VwGH 99/06/0069

VwGH99/06/006925.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der N KEG in E, vertreten durch Dr. LO, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 4. März 1999, Zl. 03-12.10 E 42 - 99/3, betreffend baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Parteien: 1. BU in E; 2. Marktgemeinde E, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Stmk 1995 §19 Z2;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §41 Abs6;
BauRallg;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §19 Z2;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §41 Abs6;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 3. Mai 1994 wurde der "Eigentümergemeinschaft E." die Baubewilligung für die Änderung bzw. den Ausbau des Erdgeschosses für das näher bezeichnete Haus unter Bezugnahme auf die Widmungsbewilligung vom 27. Oktober 1992 und die Widmungsänderungsbewilligung vom 8. Februar 1994 erteilt. Mit dem zuletzt genannten Bescheid wurde der Verwendungszweck des verfahrensgegenständlichen Gebäudes für Wohn-, Büro-, Geschäfts- und Gaststättenzwecke bewilligt. Im Erdgeschoss waren ein Cafe mit maximal 20 Sitzplätzen, sanitäre Anlagen, eine Spielstube, ein Verkaufsladen mit 18,54 m2 samt Nebenräumen und ein Optikergeschäft samt Nebenräumen vorgesehen.

Am 14. April 1997 suchte die Beschwerdeführerin gemäß § 36 Abs. 1 des Steiermärkischen Veranstaltungsgesetzes 1969, LGBl. Nr. 192 i.d.g.F., um Genehmigung einer ortsfesten Betriebsstätte für den Spielsalon im oben genannten Objekt an, wobei der Spielsalon auch die westlich gelegenen, nicht als Spielsalon gewidmeten Räumlichkeiten (Optikergeschäft und Verkaufsladen samt Nebenräumen) umfassen sollte, die sich direkt an der Nachbargrundgrenze befinden. Am 12. Oktober 1998 fand in der mitbeteiligten Gemeinde im Rahmen des Verfahrens gemäß dem Stmk. VeranstaltungsG eine Besprechung statt, bei der festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin für die Spielstube bei der Baubehörde um Nutzungsänderung ansuchen müsse, worauf der anwesende Geschäftsführer der Beschwerdeführerin zusicherte, sofort die nötigen Unterlagen beizubringen.

Über Antrag der erstmitbeteiligten Nachbarin (vom 15. Oktober 1998 auf Schließung des Betriebes wegen Gesundheitsgefährdung) erteilte die Baubehörde erster Instanz mit Bescheid vom 20. Oktober 1998 der Beschwerdeführerin gemäß § 41 Abs. 4 Stmk. Baugesetz den Auftrag, die vorschriftswidrige Nutzung der Räumlichkeiten im westlichen Teil des Erdgeschoßes in dem verfahrensgegenständlichen Haus (vormals Optikergeschäft, Kanzlei - Grazer Wechselseitige und Geschäft und Lager - Gewürzmarie) als Spielsalon mit sofortiger Wirkung zu unterlassen. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführerin die Baubewilligung für die westlichen Räumlichkeiten des Hauses als Verkaufsladen, Lagerräume und Sanitäranlagen erteilt worden sei. Diese Räume würden nun jedoch als Spielsalon genützt und es sei nicht auszuschließen, dass durch diese Nutzungsänderung Nachbarrechte berührt würden. Es liege eine bewilligungspflichtige Nutzungsänderung gemäß § 19 Abs. 2 Stmk. Baugesetz 1995 vor, eine Bewilligung liege hiefür nicht vor, weshalb gemäß § 41 Abs. 4 Stmk. BauG die Unterlassung der vorschriftswidrigen Nutzung aufzutragen gewesen sei.

