VwGH 98/20/0261

VwGH98/20/026122.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des G in T, geboren am 27. Dezember 1972, vertreten durch Dr. Christian Falkner, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Biondekgasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. März 1998, Zl. 201.334/0-VI/16/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 15. Juli 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. Juli 1996 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen zunächst Folgendes an:

"Während meines Militärdienstes war ich auch in Kuwait eingesetzt. Meine Einheit nahm viele Kuwaitis in Kriegsgefangenschaft. Wir erhielten den Befehl, diese Kuwaitis zu erschießen. Ich war der einzige, der den Befehl verweigert hat, da man Kriegsgefangene so nicht behandeln darf. Meine Einheit bestand aus 10 Soldaten plus unser Offizier als Leutnant. Alle anderen neun haben den Befehl ausgeführt. Meine Einheit gehörte zur republikanischen Garde. Es wurde sofort eine Kriegskommission gebildet und ich wurde festgenommen und nach Bagdad gebracht. Das war im Dezember 1991. Im Februar 1991 verweigerte ich den Befehl."

In der Zeit bis zum Dezember 1991 sei er in einem Militärgefängnis in Bassra angehalten und dort auch geschlagen, gefoltert und mit Elektroschocks behandelt worden. Ab der Überstellung nach Bagdad habe er nur mehr ab und zu eine Ohrfeige bekommen. Das Militärgericht in Bagdad habe ihn zu einer zweijährigen Haft verurteilt, aus der er im Juni 1993 - sechs Monate vor der vollständigen Verbüßung der Strafe - geflohen sei. Im Irak wisse man nicht, ob man nach Verbüßung der Strafe tatsächlich entlassen oder wieder vor ein Gericht gestellt werde, oder "was sonst noch passiert". Der Beschwerdeführer habe sich in die Türkei begeben und diese schließlich verlassen, um weiter vom Irak entfernt zu sein und nicht vielleicht einmal dorthin abgeschoben zu werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Juli 1996, mit dem der Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen worden war, gemäß § 7 AsylG ab. In der Begründung dieser Entscheidung traf die belangte Behörde folgende Feststellungen zu den Gründen, aus denen der Beschwerdeführer den Irak verlassen habe:

"Der Asylwerber hat sein Heimatland im Jahre 1993 verlassen, da er wegen einer Verurteilung wegen Befehlsverweigerung im Rahmen des Militärdienstes aus dem Gefängnis geflüchtet ist."

Dies ergebe sich "aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen des Asylwerbers anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme" beim Bundesasylamt. Die belangte Behörde führte auch aus, auf die Beweisanträge in der Berufung sei nicht einzugehen gewesen, weil "der vom Asylwerber vorgebrachte Sachverhalt von der Behörde nicht in Zweifel gezogen wurde".

In rechtlicher Hinsicht würdigte die belangte Behörde den Sachverhalt wie folgt:

"Der Asylwerber konnte im Verfahren schon allein deshalb keinen aktuellen Fluchtgrund vorbringen, da er sich bereits seit 1993 nicht mehr in seinem Heimatland aufgehalten hat.

Ebenso kann aus dem Umstand, dass er in seinem Heimatland wegen Befehlsverweigerung im Rahmen des Militärdienstes verurteilt wurde, keine Verfolgung im Konventionssinne erkannt werden. Auch in klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern muss jeder, der im Rahmen des Militärdienstes einen Befehl verweigert, mit Bestrafung rechnen. Die Strenge und Art der angedrohten Strafe ist nicht maßgeblich. Auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak kommt es nicht zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung hat somit nicht erkennbar den Zweck, die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen (Rasse, Religion, politische Überzeugung, usw.) zu treffen. Staatliche Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht sind Ausfluss des Rechtes eines jeden Staates und stellen als solche keine Verfolgung i.S.d. GFK dar.

Eine asylrechtlich relevante Furcht vor Verfolgung besteht nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann, wenn davon auszugehen wäre, dass eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus den in der GFK genannten Gründen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt werden würde (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 30.04.1997, Zl. 96/01/0157). Dem Vorbringen des Berufungswerbers sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass er aus einem der in der GFK angeführten Gründe zu einer gegenüber dem üblichen Strafausmaß unangemessen überhöhten Strafe verurteilt worden wäre. Darüber hinaus ist es für die erkennende Behörde nicht nachvollziehbar, warum der Asylwerber sechs Monate vor Ende der regulären Haftzeit aus dem Gefängnis geflüchtet ist. Sein Vorbringen, dass man im Irak nie wissen würde, ob man tatsächlich zum vorgesehenen Zeitpunkt aus der Haft entlassen oder eventuell wieder einem Gericht vorgeführt würde, stellt bloß eine subjektive Vermutung dar, welche jedoch aus objektiver Sicht gesehen nicht ausreicht, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung, welche einen weiteren Verbleib des Asylwerbers im Herkunftsstaat unerträglich machen würde, annehmen zu können (vgl. VwGH 29.10.1993, 92/01/0119; 19.09.1996, 95/19/0084)."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Verwaltungsgerichtshof kann die dem angefochtenen Bescheid - sofern die belangte Behörde zentrale Aspekte des Sachverhaltes nicht schlichtweg übersehen haben sollte - zugrunde gelegte Ansicht, "auch in klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern" müsse mit Bestrafung rechnen, wer sich weigere, Gefangene zu erschießen, nicht teilen und der Behauptung, die Bestrafung wegen eines solchen Verhaltens sei "Ausfluss des Rechtes eines jeden Staates", nicht folgen. Dem Kriegsvölkerrecht entspricht vielmehr der Standpunkt des Beschwerdeführers, dass die Erschießung von Kriegsgefangenen nicht zulässig sei (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere das III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 und das Zusatzprotokoll I vom 10. Dezember 1977), was mit der Annahme, bei der Ahndung der Nichtteilnahme an einer solchen Maßnahme handle es sich um eine legitime Reaktion des Staates, nicht vereinbar ist. Die Weigerung, sich an einer solchen Erschießung zu beteiligen, ist unter den vom Beschwerdeführer beschriebenen Umständen als Ausdruck politischer und allenfalls religiöser Überzeugungen zu werten und eine daran anknüpfende Verfolgung daher auch asylrelevant (vgl. zur möglichen Asylrelevanz von Befehlsverweigerungen in anderen Zusammenhängen etwa schon die Erkenntnisse vom 4. April 1990, Zl. 89/01/0345, vom 28. Juni 1995, Zlen. 94/01/0790, 0791 und vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0447).

