VwGH 95/08/0107

VwGH95/08/010720.12.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Y in K, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Pfarrplatz 5/III, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 14. März 1995, Zl. 4/Gau 7022 B, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §33 Abs2;
AlVG 1977 §33 Abs3;
NotstandshilfeV §2 Abs1;
NotstandshilfeV §2 Abs2;
AlVG 1977 §33 Abs2;
AlVG 1977 §33 Abs3;
NotstandshilfeV §2 Abs1;
NotstandshilfeV §2 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog bis zum 17. Oktober 1993 Notstandshilfe, war vom 18. Oktober 1993 bis zum 17. Jänner 1994 in eine Maßnahme nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz eingegliedert und begehrte am 17. Jänner 1994 beim Arbeitsamt Klagenfurt wieder Notstandshilfe.

Mit Bescheid vom 13. April 1994 sprach das Arbeitsamt Klagenfurt - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Beschwerdeführer, in dessen Verlauf auch eine anonyme Anzeige eines "empörten Steuerzahlers" einlangte - aus, die dem Beschwerdeführer gewährte Notstandshilfe werde ab dem 18. Jänner 1994 eingestellt. Diese Entscheidung stützte sich auf die Annahme, der Beschwerdeführer verfüge über ein für seinen Lebensunterhalt durchaus ausreichendes, dem Arbeitsamt verschwiegenes Einkommen, das ihm den Kauf und die Erhaltung einer Liegenschaft und die Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Kinder ermögliche.

Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid - nach Durchführung weiterer Ermittlungen - keine Folge. Die belangte Behörde ging davon aus, der Beschwerdeführer verfüge - entgegen der Annahme der Behörde erster Instanz - über kein dem Arbeitsamt nicht gemeldetes Einkommen. Er habe Ersparnisse in der Türkei aufgelöst, um ein Haus in Klagenfurt zu kaufen, Räumungsvergleiche mit zwei kündigungsgeschützten Mietern abgeschlossen, in denen er ab dem 1. Mai 1994 bis zur Räumung der Wohnungen zum 31. Dezember 1996 auf Mietzinszahlungen verzichtet habe, und eine bereits freie Wohnung in dem von ihm erworbenen Haus seiner Tochter und deren Familie unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Die Räumungsvergleiche mit den beiden kündigungsgeschützten Mietern hätten dem Zweck gedient, das Haus in absehbarer Zeit für den Beschwerdeführer selbst und dessen Familie zu Wohnzwecken benützen zu können, womit die bisherigen Mietaufwendungen des Beschwerdeführers in Zukunft wegfallen sollten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es werde zwar von einem Notstandshilfebezieher im Allgemeinen nicht erwartet, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes Ersparnisse auflöse oder Wertgegenstände veräußere. Wenn allerdings ein Notstandshilfebezieher freiwillig Ersparnisse in beträchtlichem Ausmaß "flüssig mache", stünden nach Maßgabe der flüssig gemachten Beträge ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Wenn diese Beträge in Anlagegüter investiert und nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verwendet würden, so könne dies nicht zu Lasten der Arbeitslosenversicherung gehen. Für die Dauer, für die der flüssig gemachte Betrag zur Abdeckung der ansonsten zustehenden Tagessätze ausgereicht hätte, sei daher keine Notlage anzunehmen. Was den Verzicht auf Mieteinnahmen anlange, so seien die vom Beschwerdeführer dafür ins Treffen geführten Gründe sowohl hinsichtlich des Abschlusses der Räumungsvergleiche als auch hinsichtlich der Verwendung einer der Wohnungen für die Tochter des Beschwerdeführers und deren Familie für die belangte Behörde an sich nachvollziehbar. Von einem Notstandshilfebezieher müsse aber erwartet werden, dass er "vorhandene Einnahmequellen bestmöglich nutzt". Werde auf die Nutzung von vorhandenen leicht realisierbaren Einnahmequellen aus familiären bzw. wirtschaftlichen Erwägungen verzichtet, so könne nicht gesagt werden, dass die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich sei. Der Beschwerdeführer habe zu Beginn des Jahres 1994 Mieteinkünfte erzielt, aus denen sich hochgerechnet und unter Abzug von Betriebsausgaben ein Jahreseinkommen im Sinne des § 5 Abs. 1 Notstandshilfeverordnung von S 73.732,-- bzw. ein tägliches Einkommen von S 202,-- ergebe, welches den fiktiven Anspruch auf Notstandshilfe in der Höhe von S 198,40 knapp übersteige. Rechne man noch den Mietanspruch hinzu, den der Beschwerdeführer seiner Tochter gegenüber an sich hätte, so ergebe sich ein den Anspruch auf Notstandshilfe bei weitem übersteigendes Einkommen. Dies gelte ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seit dem 1. Mai 1994 keine Mieteinkünfte mehr erziele, auch für den Anspruchszeitraum ab dem 1. Juni 1994, weil die Einkünfte, auf die der Beschwerdeführer freiwillig verzichtet habe, weiterhin (jeweils im Folgemonat) auf die Notstandshilfe anzurechnen seien. Ein Anspruch auf Notstandshilfe sei daher auch ohne Einbeziehung der zum Erwerb der Liegenschaft aufgewendeten Ersparnisse in die Prüfung der Notlage zu verneinen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Notstandshilfe ist u.a. nur dann zu gewähren, wenn sich der Arbeitslose in Notlage befindet (§ 33 Abs. 2 AlVG). Notlage liegt vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist (§ 33 Abs. 3 AlVG). Die näheren Voraussetzungen, unter denen dies der Fall ist, sind - nach im Gesetz vorgegebenen Gesichtspunkten - durch Verordnung zu regeln (§ 36 AlVG; die Anknüpfung an § 33 Abs. 4 AlVG in § 36 Abs. 2 AlVG ist seit der Novelle BGBl. Nr. 416/1992 auf § 33 Abs. 3 AlVG zu beziehen).