Am 30. Oktober, 4. und 5. November 1998 wurden vom Bauamt der Gemeinde Überprüfungen durchgeführt, um die Einhaltung des baupolizeilichen Auftrags zu überprüfen. Bei der ersten Überprüfung, bei der der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin anwesend war, wurden in dem als Optikergeschäft gewidmeten Raum acht Personen bei zwei Spielautomaten vorgefunden. Bei Betreten der Räumlichkeiten war der Strom ausgegangen, daher wurde an keinem der Automaten gespielt. Bei der zweiten Überprüfung, von der der Geschäftsführer in Kenntnis gesetzt wurde, waren im ersten Raum alle Geräte ausgeschaltet, während in dem zweiten Raum (das ehemalige Optikergeschäft) zwei Personen an einem Automaten spielten. Bei der Überprüfung am 5. November 1998 waren die Türen beider Räume zu, die Automaten waren nicht in Betrieb und es brannte in diesen Räumen auch kein Licht.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den angeführten Bescheid vom 20. Oktober 1998 Berufung. Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. Dezember 1998 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, die mit dem nun angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Die belangte Behörde führte nach Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, dass im Falle einer Vertretung einer Partei durch einen Rechtsanwalt die Manuduktionspflicht i. S.d. § 13a AVG nicht verletzt werden könne (es wird auf das Erkenntnis des VwGH vom 18. März 1994, Zl. 93/07/0166, verwiesen). Aus dem vorliegenden Akt ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Besprechung am 16. Oktober 1998 bereits rechtsfreundlich vertreten gewesen sei. Auch gebe der Rechtsvertreter zu erkennen, dass er von der Besprechung gewusst habe. Er hätte daher bereits Gelegenheit gehabt, sämtliche seines Erachtens notwendigen Schritte zu setzen. Im vorliegenden Verfahren (Unterlassung einer vorschriftswidrigen Nutzung) sei es irrelevant, aus welchen Gründen die Nutzungsänderung bis jetzt nicht bewilligt worden sei. Es sei lediglich zu prüfen, ob für die Nutzungsänderung eine Bewilligung vorliege oder nicht. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass Nutzungsänderungen im Sinne des § 19 Z. 2 Stmk. BauG nur dann bewilligungspflichtig seien, wenn sie u. a. Nachbarrechte berührten, also in Nachbarrechte gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 bis 6 leg. cit. konkret eingegriffen werde, sei insofern verfehlt, als mit dem Ausdruck "berühren" auch auf die Möglichkeit des Berührens abgestellt werde (es wird dazu auf Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht, Anm. 12 zu § 19 Stmk. BauG verwiesen). Demnach sei eine Bewilligungspflicht gegeben, wenn Rechte der Nachbarn auch nur möglicherweise berührt würden, und es komme auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Rechte der Nachbarn nicht an. Ebenso habe der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen, dass "berührt werden" im Sinne von "verletzt werden können", also so verstanden werden müsse, dass es auf die Möglichkeit der Rechtsverletzung ankomme. Die Verletzung von Rechten könne nämlich nicht die Voraussetzung der Parteistellung sein. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin begründe § 26 Abs. 1 Z. 6 Stmk. BauG die Möglichkeit, einen Antrag gemäß § 41 Abs. 6 leg. cit. zu stellen. Des Weiteren führt die belangte Behörde zum Einwand der Beschwerdeführerin, die Antragslegitimation der Erstmitbeteiligten und die Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz seien im Verfahren zweiter Instanz unbehandelt geblieben, insbesondere aus, dass die belangte Behörde auch bei Einhaltung der Formvorschriften hinsichtlich der Begründung zu keinem anderen Bescheidergebnis gelangt wäre, da eine bewilligungspflichtige Nutzungsänderung ohne Bewilligung vorgenommen worden sei.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhalts und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), anzuwenden.

Gemäß § 19 Z. 2 leg. cit. sind folgende Vorhaben, sofern sich aus den §§ 20 und 21 nichts Anderes ergibt, bewilligungspflichtig:

"Nutzungsänderungen, die auf die Festigkeit, den Brandschutz, die Hygiene, die Sicherheit von baulichen Anlagen oder deren Teilen von Einfluss sein können oder die Nachbarrechte berühren oder wenn Bestimmungen des jeweils geltenden Raumordnungsgesetzes, des Flächenwidmungsplanes, des Bebauungsplanes oder der Bebauungsrichtlinien berührt werden können;"

Gemäß § 26 Abs. 1 leg. cit. kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind u.a. gemäß Z. 3 Bestimmungen über den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5).

Gemäß § 43 Abs. 1 leg. cit. muss jedes Bauwerk in all seinen Teilen nach den Regeln der Technik und den bautechnischen Vorschriften so geplant und ausgeführt werden, dass es nach seinem Verwendungszweck und den örtlichen Verhältnissen den in Abs. 2 angeführten Anforderungen entspricht. Auf die besonderen Bedürfnisse behinderter und alter Menschen sowie Kleinkinder ist im Rahmen des vorgesehenen Verwendungszweckes in ausreichender Weise Bedacht zu nehmen. Eine der in § 43 Abs. 2 leg. cit. aufgestellten allgemeinen Anforderungen an Bauwerke ist der Schallschutz. Gemäß § 43 Abs. 2 Z. 5 leg. cit. muss das Bauwerk derart geplant und ausgeführt sein, dass der von den Benützern oder von Nachbarn wahrgenommene Schall auf einem Pegel gehalten wird, der nicht gesundheitsgefährdend ist und bei dem zufrieden stellende Wohn- und Arbeitsbedingungen sichergestellt sind.

