VwGH 95/19/0084

VwGH95/19/008419.9.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1995, Zl. 4.344.457/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 31. Jänner 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 4. Februar 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Mai 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. März 1994 im wesentlichen an:

Er sei seit 1990 als Studentenführer für die in seinem Heimatland anerkannte Menschenrechtsorganisation "Civil Liberties Organisation" (CLO) tätig. Cirka acht Monate vor dem Verlassen seiner Heimat sei er bei der CLO als Research officer II angestellt worden. Er habe Menschenrechtsverletzungen untersucht und Berichte darüber angefertigt. Er habe am 4. Dezember 1993, am 11. Dezember 1993 und am 11. Jänner 1994 Vorträge bei Versammlungen an Universitäten gehalten. Zweck der Versammlungen sei gewesen, auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Er habe unter dem Titel "Nieder mit der Militärregierung" neben anderen Rednern zu den Studenten gesprochen. Er habe darüber gesprochen, daß die Militärregierung keine demokratische Regierung sei, die Wirtschaft ruiniere und sich die Studenten gegen die Regierung stellen sollen. Er habe die Studenten zu friedlichen Demonstrationen aufgerufen. Diese sollten zB Vorlesungen boykottieren und dadurch die Regierung zwingen, anders zu handeln. Nach der Versammlung sei er zusammen mit zwei Studentenvertretern von vier in Zivil gekleideten Sicherheitsorganen verhaftet worden. Er vermute, daß diese Sicherheitsorgane mitangehört hätten, wie eine Demonstration geplant werde. Nach wenigen Minuten seien Studenten gekommen, hätten die Sicherheitsorgane gestoßen und festgehalten, wodurch der Beschwerdeführer habe entkommen können. Er sei nach Lagos geflüchtet und habe sofort nach seiner Ankunft mit dem Generalsekretär der CLO telefoniert. Dieser habe ihm geraten, nicht nach Hause zu gehen, sondern das Heimatland zu verlassen. Gegen den Beschwerdeführer sei zwar außer dem erwähnten Vorfall von staatlichen Organen nichts unternommen worden, es seien aber einige andere Personen von staatlichen Organen verhaftet und wieder freigelassen worden, und das Haus des Beschwerdeführers sei von staatlichen Organen durchsucht worden, wobei man nichts weggenommen habe, weshalb der Beschwerdeführer fürchte, bei einer Rückkehr verhaftet zu werden, wobei er mit einer langen Haftzeit rechne. In diesem Zusammenhang brachte der Beschwerdeführer vor, daß einige Mitglieder der CLO entdeckt hätten, daß in einem Lager auf einer Insel Gefangene festgehalten würden. Auf dieser Insel befinde man sich in Lebensgefahr, man würde als Häftling nicht entdeckt werden. Die CLO habe Berichte an Amnesty International verfaßt, der Beschwerdeführer bezweifle aber, daß er selbst dieser Organisation bekannt sei. Er stellte in seiner niederschriftlichen Einvernahme unter anderem den Antrag zur Einholung von Informationen bei Amnesty International über die Art und Organisation bzw. mögliche Zusammenarbeit mit der CLO, sowie Einholung eines Gutachtens von seiten des Boltzmann-Institutes zum Beweis dafür, daß aktive Bürgerrechtsaktivisten in Nigeria ohne Gerichtsverfahren verhaftet und über längere Zeit festgehalten würden.

Die Erstbehörde kam den Anträgen insoferne nach, als sie eine Anfrage an Amnesty International zu dem vom Beschwerdeführer beantragten Beweisthema stellte. Amnesty International teilte darauf mit, daß die CLO und ihr Generalsekretär bekannt seien, es handle sich um eine regierungsunabhängige Menschenrechtsorganisation, die sich für die Einhaltung der Bürger- und Menschenrechte in Nigeria sowie ein Ende der Militärherrschaft einsetze. Amnesty International erfahre immer wieder von Verfolgungshandlungen, die seitens der Regierung bzw. Militärangehöriger gegen Mitglieder (auch) dieser Organisation gesetzt würden, und verwies auf eine "urgent action" vom 3. September 1993, in welcher dokumentiert sei, daß drei Mitarbeiter der CLO am 2. Juli 1993 von der Polizei festgenommen worden seien, weil sie im Besitz von Flugblättern gewesen seien, die von der CLO herausgegeben worden seien und in denen ein Ende der Militärherrschaft in Nigeria gefordert werde. Sie seien ohne Anklageerhebung oder Prozeß vom Geheimdienst festgehalten, später der Staatsgefährdung angeklagt und Anfang August 1993 gegen Zahlung einer Kaution wieder freigelassen worden. Die Person des Beschwerdeführers sei Amnesty International jedoch nicht bekannt.

Die Erstbehörde wies den Asylantrag des Beschwerdeführers ab, weil weder aus den glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers noch aus der Antwort von Amnesty International hervorkomme, daß dem Beschwerdeführer asylrechtlich relevante Verfolgung drohe.

