VwGH 2001/10/0232

VwGH2001/10/023230.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, in der Beschwerdesache der Marina L in Wien, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger und Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Westbahnstraße 35A, gegen den Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 8. Oktober 2001, Zl. ib02.032/3/2001, betreffend Widerruf der vorzeitigen Aufnahme in die erste Schulstufe, den Beschluss gefasst:

Normen

SchPflG 1985 §2;
SchPflG 1985 §7 Abs1;
SchPflG 1985 §7 Abs8;
VwGG §33 Abs1;
SchPflG 1985 §2;
SchPflG 1985 §7 Abs1;
SchPflG 1985 §7 Abs8;
VwGG §33 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Aufwandersatz wird nicht zugesprochen.

Begründung

Über Antrag der Beschwerdeführerin vom 14. Februar 2001 wurde deren am 17. September 1995 geborener Sohn David gemäß § 7 SchulpflichtG für das Schuljahr 2001/2002 vorzeitig in die erste Klasse einer privaten Volksschule in Wien aufgenommen. Von Schulbeginn bis 30. September 2001 besuchte er die erste Klasse. Am 24. September 2001 widerrief die Schulleiterin gemäß § 7 Abs. 8 SchulpflichtG die vorzeitige Aufnahme, weil sich herausgestellt habe, dass die Schulreife nicht gegeben sei. Seither besuchte David die Vorschulgruppe des bei der betreffenden Privatschule eingerichteten Kindergartens.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen die Entscheidung, die vorzeitige Aufnahme zu widerrufen, am 4. Oktober 2001 Berufung an den Stadtschulrat für Wien.

Dieser wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Recht verletzt, die vorzeitige Aufnahme des minderjährigen David in die erste Schulstufe zu erlangen.

Nach § 2 SchulpflichtG beginnt die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.

Nach § 7 Abs. 1 SchulpflichtG sind Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, auf Ansuchen ihrer Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten zum Anfang des Schuljahres in die erste Schulstufe aufzunehmen, wenn sie bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres des sechste Lebensjahr vollenden und schulreif sind.

Stellt sich nach dem Eintritt in die erste Schulstufe heraus, dass die Schulreife (§ 6 Abs. 2b) doch nicht gegeben ist, so ist gemäß § 7 Abs. 8 SchulpflichtG die vorzeitige Aufnahme durch den Schulleiter zu widerrufen.

Für den am 17. September 1995 geborenen David beginnt die Schulpflicht nach § 2 SchulpflichtG am 1. September 2002. In dem in Rede stehenden Schuljahr 2001/2002 war David nicht schulpflichtig; seine Aufnahme in die erste Schulstufe im Schuljahr 2001/2002 war daher nur nach § 7 Abs. 1 SchulpflichtG ("Altersdispens") zulässig. Die zeitlichen Wirkungen einer vorzeitigen Aufnahme in die erste Schulstufe nach § 7 SchulpflichtG sind jeweils auf ein Schuljahr beschränkt, nämlich jenes, das an dem auf die Vollendung des fünften Lebensjahres des Kindes folgenden 1. September beginnt (§ 2 iVm § 7 Abs. 1 SchulpflichtG). Ebenso sind die zeitlichen Wirkungen eines gemäß § 7 Abs. 8 SchulpflichtG ausgesprochenen Widerrufs der vorzeitigen Aufnahme mit dem Ende des betreffenden Schuljahres begrenzt; denn im folgenden Schuljahr besteht die Schulpflicht des Kindes schon gemäß § 2 SchulpflichtG und somit ohne Entscheidung gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. Ab dem Beginn des auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes folgenden Schuljahres hat daher auch der nach § 7 Abs. 8 SchulpflichtG ausgesprochene Widerruf der vorzeitigen Aufnahme auf den schulrechtlichen Status des Kindes keine (weiteren) Wirkungen.

Im Beschwerdefall steht das Schuljahr 2001/2002 in Rede; dieses endete in Wien am 1. September 2002 (§ 2 Abs. 1 SchulzeitG); das Unterrichtsjahr 2001/2002 endete in Wien am 29. Juni 2002 (§ 2 Abs. 2 Z. 1 und 2 SchulzeitG).

