VwGH 97/08/0549

VwGH97/08/054920.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in Y, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in Ybbs, Herrengasse 23, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 24. April 1997, Zl. GS5-F-41.492/1-97, betreffend Hilfe zum Lebensunterhalt, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
SHG NÖ 1974 §10;
SHG NÖ 1974 §38 Abs1;
SHG NÖ 1974 §9;
SHV NÖ 1974 §1 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
SHG NÖ 1974 §10;
SHG NÖ 1974 §38 Abs1;
SHG NÖ 1974 §9;
SHV NÖ 1974 §1 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1969 geborene Beschwerdeführer beantragte am 9. Jänner 1997 bei der Bezirkshauptmannschaft Melk u.a. eine monatliche Geldleistung als Hilfe zum Lebensunterhalt und begründete dies in der mit ihm aufgenommenen Niederschrift wie folgt:

"Meine Eltern leben seit ca. 15 Jahren getrennt. Meine Mutter erhält keinen Unterhalt. Sie wohnt gemeinsam mit mir und meinen zwei Geschwistern im Haus meines Vaters. Es ist keine Miete zu zahlen, jedoch die laufenden Kosten und Abgaben trägt meine Mutter. Meine beiden Geschwister studieren. Ich studiere seit 1991 Medizin an der Uni in Wien. Im Wintersemester 1995/96 und Sommersemester 1996 war ich vom Studium beurlaubt, da ich im September 1995 und im Dezember 95 operiert wurde und in der Folge eine Knochenmarksentzündung aufgetreten ist, sodass mir während dieser Zeit die Fortsetzung des Studiums nicht möglich war. Ab dem Wintersemester 96/97 habe ich das Studium wieder fortgesetzt. Bemerken möchte ich noch, dass ich sowie auch mein Bruder an Hypercholesterinämie leiden. Ich kann auch während des Studiums bzw. neben dem Studium durch ein Arbeitseinkommen meinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten, da ich an heriditärer Polyneuropathie leide und deswegen auch schon während meiner Pflichtschulzeit vom Turnen befreit war. Diese Erkrankung wurde ca. 1983 bei mir festgestellt. Ich selbst erhalte noch von meinem Vater eine Unterhaltszahlung von ca. S 2.000,-- monatlich. Darüber verfügt aber meine Mutter, um den Lebensunterhalt für mich im gemeinsamen Haushalt bestreiten zu können. Ich beziehe auch keine anderen finanziellen Unterstützungen. Ich habe mich bei verschiedenen Stellen erkundigt, konnte aber nirgends eine Unterstützung erlangen."

