VwGH 99/20/0116

VwGH99/20/011617.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in G, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Grünmarkt 15, gegen die Erledigung des Bundesministers für Justiz vom 4. Juni 1998, Zl. 436.900/20-V.6/1998, betreffend eine Angelegenheit des Strafvollzuges, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §56;
VwGG §34 Abs1;
AVG §56;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt seit 29. Dezember 1995 eine Freiheitsstrafe in der Gesamtdauer von 14 Jahren, drei Monaten und 30 Tagen. Zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Beschwerde befand er sich in der Justizanstalt Garsten in Strafhaft.

Am 17. Februar 1998 richtete der Beschwerdeführer an den Leiter der Justizanstalt Garsten ein Ansuchen "um Ankauf einer Liebespuppe". Am 6. März 1998 wurde dem Beschwerdeführer verkündet, dass diesem Ansuchen nicht stattgegeben werde, weil dies "nicht vorgesehen" sei.

Am 8. März 1998 richtete der Beschwerdeführer ein Schreiben an das Bundesministerium für Justiz mit folgendem Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Dr. S!

Auf Grund meiner langen Haftstrafe habe ich die Anstaltsleitung um Ankauf einer Gummipuppe ersucht, dies wurde mir jedoch mit der Begründung: 'NICHT VORGESEHEN' abgelehnt.

Die Homosexualität wird jedoch von der österreichischen Justiz durch Aushändigung von Kondomen durch den Anstaltsarzt gefördert!

Da ich sowie viele andere Mitgefangene durch diese Nötigung den Kontakt zu seiner Frau, Freundin, bzw. Lebensgefährtin verlieren, sei es durch Scheidung, Trennung bzw. Verlust verschiedener Freundschaften, werde ich durch die Justiz genötigt, mein Sexualleben schwerstens zu unterdrücken!

Ich ersuche Sie höflichst um schriftliche Stellungnahme: In vielen europäischen Ländern (EU-Skandinavien, Spanien, Schweiz, Italien, sowie einige Ostblockländern) besteht die Möglichkeit auf einen sexuellen Kontakt mit der Frau, Freundin bzw. Lebensgefährtin.

Die Dauer beträgt jeweils vier Stunden pro Monat, bzw. eine Stunde pro Woche, was in oben erwähnten Ländern gesetzlich vorgeschrieben ist.

Erwarte achtungsvoll Ihre schriftliche Stellungnahme und verbleibe, mir das Recht vorzubehalten, mich an den Europäischen Gerichtshof wenden zu können, um endgültige Klärung nach Ihrer schriftlichen Stellungnahme zu erlangen."

Aufgrund dieses Schreibens des Beschwerdeführers richtete der Bundesminister für Justiz am 4. Juni 1998 ein Schreiben an den Leiter der Justizanstalt Garsten mit folgendem Wortlaut:

"Betrifft: Strafgefangenen CK; ... Eingabe

Das Bundesministerium für Justiz ersucht dem Strafgefangenen CK zu seiner in Kopie angeschlossenen Eingabe vom 8.3.1998 zu eröffnen, dass der österreichische Gesetzgeber die Zulassung von Intimbesuchen bislang nicht in Erwägung gezogen hat. Auch im europäischen Ausland sind die einschlägigen Erfahrungen nicht ungeteilt positiv. Die allfällige Zurverfügungstellung von Kondomen durch den Anstaltsarzt entspricht den Empfehlungen der Richtlinien der Gesundheitsorganisationen über HIV-Infektion und AIDS in Gefängnissen des Jahres 1993 sowie dem im § 66 Abs 1 StVG normierten Gebot der Erhaltung der körperlichen Gesundheit, um der Übertragung ansteckender Krankheiten entgegenzuwirken."

Gegen diese - in der Beschwerde als Bescheid bezeichnete - Erledigung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der eine Verletzung des Beschwerdeführers in den Rechten auf Empfang von Besuchen ohne Überwachung und auf Erhalt von Vergünstigungen geltend gemacht wird.

Die Beschwerde richtet sich "gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 4. Juni 1998, GZ. 436.900/20- V.6/1998". Da Gegenstand eines Bescheidbeschwerdeverfahrens gemäß Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG nur ein Bescheid sein kann und Zweifel bestehen, ob es sich beim genannten - nicht als Bescheid bezeichneten - Schriftstück der belangten Behörde um einen solchen handelt, ist zunächst die Bescheidqualität dieser Erledigung zu klären.

