VwGH 99/05/0108

VwGH99/05/010828.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Walter Horner und der Christa Horner, beide in Reichenau, vertreten durch Dr. Wilfrid Raffaseder und Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwälte in Freistadt, Hauptplatz 7, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 26. März 1999, Zl. BauR-153090/6-1999/GR/Vi, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Karl Raml und Regina Raml in Ottenschlag 22, 2. Gemeinde Ottenschlag im Mühlkreis, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauO OÖ 1976 §32 Abs2 impl;
BauRallg;
BauTG OÖ 1994 §2 Z24;
VwRallg;
BauO OÖ 1976 §32 Abs2 impl;
BauRallg;
BauTG OÖ 1994 §2 Z24;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 15. April 1998 haben die Beschwerdeführer die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für einen Fahrsilo samt einer überdachten Zufahrt auf Parzelle Nr. 620, KG Ottenschlag, beantragt. Die Erstmitbeteiligten sind Eigentümer der an das zu bebauende Grundstück im Bereich der überdachten Zufahrt angrenzenden Liegenschaft.

Über das Baugesuch wurde mit Kundmachung vom 23. Juni 1998 eine mündliche Verhandlung für den 8. Juli 1998 anberaumt. In der Verhandlung vom 8. Juli 1998 wurde zunächst festgestellt, dass die Lage der Grundgrenze nicht eindeutig sei. Die Verhandlung wurde vertagt. In der am 20. Oktober 1998 fortgesetzten Verhandlung stellte der Verhandlungsleiter fest, dass die betroffene Grundfläche im Flächenwidmungsplan teilweise als Bauland-Dorfgebiet und teilweise als Grünland ausgewiesen sei. Die Widmungsgrenze sei in einem Abstand von ca. 35 m nördlich der Straßenfluchtlinie aus dem Flächenwidmungsplan herausgemessen worden. Ca. die Hälfte des gegenständlichen Zubaues befinde sich im landwirtschaftlich genutzten Grünland. Bei der Baubewilligung handle es sich um eine nachträgliche Baubewilligung für einen seit mehr als 20 Jahren bestehenden überdachten Fahrsilo samt überdachter Zufahrt. Aus dem Grundriss sei eine Länge von 14,10 m + 15,25 m zu entnehmen. Die Außenwand sei in Massivbauweise errichtet und weise außerdem zwei Fensteröffnungen in einem Abstand von mehr als 1 m zur nächsten Nachbargrundgrenze westseitig auf. Der Rückteil mit einer Länge von 14,10 m liege unmittelbar an der Nachbargrenze bzw. sei (verlaufend) mit einem Abstand von 0,10 m situiert. Die nördlich anschließende Außenwand mit 15,25 m weise einen Abstand von 0,10 m bis 3 m zur Grundgrenze auf. Der Fahrsilo weise eine Breite von 4,3 m, die überdachte Zufahrt eine Breite von ca. 8 m auf. Den oberen Abschluss bilde eine Dachabschleppung, wobei die Dachfläche des Hauptgebäudes (Rinderstall) fluchtgleich übernommen worden sei. Eine Dachneigung von 30 Grad sowie eine großflächige harte Deckung sei verwendet worden. Die Traufenhöhe betrage 2 m über dem Gelände.

Die Erstmitbeteiligten hatten eine schriftliche Stellungnahme eingebracht, wonach die Baubehörde in einem anderen Verfahren von einer offenen Bebauung ausgegangen sei. Das beantragte Bauvorhaben befinde sich in keinem geschlossen bebauten Gebiet. Die Nachbarrechte würden verletzt, da der gesetzliche Mindestabstand von 3 m nicht eingehalten werde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 3. November 1998 wurde den Beschwerdeführern die beantragte Baubewilligung erteilt. Die Punkte 1 bis 6 im Gutachten der Verhandlungsschrift vom 8. Juli 1998 und vom 20. Oktober 1998 seien ein wesentlicher Bestandteil des Bescheides und daher einzuhalten. Die Einwendungen der Erstmitbeteiligten wurden als unbegründet abgewiesen bzw. als unzulässig zurückgewiesen. Es handle sich um ein geschlossen bebautes Gebiet gemäß § 2 Pkt. 24 des Oö. Bautechnikgesetzes, daher könne der gesetzliche Mindestabstand von 3 m unterschritten werden.