In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer die Unterlassung des Vorhaltes der Antwort von Amnesty International und machte unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 27. März 1995, in welchem sie zur Rüge des mangelnden Parteiengehörs ausführte, daß diese durch die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides behoben worden sei. In inhaltlicher Sicht führte die belangte Behörde aus, daß aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine wohlbegründete Furcht angenommen werden könne, welche den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in seinem Heimatland unerträglich gemacht hätte. Denn die Verhaftung zum Zweck eines Verhöres erfülle diese Voraussetzung ebensowenig wie Hausdurchsuchsungen. Ebensowenig könne die Mitgliedschaft zu einer Organisation alleine nicht zu der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Asylgewährung führen. Auch der Hinweis auf die Festnahme und Freilassung anderer Personen begründe nicht die Furcht vor Verfolgung bzw. eine Anerkennung als Flüchtling. Es könnten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die den Asylwerber unmittelbar beträfen und daher Ereignisse gegen Fremde nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirkten. Zudem sei kein glaubhafter Zusammenhang zwischen der Tatsache, daß Mitglieder der CLO auf einer Insel Gefangene entdeckt hätten, und einer Furcht vor Verfolgung festzustellen.

Es liege keiner der Gründe des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vor, weshalb von den "in der erstinstanzlichen Niederschrift gemachten Angaben" auszugehen sei. Auf einen Vorhalt der vom Bundesasylamt von Amnesty International eingeholten Informationen könne verzichtet werden, da diese für die Entscheidungsfindung der erkennenden Behörde nicht ausschlaggebend gewesen sei. Die belangte Behörde resümierte, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für eine Asylgewährung nicht erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen. Keineswegs ist es erforderlich, daß eine tatsächliche Verfolgung bereits stattgefunden hat. Es reicht hin, daß aufgrund der äußeren Umstände und allenfalls bereits geschehener Ereignisse die Gefahr einer Verfolgung gegeben ist. Dabei ist auch die politische Situation des Heimatlandes zu berücksichtigen. Verhaftungen und Verfahren in Ländern, für welche nicht aufgrund gesicherter Ermittlungsergebnisse feststeht, daß sie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handeln, sind in einem anderen Licht zu beurteilen als in demokratischen Rechtsstaaten. Es ist die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen, einzelne Aspekte seiner Situation in der Heimat dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Im Lichte dieser Grundsätze sind der belangten Behörde im gegenständlichen Verfahren mehrere Fehler unterlaufen, welche sich allesamt auf das Ermittlungsergebnis der Behörde erster Instanz stützen, weshalb auf die Frage, ob die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 das Berufungsvorbringen und die in der Folge vorgelegten Beweismittel zu berücksichtigen hatte, nicht einzugehen ist. Denn die in der Folge dargestellten Mängel sind in ihrer Summe derart schwerwiegend, daß die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

a) Die belangte Behörde führt aus, daß der Beschwerdeführer nach der Versammlung vom 11. Jänner 1994 verhaftet worden sei, "um verhört zu werden". Den Angaben des Beschwerdeführers läßt sich nicht entnehmen, daß es sich hiebei lediglich um ein Verhör handeln sollte. Eine solche Ableitung aus den Angaben des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf die von ihm erwähnten Verhaftungen anderer Personen auch nicht schlüssig erkennbar. Damit gehen aber die von der Behörde aus der Annahme, der Beschwerdeführer sollte lediglich zwecks Verhör verhaftet werden, gezogenen Schlußfolgerungen ins Leere.

b) Die belangte Behörde übersieht, daß das Bundesasylamt selbst eine Anfrage an Amnesty International gerichtet hat, in deren Beantwortung die vom Beschwerdeführer behaupteten Verhaftungen anderer Personen unzweifelhaft in Beziehung zur Tätigkeit in der CLO gebracht wurden, indem die Antwort von Amnesty International den Hinweis auf die mehrwöchige Anhaltung dreier Mitarbeiter der CLO in geheimdienstlicher Haft sowie auf die gegen diese Mitarbeiter erhobene Anklage aufgrund politischer Betätigung enthält. Die belangte Behörde hat lediglich ausgeführt, daß diese Auskunft von Amnesty International für sie nicht ausschlaggebend gewesen sei, läßt jedoch die Begründung vermissen, aufgrund welcher maßgebender Erwägungen sie bei der Beweiswürdigung und der darauf gestützten Beurteilung der Rechtsfrage zu diesem Ergebnis kam. Da die Verfolgung anderer Personen zwar nicht als ausschließlicher Asylgrund anzuerkennen ist, ihr jedoch im Zuge der Gesamtbeurteilung Indizcharakter für die dem Asylwerber drohende individuelle Verfolgung zukommt, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid diesbezüglich mit einem Begründungsmangel belastet.

c) Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß aus den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, daß Mitglieder der CLO auf einer Insel Gefangene entdeckt hätten, der Zusammenhang mit seiner individuellen Situation nicht klar ist. Die belangte Behörde übersieht aber, daß der Beschwerdeführer damit in hinreichend deutlicher Weise auf einen Sachverhalt hinwies, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung in Frage kommen könnte, indem er die Intensität der ihm selbst aus der ihm drohenden Verhaftung abgeleiteten Verfolgung zu verdeutlichen sucht. Die Behörde wäre daher gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 gehalten gewesen, zu klären, ob die Verbringung auf die genannte Insel ihm selbst als Mitarbeiter der CLO drohe oder lediglich ein Hinweis auf allgemeine Haftbedingungen sein sollte.

Da somit Verfahrenvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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