Normen
ABGB §1297;
ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
ASVG §67 Abs10;
AVG §45 Abs3;
ABGB §1297;
ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
ASVG §67 Abs10;
AVG §45 Abs3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. November 2000 hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft mbH zur Zahlung von rückständigen, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von S 144.357,69 zuzüglich Verzugszinsen seit 29. November 1997 verpflichtet. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 2001, Zl. 2000/08/0223, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes (insbesondere unter Hinweis auf das mittlerweile ergangene Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192) aufgehoben.
Mit dem nunmehr im zweiten Rechtsgang erlassenen Einspruchsbescheid vom 16. Oktober 2001 wiederholte die belangte Behörde den eine Haftung des Beschwerdeführers bejahenden Ausspruch des früheren Bescheides und stellte dazu fest, dass ein näher bezeichneter Dienstnehmer von der Gesellschaft weder annoch abgemeldet worden sei. Die An- und Abmeldungen hätten bis spätestens 21. September 1994 durchgeführt werden müssen. Der Beschwerdeführer sei im Beschäftigungszeitraum des Dienstnehmers sowie bei Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens "verantwortlicher Geschäftsführer der ...Gesellschaft" und daher verpflichtet gewesen, diese An- und Abmeldungen durchzuführen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen und näher begründet, die Inanspruchnahme der Haftung der im § 67 Abs. 10 ASVG genannten Personen setze voraus, dass diese ihnen sozialversicherungsrechtlich auferlegte Verpflichtungen verletzt haben. Im genannten Erkenntnis sind als solche Verpflichtungen jene zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge iS des § 114 Abs. 2 ASVG und die - wegen der sich gemäß § 9 VStG auch an Vertreter richtenden verwaltungsstrafrechtlichen Sanktion - Auskunfts- und Meldepflichten iS des § 111 Abs. 1 iVm §§ 33 ff ASVG genannt. Im letztgenannten Fall sind unter Bevollmächtigten iSd § 35 Abs. 3 bzw. § 36 Abs. 2 ASVG zwar gewillkürte Vollmachtsträger zu verstehen, auf die der Dienstgeber die ihm gemäß den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Meldepflichten (An- und Abmeldung der Pflichtversicherten, Meldung von Änderungen) übertragen hat und die dem Versicherungsträger bekannt gegeben worden sind; der in § 111 ASVG sanktionierte Straftatbestand richtet sich jedoch bei juristischen Personen, Personengesellschaften des Handelsrechtes oder eingetragenen Erwerbsgesellschaften dann, wenn solche Bevollmächtigte nicht bestellt sind, gemäß § 9 VStG an zur Vertretung nach außen berufene Personen. Für diesen Fall kann also § 111 ASVG iVm § 9 VStG eine Handlungspflicht gesetzlicher Vertreter iZm den in den §§ 33 und 34 ASVG normierten Melde- und Auskunftspflichten insoweit entnommen werden, als die Verletzung dieser Pflichten, wie in § 111 ASVG umschrieben, verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert ist. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher - sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Beitragsforderung kausal ist - zu einer Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG führen. Im Übrigen normiert weder § 67 Abs. 10 ASVG noch eine andere Bestimmung dieses Gesetzes spezifische sozialversicherungsrechtliche gegenüber der Gebietskrankenkasse bestehende Verpflichtungen des Vertreters einer juristischen Person, wie dies etwa in § 80 Abs. 1 BAO für das Abgabenrecht angeordnet ist.
