten befaßt gewesen sei. Bei dieser Gelegenheit sei er auch auf die bereits in der Vorwoche vorbereiteten Antragsformulare gestoßen. Es habe somit in seinem Fall kein Vergessen im üblichen Sprachgebrauch, sondern ein durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöstes Vergessen vorgelegen, wobei das Ereignis es nicht zugelassen habe, an etwas anderes als an dieses zu denken.

In einem der Ergänzung des Berufungsvorbringens dienenden Schriftsatz mache der Beschwerdeführer anstelle der bislang behaupteten (auf die normalen Dinge des Lebens beschränkten) Dispositionsfähigkeit eine tiefgreifende und nachhaltige seelische Erschütterung als Wiedereinsetzungsgrund geltend. Zudem gab er bekannt, daß er am 30. März 1982 nach X gefahren sei, um die Todesanzeigen vom Bestattungsinstitut abzuholen. Im Anschluß daran habe er seinen Dienstvorgesetzten aufgesucht, um diesem einen persönlichen Bericht über die näheren Umstände des Todesfalles zu erstatten. Am 1. April 1982 habe er seinen normalen Dienst wieder angetreten, wobei ihm durch die Aufnahme der Dienstverrichtungen zum ersten Mal Gelegenheit geboten worden sei, aus der „Gefangenheit“ in der seelischen Erschütterung herausfinden zu können. Im übrigen gebe er zu bedenken, daß er aufgrund seiner Ausbildung und seiner Vorkenntnisse in der Lage sei, die Bedeutung von verfahrensrechtlichen Fristen zu beurteilen. Es scheine unbillig, davon auszugehen, daß er die Wahrung einer Frist in persönlichen Angelegenheiten einfach „vergessen“ (im Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs) könne. Wie ausreichend glaubhaft gemacht, handle es sich in seinem Fall nicht um ein solches Vergessen, sondern um ein „Nicht-daran-Denkenkönnen“ infolge einer Ausnahmesituation, gegen die eine zumutbare Gegenwehr nicht möglich gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe als hier maßgebendes Ereignis auch psychische Vorgänge anerkannt; in einem jüngst ergangenen und diese Rechtsprechung bestätigenden Erkenntnis habe der Verwaltungsgerichtshof sogar „Vergessen“ ausdrücklich angeführt. Umso mehr müsse eine seelische Erschütterung der geschilderten Art als anerkennenswerter psychischer Vorgang zu werten sein.

Die belangte Behörde wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15. März 1984 die Berufung ab. Zur Begründung führte sie zunächst aus, der Beschwerdeführer habe mit seinem Hinweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes offenbar auf das Erkenntnis vom 25. März 1976, Zl. 265/75, Bezug genommen. Nun sei aber in diesem Erkenntnis das „Vergessen“ einer dritten Person (gemeint war: der Angestellten eines Parteienvertreters) als ein bei der Partei eingetretenes Ereignis gewertet worden, weshalb der betreffende Hinweis des Beschwerdeführers, dessen Verhältnisse anders lägen, als verfehlt bezeichnet werden müsse. Im gegenständlichen Fall sei der plötzliche Tod des Schwiegervaters des Beschwerdeführers als Ereignis im Sinne des § 308 BAO zu betrachten. Die geltend gemachte seelische Erschütterung und das hiedurch bewirkte Vergessen stellten sich nur als Folgen dieses Ereignisses dar. Im Zusammenhang mit den Ereignisfolgen sei schließlich die Frage eines Verschuldens zu prüfen gewesen. Wenn nun der Beschwerdeführer imstande gewesen sei, an den Begräbnisvorbereitungen teilzunehmen, die Todesanzeigen aus X abzuholen und seinem Dienstvorgesetzten vom Tod seines Schwiegervaters zu berichten, könne die behauptete Dispositionsunfähigkeit nicht glaubhaft sein. Unter diesen Umständen sei aber die Versäumung der Frist für die Antragstellung auf Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben als ein Versehen zu qualifizieren; an der Einhaltung dieser Frist sei der Beschwerdeführer somit nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Nach seinem gesamten Vorbringen erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO gegen die Versäumung der Frist für die Antragstellung auf Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben verletzt. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt er darin, daß die belangte Behörde die Durchführung jeglichen Ermittlungsverfahrens unterlassen habe.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangte Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der diese sowohl die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch eine Verletzung von Verfahrensvorschriften verneint und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht zunächst Streit darüber, ob das unvorhergesehene Ereignis im Sinne der oben zitierten Gesetzesbestimmung in dem im März 1982 eingetretenen Todesfall oder - wie der Beschwerdeführer meint - in seiner durch die bereits am 26. März 1982 eingetretenen Zustandsverschlechterung des Schwiegervaters ausgelösten seelischen Erschütterung gelegen war. Doch können diese Fragen auf sich beruhen. Die belangte Behörde hat nämlich das Vorliegen eines „Ereignisses“ im Sinne des § 308 BAO durchaus nicht bestritten, wobei es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob sie ein solches Ereignis im erwähnten Todesfall oder in der seelischen Erschütterung des Beschwerdeführers erblickte. Darüberhinaus konnte aus dieser Sicht aber auch der (ebenfalls strittige) genaue Zeitpunkt des Ereigniseintrittes nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung sein, weil es einem Abgabepflichtigen nicht verwehrt werden kann, eine ihm vom Gesetz eingeräumte Frist voll auszunützen. Unter diesen Umständen kam es jedoch nur darauf an, ob das betreffende Ereignis noch am letzten Tag der Frist, i. e. am 31. März 1982, weiterhin fortgewirkt hatte. Die belangte Behörde hat nun den angefochtenen Bescheid keineswegs darauf gestützt, daß sie die bis zum 31. März 1982 währende Fortdauer der Ereigniswirkung - gleichgültig, ob sie in dem Ereignis den Todesfall oder die seelische Erschütterung des Beschwerdeführers sah - verneint hätte, weshalb weder das eine noch das andere Argument geeignet sein kann, die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erweisen.