Die rechtlichen Auswirkungen des angefochtenen Bescheides sind im Beschwerdefall in zeitlicher Hinsicht somit mit dem 1. September 2002 begrenzt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist mit der Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG nicht nur bei formeller Klaglosstellung, sondern auch bei "Gegenstandslosigkeit" der Beschwerde vorzugehen.

Gegenstandslosigkeit wird angenommen, wenn durch Änderung maßgeblicher Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers an der Entscheidung wegfällt. Dabei ist zu beachten, dass die gesetzlichen Bestimmungen über die Verwaltungsgerichtsbarkeit einer Partei nicht den Anspruch auf verwaltungsgerichtliche Feststellung der Gesetzmäßigkeit von Bescheiden an sich gewähren, sondern nur auf die Aufhebung gesetzwidriger Bescheide, die in die Rechtssphäre der Partei eingreifen (vgl. z.B. den Beschluss vom 10. Dezember 2001, Zl. 2001/10/0094, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die Möglichkeit einer fortwirkenden Rechtsverletzung wird verneint in Fällen, in denen es um die Berechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe geht, wenn der Beschwerdeführer diese Schulstufe in der Zwischenzeit absolviert hat (vgl. z.B. den Beschluss vom 18. Dezember 2000, 2000/10/0004, und die dort zitierte Vorjudikatur), in denen es um den Ausschluss von einer (bestimmten) allgemeinbildenden höheren Schule geht, wenn bereits die Reifeprüfung an einer anderen allgemeinbildenden höheren Schule abgelegt wurde (vgl. den Beschluss vom 20. Dezember 1999, 97/10/0015) und in denen es um den Ausspruch des Nichtbestehens der Reifeprüfung geht, wenn die Reifeprüfung in der Folge bestanden wurde (vgl. den Beschluss vom 24. Jänner 1994, 93/10/0198).

Der Sohn der Beschwerdeführerin wird im Schuljahr 2002 im Hinblick darauf, dass er infolge Erreichung der Altersgrenze nach § 2 SchulpflichtG der allgemeinen Schulpflicht unterliegt, zum Besuch der ersten Klasse einer Volksschule berechtigt (und verpflichtet) sein. Diese Berechtigung setzt weder eine Entscheidung nach § 7 Abs. 1 SchulpflichtG noch die Beseitigung des gemäß § 7 Abs. 8 SchulpflichtG erfolgten Widerrufs der vorzeitigen Aufnahme voraus. Der angefochtene Bescheid greift somit ab dem Ende des Schuljahres 2001/2002 nicht mehr in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin ein. Davon ausgehend hätte die Entscheidung über die Beschwerde nur noch theoretische Bedeutung.

Wegen des Wegfalls des rechtlichen Interesses der Beschwerdeführerin an einer Sachentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes war das vorliegende Beschwerdeverfahren somit in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen.

Mangels einer formellen Klaglosstellung liegen die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch gemäß § 56 VwGG nicht vor. Vielmehr kommt § 58 Abs. 2 VwGG zur Anwendung, wonach der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu berücksichtigen ist; würde die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Im vorliegenden Fall kann ohne unverhältnismäßigen Prüfungsaufwand nicht gesagt werden, wie das verwaltungsgerichtliche Verfahren ausgegangen wäre, wäre die Beschwerde nicht gegenstandslos geworden. Ein Kostenzuspruch findet daher nicht statt.

Bemerkt wird, dass dem Verwaltungsgerichtshof erst ab dem 27. Februar 2002 ein entscheidungsreifer Beschwerdeakt vorlag. Auch bei Behandlung als äußerst eilbedürftig hätte eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes frühestens Ende März 2002 und selbst im Falle der Aufhebung des angefochtenen Bescheides ein Ersatzbescheid der belangten Behörde wohl kaum früher als wenige Wochen vor Ende des Schuljahres ergehen können. Der Sohn der Beschwerdeführerin besuchte bereits ab 1. Oktober 2001 nicht mehr die erste Klasse, sondern die Vorschulgruppe des Kindergartens. Es mag dahinstehen, inwiefern bei dieser Sachlage eine - gegebenenfalls - wenige Wochen vor Ende des Schuljahres erfolgende Beseitigung des seinerzeitigen Widerrufs der vorzeitigen Aufnahme in die erste Klasse im Sinne des - bei solchen Entscheidungen regelmäßig zu beachtenden - Kindeswohles gelegen und von praktischer Bedeutung gewesen wäre.

Wien, am 30. September 2002

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