VwGH 98/01/0452

VwGH98/01/045215.11.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des G P in S, vertreten durch Dr. Helmut Fetz und Dr. Birgit Fetz, Rechtsanwälte in 8700 Leoben, Parkstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 10. Dezember 1997, Zl. UVS 20.3-44/97-19, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art94;
SPG 1991 §88 Abs1;
SPG 1991 §88 Abs2;
StPO §174;
StPO §175;
StPO §221 Abs1;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art94;
SPG 1991 §88 Abs1;
SPG 1991 §88 Abs2;
StPO §174;
StPO §175;
StPO §221 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

In seiner an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde wegen

"1. Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

  1. 2. Verletzung subjektiver Rechte gemäß § 88 Abs. 1 und 2 SPG
  2. 3. Verletzung von Richtlininen für das Einschreiten gemäß § 89 SPG"

    brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor:

    Er sei am 11. Juli 1997 als Lenker eines Personenkraftwagens von Beamten des Gendarmeriepostens St. Michael einem Alkomattest unterzogen worden, wobei eine Alkoholisierung von 0,75mg/l festgestellt worden sei. Während der anschließenden Protokollaufnahme am Gendarmerieposten sei es zu einer wörtlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beschimpfungen zwischen dem Beschwerdeführer und dem das Protokoll aufnehmenden Beamten gekommen. Ohne Anlass sei ein anderer Gendarmeriebeamter auf den Beschwerdeführer losgegangen, habe gesagt: "verschwind" und habe mit der Hand gegen die linke Gesichtshälfte des Beschwerdeführers geschlagen. Durch diesen Schlag sei der Beschwerdeführer verletzt und seine Zahnprothese irreparabel beschädigt worden. Daraufhin sei der Beschwerdeführer gewaltsam aus dem Gendarmerieposten "verwiesen" worden. Da die Tür zugesperrt worden sei, habe der Beschwerdeführer keine Möglichkeit mehr gehabt, mit den Beamten über den Vorfall zu sprechen. Die Bekanntgabe der Dienstnummern sei ebenfalls verweigert worden.

    Der Beschwerdeführer sei somit durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und auch auf anderer Weise als durch eine solche Gewalt in seinen Rechten verletzt worden. Überdies seien Richtlinien verletzt worden.

    Die belangte Behörde führte am 4. Dezember 1997 eine Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer

    u. a. vorbrachte, dass die gegen ihn gerichtete Zwangsmaßnahme der Entfernung aus dem Gendarmerieposten entgegen § 50 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz - SPG nicht angedroht und angekündigt worden sei.

    Mit Bescheid vom 10. Dezember 1997 wies der unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark die Beschwerde, soweit sie sich dagegen richtet, "dass der Beschwerdeführer am 11. Juli 1997, um circa 20.00 Uhr, aus dem Journaldienstraum des Gendarmeriepostens St. Michael i.O. durch ein Organ des Gendarmeriepostens St. Michael i.O. in Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt hinausgewiesen, wobei durch einen Faustschlag die obere Zahnprothese gebrochen sei und dem Beschwerdeführer die Ausübung von unmittelbarer Zwangsgewalt nicht angedroht und angekündigt wurde (§ 50 Abs. 2 SPG)", als unzulässig zurück.

    Die belangte Behörde ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

    "Der Beschwerdeführer kam am 11. Juli 1997 zur Durchführung des Alkomattestes auf den Gendarmerieposten St. Michael i.O. Nach Absolvierung des Alkomattestes und der Feststellung eines positiven Ergebnisses (0,73mg/l) sowie der erfolgen Abnahme des Führerscheines begann der Beschwerdeführer den federführenden Beamten Rev. Insp. S. gröblichst mit den Worten 'du Drecksau, du Beamtenschwein, du Verbrecher, du Nichtsnutz ...' zu beschimpfen. Der Aufforderung, sein Verhalten einzustellen, kam der Beschwerdeführer nicht nach. Herr Rev. Insp. F. sagte daraufhin zum Beschwerdeführer, dass die Amtshandlung beendet sei und auf Wiedersehen. Diese Aufforderung wurde von ihm zwei- bis dreimal wiederholt, wobei der Beschwerdeführer weder mit seinen Beschimpfungen aufhörte noch Anstalten machte zu gehen. Sodann wurden von Rev. Insp. F. die Eingangstüre des Journaldienstraumes geöffnet und der Beschwerdeführer von vorne mit ausgestreckten Händen an der Schulter gepackt und wurde der Beschwerdeführer rücklings hinaus auf den Gang, bis er an einer Mauer angelehnt war, von Herrn Rev. Insp. F. hinausgeschoben. Dies ließ der Beschwerdeführer ohne Widerstand zu und sagte 'Nix angreifen'. Der Beschwerdeführer verließ sodann das Gebäude und ging in einen ca. 50 bis 100 Meter entfernten Würstelstand. Beim Hinausbegleiten wurde dem Beschwerdeführer kein Faustschlag versetzt."

    Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde im Wesentlichen auf die übereinstimmenden Aussagen der als Zeugen vernommenen Gendarmeriebeamten und auf das bei der mündlichen Verhandlung erstattete gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten, nach welchem es nicht möglich sei, durch einen Schlag in das Gesicht den an der Zahnprothese entstandenen Schaden herbeizuführen, ohne dabei auch Schleimhäute zu verletzten.

    In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass Maßnahmen, die nur darauf abzielten, jemanden von einem bestimmten Ort zu entfernen, nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 8815, 9983, 10378, 11930) keine Verhaftung darstellten. Die für die kurze Zeit der Wegbeförderung eintretende Bewegungsbehinderung sei bloß eine notwendige und unvermeidbare Begleiterscheinung. Im Licht dieser Rechtssprechung sei auch das Hinausführen des Beschwerdeführers aus dem Journaldienstraum nicht als Verhaftung und somit auch nicht als Maßnahme anzusehen. Da es somit nicht zur Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt gekommen sei, sei die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

    Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene (Beschluss vom 8. Juni 1998, B 327/98) Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

    § 88 Abs. 1 und 2 Sicherheitspolizeigesetz hat folgenden Wortlaut:

"(1) Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG).

(2) Außerdem erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist."

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung eindeutig einen Befehl erteilt oder physischen Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1997, Zl. 95/01/0600 mwN). Wurden hingegen keine Zwangsmaßnahmen gesetzt oder angedroht oder mussten diese nicht zwangsläufig erwartet werden, so liegt keine vor dem unabhängigen Verwaltungssenat bekämpfbare faktische Amtshandlung vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1998, Zlen. 97/01/0239, 0241, mwN).

Der Begriff der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt hat durch die Zuständigkeitsverschiebung auf Grund der B-VG-Novelle 1988 gegenüber der zuvor geltenden Verfassungsrechtslage keine Änderung erfahren, weshalb die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu diesem Begriff auch zur Auslegung der Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG, § 67c AVG und § 88 Abs. 1 SPG herangezogen werden kann (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, 1997, Seite 189). In den im angefochtenen Bescheid zitierten Erkenntnissen vom 10. März 1984, B 403/82, Slg 9983, und vom 4. März 1985, B 536/84, Slg 10873, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass es sich bei der zwangsweisen Entfernung einer Person aus einem Lokal um keine - am Maßstab des Art. 8 StGG, des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 EMRK zu messende - Verhaftung handle. Er hat jedoch jeweils ausdrücklich ausgesprochen, dass es sich dabei - anders als etwa beim bloßen Fotografieren, das keinen physischen Zwang beinhaltet (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 1983, B 671/80, Slg 9783) - um eine Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handle. In den anderen beiden im angefochtenen Bescheid zitierten Erkenntnissen hat der Verfassungsgerichtshof lediglich ausgesprochen, dass das als "Maßnahme" bezeichnete Fernhalten einer Person von einer Fahrbahn (Erkenntnis vom 12. Dezember 1988, B 351/87, Slg 11930) bzw. das mit der Durchsuchung eines Fahrzeuges verbundene längere Verweilen an einem Ort (Erkenntnis vom 6. Juni 1980, B 444/79, Slg 8815) keine Verhaftung darstellte.

Zweifellos stellt das von der belangten Behörde festgestellte Ergreifen des Beschwerdeführers an der Schulter und Hinausschieben aus dem Journaldienstraum eine physische Zwangsausübung dar. Da dieser Zwang von einem Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gegenüber dem Beschwerdeführer ausgeübt worden ist, handelt es sich dabei entgegen der Ansicht der belangten Behörde um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Selbst wenn man von den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ausgeht, hätte daher die belangte Behörde die Beschwerde nicht zurückweisen dürfen, sondern den angefochtenen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - umfassend (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1996, Zl. 96/01/0286) - rechtlich zu prüfen gehabt.

Da der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leidet, erübrigt sich ein Eingehen auf die von der Beschwerde gerügte Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Hingegen kann der belangten Behörde daraus, dass sie den angefochtenen Verwaltungsakt nicht (auch) gemäß § 88 Abs. 2 SPG überprüft hat, im Ergebnis kein Vorwurf gemacht werden, weil die Anfechtung eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach dieser Bestimmung (arg. "auf andere Weise") nicht in Betracht kommt. Es sei hinzugefügt, dass der den Beschwerdeführer aus dem Journaldienstraum drängende Beamte nicht im Rahmen der Amtshandlung auf Durchführung eines Alkomattestes und daher auch nicht im Rahmen der Vollziehung der StVO gehandelt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0213).

Das Beschwerdevorbringen, es liege auch eine Verletzung von Richtlinien vor, geht ins Leere, weil mit dem angefochtenen Bescheid nicht über eine "Richtlinienbeschwerde" gemäß § 89 SPG abgesprochen worden ist.

Aus den oben genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das die Pauschalsätze nach der zitierten Verordnung übersteigende Mehrbegehren für den Schriftsatzaufwand sowie das Begehren auf gesonderten Ersatz von Umsatzsteuer, welcher neben dem Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht vorgesehen ist, war abzuweisen.

Wien, am 15. November 2000

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