Auf dieser gesetzlichen Grundlage bestimmt § 2 Abs. 1 der Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, in der geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 388/1989, dass Notlage vorliegt, wenn "das Einkommen des (der) Arbeitslosen und das seines Ehepartners (Lebensgefährten bzw. seiner Lebensgefährtin) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des (der) Arbeitslosen nicht ausreicht". Bei der Beurteilung der Notlage - also der Insuffizienz des Einkommens im zuvor erwähnten Sinn - sind gemäß § 2 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse sowohl des Arbeitslosen als auch bestimmter mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebender Personen zu berücksichtigen, wobei der gemeinsame Haushalt weder durch eine bloß vorübergehende Abwesenheit aufgelöst wird noch dann als aufgelöst gilt, wenn der Arbeitslose die Hausgemeinschaft nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der "Anrechnung des Einkommens" zu entgehen. Die "Anrechnung des Einkommens", das der Arbeitslose selbst "erzielt", regelt § 5 Notstandshilfeverordnung.

Gegenstand der Beurteilung ist bei der Prüfung der Notlage daher das Einkommen. In Bezug auf Unterhaltszahlungen hat der Verwaltungsgerichtshof - zu einer Rechtslage, nach der diese nicht als "Einkommen" zu werten waren - auch schon ausgesprochen, die detaillierte Regelung der Frage, was u.a. bei der Anrechnung auf die Notstandshilfe als "Einkommen" zu werten sei, erlaube in diesem Punkt kein Ausweichen auf die "gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse" (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0554, und vom 21. September 1999, Zl. 99/08/0072). Zum Kauf eines Hauses verwendete Ersparnisse und fiktive Mieteinnahmen, die nicht erzielt werden, sondern nur erzielt werden könnten, sind kein Einkommen des Arbeitslosen. Sie sind in die Prüfung der Frage, ob sich die notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen mit dessen Einkommen befriedigen lassen, daher grundsätzlich nicht einzubeziehen.

Für den Bezug der Notstandshilfe wird vom Arbeitslosen demnach zwar verlangt, dass er - im Wesentlichen wie beim Arbeitslosengeld - bestimmte Voraussetzungen für seine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erfüllt und an den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsmarktservice in der erforderlichen Weise mitwirkt. Die zusätzliche Voraussetzung der Notlage stellt nach der dargestellten Rechtslage aber - zumindest grundsätzlich - nur auf das tatsächliche Einkommen und nicht darauf ab, ob der Arbeitslose durch eine bessere Verwertung seines Vermögens ("bestmögliche Nutzung von Einnahmequellen") überhaupt bzw. höhere Einkünfte erzielen könnte. Gegenteiliges mag anzunehmen sein, wenn der Arbeitslose sich für bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten "nur deshalb" entscheidet, um einer Einkommensanrechnung "zu entgehen" (vgl. - im Zusammenhang mit der Anrechnungsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts - § 2 Abs. 2 letzter Satz Notstandshilfeverordnung; zu einer Abtretungsvereinbarung als mögliches Umgehungsgeschäft das hg. Erkenntnis vom 12. Jänner 1993, Zl. 91/08/0167; zur Vereinbarung einer Ausgleichszahlung gemäß § 94 EheG ohne Überlassung entsprechender Vermögenswerte das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, Zl. 95/08/0133). Davon kann im Fall des Beschwerdeführers nach den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen aber nicht die Rede sein.