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 20. Februar 1997 wies die Bezirkshauptmannschaft Melk den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, der notwendige Lebensunterhalt des Beschwerdeführers sei durch das Familieneinkommen gesichert. Dieses betrage für den Beschwerdeführer und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen - die Mutter und zwei Geschwister des Beschwerdeführers - S 12.940,10 monatlich, womit "der anzuwendende Sozialhilferichtsatz von S 11.008,-- überschritten" werde.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, sein Einkommen erschöpfe sich in der auf ihn entfallenden Alimentationsleistung von S 2.000,-- monatlich, und es sei ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, neben seinem Studium noch in einem geregelten Arbeitsverhältnis seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde aus, nach § 12 Abs. 3 (gemeint: lit. f) AlVG hätten Studenten keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. "Umgelegt auf das NÖ SHG" bedeute dies, dass "analog dazu" auch die Hilfsbedürftigkeit von Studenten im Sinne der §§ 9 und 10 NÖ SHG (1974) zu verneinen sei. Was den Einsatz der Arbeitskraft des Beschwerdeführers anlange, so könne er seinem Vorbringen nach zwar nicht neben dem Studium arbeiten, er habe aber keine ärztlichen Befunde vorgelegt, aus denen sich seine gänzliche Arbeitsunfähigkeit ergebe. Zum Berufungseinwand, das einzige Einkommen des Beschwerdeführers bestehe in der von ihm erwähnten Alimentationsleistung, werde bemerkt, dass die Eltern des Beschwerdeführers, solange er nicht selbsterhaltungsfähig sei, für ihn sorgepflichtig seien. Es sei festgestellt worden, dass die Mutter des Beschwerdeführers monatlich eine Pension in der Höhe von S 6.940,-- und Alimente in der Höhe von S 6.000,-- (für drei Kinder) erhalte. Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung der NÖ Landesregierung über Sozialhilfen, LGBl. Nr. 9200/1-25, betrage der Richtsatz eines Haushaltsvorstandes S 5.148,--, derjenige eines Familienangehörigen mit Anspruch auf Familienbeihilfe S 1.591,-- und derjenige eines Familienangehörigen ohne Anspruch auf Familienbeihilfe S 2.678,--. Da einer Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 16. April 1997 zufolge die Familienbeihilfe für ein Familienmitglied vorübergehend ruhe, würde der "anzuwendende Sozialhilferichtsatz" nunmehr S 12.095,-- betragen. Das Familieneinkommen von S 12.940-- übersteige auch diesen Betrag, weshalb der Beschwerdeführer auch aus diesem Grund keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt habe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe es verabsäumt, sich mit der Frage seiner Arbeitsfähigkeit auseinander zu setzen, obwohl sein Vorbringen dazu Anlass gegeben hätte. Dem hält die belangte Behörde in der Gegenschrift entgegen, der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsverfahren nie "die Arbeitsunfähigkeit alleine vorgebracht", sondern nur behauptet, dass er nicht "neben dem Studium" einer Arbeit nachgehen könne. Eine Doppelbelastung von Studium und Arbeit sei "wahrscheinlich auch manchen gesunden Menschen nicht zuzumuten".

Dem steht entgegen, dass der Beschwerdeführer - der in der Beschwerde ausdrücklich bestreitet, arbeitsfähig zu sein - schon in der Niederschrift vom 9. Jänner 1997 auf gesundheitliche Probleme hingewiesen hatte und der im angefochtenen Bescheid der Sache nach herangezogene Gesichtspunkt, bei Abbruch des Studiums stünden diese Probleme der Erzielung eines ausreichenden Erwerbseinkommens durch den Beschwerdeführer nicht entgegen, zumindest im erstinstanzlichen Verfahren mit dem Beschwerdeführer nie erörtert wurde. Dies hätte die belangte Behörde daher nachholen müssen, wenn sie sich auf den erwähnten - von der Behörde erster Instanz nicht herangezogenen - Abweisungsgrund stützen wollte (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Seite 1250 f, zitierten Entscheidungen). Im angefochtenen Bescheid wird zwar im Zusammenhang mit dem Wegfall der Familienbeihilfe für ein Familienmitglied eine - in den vorgelegten Akten nicht enthaltene - Stellungnahme des Beschwerdeführers im Rahmen der Einräumung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren erwähnt, im Zusammenhang mit der nunmehrigen Annahme seiner Arbeitsfähigkeit aber nicht behauptet, dass ihm auch dazu das Parteiengehör gewährt und er im Besonderen zur Vorlage der ärztlichen Befunde über seine "gänzliche Arbeitsunfähigkeit" aufgefordert worden wäre. Die belangte Behörde stützt sich in dieser Hinsicht - was der Beschwerdeführer mit Recht beanstandet - nur auf einen Umkehrschluss aus seinem Vorbringen, er sei aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert, neben dem Studium durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ging die belangte Behörde davon aus, dass es darauf ankomme, ob der Beschwerdeführer an Stelle des Studiums - und nicht neben diesem - einer Arbeit nachgehen könne (vgl. dazu schon Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht (1989), Seite 417 ff und 468 ff), so hätte sie dies mit dem Beschwerdeführer erörtern und in ihrer Entscheidung nähere Feststellungen entweder über die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers oder darüber treffen müssen, dass der Beschwerdeführer den Aufforderungen der belangten Behörde zur Mitwirkung bei der Klärung dieser Frage nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen sei. Da der angefochtene Bescheid derartige Ausführungen nicht enthält, vermag ihn der von der belangten Behörde erstmals herangezogene Gesichtspunkt der zur Erzielung eines die Gewährung von Hilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes zur Gänze erübrigenden Einkommens ausreichenden Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers von vornherein nicht zu tragen.

