VwGH 99/20/0370

VwGH99/20/037027.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des AK in M, vertreten durch Dr. Karl Claus und Dr. Andreas Kiesling, Rechtsanwälte in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. Mai 1999, Zl. Wa-178/99, betreffend Entziehung eines Waffenpasses und einer Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
KFG 1967 §134 Abs1;
WaffG 1996 §25 Abs2;
WaffG 1996 §8 Abs1 Z1;
WaffG 1996 §8 Abs1;
WaffG 1996 §8 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs5;
WaffG 1996 §8 Abs6;
WaffG 1996 §8 Abs7;
AVG §37;
KFG 1967 §134 Abs1;
WaffG 1996 §25 Abs2;
WaffG 1996 §8 Abs1 Z1;
WaffG 1996 §8 Abs1;
WaffG 1996 §8 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs5;
WaffG 1996 §8 Abs6;
WaffG 1996 §8 Abs7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 3. November 1998 insoweit, als darin die Entziehung seiner Waffenbesitzkarte Nr. 187.450 und seines Waffenpasses Nr. 058671 ausgesprochen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. §§ 8 Abs. 1 und 25 Abs. 2 und 3 des Waffengesetzes 1996 (WaffG) nicht Folge gegeben.

In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer nachangeführte Verwaltungsübertretungen begangen habe:

"§ 8. (1) Ein Mensch ist verläßlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß er

  1. 1. Waffen mißbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;
  2. 2. mit Waffen unvorsichtig umgehen oder diese nicht sorgfältig verwahren wird;

(2) Ein Mensch ist keinesfalls verläßlich, wenn er

  1. 1. alkohol- oder suchtkrank ist oder
  2. 2. psychisch krank oder geistesschwach ist oder
  3. 3. durch ein körperliches Gebrechen nicht in der Lage ist, mit Waffen sachgemäß umzugehen.

(3) Als nicht verläßlich gilt ein Mensch im Falle einer Verurteilung

1. wegen einer unter Anwendung oder Androhung von Gewalt begangenen oder mit Gemeingefahr verbundenen vorsätzlichen strafbaren Handlung, wegen eines Angriffes gegen den Staat oder den öffentlichen Frieden oder wegen Zuhälterei, Menschenhandels, Schlepperei oder Tierquälerei zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen oder

2. wegen gewerbsmäßigen, bandenmäßigen oder bewaffneten Schmuggels oder

3. wegen einer durch fahrlässigen Gebrauch von Waffen erfolgten Verletzung oder Gefährdung von Menschen oder

4. wegen einer in Z 1 genannten strafbaren Handlung, sofern er bereits zweimal wegen einer solchen verurteilt worden ist.

(4) ....

(5) Weiters gilt ein Mensch als nicht verläßlich, der öfter als zweimal wegen einer im Zustand der Trunkenheit begangenen schwerwiegenden Verwaltungsübertretung bestraft worden ist, sofern keine dieser Bestrafungen getilgt ist.

(6) Schließlich gilt ein Mensch als nicht verläßlich, wenn aus Gründen, die in seiner Person liegen, die Feststellung des für die Verläßlichkeit maßgeblichen Sachverhaltes nicht möglich war. ...

(7) Bei erstmaliger Prüfung der Verläßlichkeit hat sich die Behörde davon zu überzeugen, ob Tatsachen die Annahme mangelnder waffenrechtlicher Verläßlichkeit des Betroffenen aus einem der in Abs. 2 genannten Gründe rechtfertigen. Antragsteller, die nicht Inhaber einer Jagdkarte sind, haben ein Gutachten darüber beizubringen, ob sie dazu neigen, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. ...

§ 25. (1) ...

(2) Die Behörde hat außerdem die Verläßlichkeit des Inhabers einer waffenrechtlichen Urkunde zu überprüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Berechtigte nicht mehr verläßlich ist. Sofern sich diese Anhaltspunkte auf einen der in § 8 Abs. 2 genannten Gründe oder darauf beziehen, daß der Betroffene dazu neigen könnte, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, ist die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen gemäß § 8 Abs. 7 ermächtigt.

(3) Ergibt sich, daß der Berechtigte nicht mehr verläßlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen."

§ 25 Abs. 2 zweiter Satz WaffG ermächtigt die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen gemäß § 8 Abs. 7 leg. cit., wenn "Anhaltspunkte" dafür vorliegen, dass der Berechtigte nicht mehr im Sinne des Waffengesetzes als verlässlich erscheint. § 8 Abs. 7 leg. cit. bestimmt, dass der Betroffene - im Falle des § 25 Abs. 2 WaffG über Aufforderung der Behörde - ein Gutachten darüber beizubringen hat, ob er dazu neige, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu ausgesprochen, dass im Falle der Erteilung eines Auftrages gemäß § 25 Abs. 2 i. V.m. § 8 Abs. 7 WaffG die Beibringung eines solchen Gutachtens der Prüfung der Frage dient, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausstellung der waffenrechtlichen Urkunden (weiterhin) gegeben sind, und der Betroffene verpflichtend durch Vorlage eines solchen Gutachtens an der Prüfung dieser Frage mitzuwirken hat. In der Nichtbeibringung eines solchen Gutachtens liegt ein Grund im Sinne der vorzitierten Bestimmung des § 8 Abs. 6 leg. cit., der die Feststellung des für die Verlässlichkeit maßgeblichen Sachverhaltes nicht zulässt, worauf die Behörde mit Abweisung des Antrages bzw. im Falle des nachträglichen Auftrages zur Vorlage gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. mit Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde vorzugehen hat (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 97/20/0756). Der Verwaltungsgerichtshof hat im vorerwähnten Erkenntnis auch ausgesprochen, dass hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Beibringung eines Gutachtens gemäß § 25 Abs. 2 zweiter Satz WaffG durch - zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehende - Inhaber einer waffenrechtlichen Urkunde, insbesondere angesichts des bei Prüfung der Verlässlichkeit anzulegenden strengen Maßstabes, keine allzu hohen Anforderungen zu stellen seien. Nur dann, wenn der von der Behörde zur Begründung von solchen "Anhaltspunkten" herangezogene Sachverhalt keine Hinweise auf das (mögliche) Vorliegen einer Tatsache im Sinne des § 8 Abs. 1 leg. cit. enthielte, wäre eine Anordnung gemäß § 25 Abs. 2 zweiter Satz i. V.m. § 8 Abs. 7 WaffG rechtswidrig.

