VfGH B536/84

VfGHB536/844.3.1985

Art8 StGG; Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; zwangsweise Entfernung einer Person aus einem Lokal; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit mangels Vorliegens einer Verhaftung

Art3 MRK; keine erniedrigende Behandlung

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
B-VG Art144 Abs1 / Vollstreckungshandlungen
StGG Art8
MRK Art3
B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
B-VG Art144 Abs1 / Vollstreckungshandlungen
StGG Art8
MRK Art3

 

Spruch:

I. Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Bf. durch den bekämpften Verwaltungsakt in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. I F wendet mit der auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde gegen ihre "von Organen der Sicherheitswache der Bundespolizeidirektion Wien in Wien, W-Straße am 14. Mai 1984 erfolgte gewaltsame Entfernung aus der Geschäftsräumlichkeit top Nr. 1 - 10".

Sie erachtet sich durch diese Maßnahme (die von der Bf. als ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgter Verwaltungsakt gewertet wird) in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf persönliche Freiheit und darauf, nicht einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Sie beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen, in eventu, die Beschwerde dem VwGH abzutreten.

2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin, die Beschwerde abzuweisen und die Bf. zum Ersatz der Verfahrenskosten zu verpflichten.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Aufgrund des - in den hier bedeutsamen Belangen übereinstimmenden - Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Verwaltungsakten nimmt der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Bf. führte in Wien, W-Straße in Räumlichkeiten, die von ihr in Bestand genommen waren, einen Gastgewerbebetrieb.

Am 14. Mai 1984 Vormittag fand aufgrund eines Exekutionsbewilligungsbeschlusses des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien die zwangsweise Räumung des Lokales statt. Nachdem diese abgeschlossen und das Lokal vom Vollstrecker versperrt worden war, drangen etwa 50 Personen, darunter die Bf., in die Räumlichkeiten ein. Als das Wachzimmer Stubenring hievon vom Vollstrecker informiert worden war, begaben sich kurz nach 20.00 Uhr mehrere Sicherheitswachebeamte (SWB) der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien zum Lokal. Ihr Kommandant forderte die (nunmehr etwa 80) Anwesenden auf, das Lokal zu verlassen.

Da dieser Aufforderung nicht alle Angesprochenen nachkamen, sondern sich weigerten, ihr Folge zu leisten, entfernten SWB unter Anwendung von Körperkraft die Widerstrebenden, darunter die Bf. Sie wurde von Beamten erfaßt, aus dem Lokal hinausgetragen, vor dessen Eingang abgesetzt und wieder losgelassen.

2. Zwar sind von einem Vollstrecker getroffene Maßnahmen, deren Grundlage eine gerichtliche Exekutionsbewilligung ist, dem Gericht zuzurechnen und daher als Akte eines Gerichtes nicht nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar (vgl. zB VfSlg. 8134/1976; VfGH 25. November 1983 B527/83). Die hier bekämpfte Maßnahme ist aber - was die Behörde gar nicht bestreitet - der BPD Wien zuzurechnen: Wenngleich das Einschreiten der Polizeiorgane aufgrund einer Information des Vollstreckers erfolgte, ist es nicht als bloße Assistenzleistung anläßlich eines gerichtlichen Exekutionsvorganges zu werten; die Vollstreckung war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen.

Nach der oben zitierten Verfassungsbestimmung erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbar verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen bekämpfbar waren, wie dies für die einleitend festgestellte zwangsweise Entfernung aus einem Lokal zutrifft.

Demgemäß ist festzuhalten, daß sich die vorliegende Beschwerde gegen einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG wendet (vgl. VfGH 10. März 1984 B403/82).

Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde in vollem Umfang zulässig.

3. a) Nach der Bestimmung des Art8 StGG, auf die sich die Bf. in erster Linie beruft, ist die Freiheit der Person gewährleistet. Diese Verfassungsnorm und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1962, schützen jedoch - ebenso wie Art5 MRK - nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980). Eine - nach der konkreten Fallkonstellation allein in Betracht zu ziehende - "Verhaftung" liegt aber nur dann vor, wenn Amtsorgane im Zuge einer Amtshandlung unter Anwendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen entweder überhaupt unterbinden oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, einschränken (VfSlg. 3447/1958, 7149/1973).

Davon kann hier nicht gesprochen werden, weil die in Beschwerde gezogene Maßnahme der SWB - nach den einleitend getroffenen Sachverhaltsfeststellungen - nur darauf abzielte, die Bf. aus dem Lokal zu entfernen: Dementsprechend wurde die Bf. zwar am Verbleiben in diesem Raum (zwangsweise) gehindert, aber darüber hinaus in ihrer Bewegungsfreiheit keineswegs eingeschränkt. Die für die kurze Zeit der allein beabsichtigten Hinausbeförderung - angesichts des Widerstrebens der Bf. - eintretende Bewegungsbehinderung erweist sich bei all dem bloß als notwendige und unvermeidbare - sekundäre - Begleiterscheinung der - primär - auf ein Entfernen unbefugter Personen aus einem Lokal gerichteten Amtshandlung, die schon von ihrer Zielsetzung her nicht einer "Verhaftung" gleichgehalten werden kann (vgl. dazu VfSlg. 8815/1980).

Zusammenfassend ergibt sich, daß die Bf. - entgegen ihrer in der Beschwerdeschrift verfochtenen Rechtsauffassung - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG im Art5 MRK) nicht verletzt wurde (vgl. das einen gleichartigen Sachverhalt betreffende hg. Erk. vom 10. März 1984 B403/82).

4. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK), BGBl. 210/1958, die gemäß dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. 59/1964 im Verfassungsrang steht, bestimmt in ihrem Art3, daß niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.

Ein Sicherheitsorgan, das jemanden im Zuge einer Amtshandlung durch - wie von der Bf. behauptet: unzulässigen - Einsatz von Körperkraft zur Befolgung einer Anordnung nötigt, verletzt nicht schon dadurch die Verfassungsbestimmung des Art3 MRK; vielmehr verstoßen derartige physische Zwangsakte gegen des im Art3 MRK statuierte Verbot "erniedrigender Behandlung" nur dann, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist (VfGH 10. 3. 1984 B403/82 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

Vorliegend treffen diese Voraussetzungen nicht zu. Denn die Art, wie die Bf. aus der Räumlichkeit befördert wurde, läßt nach der besonderen Lagerung dieses Falles eine gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person, und zwar auch unter Berücksichtigung der Darstellung der Beschwerde, nicht erkennen, zumal die angestrebte Entfernung aus dem Lokal den Umständen nach auf schonendere Weise nicht erreicht werden konnte.

Die Bf. wurde also auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art3 MRK verletzt.

Hinzuzufügen ist, daß die Prüfung der einfachgesetzlichen Rechtmäßigkeit der bekämpften - nach dem Gesagten keine Verhaftung darstellenden - Amtshandlung nicht in die Kompetenz des VfGH fällt, sondern dem VwGH obliegt (Art129 und130 Abs1 litb B-VG) und darum in diesem Beschwerdeverfahren unerörtert bleiben muß.

5. Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde - da die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsvorschriften nicht entstanden - als unbegründet abzuweisen und antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten (s. oben II.4. letzter Abs.).

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