Zu der Frage, wann ein Meldeverstoß verschuldet ist, liegt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit § 68 Abs. 1 ASVG (Verlängerung der Verjährungsfrist bei verschuldeten Meldeverstößen) bereits vor. Unter Heranziehung der Vorjudikatur und der Literatur hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dieser Frage im Erkenntnis vom 22. März 1994, Slg. Nr. 14020/A, in umfassender Weise auseinandergesetzt und ist zu folgenden - auch im hier maßgebenden Zusammenhang wesentlichen -
Ergebnissen gelangt:
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich ein Meldepflichtiger alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muss und den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten hat. Den Meldepflichtigen trifft aber keine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung für die richtige Gesetzeskenntnis; erforderlich ist vielmehr eine Vorwerfbarkeit der Rechtsunkenntnis. Dies bedeutet, dass ein Meldepflichtiger, der nicht über alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verfügt, nicht schon deshalb exkulpiert ist, weil er mit der strittigen Frage ohnedies, wenn auch nur auf Grund seiner eingeschränkten Kenntnisse, auseinandergesetzt hat und dementsprechend vorgegangen ist. Einen solchen Meldepflichtigen trifft vielmehr eine Erkundigungspflicht, sofern er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung nicht etwa auf höchstgerichtliche (und erst später geänderte) Rechtsprechung oder bei Fehlen einer solchen auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag. Im Rahmen dieser Erkundigungspflicht ist der Meldepflichtige gehalten, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde und/oder einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen und sich bei widersprüchlichen Rechtsauffassungen mit Gewissenhaftigkeit mit dem Für und Wider eingehend auseinanderzusetzen. Die Erkundigungspflicht wird aber nur ausgelöst, wenn der Meldepflichtige nach dem von ihm zu fordernden Grundwissen über beitragsrechtliche und melderechtliche Angelegenheiten zumindest Bedenken gegen die bzw. Zweifel an der Beitragsfreiheit gehabt haben musste.
Das gilt konsequenterweise auch für den Fall, dass der Meldepflichtige selbst über die erforderlichen, das zu erwartende Grundwissen überschreitenden Kenntnisse verfügt, mit der Maßgabe, dass er selbst nach gewissenhafter Auseinandersetzung mit widersprechenden Auffassungen anhand von Rechtsprechung und Schrifttum zu einer zwar unrichtigen, aber doch vertretbaren Auffassung gelangt und danach vorgeht.
Der Meldepflichtige ist also nur dann entschuldigt, wenn die zur Beurteilung im Einzelfall notwendigen Kenntnisse nicht zu dem einem Meldepflichtigen zu unterstellenden Grundwissen gehören und er die ihm zumutbaren Schritte unternommen hat, sich in der Frage der Meldepflicht des Beschäftigungsverhältnisses sachkundig zu machen, und die Unterlassung der Meldung auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich der Dienstgeber auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der Gebietskrankenkasse, auf ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermag.
Diese Grundsätze betreffend die Erkundigungspflicht bzw. Befassungspflicht beziehen sich nicht auf Fallkonstellationen, in denen dem Meldepflichtigen schon vor dem Zeitpunkt, zu dem die bezüglichen Meldungen zu erstatten waren bzw. erstattet wurden, von der zur Vollziehung der beitragsrechtlichen Normen des ASVG zuständigen Gebietskrankenkasse eine die Meldepflicht auslösende Rechtsauffassung mitgeteilt wurde. In diesem letztgenannten Fall geht das Risiko der Unterlassung einer Meldung bzw. der Erstattung einer unrichtigen Meldung (bei einer wenn auch erst im späteren Beitragsverfahren bestätigten Richtigkeit dieser mitgeteilten Rechtsauffassung) zu Lasten des Meldepflichtigen, dem es freilich nach § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG freisteht, unverzüglich nach einer solchen Mitteilung von sich aus auf eine rasche Klärung der strittigen Frage im Beitragsverfahren zu dringen.
Dies bedeutet im Zusammenhang mit der Beurteilung der Haftung eines Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG wegen eines Meldeverstoßes im vorgenannten Sinne, dass zunächst von der Behörde festzustellen ist, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt im Sinne der §§ 33ff ASVG hätten gemeldet werden müssen, sowie dass diese Meldung unterblieben ist. Auf Grund des zu unterstellenden Grundwissens eines Meldepflichtigen sowie der Verpflichtung, dass er sich darüber hinaus grundsätzlich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muss, so er diese nicht besitzt, und den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt (§ 1297 ABGB) zu vertreten hat, liegt es im Zuge der Gewährung des Parteiengehörs sodann beim Meldepflichtigen darzutun, dass er entweder die Verpflichtung im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG an Dritte übertragen hat (welche Sorgfalt dabei gegebenenfalls bei der Auswahl des Vertreters und bei den ihm zu erteilenden Anweisungen zu walten hat, kann im Beschwerdefall ununtersucht bleiben) oder aus welchen sonstigen Gründen ihn kein Verschulden an der Unterlassung der Meldung trifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2001/08/0069).
