VwGH 2000/06/0174

VwGH2000/06/017426.4.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde 1. der F in W und 2. des N in G, beide vertreten durch Dr. Hilbert Aubauer, Rechtsanwalt in Wien I, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 1. September 2000, GZ. 03-12.10 O 38 - 00/5, betreffend Nachbareinwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Partei:

Marktgemeinde Ö, vertreten durch Dr. Franz J. Rainer und Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwälte in 8940 Liezen, Dellacherstraße 1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13 Abs12;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z2;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z3;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §43 Abs2 Z5;
BauG Stmk 1995 §71 Abs2;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3 impl;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 litb;
ROG Stmk 1974 §27 Abs6;
ROG Stmk 1974 §51 Abs3;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13 Abs12;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z2;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z3;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §43 Abs2 Z5;
BauG Stmk 1995 §71 Abs2;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3 impl;
BauRallg;
ROG Stmk 1974 §23 Abs5 litb;
ROG Stmk 1974 §27 Abs6;
ROG Stmk 1974 §51 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- je zur Hälfte binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Beschwerdeführer haben der mitbeteiligten Gemeinde Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 1. Oktober 1999 beantragte die mitbeteiligte Marktgemeinde die Baubewilligung für den Um- und Zubau des Wirtschaftsgebäudes der Liegenschaft "Schröfl" (Einbau von Geschäftslokalen, einer Ordination und einer Heizzentrale) auf dem Grundstück Nr. 286 der KG Öblarn. Das Grundstück der Beschwerdeführer grenzt an das Baugrundstück an, das mit der Widmung "Allgemeines Wohngebiet" versehen ist.

Mit Bescheid der Bürgermeisterin der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 28. Oktober 1999 wurde die beantragte baurechtliche Bewilligung unter Auflagen erteilt. Die Einwendungen der Beschwerdeführer betreffend das Fehlen eines Bebauungsplanes und die das ortsübliche Ausmaß überschreitende Immissionsbeeinträchtigung durch Lärm und Abgase durch die geplanten 23 PKW-Abstellplätze bzw. die bewilligte Hackschnitzelheizanlage wurden (implizit) als unbegründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhoben (u.a.) die Beschwerdeführer Berufung, die mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 15. Februar 2000 abgewiesen wurde.

