VwGH 2000/20/0084

VwGH2000/20/008421.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Februar 2000, Zl. 213.608/4-II/04/99, betreffend Behebung eines Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einer Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §32;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AVG §1;
AVG §39;
AVG §66 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §66 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §66 Abs3;
AVG §66 idF 1998/I/158;
B-VG Art129c Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §32;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AVG §1;
AVG §39;
AVG §66 Abs1 idF 1998/I/158;
AVG §66 Abs2 idF 1998/I/158;
AVG §66 Abs3;
AVG §66 idF 1998/I/158;
B-VG Art129c Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mehmet K., ein damals 19-jähriger Staatsangehöriger der Türkei, der seinen Behauptungen zufolge am 21. September 1999 in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte mit Anwaltsschriftsatz vom selben Tag Asyl. In der Begründung des Asylantrages wurde u. a. ausgeführt, Mehmet K. sei Kurde und werde als solcher in seiner Heimat politisch verfolgt. Die Menschenrechte der Kurden würden in der Türkei missachtet. Die Kurden würden unterdrückt und diskriminiert sowie politisch verfolgt. Mehmet K. sei davon betroffen. Er habe für die HADEP gearbeitet, Plakate geklebt und kurdische Zeitungen und Bücher verteilt, was in der Türkei verboten sei und wofür hohe Haftstrafen verhängt würden. Diese Verbote und die für ihre Übertretung verhängten hohen Haftstrafen seien menschenrechtswidrig. Wegen solcher Tätigkeiten seien viele Kurden bereits verhaftet worden. Auch Mehmet K. sei mehrmals von der Gendarmerie verhaftet, für einige Tage festgehalten, verhört und dabei auch misshandelt worden. Er sei geschlagen, getreten und mit kaltem Wasser beschüttet worden. Er sei auch damit bedroht worden, getötet zu werden, was durchaus ernst zu nehmen sei, weil es immer wieder vorkomme, dass Kurden willkürlich erschossen würden. Weiters stehe Mehmet K. der Militärdienst bevor. Kurden würden im Kurdengebiet eingesetzt und es werde ihnen befohlen, auf ihre eigenen Landsleute zu schießen. Dadurch würden Wehrdienst- und Befehlsverweigerung bewusst hervorgerufen, mit dem Ergebnis, dass Kurden hiefür strengstens bestraft würden bzw. ihres Lebens nicht mehr sicher seien. Kurden würden beim türkischen Militär diskriminiert. Sie würden schlechter behandelt und strenger bestraft als Türken. Zur Bescheinigung des Vorbringens werde neben der eigenen Einvernahme die Beischaffung von Berichten des UNHCR, der Caritas, von Amnesty International und der österreichischen Botschaft in Ankara sowie die Beischaffung der "gegen die Kurden in der Türkei geltenden Gesetze" und von Berichten über ihre Behandlung beim türkischen Militär beantragt.

Auf Grund dieses Antrages unterzog das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, Mehmet K. am 12. Oktober 1999 einer Einvernahme, bei der er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen angab, er habe seit etwa einem Jahr das Verteilen von Broschüren und Flugblättern für die HADEP übernommen, ohne aber Mitglied zu sein. Am 20. April 1999 sei er beim Anbringen von Plakaten festgenommen, in ein Gefängnis gebracht und eine Woche lang festgehalten worden. Er sei gefragt worden, woher er das Informationsmaterial gehabt habe, und sei dabei auch gefoltert worden. Man habe ihn geohrfeigt und mit Füßen getreten. Sein Arm sei gebrochen worden. Nach seiner Freilassung, von der ihm später klar geworden sei, dass sie den Zweck gehabt habe, an seine Hintermänner heranzukommen, sei er immer wieder von Soldaten angehalten und befragt worden. Am 20. Mai 1999 sei er wieder festgenommen, vier Tage lang festgehalten und erneut gefoltert worden. Danach sei er freigelassen worden, weil man keine Beweise gegen ihn gehabt habe. Zu dieser Zeit habe er aber auch seine Aufforderung zur Musterung bekommen. Er sei nicht hingegangen, habe aber gemerkt, dass er ständig unter Beobachtung gestanden sei. Diesen Druck habe er nicht mehr ausgehalten und deshalb die Türkei verlassen. Im Falle seiner Rückkehr würde alles wie früher sein. Vermutlich hätte er wegen Nichtbefolgung der Aufforderung zur Musterung mit einem Gerichtsverfahren zu rechnen. Er würde dann auch zum Militär eingezogen und in die Osttürkei geschickt werden.