Im vorliegenden Beschwerdefall besteht kein Streit darüber, dass die Haftungssumme von S 144.357,69 (EUR 10.490,88; zuzügl. Verzugszinsen ab dem 29. November 1997) aus einer Beitragsnachverrechnung stammt, die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse aus Anlass einer im April 1997 durchgeführten Beitragsprüfung für den Zeitraum vom 1. Jänner 1993 bis 12. Juli 1993 erstellt worden ist. Diese Beitragsnachforderung resultierte daraus, dass ein als Dienstnehmer anzusehender Mitarbeiter in diesem Zeitraum nicht zur Sozialversicherung gemeldet worden war; über die dieser Beitragsnachforderung zugrundeliegende Entgeltforderung zwischen dem betroffenen Dienstnehmer und der Gesellschaft war am 11. August 1994 ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden. Unbestritten ist die Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung bei der Gesellschaft, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - wie nunmehr auch die Gegenschrift der belangten Behörde zeigt - auch, dass der Beschwerdeführer erst seit 12. Dezember 1995, nicht aber zur Zeit der behaupteten Meldeverstöße, handelsrechtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft war.
Die belangte Behörde bejahte die Frage, ob dem Beschwerdeführer eine Meldepflichtverletzung im Sinne der Entscheidung des verstärkten Senates zur Last liegt, im angefochtenen Bescheid, wobei sie jedoch in tatsächlicher Hinsicht noch davon ausging, dass der Beschwerdeführer "im Beschäftigungszeitraum ... sowie bei Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens verantwortlicher Geschäftsführer der ...Gesellschaft" gewesen und somit verpflichtet gewesen wäre, "die An- und Abmeldungen bis spätestens 12. September 1994 durchzuführen". Diese Begründung des angefochtenen Bescheides ist hinsichtlich der Tatsachengrundlage aktenwidrig, wie der aktenkundige Firmenbuchauszug zeigt, wonach der Beschwerdeführer tatsächlich erst ab 12. Dezember 1995 Geschäftsführer der gemeinschuldnerischen Gesellschaft gewesen ist .
Schon wegen der aktenwidrigen Annahmen in einem entscheidungswesentlichen Punkt ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit a VwGG aufzuheben.
Zur Vermeidung unnötigen Verfahrensaufwandes weist der Verwaltungsgerichtshof für das fortgesetzte Verfahren noch auf Folgendes hin:
Die belangte Behörde scheint eine Bejahung der Haftung des Beschwerdeführers in der Gegenschrift erstmals auch mit der Begründung ins Auge zu fassen, er hätte für die Entrichtung von "Abgabenschuldigkeiten" der Gesellschaft Sorge tragen müssen, die vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer fällig geworden, aber noch nicht bezahlt worden seien. Damit verkennt die belangte Behörde den Inhalt des Erkenntnisses des verstärkten Senates:
Sachverhaltsbezogen käme eine Haftung des Beschwerdeführers für die in Rede stehenden Beiträge nur dann in Betracht, wenn ihm ein Verstoß gegen eine Meldeverpflichtung zur Last läge und dieser Verstoß für die schließliche Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung kausal wäre. Da der Beschwerdeführer zur Zeit der von der belangten Behörde angenommenen Meldeverstöße nach der Lage der Verwaltungsakten noch nicht Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen ist, ihn an diesen Meldeverstößen daher kein Verschulden treffen kann, käme eine Haftung insoweit von vornherein nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 3. Oktober 2002
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