Im vorliegenden Fall hat die Behörde erster Instanz den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. September 1998 zwar aufgefordert, im Sinne der vorerwähnten Bestimmungen ein solches Gutachten darüber beizubringen, ob er dazu neige, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. In weitere Folge hat die Behörde erster Instanz allerdings die dem Beschwerdeführer dabei gesetzte Frist von einem Monat nicht abgewartet, sondern mit weiterem Schreiben vom 29. September 1998 ihre Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass bereits die festgestellten Verwaltungsübertretungen die Schlussfolgerung zuließen, der Beschwerdeführer sei (waffenrechtlich) als nicht mehr verlässlich im Sinne des § 8 Abs. 1 WaffG anzusehen. Weder im Bescheid der Behörde erster Instanz noch im vorliegenden Berufungsbescheid der belangten Behörde wird auf den ursprünglich am 14. September 1998 dem Beschwerdeführer erteilten Auftrag zur Beibringung eines Gutachtens Bezug genommen. Da die belangte Behörde die Entziehung somit nicht auf § 8 Abs. 6 leg. cit. gestützt hat, weil der Beschwerdeführer an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht mitgewirkt hätte, kann dahingestellt bleiben, ob ausreichende Anhaltspunkte für eine rechtmäßige Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens gemäß § 25 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 7 WaffG vorlagen. Die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Auftrages vom 14. September 1998 war - wie erwähnt - im weiteren Verfahren nicht mehr Gegenstand.

Die belangte Behörde hat grundsätzlich richtig auf die hg. Rechtsprechung verwiesen, dass bei der Wertung einer Person als "verlässlich" im Sinne des Waffengesetzes ihre gesamte Geisteshaltung und Sinnesart ins Auge zu fassen ist, weil der Begriff der Verlässlichkeit den Ausdruck ihrer Wesenhaftigkeit, nicht aber ein Werturteil über ihr Tun und Lassen im Einzelfall ist. Bestimmte Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften einer Person können demnach die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die vom Waffengesetz geforderte Verlässlichkeit nicht (mehr) gewährleistet ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 1998, Zl. 98/20/0287, m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass angesichts des mit dem Waffenbesitz von Privatpersonen verbundenen Sicherheitsbedürfnisses nach Sinn und Zweck der Regelung des Waffengesetzes bei der Prüfung der Verlässlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0874, m.w.N.). In diesem Sinne können besondere Tatumstände auch einer nicht unter die Tatbestände des § 8 Abs. 3 und 5 WaffG subsumierbaren Verurteilung bzw. Bestrafung von Bedeutung sein, insoweit sie im Lichte des § 8 Abs. 1 leg. cit. einen entsprechenden waffenrechtlichen Bezug aufweisen. Dabei kommt es auf den der betreffenden gerichtlichen Verurteilung bzw. verwaltungsrechtlichen Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhalt an, insbesondere, ob und inwieweit daraus Rückschlüsse auf die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Betroffenen zu ziehen sind. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde gemeint, die Entziehung der waffenrechtlichen Urkunden darauf stützen zu können, dass der Beschwerdeführer 24 mal wegen des Deliktes nach § 134 Abs. 1 i.V.m.

§ 103 Abs. 2 KFG (Nichterteilung einer Lenkerauskunft) bestraft worden sei. Die daraus sich ergebende "negative Gesamteinstellung gegenüber der Rechtsordnung und den rechtlich geschützten Werten" lasse die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers als nicht (mehr) gegeben anzunehmen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Schlussfolgerung nicht zu teilen: Die belangte Behörde selbst hat das Delikt der Nichterteilung der Lenkerauskunft zutreffend als eine "nicht schwere" Verwaltungsübertretung qualifiziert. Zwischen dieser Verwaltungsübertretung und den nach dem Waffengesetz einzuhaltenden Verpflichtungen sowie dem damit verfolgten Schutzzweck besteht kein ausreichend konkreter Zusammenhang. Hinsichtlich der übrigen festgestellten Bestrafungen des Beschwerdeführers besteht ein erkennbarer waffenrechtlicher Bezug lediglich bei der Bestrafung wegen der Unterlassung der Meldung einer Wohnsitzänderung nach § 38 i. V.m. § 21 des Waffengesetzes 1986 aus dem Jahr 1993. Dem stellt der Beschwerdeführer aber mit Recht gegenüber, dass ihm die waffenrechtlichen Urkunden bereits im Jahr 1973 ausgestellt worden seien und die belangte Behörde mit Ausnahme der aufgelisteten Verwaltungsübertretungen keine gegen seine waffenrechtliche Verlässlichkeit sprechenden Umstände festgestellt habe.

Bei dieser Sachlage ist die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, die meinte, aus den festgestellten Verwaltungsübertretungen unmittelbar auf das Vorliegen einer nicht (mehr) gegebenen waffenrechtlichen Verlässlichkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 WaffG schließen zu können, nicht zu teilen.

Demgemäß war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 27. Jänner 2000

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