Das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, wies mit Bescheid vom 22. Oktober 1999 den Asylantrag gemäß § 6 Z 1 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von Mehmet K. in die Türkei sei zulässig. Zur Begründung dieses Bescheides wurden folgende Feststellungen getroffen:

"1. Sie sind kein PKK-Mitglied.

2. Sie gehören keiner politischen Partei oder sonstigen politischen Gruppierungen an.

3. Ihnen wurde am 31.8.1999 in Ihrem Heimatort Birecik ein Personalausweis ausgestellt.

4. Sie haben die wahren Gründe für das Verlassen der Türkei der Behörde vorenthalten, sondern haben sich vielmehr und ausschließlich auf die 'Standardvorbringen' kurdischer Asylwerber berufen. Da diese jedoch völlig unsubstantiiert, nicht wirklich nachvollziehbar und vor allem auch widersprüchlich sind war von einer konstruierten Geschichte auszugehen.

Eine gegen Sie gerichtete Maßnahme im Sinne des § 57 (1) und

(2) FrG konnten Sie nicht glaubhaft geltend machen und ist unter Zugrundelegung Ihrer eindeutig konstruierten Angaben auszuschließen.

Sie sind im September 1999 nach Österreich eingereist."

Zur Beweiswürdigung wurde ausgeführt:

"Grundsätzlich ist anzumerken, dass Ihre Aussagen deckungsgleich sind mit den der erkennenden Behörde hinlänglich bekannten stereotypen Vorbringen kurdischer Volksgruppenangehöriger aus der Türkei (Kurde - mehrmalige Verhaftung/Folterungen - Wehrdienst).

Speziell in Ihrem Fall sind überaus deutlich die Attribute eines bewusst konstruierten Vorbringens deutlich erkennbar. Einerseits sind eine Reihe Ihrer Aussagen nicht nachvollziehbar und widersprüchlich bzw. ist deren Authentizität auf Grund der Aktenlage schlichtweg auszuschließen.

1. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Sie seit Ihrer angeblich letzten Verhaftung mehr als 4 Monate mit Ihrer Flucht zugewartet haben.

2. Ihre Freilassung nach Ihrer ersten Verhaftung wäre mit dem Hintergedanken erfolgt, dass Sie die Behörden zu Ihren Hintermännern führen. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum man Sie dann in der Folgezeit immer wieder angehalten und befragt hätte. Dieses Vorgehen ist doch wohl genau konträr den, von Ihnen angegebenen, Absichten der Behörden.

3. Ihnen wurde am 31.8.1999 in Ihrem Heimatort Birecik ein neuer Personalausweis ausgestellt. Das bedeutet Sie haben sich von sich aus und freiwillig zu einer türkischen Behörde begeben, was an sich schon ein starkes Indiz für das Nichtvorliegen einer tatsächlichen Verfolgung ist.

Doch besonders der Umstand, dass Sie am selben Tag im selben Ort Ihrer Musterung zum Militär nicht nachgekommen sind und trotzdem eine andere Behörde aufgesucht haben, macht Ihren Mitfluchtgrund, bevorstehender Militärdienst, völlig unglaubwürdig.