Bei ihren weiteren Überlegungen ist die belangte Behörde vom Vorliegen einer ihr glaubhaft erscheinenden seelischen Erschütterung ausgegangen. Unter diesen auch vom Verwaltungsgerichtshof als richtig erkannten Voraussetzungen hatte sie zu prüfen, ob die Fristversäumung trotz der psychischen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers zu vermeiden gewesen wäre. Zutreffendenfalls mußte sie zum Ergebnis gelangen, daß die Säumnis auf sein Verschulden zurückzuführen war.

Zur Beurteilung dieser Frage standen ihr die ausführlichen Darlegungen des Beschwerdeführers zur Verfügung, welcher im Verwaltungsverfahren u.a. vorgetragen hat, er habe in der Zeit zwischen dem 26. und 31. März 1982 mehrere Fahrten mit seinem Kraftfahrzeug durchgeführt, die zeitweilige Versorgung seiner Kinder sichergestellt, telefonisch einen Sonderurlaub erbeten, an den Begräbnisvorbereitungen teilgenommen und seinem Dienstvorgesetzten über den Todesfall Bericht erstattet. Die belangte Behörde hat aus diesen Darlegungen geschlossen, daß der Beschwerdeführer während des oben bezeichneten Zeitraumes nicht dispositionsunfähig war. Sie hat sich jedoch nicht mit der Frage des Vergessens auseinandergesetzt, da sie die Ansicht vertreten hat, daß ein Vergessen als Wiedereinsetzungsgrund grundsätzlich auszuschließen ist. Der Gerichtshof vermag sich der eben dargestellten Rechtsansicht der belangten Behörde in dieser Allgemeinheit indes nicht anzuschließen. Vergessen kann durch die verschiedensten Umstände verursacht sein (pathologisch, durch psychischen Schock etc.). Es ist aber auch stets zu prüfen, ob gewisse Umstände (in concreto das unerwartete Ableben des Schwiegervaters) so geartet gewesen sind, daß durch sie verursachtes Vergessen auch im entscheidenden Zeitraum entschuldbar ist. Trifft dies zu, liegt sehr wohl ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund vor. Das Vergessen ist aber dann nicht entschuldbar, wenn dem Vergessenden auf Grund seiner besonderen Situation und seiner Eigenschaften ein Erinnern innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes möglich und zumutbar gewesen wäre.

Ein entschuldbares Vergessen liegt nun im Beschwerdefall nicht vor. Dem Beschwerdeführer sind nach dem Todestag seines Schwiegervaters noch drei Werktage (29. bis 31. März 1982) zur Verfügung gestanden, in denen er sich auch bei der von ihm behaupteten Verbundenheit mit dem Schwiegervater an die Erforderlichkeit der Einbringung der Anträge auf Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben hätte erinnern können. Von einem entschuldbaren Vergessen im Zeitraum vom 29. bis 31. März 1982, auch wenn es durch besondere Umstände verursacht worden ist, kann daher keine Rede sein.

Die belangte Behörde ist also bei ihrer Entscheidung zwar insofern nicht richtig vorgegangen, als sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein mangels Dispositionsunfähigkeit nicht bewilligte. Ungeachtet dieses Umstandes kam sie im Ergebnis zu einem richtigen Bescheid. Es kann ihr daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie der Berufung gegen den Bescheid, mit der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert worden ist, den Erfolg versagt hat.

Was schließlich die behauptete Verletzung von Verfahrensvorschriften anlangt, ist dem Beschwerdeführer zu erwidern, daß alleine schon sein sachverhaltsbezogenes Vorbringen die belangte Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob die rechtserheblichen Tatsachen vorlagen, an die § 308 Abs. 1 BAO die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand knüpft. Unter dieser Voraussetzung war sie aber zur Aufnahme der angebotenen Beweise nicht verpflichtet, weil gemäß § 167 BAO bei der Abgabenbehörde offenkundige Tatsachen eines Beweises nicht bedürfen.

Der angefochtene Bescheid läßt somit weder eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes noch eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erkennen, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Wien, am 4. März 1986

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