Der Behauptung der Beschwerdeführerin, es seien keinerlei Feststellungen darüber getroffen worden, ob eine Nutzungsänderung bzw. in welcher Weise diese erfolgt sei, ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin selbst im Verfahren von der Nutzungsänderung in den beiden westlich gelegenen Räumen ausgegangen ist und eine solche Nutzungsänderung weder in der Berufung noch in der Vorstellung bestritten hat. In beiden Rechtsmitteln geht die Beschwerdeführerin vielmehr selbst vom "nunmehrigen" Spielbetrieb in den beiden westlichen Räumlichkeiten aus, in Bezug auf den von der Beschwerdeführerin ein Gutachten über Immissionen eingeholt worden war, auf Grund dessen die erstinstanzliche Behörde zu dem Ergebnis hätte gelangen können, "dass durch den Spielbetrieb im westlichen Teil des Erdgeschoßes im Haus ... keine Nachbarrechte berührt werden" (siehe S. 4, 5 oben der Berufung bzw. Vorstellung). Im Übrigen hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin in der Besprechung vom 12. Oktober 1998 zugesagt, sofort die nötigen Unterlagen für ein Ansuchen um Nutzungsänderung für die Spielstube beizubringen. Weiters fanden am 30. Oktober 1998 und am 4. und 5. November 1998 Überprüfungen statt, wobei der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin einmal anwesend war und einmal von der Überprüfung in Kenntnis gesetzt wurde. Bei der ersten Überprüfung befanden sich in dem als Optikergeschäft gewidmeten Raum acht Personen bei zwei Spielautomaten, wobei wegen Stromausfalles gerade nicht gespielt werden könnte. Bei der zweiten Überprüfung spielten in dem genannten Raum zwei Personen an einem Automaten. Es liegt auf der Hand, dass der Verwendungszweck eines Optikergeschäftes bzw. eines Verkaufsladens geändert wurde, wenn diese Räume mit Spielautomaten ausgestattet werden, mit denen auch von Zeit zu Zeit gespielt wird.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch die Annahme der belangten Behörde, dass eine Bewilligungspflicht im Sinne des § 19 Z. 2 BauG gegeben sei, beschwert. Sie vertritt die Ansicht, dass Nutzungsänderungen im Hinblick auf ihren Einfluss auf Nachbarrechte nur dann bewilligungspflichtig seien, wenn sie die genannten Nachbarrechte tatsächlich berührten. Sollten Nachbarrechte tatsächlich berührt werden, sei der Einschreiter bescheinigungspflichtig, nicht der Konsenswerber, sodass im Anlasslassfall eine etwaige gesundheitliche Beeinträchtigung zu erheben und festzustellen gewesen wäre.

Mit dieser Auffassung ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht. Auch wenn im Zusammenhang mit den Nachbarrechten in § 19 Z. 2 Stmk. BauG isoliert betrachtet von Nutzungsänderungen "die Nachbarrechte berühren" die Rede ist, so muss im systematischen Zusammenhang mit den unmittelbar benachbarten Kriterien, die für die Bewilligungspflicht einer Nutzungsänderung von Bedeutung sind, abgeleitet werden, dass auch im Hinblick auf die Nachbarrechte die Möglichkeit der Berührung dieser durch eine Nutzungsänderung maßgeblich ist (in diesem Sinne auch Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht3, 167, Anm. 12 zu § 19 Stmk. BauG). Es ist davon auszugehen, dass sich das Wort "können" am Ende dieser Ziffer auch auf die vorangegangene Passage, dass Nutzungsänderungen "Nachbarrechte berühren" bezieht. Im Übrigen kann der Ausdruck "berühren" nicht mit dem Ausdruck "verletzen" gleichgesetzt werden. Dass die vorliegende Nutzungsänderung in diesem Sinne Nachbarrechte berühren kann, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die Behörden haben daher zutreffend das Vorliegen einer gemäß § 19 Z. 2 Stmk. BauG bewilligungspflichtigen Nutzungsänderung angenommen.

Zutreffend rügt die Beschwerdeführerin aber, dass es im Zusammenhalt mit § 41 Abs. 6 Stmk. BauG darauf ankommt, dass eine tatsächliche Verletzung eines Nachbarrechtes vorliegt. Gemäß dieser Bestimmung besteht ein Rechtsanspruch auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages, wenn die näher angeführten Maßnahmen Rechte der Nachbarn (es wird auf § 26 Abs. 1 leg. cit. verwiesen) verletzen. Danach kommt es also auf eine tatsächliche Verletzung von Nachbarrechten an (vgl. in diesem Sinne auch Hauer/Trippl, Stmk. Baurecht3, 302, Anm. 15 zu § 41 Stmk. BauG). Nur dann besteht ein Rechtsanspruch des Nachbarn, dass ein baupolizeilicher Auftrag erteilt werde. Ob dies der Fall ist, wurde im vorliegenden Fall nicht geklärt. Es erweist sich somit als rechtswidrig, wenn ohne Feststellung einer Verletzung von Nachbarrechten auf Antrag der Erstmitbeteiligten ein baupolizeilicher Auftrag gemäß § 41 Stmk. BauG ergeht.

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren in Bezug auf die Beilagen war im Hinblick darauf, dass die Eingangsgebühr von S 2.500,-- gemäß § 24 Abs. 3 VwGG auch die Beilagen der Beschwerde erfasst, abzuweisen.

Wien, am 25. Oktober 2000

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