Vielmehr ist für die erkennende Behörde ganz klar ersichtlich, dass Sie Ihre Ausreise, nicht Flucht, aus der Türkei derart vorbereiteten, um mit Ihrem seit langen Jahren in Österreich aufhältigen Onkel Kadir K., der am 4.9.1999 zu einem Besuch in die Türkei reiste, gemeinsam nach Österreich zu gehen.

Es ist eindeutig davon auszugehen, dass Sie nicht wie von Ihnen beschrieben auf unbekannte Weise, sondern unter tatkräftiger Mithilfe Ihres Onkels, vielleicht sogar gemeinsam mit ihm, die Türkei nach Ablauf seines Urlaubes verlassen haben.

Daher liegt auch hier wiederum ein bewusstes Verschweigen von Tatsachen vor der Behörde vor.

Sie seien aber auch darauf hingewiesen, dass etwa 6- 10 Millionen Kurden außerhalb des Kerngebietes des Kurdenproblemes in der Türkei weitgehend friedlich und unbehelligt leben. In Großstädten haben sich eigene Viertel gebildet. In Ihrem Fall ist auch von Bedeutung, dass Sie auf Grund Ihrer persönlichen Situation (allein stehend, ohne Sorgepflichten) eine Existenzmöglichkeit auch außerhalb Ihrer Heimatregion finden hätten können. Selbst bezüglich Ihrer Religion sind systematische Verfolgungen oder eine bedenkliche Verfolgungsdichte für ethnische Kurden nicht berichtet worden. Nicht einmal in der zweifelsohne bestehenden Ausnahmesituation der letzten Monate (vergleiche UBAS vom 5.7.1999, Zahl 208.239/0-IV/10/99)."

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte Mehmet K. u. a. geltend, dass es erforderlich gewesen wäre, "zumindest ein Minimum an Feststellungen" über die tatsächliche Situation in seinem Heimatstaat zu treffen. Dies wurde mit langen allgemein gehaltenen Ausführungen über die Lage der Kurden in der Türkei verbunden. Fallbezogen wurde Kritik an den Beweiswürdigungsargumenten des Bundesasylamtes geübt und zur Gefahr der Bestrafung wegen der Verweigerung des Wehrdienstes u. a. die Behauptung wiederholt, dass Mehmet K. hiefür als Kurde einer strengeren Verfolgung ausgesetzt wäre, als dies üblicherweise bei türkischen Staatsbürgern der Fall sei. In den abschließenden Ausführungen zum zweiten Spruchteil des erstinstanzlichen Bescheides wurde auch gerügt, dass das Verfahren mangelhaft geblieben sei, weil keiner der von Mehmet K. beantragten Beweise aufgenommen worden sei. Dies wurde u.a. mit dem Antrag verbunden, hinsichtlich der konkreten Situation, die sich für Mehmet K. bei seiner zwangsweisen Abschiebung in die Türkei ergeben würde, eine Anfrage an den UNHCR zu richten und Mehmet K. zu diesem Thema ergänzend einzuvernehmen. Auch in einem weiteren, als Berufungsergänzung zu wertenden Schriftsatz wurde gerügt, dass das Bundesasylamt keinerlei Ermittlungen angestellt habe.

Mit Bescheid vom 15. November 1999 gab die belangte Behörde der Berufung statt. Sie behob den Bescheid vom 22. Oktober 1999 gemäß § 32 Abs. 2 AsylG und verwies "die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides" an das Bundesasylamt zurück.

