VfGH B403/82

VfGHB403/8210.3.1984

Art8 StGG; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; Art3 MRK;

zwangsweise Entfernung einer Person aus einem Veranstaltungslokal;

keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit mangels Vorliegen einer Verhaftung; keine erniedrigende Behandlung

Normen

B-VG-Nov 1975
B-VG Art129
B-VG Art130 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art3
MRK Art5
StGG Art8
PersFrSchG
B-VG-Nov 1975
B-VG Art129
B-VG Art130 Abs1 litb
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
MRK Art3
MRK Art5
StGG Art8
PersFrSchG

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. DDr. F S beantragte mit seiner auf Art144 (Abs1) B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 19. Juni 1982 in der Universitätskinderklinik in Wien dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Wien aus der Bibliothek (fort-)trugen, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nämlich im Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm. Art5 MRK) sowie im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Art3 MRK), verletzt worden.

1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Zurückweisung, hilfsweise aber die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Zunächst wurde aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens folgender Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Am 19. Juni 1982 fand in der Bibliothek der Universitätskinkerklinik in Wien eine von der Institutsleitung einberufene Veranstaltung für geladene Gäste statt, in deren Verlauf Oberarzt Dr. F B als Vertreter des Veranstalters zur Hilfeleistung herbeigerufene Sicherheitswachebeamte um ein Einschreiten gegen den Bf. DDr. F S ersuchte, der sich in den Veranstaltungsraum unbefugt Einlaß verschafft habe. Dementsprechend forderten zwei dieser Beamten, und zwar die Inspektoren H D und J Sch, den Bf. zum Verlassen des Saals auf, stießen jedoch auf entschiedene Ablehnung. Daraufhin erfaßten sie DDr. F S unter den Armen, hoben ihn hoch und trugen ihn, sich rasch aus dem Raum entfernend, bis vor die Eingangstür, wo sie ihn sogleich losließen.

2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die einleitend festgestellte zwangsweise Entfernung aus einem Veranstaltungslokal zutrifft.

2.2.2. Demgemäß ist festzuhalten, daß sich die vorliegende Beschwerde gegen einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG wendet.

2.2.3. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde in vollem Umfang zulässig.

2.3.1. Nach der Bestimmung des Art8 StGG, auf die sich der Bf. in erster Linie beruft, ist die Freiheit der Person gewährleistet. Diese Verfassungsnorm und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, schützen jedoch - ebenso wie Art5 MRK - nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980). Eine - nach der konkreten Fallkonstellation allein in Betracht zu ziehende - "Verhaftung" liegt aber nur dann vor, wenn Amtsorgane im Zuge einer Amtshandlung unter Anwendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen entweder überhaupt unterbinden oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, einschränken (VfSlg. 3447/1958, 7149/1973, 7361/1974).

2.3.2. Davon kann hier nicht gesprochen werden, weil die in Beschwerde gezogene Maßnahme der Sicherheitswachebeamten - nach den einleitend getroffenen Sachverhaltsfeststellungen - nur darauf abzielte, den Bf. aus dem Veranstaltungslokal zu entfernen:

Dementsprechend wurde der Bf. zwar am Verbleiben in diesem Raum (zwangsweise) gehindert, aber darüberhinaus in seiner Bewegungfreiheit keineswegs eingeschränkt. Die für die kurze Zeit der allein beabsichtigten Hinausbeförderung - angesichts des Widerstrebens des Bf. - eintretende Bewegungsbehinderung erweist sich bei all dem bloß als notwendige und unvermeidbare - sekundäre - Begleiterscheinung der - primär - auf ein Fernhalten unbefugter Personen gerichteten Amtshandlung, die schon von ihrer Zielsetzung her nicht einer "Verhaftung" gleichgehalten werden kann (vgl. dazu VfSlg. 8815/1980).

2.3.3. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Bf. - entgegen seiner in der Beschwerdeschrift verfochtenen Rechtsauffassung - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm. Art5 MRK) nicht verletzt wurde.

2.4.1. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK), BGBl. 210/1958, die gemäß dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. 59/1964 im Verfassungsrang steht, bestimmt in ihrem Art3, daß niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.

2.4.2. Ein Sicherheitsorgan, das jemanden im Zuge einer Amtshandlung durch - wie vom Bf. behauptet: unzulässigen - Einsatz von Körperkraft zur Befolgung einer Anordnung nötigt, verletzt nicht zwingend die Verfassungsbestimmung des Art3 MRK; vielmehr verstoßen derartige physische Zwangsakte gegen das im Art3 MRK statuierte Verbot "erniedrigender Behandlung" nur dann, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist (VfSlg. 8145/1977, 8146/1977, 8296/1978, 8580/1979, 8654/1979).

2.4.3. Vorliegend treffen diese Voraussetzungen nicht zu. Denn die Art, wie der Bf. auf Verlangen des - ersichtlich das ihm dort zustehende Hausrecht in Anspruch nehmenden - Vertreters des Veranstalters aus dem Veranstaltungslokal befördert wurde, läßt nach der besonderen Lagerung dieses Falles eine gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person, und zwar auch unter voller Berücksichtigung der Darstellung des als Partei vernommenen Bf. selbst ("... ich wurde einfach nur entfernt ..."), nicht erkennen, zumal die angestrebte Entfernung aus dem Veranstaltungsraum den Umständen nach auf schonendere Weise offenbar nicht erreicht werden konnte.

2.4.4. Der Bf. wurde darum auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art3 MRK verletzt.

Hinzuzufügen ist, daß die Prüfung der einfachgesetzlichen Rechtmäßigkeit der bekämpften - nach dem Gesagten keine Vehaftung darstellenden - Amtshandlung nicht in die Kompetenz des VfGH fällt, sondern dem VwGH obliegt (Art129 und 130 Abs1 litb B-VG) und darum in diesem Beschwerdeverfahren unerörtert bleiben muß.

2.5. Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde - da die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsvorschriften nicht entstanden - als unbegründet abzuweisen (Punkt I des Spruches).

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