Im hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2001, Zlen. 2001/08/0046, 0047, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage des Bescheidcharakters einer Erledigung erkannt:

"Bescheide nach § 56 AVG sind individuelle, hoheitliche Erledigungen der Verwaltungsbehörde, durch die in bestimmten Verwaltungssachen in einer förmlichen Weise über Rechtsverhältnisse materiellrechtlicher oder formellrechtlicher Art abgesprochen wird, sei es dass Rechtsverhältnisse festgestellt, sei es, dass sie gestaltet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1986, Zl. 86/08/0143 mwH). Enthält eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung, dann ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell. Die Rechtskraftfähigkeit der Erledigung ist kein neben der normativen Natur derselben selbstständig anzuführendes Merkmal eines Bescheides, weil die Rechtskraftfähigkeit nicht Ursache, sondern Folge der normativen Natur der Erledigung ist (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A). Für die Beurteilung als Bescheid sind jedenfalls die objektiven Merkmale eines Schriftstückes maßgebend und nicht die subjektive Absicht der Behörde, von der das Schriftstück ausgegangen ist (vgl. den Beschluss vom 21. Februar 2001, Zl. 2000/08/0158, sowie das Erkenntnis vom 27. November 1986, Zl. 86/08/0143 (trotz der Wendung, für den Fall der Erhebung eines Einspruchs "messen wir diesem Schreiben Bescheidcharakter zu").

Dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa auch das Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 99/20/0182 mit weiteren Nachweisen) wurde im Wesentlichen auch von der Lehre zugestimmt: Ob ein (nicht in Bescheidform im Sinne der §§ 56 ff AVG ergangener) Akt einer Behörde (dennoch) ein Bescheid ist, hängt nach herrschender Lehre im Wesentlichen davon ab, ob er nach seinem Inhalt (d.h. nach dem aus der Erledigung hervorleuchtenden Willen der Behörde) eine normative Erledigung im Einzelfall (also gegenüber einem individuell bestimmten Personenkreis) darstellt und ob die Behörde nach der anzuwendenden Rechtslage einen Bescheid zu erlassen hatte (vgl. die Literaturhinweise im Erkenntnis vom 24. April 2003).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und Lehre kommt der Erledigung der belangten Behörde vom 4. Juni 1998 aus folgenden Gründen kein Bescheidcharakter zu:

Zunächst fehlt der gegenständlichen Erledigung die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid. Da es aber auch an einer Gliederung in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung mangelt, könnte nach der oben angeführten Rechtsprechung auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus der Erledigung eindeutig ergäbe, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Bestehen nach dem Inhalt der Erledigung hingegen Zweifel über deren Bescheidcharakter, so ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell.

Das gegenständliche Schriftstück bezieht sich auf die - diesem Schreiben angeschlossene - Eingabe des Beschwerdeführers vom 8. März 1998, ist aber nicht an den Beschwerdeführer, sondern "an den Herrn Leiter der Justizanstalt Garsten" adressiert und enthält das Ersuchen, die darin enthaltenen Ausführungen darüber, dass der Gesetzgeber die "Zulassung von Intimbesuchen bislang nicht in Erwägung gezogen hat", und die Gründe für die Zurverfügungstellung von Kondomen dem Beschwerdeführer bekannt zu machen. Auf die in der Eingabe des Beschwerdeführers ebenfalls angesprochene Ablehnung seines Ansuchens um "Ankauf einer Gummipuppe" geht die an den Anstaltsleiter gerichtete Erledigung nicht ein. Soweit sie überhaupt ein bestimmtes Rechtsverhältnis erwähnt, bezieht sie sich daher nicht auf das vom Anstaltsleiter abgelehnte Ansuchen um "Ankauf einer Liebespuppe".

Da die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Erledigung vom 4. Juni 1998 lediglich Auskunft über die Rechtslage betreffend die Nichtzulassung von "Intimbesuchen" und die Zurverfügungstellung von Kondomen gibt, liegt keine normative, im Hinblick auf den Beschwerdeführer rechtsgestaltende oder rechtsfeststellende Entscheidung der belangten Behörde vor. Das vorliegende, an den Anstaltsleiter gerichtete Schreiben bezweckt vielmehr bloß eine Information des Beschwerdeführers über die Rechtslage, sodass dieser - nicht als Bescheid bezeichneten - Erledigung der Bescheidcharakter fehlt.

Aus diesem Grund war die gegen diese Erledigung gerichtete Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. September 2003

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