Begründend wurde - im Anschluss an eine Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage - zunächst ausgeführt, dass es "unerfindlich" sei, wie das Bundesasylamt angesichts des zu beurteilenden Vorbringens zu einer Subsumtion des Falles unter § 6 Z 1 AsylG gekommen sei. In Bezug auf § 6 Z 3 AsylG sei zunächst das Argument der Übereinstimmung des Vorbringens mit dem Vorbringen anderer kurdischer Asylwerber aus der Türkei nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der übrigen Argumente des Bundesasylamtes sei in Erinnerung zu rufen, dass an eine Beweiswürdigung in einem nach § 6 AsylG geführten Verfahren höhere Anforderungen zu stellen seien als an solche in einem nach § 7 AsylG geführten Verfahren. Eine offensichtliche Unwahrheit des gesamten Vorbringens des Asylwerbers sei weder vom Bundesasylamt klargelegt worden noch sonst erkennbar. Dies gelte im Besonderen für die Ansicht, die Ausstellung eines Ausweises am Tag der Nichtbefolgung der Ladung zur Musterung (und nicht etwa einige Zeit danach) spreche gegen die Gefahr einer Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung. Da andere Ziffern des § 6 AsylG aus näher dargestellten Gründen gleichfalls nicht auf den Fall anwendbar seien und auch die vom Bundesasylamt angenommene innerstaatliche "Fluchtalternative" eine solche Entscheidung nicht zu begründen vermöge, sei der Berufung stattzugeben und der Bescheid des Bundesasylamtes spruchgemäß zu beheben.

Das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, wies mit Bescheid vom 30. Dezember 1999 - ohne dazwischen liegende Ermittlungsschritte - den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von Mehmet K. in die Türkei sei zulässig. In der Begründung dieses Bescheides wurden wörtlich die gleichen Feststellungen getroffen wie in dem von der belangten Behörde aufgehobenen Bescheid. Auch die Beweiswürdigung war gleich lautend. Ausgetauscht wurden im Wesentlichen nur die Textbestandteile hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften und die auf diese bezogenen, allgemein gehaltenen Rechtsausführungen.

Auf Grund der dagegen von Mehmet K. erhobenen Berufung sprach die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 2. Februar 2000 aus, der Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Dezember 1999 werde "gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen". Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die "neuerliche Durchführung des Verfahrens", zu der das Bundesasylamt im Aufhebungsbescheid vom 15. November 1999 gemäß § 32 Abs. 2 zweiter Satz AsylG verpflichtet worden sei, habe nicht stattgefunden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. In Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG u.a. § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. unter dem besonderen Gesichtspunkt der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A; dazu Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate2 (1992) 127 f), dessen Ausführungen sich insoweit allerdings nicht auf § 66 Abs. 3 AVG, sondern auf die "in § 39 AVG normierten Ermessensdeterminanten" beziehen, vertritt dazu die Ansicht, die Zurückverweisung durch einen unabhängigen Verwaltungssenat werde "regelmäßig jedenfalls den Geboten der Raschheit und Kostenersparnis zuwiderlaufen" und "unnötigen Verwaltungsaufwand" verursachen. Ob andersartige Konstellationen denkbar seien, wird von Thienel aber "nicht weiter verfolgt".

2. Im vorliegenden Fall glaubt die belangte Behörde die Erfüllung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG schon daraus ableiten zu können, dass sie dem Bundesasylamt mit dem Aufhebungsbescheid vom 15. November 1999 gemäß § 32 Abs. 2 zweiter Satz AsylG die "neuerliche Durchführung des Verfahrens" aufgetragen und schon dieser "bindende Auftrag" (gemeint: jedenfalls) eine neuerliche Einvernahme des Asylwerbers erfordert habe.