Die dagegen eingebrachte Berufung der Erstmitbeteiligten hat der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 8. Februar 1999 als unbegründet abgewiesen. Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Erstmitbeteiligten hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Bescheid des Gemeinderates vom 8. Februar 1999 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückverwiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen ausgeführt, zur Frage, ob das Bauvorhaben in einem "geschlossen bebauten Gebiet" gelegen sei oder nicht, sei bereits im Vorfeld des nunmehrigen Baubewilligungsverfahrens am 20. März 1998 ein "Feststellungsverfahren in der Ortschaft Ottenschlag" durchgeführt worden. Im Rahmen dieses Verfahrens, dessen Ergebnis in einer Niederschrift vom 20. März 1998 vorliege, habe der bautechnische Amtssachverständige Ing. P. N. ausgeführt, der Beurteilungsbereich sei auf die östliche Ortschaftshälfte einzuschränken, weil sich die Ortschaft Ottenschlag optisch betrachtet in einen westlichen und einen östlichen Teil gliedere. Es sei eine Zweiteilung der Bebauung in einen östlichen, niedriger gelegenen Teil und in einen westlichen, höher gelegenen Ortsteil festzustellen. Diese Trennung der Siedlungskörper sei in der Natur gut erkennbar, es erfolge eine Eingrenzung des zu beurteilenden Bereiches auf den östlich gelegenen Teil der Ortschaft. Das Angerdorf Ottenschlag sei geprägt durch Dreikanthöfe, die entlang einer Dorfstraße mit platzähnlichem Charakter angeordnet seien. Dahinter seien auf den Grundstücken - mit teilweise großer Längserstreckung - lediglich Wirtschaftsgebäude errichtet worden und es seien fast alle Gebäude von der zentralen Dorfstraße her erschlossen, sodass eine zweite hintere Reihe von Hauptgebäuden fehle. Aus südöstlicher Richtung führe die Wintersdorfer Bezirksstraße in den Ortsteil herein, die optisch eine weitere Unterteilung der Ortschaftshälfte bewirke; die Wintersdorfer Bezirksstraße münde in die nordöstlich vorbeiführende Hirschbacher Bezirksstraße ein. Darauf habe der Sachverständige 14 seiner Ansicht nach wesentliche Hauptgebäude dieses Ortschaftsbereiches mit Bekanntgabe der jeweiligen Abstände zu den Nachbar- und Straßengrundgrenzen angegeben. Die abschließende Beurteilung durch den Sachverständigen habe ergeben, dass bei den Gebäudeabständen auf den Bauflächen Nr. 36, 39/1, 118, 42, 45, 46 und 47 die gesetzlich erforderlichen Mindestabstände nach § 5 Oö. BauTG von mindestens 3 m bzw. einem Drittel der Gebäudehöhe nicht vorhanden oder eingehalten seien. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass in dem zu beurteilenden Bereich bei mehr als der Hälfte der vorhandenen Hauptgebäude die Voraussetzungen für die Bezeichnung als geschlossen bebautes Gebiet gegeben seien. Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang, dass derselbe Amtssachverständige in einem vorangegangenen Verfahren betreffend eine Baubestandsaufnahme beim Rinderstall der Erstmitbeteiligten davon ausgegangen sei, dass auf Grund der Baubestände in der unmittelbaren Umgebung der Ortschaft Ottenschlag von einer offenen Bebauung auszugehen sei, wie dies aus einer im Vorakt aufliegenden Niederschrift vom 12. November 1996 hervorgehe. Der Gesetzesausdruck "außerhalb eines geschlossen bebauten Gebietes" sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht normativ zu verstehen, sondern er umschreibe einen tatsächlichen Zustand. In seinem Erkenntnis vom 18. Jänner 1994, Zl. 93/05/0158, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass der Umstand, dass die Häuser verhältnismäßig eng beieinander stünden und sich die Gebäude überwiegend in der Nähe der Besitzgrundgrenzen befänden, um eine Übereinstimmung mit dem Begriffsinhalt "geschlossen" herbeizuführen, jedenfalls hinsichtlich beider Seiten eines an der Straße gelegenen Hauses erfüllt sein müsse. Hätte der Gesetzgeber die Mindestabstände auch für