Mit dem allein angefochtenen Spruchpunkt I des Bescheides der belangten Behörde vom 1. September 2000 wurde der gegen den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 15. Februar 2000 gerichteten Vorstellung der Beschwerdeführer Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Marktgemeinde behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückverwiesen (mit Punkt II des angefochtenen Bescheides wurde der Vorstellung einer anderen Partei des Bauverfahrens Folge gegeben). Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Bauführung in einer bestimmten Baulandkategorie zunächst auf das Widmungsmaß des zur Bebauung vorgesehenen Bauplatzes abzustellen sei, welches durch die Summe der vorhandenen Grundbelastung (Istmaß) und der aus dem Projekt zu erwartenden Zusatzbelastung (Prognosemaß) nicht überschritten werden dürfe. Das Istmaß (ortsübliche Belastung) sei durch Messung der Immissionsbelastung am Standort zu ermitteln. Immissionen, die sich im Rahmen des in der konkreten Widmungskategorie sonst üblichen Ausmaßes halten, seien grundsätzlich hinzunehmen; andererseits sei dort, wo die Summe aus Ist- und Prognosemaß das Widmungsmaß nicht überschreite, das Ausmaß der Gesamtimmissionsbelastung durch medizinischen Sachverständigenbeweis zu ermitteln. Die absolute Grenze der zulässigen Immissionsbelastung sei das Widmungsmaß des Bauplatzes, werde dieses nicht überschritten, sei relatives Maß das Beurteilungsmaß des medizinischen Sachverständigen. Belästigungen überstiegen nicht das ortsübliche Ausmaß, wenn die Überschreitung des Istmaßes geringfügig sei, der Charakter des Gebietes durch die Überschreitung nicht verändert werde und das medizinisch vertretbare Beurteilungsmaß eingehalten werde. Feststellungen über den Istzustand seien nicht getroffen worden. Da das Widmungsmaß nicht in jedem Falle ausgeschöpft werden dürfe, komme dieser Unterlassung maßgebende Bedeutung zu. Auch lasse die schalltechnische Beurteilung eine Feststellung der Lärmsituation bezogen auf die Grundgrenze der Beschwerdeführer vermissen. Es könne derzeit nicht festgestellt werden, ob durch das Projekt keine dem Wohncharakter des Gebietes widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursacht würden, wobei die Nachbarn einen Rechtsanspruch darauf hätten, bereits an der Grundstücksgrenze nicht über das nach der jeweiligen Kategorie höchstzulässige Ausmaß hinaus belästigt zu werden. Die Frage, welche Auswirkungen ein bestimmter Lärm auf den menschlichen Organismus habe, sei von einem medizinischen Sachverständigen zu lösen. Insgesamt ergebe sich sohin durch eine Mangelhaftigkeit des lärmtechnischen Gutachtens sowie Nichteinholung eines medizinischen Gutachtens die Angelegenheit als noch nicht entscheidungsreif sei, wodurch die Beschwerdeführer in ihren subjektiven öffentlichen Rechten verletzt worden seien.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Die Beschwerdeführer erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Erlassung eines Vorstellungsbescheides, dessen die Aufhebung tragende Gründe der Rechtslage, insbesondere den §§ 71 Abs. 2 iVm 26 Abs. 1 Z. 2, und 13 Abs. 12 Stmk. BauG, voll entsprechen, verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Auch die mitbeteiligte Gemeinde hat eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995 (Stmk. BauG), kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. 2. die Abstände (§ 13);
  2. 3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
  3. 4. die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
  4. 5. die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1);

    6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6).

    Diese Bestimmung enthält eine taxative Aufzählung der Mitspracherechte des Nachbarn im Bauverfahren (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 97/06/0219). Insoweit die Beschwerdeführer auch in der Beschwerde wie schon im Verwaltungsverfahren rügen, es liege hinsichtlich des gegenständlichen Bauplatzes entgegen dem § 27 Abs. 6 Stmk. ROG kein Bebauungsplan vor, wodurch die Nichtigkeitssanktion des § 51 Abs. 3 Stmk. ROG zum Tragen komme, machen sie kein subjektiv öffentliches Recht geltend. Durch die (zumindest inhaltliche) Zurückweisung dieser Einwendung können die Beschwerdeführer somit nicht in einem solchen Recht verletzt sein.

    Gemäß § 23 Abs. 5 lit. b Stmk. Raumordnungsgesetz, LGBl. Nr. 127/1974 in der Fassung LGBl. Nr. 39/1986, sind allgemeine Wohngebiete Flächen, die vornehmlich für Wohnbauten bestimmt sind, wobei auch Gebäude, die den wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Bedürfnissen der Bewohner von Wohngebieten dienen (z.B. Verwaltungsgebäude, Schulgebäude, Kirchen, Krankenanstalten, ..., soweit sie keine den Wohncharakter des Gebietes widersprechenden Belästigungen der Bewohnerschaft verursachen), errichtet werden können.

    Die Beschwerdeführer meinen, in Hinsicht auf die Schaffung der (23) PKW-Abstellplätze und die dadurch verursachte Lärmbelästigung komme es nicht auf das Widmungsmaß an, sondern auf die (im Gegenstandsfalle das Widmungsmaß unterschreitende) Ortsüblichkeit im Sinne des § 71 Abs. 2 Stmk. BauG.