Die belangte Behörde konnte dem Beschwerdeführer daher nicht entgegenhalten, er hätte seine Ersparnisse verbrauchen sollen, statt mit ihnen ein Haus zu kaufen, und sie konnte auch die Mieteinnahmen, die er nicht erzielt hatte, nicht auf seinen Anspruch auf Notstandshilfe anrechnen. Dieses Ergebnis ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht unsachlich, weil die Notstandshilfe - insofern wie das Arbeitslosengeld - eine Leistung aus einer das Risiko der Einkommenslosigkeit infolge Verlustes der Beschäftigung deckenden Versicherung ist, die zwar - anders als das Arbeitslosengeld - wegen des Fehlens einer zeitlichen Begrenzung in näher geregelter Weise an die Voraussetzung des Fehlens eines zur Deckung der Lebensbedürfnisse ausreichenden Einkommens gebunden ist, dadurch aber nicht zur bloßen Fürsorge wird (vgl. zur Ablehnung auf den angeblichen Fürsorgecharakter gestützter Überlegungen die zuletzt etwa von Pfeil, DRdA 2000, 360 f, zitierten Literaturstellen und die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1998, VfSlg 15.129, und vom 9. Juni 1999, VfSlg 15.506; aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, Zl. 96/08/0314, mit weiteren Nachweisen). Zwar hat auch der Verwaltungsgerichtshof den Gedanken der Subsidiarität - von der die Bundesregierung in dem zum ersten der erwähnten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes führenden Verfahren zutreffend eingeräumt hat, sie bestünde zum Teil auch beim Arbeitslosengeld - bei der Notstandshilfe wiederholt hervorgehoben (vgl. das Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 89/08/0232, und darauf verweisend die Erkenntnisse vom 12. Jänner 1993, Zl. 91/08/0167, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0189). Sozialhilferechtliche Argumentationsmuster lassen sich dessen ungeachtet aber nicht in stärkerem Maße, als dies in den die Notstandshilfe regelnden Vorschriften Deckung findet, auf diese Versicherungsleistung übertragen (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0108, und ähnlich etwa auch das Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 97/08/0186). Seinen - vor diesem Hintergrund nicht systemwidrigen - Ausdruck findet dies u.a. darin, dass "Notlage" im (sozialhilferechtlichen) Sinn auch des Fehlens ungenützter Möglichkeiten zur Erzielung von Einkünften auf andere Weise als durch die Beendigung der Arbeitslosigkeit nicht zu den Voraussetzungen dieser Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gehört.

Ergänzend ist zur Frage einer Anrechnung fiktiver Einkünfte auf Grund eines ungenutzten Vermögens oder eines Verzichts auf bedarfsmindernde Ansprüche gegen Dritte auf die neuere Rechtsprechung zur Ausgleichszulage und die ihr u.a. zu Grunde liegende Abhandlung von Schrammel zu verweisen (vgl. dazu die Nachweise bei Resch, DRdA 2000, 370 ff, 375 in FN 46). Insoweit im dort gegebenen Zusammenhang - bei einer Leistung mit vergleichsweise stark ausgeprägtem Fürsorgecharakter - nur rechtsmissbräuchliches Verhalten als anspruchsschädlich gilt, verdient dies auch bei der Auslegung der Vorschriften über die Notstandshilfe Beachtung (vgl. zum Sonderproblem des fiktiven Ausgedinges das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 96/08/0274).

Im vorliegenden Fall wäre daher im Zusammenhang mit den von der belangten Behörde erhobenen Umständen nur - unter Bedachtnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Anrechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf die Notstandshilfe (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 16. Juni 1992, Zlen. 91/08/0149, 0150, Slg. Nr. 13.659/A, vom 12. Jänner 1993, Zl. 91/08/0167, vom 16. Februar 1999, Zl. 96/08/0092, und vom 23. Februar 2000, Zl. 98/08/0092) - zu prüfen gewesen, inwieweit die vom Beschwerdeführer zu Beginn des Jahres 1994 noch erzielten Mieteinnahmen nach Vornahme der entsprechenden Abzüge und ohne Hochrechnung auf das ganze Jahr dem Anspruch auf Notstandshilfe für die davon betroffenen Zeiträume entgegenstanden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Dezember 2000

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