Hinzu kommt noch, dass die belangte Behörde sich mit dem Tatbestandsmerkmal der Weigerung im Sinne des § 38 Abs. 1 NÖ SHG 1974 nicht auseinandergesetzt und offenbar gar nicht bemerkt hat, dass diese - im angefochtenen Bescheid nicht erwähnte - Vorschrift von ihr anzuwenden gewesen wäre.

In Bezug auf die Annahme der belangten Behörde, der sozialhilferechtliche Bedarf des Beschwerdeführers sei - ohne aktenkundigen Hinweis darauf, dass andere Familienmitglieder im Bezug der Sozialhilfe stünden - durch einen Vergleich des Familieneinkommens mit der Summe der im Falle einer Unterstützung der gesamten Familie heranzuziehenden Richtsätze zu ermitteln, steht der angefochtene Bescheid im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Hiezu ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das zum NÖ SHG 1974 ergangene Erkenntnis vom 4. März 1991, Zl. 90/19/0238, und zuletzt etwa auf das zum Salzburger Sozialhilfegesetz ergangene Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 97/08/0510, und die dort zitierten weiteren Erkenntnisse zu verweisen. Statt der von ihr angestellten Vergleichsrechnung hätte die belangte Behörde - ausgehend von der tatsächlichen und nicht einer fiktiven Zahl zu unterstützender Personen - nach dieser Rechtsprechung auf die Höhe der Unterhaltsansprüche des Beschwerdeführers, soweit sich diese leicht durchsetzen ließen, und - falls vorliegend - darüber hinausgehende, nicht rückzahlbare bedarfsmindernde Zuwendungen an ihn abzustellen gehabt. Die mit dem NÖ SHG 2000 eingeführten Vermutungen zum Nachteil Hilfesuchender und sonstigen Verschärfungen der Rechtslage (vgl. im hier gegebenen Zusammenhang etwa § 10 Abs. 5 des neuen Gesetzes) haben im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitraum, über den die belangte Behörde zu entscheiden hatte - außer Betracht zu bleiben.

Insoweit der Beschwerdeführer weder durch eigene Arbeit noch durch die Inanspruchnahme der Leistungen Dritter - im Besonderen also, mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers vorausgesetzt, der ihm gegenüber noch unterhaltspflichtigen Personen - in der Lage gewesen sein sollte, seinen notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, stünde seinem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt der Umstand, dass "Studenten keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung" haben, nicht entgegen. § 12 Abs. 3 lit. f AlVG - eine Bestimmung, zu deren näherem Verständnis etwa auf das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125, verwiesen werden kann - ist auf das NÖ SHG 1974 nämlich ebenso wenig "umzulegen" wie etwa diejenigen Bestimmungen des AlVG, nach denen der Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz die Arbeitsfähigkeit des Arbeitslosen voraussetzt. Auch soweit es - etwa hinsichtlich der Arbeitswilligkeit - sachliche Berührungspunkte gibt, hatte die belangte Behörde bei der Entscheidung über die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht das AlVG, sondern das NÖ SHG 1974, im Besonderen also die von ihr unbeachtet gelassene Vorschrift des § 38 Abs. 1 dieses Gesetzes, anzuwenden.

Der angefochtene Bescheid war daher - unbeschadet der oben aufgezeigten relevanten Mängel des Verfahrens wegen des Prävalierens des der belangten Behörde überdies unterlaufenen Rechtsirrtums - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abzusehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. September 2000

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