Insoweit sich die belangte Behörde dabei auf ihren "bindenden Auftrag" als solchen bezieht, ist unter Hinweis auf das zitierte Erkenntnis vom 23. Juli 1998 (vgl. insbesondere Punkt 2.3.2. der Entscheidungsgründe) hervorzuheben, dass die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides vom 22. Oktober 1999 mit dem Bescheid vom 15. November 1999 keine kassatorische Entscheidung, sondern eine Sachentscheidung über den verselbständigten Verfahrensgegenstand der vom Bundesasylamt angenommenen "offensichtlichen" Unbegründetheit des Asylantrages war. Sie konnte schon deshalb nicht mit eigenen "Aufträgen" der belangten Behörde für das weitere, gar nicht mehr die "Sache" dieses abgekürzten Berufungsverfahrens betreffende Verfahren verbunden werden. Dass andererseits bei der Aufhebung eines auf § 6 AsylG gestützten Bescheides gemäß § 32 Abs. 2 AsylG nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Zurückverweisung "zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides" auszusprechen ist, bringt - wie im Vorerkenntnis dargelegt - nur zum Ausdruck, dass die aufhebende Sachentscheidung der belangten Behörde das Asylverfahren nicht beendet (zustimmend Wiederin, a.a.O., 21). Es bedeutet, wie nun hinzuzufügen ist, u.a. nicht, dass etwa von Gesetzes wegen alle schon gesetzten Schritte des Ermittlungsverfahrens wiederholt werden müssten. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann es daher - in einem anders als vorliegend gelagerten Fall - etwa vorkommen, dass die Behörde erster Instanz auf der Grundlage für eine Entscheidung gemäß § 7 AsylG ausreichender Ermittlungen nur in der Anwendung des Offensichtlichkeitskalküls geirrt und deshalb einen auf § 6 AsylG gestützten Bescheid erlassen hat und die Erlassung eines auf § 7 AsylG gestützten Bescheides in unmittelbarem Anschluss an die Aufhebung des zunächst erlassenen Bescheides dem Gesetz entspricht.

3. Die Amtsbeschwerde bleibt dessen ungeachtet ohne Erfolg, weil die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch damit begründet hat, dass Mehmet K. zur Frage des - vom Bundesasylamt u. a. angenommenen - Vorliegens einer inländischen "Fluchtalternative" bisher nicht einvernommen worden sei und es dieser Einvernahme bedürfe. Der Verwaltungsgerichtshof sieht im vorliegenden Fall keinen Grund, dieser Überlegung entgegenzutreten. Wenn die Amtsbeschwerde von einer - wie der Beschwerdeführer meint - "sehr ausführlichen" erstinstanzlichen Einvernahme "sowohl zum Fluchtweg als auch zu den Fluchtgründen" spricht, so vernachlässigt dies den Umstand, dass die Mehmet K. nach Ansicht des Bundesasylamtes offen stehende Existenzmöglichkeit "außerhalb des Kerngebietes des Kurdenproblemes" bei der Einvernahme nicht zur Sprache gekommen und er dazu nicht vernommen worden war.

In der Abstandnahme von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", kann im vorliegenden Fall kein Ermessensfehler gelegen sein. Es trifft zwar zu, dass durch die mit der Kassation verbundene Eröffnung eines zweiten Instanzenzuges das Verfahren insgesamt verlängert werden kann. Dieser von Rohrböck (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) 492) offenbar verkannten Überlegung wurde in dem Vorerkenntnis vom 23. Juli 1998 bei der Deutung der Vorschriften über das abgekürzte Berufungsverfahren nach § 32 AsylG erhebliche Bedeutung beigemessen (vgl. Punkt 2.3.3. und 3.3. der Entscheidungsgründe; Wiederin, a.a.O.). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Auslegung von Sondervorschriften über ein abgekürztes, der besonders raschen Verfahrensbeendigung dienendes Berufungsverfahren, sondern um die Interpretation des § 66 AVG außerhalb eines solchen Verfahrens.