Das von der belangten Behörde zitierte - noch zum Asylgesetz 1991 ergangene - Erkenntnis vom 30. April 1997 ist eines der Nachfolgeerkenntnisse zu dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, in dem u. a. Voraussetzungen für die Asylrelevanz einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden Bestrafung dargestellt wurden. Der vorliegende Fall betrifft die Bestrafung wegen der Nichtteilnahme an einer konkreten Kriegshandlung und unterscheidet sich damit - unter dem Gesichtpunkt, der für den Verfolgungscharakter der Strafe hier in erster Linie maßgebend ist - von den Fällen der Wehrdienstverweigerung oder Desertion vor allem insofern, als auf Fragen der möglichen Völkerrechtswidrigkeit der Kriegsführung als solcher oder auf die Wahrscheinlichkeit, mit der der Betroffene zu einzelnen völkerrechtswidrigen Handlungen im Rahmen derselben herangezogen würde, nicht eingegangen werden muss. Auch im Zusammenhang mit Wehrdienstverweigerung und Desertion kommt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber dem Umstand, dass die Heranziehung zur Militärdienstleistung in einem "grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates Deckung findet", Bedeutung zu (vgl. dazu - in Abgrenzung gegenüber der Zwangsrekrutierung durch eine bloße Bürgerkriegspartei - zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 2001, Zl. 98/20/0549, m.w.N.). Dass die Überschreitung der Grenzen, die diesem Recht in Bezug auf die Verwendung der Militärdienstleistenden insbesondere durch Vorschriften des Völkerrechtes gesetzt sind, bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Einzelfall zu berücksichtigen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof - im Ergebnis wie hier, wenngleich unter begründender Bezugnahme auf das erwähnte Erkenntnis eines verstärkten Senates - in Erkenntnissen aus jüngster Zeit schon ausdrücklich hervorgehoben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0072; hierauf verweisend die Erkenntnisse vom selben Tag, Zl. 2000/01/0099, und vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0024).

Diese Ansicht, deren Richtigkeit in einem Fall wie dem vorliegenden wohl unmittelbar einsichtig ist, entspricht - bezogen auf die Fälle der Wehrdienstverweigerung und der Desertion - auch der Meinung des UNHCR (vgl. dazu das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Rz 171) und der Analyse des Problems etwa in einer u.a. auf österreichische Rechtsprechung eingehenden Abhandlung von Ulrike Davy (Suffolk Transnational Law Review, Vol. XVIII No. 1, Winter 1995, 53 (94 ff, 109 ff, 121 ff)) und in dem Standardwerk von Goodwin-Gill (The Refugee In International Law2, Nachdruck 1998, 54 ff). Die Ansicht, dass sich solche Fragen bei einer auf "Gleichbehandlung" von Personen ohne Rücksicht auf ihre Überzeugungen beruhenden Durchsetzung der Wehrpflicht - oder einzelner Befehle - gar nicht stellen können, wäre, sofern man sie dem Erkenntnis des verstärkten Senates entnehmen wollte, für das geltende Recht nicht aufrecht zu erhalten (vgl. in diesem Zusammenhang Davy, a.a.O., 109; Goodwin-Gill, a.a.O., 57 f).

Dem Asylantrag des Beschwerdeführers lässt sich schließlich auch nicht - mit dem bloßen Hinweis auf die seit seiner Ausreise aus dem Irak verstrichene Zeit - entgegen halten, die von ihm geltend gemachte Verfolgungsgefahr sei nicht "aktuell". In dieser Hinsicht bedürfte es im Sinne des gemäß § 7 AsylG auch bei der Entscheidung über die Asylgewährung anzuwendenden Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv der schlüssig begründeten Feststellung, dass dem Beschwerdeführer wegen der Nichtteilnahme an dem Kriegsverbrechen und wegen seiner Flucht aus der Haft und aus dem Irak im Falle einer Rückkehr kein Nachteil von asylrelevanter Intensität mehr drohe, er im Besonderen also auch nicht mehr mit dem Vollzug des noch offenen Strafrestes rechnen müsse.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. November 2001

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