Gebiete nicht gewollt, in denen die Häuser jeweils nur an einer Seite aneinander gebaut bzw. verhältnismäßig nahe beieinander stehen, so hätte er dies durch eine Wendung wie "außerhalb eines geschlossen oder gekuppelt bebauten Gebietes" klargestellt. Betrachte man nun den im Akt aufliegenden Plan der östlichen Ortschaftshälfte von Ottenschlag, so falle auf, dass einerseits von einem Ortskern keine Rede sein könne. Andererseits stünden sämtliche Häuser, bei denen die gesetzlichen Mindestabstände nicht eingehalten würden, jeweils nur an einer Seite relativ eng an einer Besitzgrundgrenze. Nicht ein einziges der vom Sachverständigen aufgezählten Gebäude befinde sich beiderseits in der Nähe der Besitzgrundgrenzen. Es gäbe auch kein einziges Beispiel einer Verbauung von Besitzgrundgrenze zu Besitzgrundgrenze ohne jeglichen Abstand. Es könne daher vom Vorliegen eines "geschlossen bebauten Gebietes" keine Rede sein. Es erscheine auch die Eingrenzung des Beurteilungsgebietes insofern etwas willkürlich erfolgt, als zur Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage des Vorliegens eines geschlossen bebauten Gebietes auch die scheinbar weniger dicht bebauten Grundstücke westlich des Beurteilungsgebietes heranzuziehen gewesen wären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Bauwerber wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die mitbeteiligte Gemeinde sowie die Erstmitbeteiligten haben in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Z. 24 des Oö. BauTG, LGBl. Nr. 67/1994, ist ein geschlossen bebautes Gebiet ein räumlich zusammenhängendes und abgrenzbares Gebiet, in dem die Hauptgebäude straßenseitig unmittelbar aneinander anschließen oder sich - unbeschadet vereinzelter größerer Abstände oder einzelner unbebauter Flächen - zumindest in einem räumlichen Naheverhältnis zur gemeinsamen Nachbar- oder Bauplatzgrenze befinden, wobei die durch dieses Landesgesetz festgelegten Abstände nicht gegeben sind. Diese erstmals im Gesetz enthaltene Definition des "geschlossen bebauten Gebietes" orientiert sich zwar an der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dem im § 32 Abs. 2 Oö. BO 1976 enthaltenen Tatbestandsmerkmal eines "geschlossen bebauten Gebietes" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1999, Zl. 98/05/0218). Im Gegensatz zur nunmehr vorliegenden Legaldefinition enthielt aber § 32 Abs. 2 Oö. BO 1976 eine solche nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. in seinem Erkenntnis vom 18. Jänner 1994, Zl. 93/05/0158, gestützt auf seine bisherige Rechtsprechung zu § 32 Abs. 2 Oö. BO 1976 ausgeführt, dass unter einem geschlossen bebauten Gebiet ein Gebiet zu verstehen sei, in welchem die Häuser verhältnismäßig eng - wenn auch mit Zwischenräumen - beieinander stehen, insbesondere in Ortskernen, in denen sich die Gebäude überwiegend in der Nähe der Besitzgrundgrenzen befinden.

Der oberösterreichische Landesgesetzgeber hat in seiner Legaldefinition des § 2 Z. 24 Oö. BauTG 1994 die Begriffsbestimmung, die der Verwaltungsgerichtshof dem § 32 Abs. 2 Oö. BO 1976 unterlegt hat, nicht wörtlich übernommen. Es ist ein gradueller Unterschied, ob davon ausgegangen wird, dass Häuser relativ eng - wenn auch mit Zwischenräumen - beieinander stehen und sich die Gebäude überwiegend in der Nähe der Besitzgrundgrenzen befinden, oder ob verlangt wird, dass Gebäude zumindest in einem räumlichen Naheverhältnis zur gemeinsamen Nachbar- oder Bauplatzgrenze errichtet sind, wobei die durch dieses Landesgesetz festgelegten Abstände nicht gegeben sind. Die Judikatur, die der Verwaltungsgerichtshof zum § 32 Abs. 2 Oö. BO 1976 entwickelt hat, kann also nicht undifferenziert auf die neue Rechtslage angewendet werden.

In der Verhandlung vom 20. März 1998 hat der Sachverständige

folgendes Gutachten abgegeben:

"Planunterlagen:

Nachstehende Pläne lagen am heutigen Tag vor:

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