VwGH 86/08/0143

VwGH86/08/014327.11.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerde des NJ in W, vertreten durch Dr. Wilfried Lefford, Rechtsanwalt in Wien I, Plankengasse 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. April 1986, Zl. MA 14‑J 2/86, betreffend Anrechnung von Versicherungszeiten und Beitragsrückerstattung (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Rossauer Lände 3, Wien IX), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §355
ASVG §412 Abs1
AVG §56
AVG §66 Abs4
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1986080143.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 29. Juli 1985 teilte die mitbeteiligte Partei dem Beschwerdeführer mit, daß sie die für ihn wichtige Erfassung seiner Versicherungsdaten abgeschlossen und bis zum 1. Jänner 1985 insgesamt 108 Monate als erworbene Versicherungszeiten festgestellt habe.

Unter Bezugnahme auf diese Mitteilung brachte der Beschwerdeführer, der am 1. Jänner 1976 in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis aufgenommen worden war, mit Eingabe vom 11. November 1985 vor, daß er in der Zeit vom Oktober 1971 bis Dezember 1975 zwei sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse ausgeübt habe, und zwar als Vertragsbediensteter der Gemeinde Wien und ‑ ab 10. Oktober 1971 ‑ auch als Arbeiter „beim K“: Hievon seien ihm jedoch nur die Dienstzeiten als Vertragsbediensteter der Gemeinde Wien als Ruhegenußvordienstzeiten angerechnet worden. Für die durch das Dienstverhältnis „beim Kurier“ erworbenen Versicherungsmonate sei kein Überweisungsbetrag geleistet worden und keine Beitragserstattung erfolgt. Es könnten daher auch seine Ansprüche und Berechtigungen aus der Pensionsversicherung, die aus diesen Versicherungsmonaten erhoben werden könnten, „e contrario zu § 310 ASVG“ nicht erlöschen. Er beantrage daher, „die durch mein Dienstverhältnis zum K in der Zeit vom Oktober 1971 bis Dezember 1975 erworbenen Versicherungsmonate als solche festzustellen“. Darüber hinaus habe er festgestellt, daß ihm von der mitbeteiligten Partei entgegen § 308 Abs. 3 ASVG nicht der gesamte ihm zustehende Überweisungsbetrag ausbezahlt worden sei. Der Versicherungsträger sei hiebei offenbar davon ausgegangen, daß nur für jene Monate ein Überweisungsbetrag zu leisten sei, der nicht nach § 308 Abs. 1 ASVG in der Pensionsversicherung angerechnet worden sei. Dies sei jedoch unrichtig, da sich der diesbezügliche Halbsatz im § 308 Abs. 3 ASVG ausschließlich auf bestimmte Beitragsmonate nach dem GSPVG bzw. dem B‑PVG beziehe, nicht jedoch auf die Beitragsmonate, die im § 308 Abs. 3 lit. a ASVG „im ersten Teil“ genannt seien. Aus diesem Grunde stelle er daher den Antrag, „mir den von mir zur Übernahme in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis geleisteten Beitragsanteil rückzuerstatten.“

Auf dieses Schreiben antwortete die mitbeteiligte Partei dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 16. Dezember 1985 wie folgt:

„Betrifft: Überweisungsbetrag gemäß § 308 Abs. 3 ASVG für NJ, Vers. Nr. nn

Sehr geehrter Herr NJ!

Wir nehmen Bezug auf Ihr Schreiben vom 11.11.1985 und müssen zu unserem Bedauern feststellen, daß wir weder Ihrem Antrag auf Berücksichtigung der in der Zeit vom Oktober 1971 bis zum Dezember 1975 neben Ihrer Tätigkeit bei den Wiener Stadtwerken als Vertragsbediensteter zurückgelegten (nebenberuflichen) Beschäftigungszeiten als Versicherungszeiten (Beitragszeiten gemäß § 225 Abs. 1 Z. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ‑ ASVG) noch Ihrem Antrag auf Erstattung des auf die vorangeführten Zeiten entfallenden Beitragsanteiles entsprechen können.

Sie wurden mit Wirkung vom 1.1.1976 in ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis aufgenommen. Aus diesem Grund hatte die gefertigte Anstalt für alle Zeiten, die Ihr Dienstgeber, die Wiener Stadtwerke ‑ Städtische Bestattung, für die Bemessung eines künftigen Ruhe(Versorgungs)genusses mit Bescheid vom 2.6.1976 zur Anrechnung brachte, gemäß § 308 Abs. 1 ASVG einen Überweisungsbetrag zu leisten. Die vor Erreichung des 18. Lebensjahres gelegenen 44 Beitragsmonate (bis einschließlich Mai 1957) wurden Ihnen mit einem Erstattungsbetrag gemäß § 308 Abs. 3 ASVG abgegolten.

Im Überweisungsbetrag an den Dienstgeber wurden für die Zeit vom Juni 1957 bis Dezember 1975 198 Beitragsmonate und 9 Ersatzmonate berücksichtigt.

