VwGH 96/18/0096

VwGH96/18/009613.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der T S, (geb. 29.10.1957), in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Februar 1996, Zl. SD 1625/95, betreffend Ausstellung eines Sichtvermerks, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
FrG 1993 §67 Abs1;
AVG §1;
FrG 1993 §67 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. Februar 1996 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 1995 auf Ausstellung eines Sichtvermerks gemäß § 7 iVm § 6 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, wegen (örtlicher) Unzuständigkeit gemäß § 65 Abs. 1 FrG zurückgewiesen.

Die Antragstellerin sei auf Grund eines von ihr am 27. März 1995 beantragten, vom 1. Mai 1995 bis 29. Juli 1995 gültigen Touristensichtvermerkes am 1. Mai 1995 nach Österreich eingereist. Am 23. Juni 1995 sei bei der Bundespolizeidirektion Wien ein am 21. Juni 1995 eingebrachter Antrag auf Erteilung eines gewöhnlichen Sichtvermerkes (§ 6 Abs. 1 Z. 1 FrG) für die Zeit vom 1. August 1995 bis 3. August 1998 eingelangt. Begründet sei der Antrag damit worden, dass die Beschwerdeführerin Korrespondentin der Zeitung "Christian Messenger" der Kirche der Gemeinde Christi, etabliert in Houston, Texas, in Osteuropa wäre, dass sie keinen Wohnsitz im Inland hätte und eine Aufenthaltsbewilligung nicht benötigte.

Daraufhin sei ein als "Bescheid" betitelter Schriftsatz an die Beschwerdeführerin ergangen, der zwar eine Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, bei dem aber infolge eines Versehens der Spruch zur Gänze gefehlt habe. Die Beschwerdeführerin habe diesen Schriftsatz als Bescheid betrachtet und dagegen eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, die zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch anhängig gewesen sei.

Am 28. Dezember 1995 habe die Beschwerdeführerin einen Devolutionsantrag eingebracht, in dem sie - nach Meinung der belangten Behörde zu Recht - davon ausgehe, dass es sich bei dem besagten Schriftsatz nicht um einen Bescheid handle. Es sei auch tatsächlich innerhalb der im § 73 Abs. 1 AVG vorgesehenen Frist ein Bescheid nicht erlassen worden. Der Devolutionsantrag sei daher zulässig.

Die örtliche Zuständigkeit im Inland richte sich gemäß § 67 Abs. 1 FrG, sofern nichts anderes bestimmt sei, nach dem Wohnsitz des Fremden im Inland, und falls kein solcher errichtet worden sei, nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens. Die Beschwerdeführerin habe auf Grund eines Touristensichtvermerks am 4. Mai 1995 in Wien vorübergehend - ein Wohnsitz habe nicht begründet werden können und sei, wie aus dem Meldezettel hervorgehe, auch nicht begründet worden - Aufenthalt bzw. beim Verein zur Förderung der Gemeinde Christi in Wien Unterkunft genommen. Am 20. Juli 1995 sei die Abmeldung erfolgt. Die Beschwerdeführerin sei nach Rußland zurückgekehrt. Zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens - ein Wohnsitz habe nicht vorgelegen - sei die Bundespolizeidirektion Wien zur Entscheidung nicht mehr örtlich zuständig gewesen. Der Sichtvermerksantrag wäre daher wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen gewesen. Der Zurückweisungsbescheid sei daher nunmehr von der im Devolutionsweg zuständig gewordenen Sicherheitsdirektion für Wien zu erlassen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 1. Juli 1999, Zl. 95/21/0894, klargestellt, dass es sich bei dem im angefochtenen Bescheid (vgl. oben I.1.) genannten "als 'Bescheid' betitelte(n) Schriftsatz" vom 30. Juni 1995, Zl. IV-823.444-FrB/95, betreffend Versagung eines Sichtvermerks, um einen Bescheid gehandelt hat. Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde wurde mit dem genannten Beschluss als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt. Gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG wird auf diese Entscheidung verwiesen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die gegenteilige - eine Säumnis der Bundespolizeidirektion Wien annehmende - Auffassung der belangten Behörde, und ihre darauf gestützte Ansicht, sie sei mit dem oben unter I.1. genannten Devolutionsantrag zur Entscheidung über den besagten Antrag auf Erteilung eines gewöhnlichen Sichtvermerks vom 21. Juni 1995 zuständig geworden, als verfehlt. Da die belangte Behörde somit (funktionell) eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, die ihr in Anbetracht des genannten Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 30. Juni 1995 nicht zukam, hat sie den angefochtenen Bescheid mit (von Amts wegen aufzugreifender) Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belastet.

2. Unbeschadet dessen sei noch Folgendes festgehalten: Gemäß § 67 Abs. 1 FrG richtet sich die örtliche Zuständigkeit (zur Vornahme von Amtshandlungen nach dem FrG im Inland), sofern nichts anderes bestimmt ist, nach dem Wohnsitz des Fremden im Inland, falls kein solcher errichtet ist, nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens. Mit der von der Behörde im Beschwerdefall herangezogenen - subsidiären - Anknüpfung an den inländischen Aufenthalt des Fremden zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens stellt das Gesetz auf den Zeitpunkt des Beginns des jeweiligen behördlichen Verfahrens ab; falls das Verfahren durch einen Antrag des Fremden in Gang gesetzt wird, ist dies der Zeitpunkt des Einlangens dieses Antrags bei der Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. April 1994, Zl. 94/18/0114). Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 1995 am 23. Juni 1995 bei der Bundespolizeidirektion Wien und damit zu einem Zeitpunkt einlangte, als sie in Wien aufhältig war. Vor diesem Hintergrund erweist sich die den Spruch des angefochtenen Bescheides tragende Auffassung der belangten Behörde, dass die Bundespolizeidirektion Wien zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens zur Entscheidung über diesen Antrag örtlich nicht mehr zuständig gewesen sei, als unzutreffend.

3. Der angefochtene Bescheid war nach dem unter II. 1. Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 390,-- (Eingabegebühr S 360,--, Beilagengebühr S 30,--) zu entrichten waren.

Wien, am 13. Oktober 2000

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