Diesbezüglich ist zunächst auf die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 381 f zu § 66 AVG, wiedergegebene Rechtsprechung zu verweisen, wonach es gemäß § 66 Abs. 3 AVG nicht auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die konkrete Amtshandlung ankommt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht angenommen, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort hatten (Erkenntnis vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/08/0243). Zieht man im vorliegenden Fall die räumliche Entfernung zwischen dem im Sprengel der Außenstelle Graz des Bundesasylamtes wohnhaften Asylwerber einerseits und der belangten Behörde in Wien andererseits in Betracht, so hätte das Unterbleiben einer auf § 66 Abs. 2 AVG gestützten Entscheidung - im Sinne der zitierten Judikatur - keine "Ersparnis an Zeit und Kosten" bedeuten können. Dem ist hinzuzufügen, dass das Erfordernis einer manchmal weiten und unter Umständen mehrfachen Anreise zu den Verhandlungen vor der belangten Behörde nach den Beobachtungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur zu Wiedereinsetzungen und den damit verbundenen Verfahrensverzögerungen, sondern oft auch dazu führt, dass die Asylwerber in diesen Verhandlungen nicht den Beistand ihrer gewählten Vertreter haben.

Es kann aber - und zwar unabhängig von dem zuletzt erwähnten Umstand der im vorliegenden Fall erheblichen Entfernung - hier auch offen bleiben, ob nicht entgegen einem zu wörtlichen Verständnis der zuvor zitierten Auffassung auch auf die Gesamtverfahrensdauer, wenngleich nicht als allein ausschlaggebendem Gesichtspunkt, Bedacht zu nehmen ist. Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt - im vorliegenden Fall mit allgemein gehaltenen Bemerkungen über die "hinlänglich bekannten stereotypen Vorbringen" von Asylwerbern einer bestimmten Volksgruppenzugehörigkeit - ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen (vgl. in einem etwas anderen Zusammenhang schon das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0020). Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung.

4. Gesichtspunkte einer Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer macht der beschwerdeführende Bundesminister - abgesehen von einer Bezugnahme auf Thienel - aber auch nicht geltend. Er vertritt im Wesentlichen die Ansicht, mangels eines Erfordernisses von "Rede und Gegenrede" einer Mehrzahl von Beteiligten und, wie er unter Hinweis auf Sondervorschriften des Asylgesetzes meint, mangels Anwendbarkeit der Bestimmungen des AVG über die mündliche Verhandlung auf das erstinstanzliche Asylverfahren sei die in § 66 Abs. 2 AVG normierte Voraussetzung der Unvermeidlichkeit einer "mündlichen Verhandlung" nicht erfüllbar.

Wie in Verfahren mit einer "Mehrzahl von Beteiligten" vorzugehen ist, braucht im hier gegebenen Zusammenhang nicht erörtert zu werden. Soweit die Beschwerde aber auf die vermeintliche Unanwendbarkeit der Bestimmungen über die mündliche Verhandlung und der Sache nach wohl auch darauf abstellt, dass es für eine mängelfreie Entscheidung des Bundesasylamtes nur einer Einvernahme im Sinne des § 27 AsylG bedürfe, nimmt dies nicht auf die - schon im angefochtenen Bescheid zitierte - hg. Rechtsprechung Bedacht, wonach es im Sinne der erwähnten Voraussetzung für eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG nicht darauf ankommt, ob zur erforderlichen Klärung des Sachverhaltes ein kontradiktorisches Verfahren oder nur eine Vernehmung durchzuführen ist (vgl. das Erkenntnis vom 23. Mai 1985, Zl. 84/08/0085, und daran anschließend etwa die Erkenntnisse vom 4. Juli 1985, Zl. 84/08/0092, vom 29. Jänner 1987, Zlen. 86/08/0243, 86/08/0244, 86/08/0245 und 86/08/0246, vom 26. Februar 1987, Zl. 86/08/0177, vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0142, vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0116, vom 18. November 1997, Zl. 97/08/0460, vom 20. Oktober 1999, Zl. 94/08/0294, und vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200). In dem Erkenntnis vom 25. Juni 1986, Zl. 86/01/0057, hat der Verwaltungsgerichtshof auch für das Asylverfahren schon die Auffassung vertreten, das Erfordernis einer Einvernahme der Partei könne - erkennbar nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer gleichzeitigen Anhörung des UNHCR - eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2002/20/0315).

Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 21. November 2002

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