Gemäß § 308 Abs. 1 lit. a ASVG ist für alle Beitragsmonate gemäß § 225 und § 226 ASVG sowie Ersatzmonate gemäß § 227 Z. 2, 3 und 7 bis 9, gemäß § 228 Abs. 1 Z. 1 und 4 bis 6 sowie gemäß § 229 ASVG, welche für die Begründung des Anspruches auf einen Ruhe(Versorgungs)genuß bedingt oder unbedingt seitens des Dienstgebers zur Anrechnung gebracht werden, ein Überweisungsbetrag zu leisten.

Die oben erwähnten Versicherungszeiten sind in der Begriffsdefinition des § 231 ASVG subsumiert.

Im letzten Absatz dieser Gesetzesstelle wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß von Versicherungszeiten, die sich zeitlich decken, nur eine zu zählen ist. Dies bedeutet, daß im normalen Leistungsfall (bei allen Pensionsleistungen) auch nur eine einmalige Berücksichtigung ‑ egal wieviele versicherungspflichtige Beschäftigungen gleichzeitig ausgeübt wurden ‑ erfolgen kann. Weiters wird in den Bestimmungen des § 310 ASVG ausgeführt, daß mit der Leistung des Überweisungsbetrages gemäß § 308 Abs. 1 ASVG alle Ansprüche und Berechtigungen aus der Pensionsversicherung, die aus den Versicherungsmonaten erhoben werden können, für die der Überweisungsbetrag geleistet oder die Beiträge erstattet wurden, erlöschen.

Die erwähnten Ausführungen des ASVG sind auch in den einschlägigen Bestimmungen des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) und des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG) enthalten.

Aus den angeführten Gründen können aus den vor dem 1.1.1976 zurückgelegten Versicherungszeiten keine Ansprüche aus der Pensionsversicherung mehr abgeleitet werden.

Sollten Sie gegen unsere Mitteilung Einspruch erheben wollen, messen wir diesem Schreiben Bescheidcharakter zu.

Hochachtungsvoll

......“

Dieses Schreiben wertete der Beschwerdeführer als Bescheid und erhob dagegen Einspruch. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dieser Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen. Ferner wurde gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG festgestellt, daß der Beschwerdeführer aufgrund von § 308 Abs. 3 lit. a ASVG im Zusammenhang mit § 225 Abs. 1 ASVG keinen Anspruch auf Anrechnung des Zeitraumes von Oktober 1971 bis Dezember 1975 als Versicherungszeit nach dem ASVG sowie Rückerstattung des Dienstnehmeranteiles an Beiträgen für den genannten Zeitraum habe, „und wird (der) angefochtene Bescheid bestätigt“.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 412 Abs. 1 ASVG setzt die Erhebung eines Einspruches die Erlassung eines Bescheides des Versicherungsträgers voraus. Bescheide sind nach § 56 AVG 1950 individuelle, hoheitliche Erledigungen der Verwaltungsbehörde, durch die in bestimmten Verwaltungssachen in einer förmlichen Weise über Rechtsverhältnisse materiell rechtlicher oder formal rechtlicher Art abgesprochen wird, sei es, daß Rechtsverhältnisse festgestellt, sei es, daß sie gestaltet werden (vgl. Hauer‑Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, Anmerkung 3 zu § 56 AVG 1950; Walter‑Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts3, Seite 126 ff). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A) ist für die Bescheidqualität einer behördlichen Erledigung insbesondere wesentlich, daß in ihrem Wortlaut selbst zum Ausdruck kommen muß, daß die Behörde über eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes in rechtsverbindlicher Weise abspricht. Ist die behördliche Erledigung nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet, dann muß hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden.

Wendet man diese Kriterien auf das Schreiben der mitbeteiligten Partei vom 16. Dezember 1985 an, so zeigt sich, daß ihm kein Bescheidcharakter zuerkannt werden kann. Es enthält sowohl seiner äußeren Form als auch seinem Inhalt nach lediglich eine Mitteilung über die Rechtslage, der der für die Bescheidqualität notwendige normative Gehalt fehlt. Die im letzten Satz zum Ausdruck gebrachte Selbstdeutung der Äußerung der belangten Behörde („Sollten Sie gegen unsere Mitteilung Einspruch erheben wollen, messen wir diesem Schreiben Bescheidcharakter zu.“) ist irrelevant, weil es auf die objektiven Merkmale eines Bescheides ankommt. Eine Selbstdeutung der vorliegenden Art kann weder die belangte Behörde noch der Verwaltungsgerichtshof finden, weil es nicht vom Willen des Adressaten abhängig gemacht werden kann, ob ein Bescheid vorliegt oder nicht.

Daraus folgt, daß die belangte Behörde das Schreiben der mitbeteiligten Partei vom 16. Dezember 1985 zu Unrecht als Bescheid gewertet und schon aus diesem Grund ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet hat. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, 27. November 1986

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