    Damit zeigen die Beschwerdeführer aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

    Gemäß § 13 Abs. 12 Stmk. BauG hat die Behörde größere Abstände vorzuschreiben, wenn der Verwendungszweck von baulichen Anlagen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gesundheitsgefährdung der Nachbarschaft erwarten lässt oder dies zum Schutz des Ortsbildes erforderlich ist.

    Gemäß § 43 Abs. 2 Z. 5. Stmk. BauG muss das Bauwerk derart geplant und ausgeführt sein, dass der von den Benützern oder von Nachbarn wahrgenommene Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufrieden stellende Wohn und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind.

    Gemäß § 71 Abs. 2 des Stmk. BauG ist die Errichtung von Garagen an Stelle von Abstellflächen aufzutragen, wenn andernfalls eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder Gefährdung der Nachbarschaft zu erwarten ist. Die Errichtung von Tiefgaragen kann aufgetragen werden, wenn auch bei Garagen eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung und Gefährdung der Nachbarschaft zu erwarten ist.

    Es wurde bereits von der belangten Behörde zutreffend auf die hg. Rechtsprechung zu dem "ortsüblichen Ausmaß" von Lärmimmissionen verwiesen, wonach der Maßstab des Zulässigen in Ansehung von Belästigung der Nachbarn im Rahmen des Ortsüblichen das sogenannte Widmungsmaß des zur Bebauung ausersehenen Bauplatzes insofern ist, als die Summe von vorhandener Grundbelastung (sogenanntes Istmaß) und aus dem Projekt hervorgehender Zusatzbelastung (sogenanntes Prognosemaß) dieses Widmungsmaß nicht überschreiten darf. Als zumutbar müssen Immission auch dann noch angesehen werden, wenn sie zwar das Ausmaß der in der unmittelbaren Umgebung feststellbaren Immissionen übersteigen, sich aber im Rahmen des im Widmungsmaß sonst üblichen Ausmaßes halten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2000, Zl. 99/06/0063). Andererseits ist Maßstab der Zulässigkeit dort, wo die Summe aus Istmaß und Prognosemaß das Widmungsmaß nicht überschreitet, das Ausmaß an Gesamtimmissionsbelastung (Summenmaß aus Istmaß und Prognosemaß), welches der medizinische Amtssachverständige als sogenanntes Beurteilungsmaß vorgibt. Absolute Grenze der Immissionsbelastung ist daher das Widmungsmaß des Bauplatzes, wird dieses nicht überschritten, ist relatives Maß des Zulässigen das Beurteilungsmaß des medizinischen Sachverständigen. Belästigungen übersteigen auch nicht das ortsübliche Ausmaß (dies auch nach § 4 Abs 3 Stmk BauO 1968), wenn die Überschreitung des Istmaßes geringfügig ist, der Charakter des Gebietes durch diese Überschreitung nicht verändert wird und das medizinisch vertretbare Beurteilungsmaß eingehalten wird. Die von der Behörde herangezogene Judikatur bezieht sich auf den Begriff des ortsüblichen Ausmaßes an Lärmimmissionen, auf den früher § 4 Abs. 3 Stmk. BauO 1968 abgestellt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2001, Zl. 99/06/0172), und der im geltenden Stmk. BauG im von den Beschwerdeführern herangezogenen § 71 Abs. 2 verwendet wird. Solange sich eine Schallimmission im Rahmen des in einer bestimmten Widmungskategorie üblichen Ausmaßes hält bzw das für die Widmungskategorie geltende Widmungsmaß einhält, ist gemäß § 43 Abs. 2 Z. 5 Stmk. BauG 1995 weiters davon auszugehen, dass zufrieden stellende Wohnbedingungen und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 97/06/0219). Ein Differenzierung, wie sie in der Beschwerde vorgenommen wird, entspräche nicht der Rechtslage. Die den Spruchpunkt I des aufhebenden Bescheides der belangten Behörde betreffende Begründung erweist sich somit als zutreffend.

    Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

    Wien, am 26. April 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte