VwGH 98/07/0170

VwGH98/07/017016.12.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Grubner, über die Beschwerde der MH in B, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Vorarlberger Landesregierung vom 30. Juni 1998, Zl. LAS-410-461, betreffend Anteilsrechte an einer Agrargemeinschaft (mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft Altgemeinschaft Rotenbach, vertreten durch den Obmann in Schwarzenberg, Loch 266), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §696;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
FlVfGG §17 Abs2;
FlVfLG Vlbg 1979 §33 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
ABGB §696;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
FlVfGG §17 Abs2;
FlVfLG Vlbg 1979 §33 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf das hg. Erkenntnis vom 13. Mai 1996, 95/07/0092, 0093, verwiesen.

Der Vater der Beschwerdeführerin hat ihr u.a. 3 3/4 Weiderechte und ein Hüttenrecht an der mitbeteiligten Partei des nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (MP) letztwillig hinterlassen. Auf Grund der Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens hatte das Verlassenschaftsgericht mit Schreiben vom 14. Jänner 1994 "gemäß § 33 Abs. 8 FlVG. die behördliche Bewilligung zur Übertragung (u.a. auch dieser Anteilsrechte) entsprechend dem Ergebnis des beiliegenden Abhandlungsprotokolls" bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz (AB) beantragt. Die AB hatte mit Bescheid vom 14. April 1994 der Übertragung dieser Anteilsrechte an der mitbeteiligten Agrargemeinschaft auf die Beschwerdeführerin die behördliche Bewilligung versagt. § 4 Abs. 2 der Satzung der MP bestimme, dass im Erbfalle der Erwerb von Weide- und Hüttenrechten durch die Kinder, Enkelkinder, Ehegatten und Geschwister unbeschränkt möglich sei, wenn diese in den in § 4 Abs. 1 erwähnten Gerichtsbezirken ihren ordentlichen Wohnsitz hätten. Die Beschwerdeführerin habe keinen ordentlichen Wohnsitz im Land Vorarlberg, was einer Bewilligung des Erwerbes der Anteilsrechte durch die Beschwerdeführerin entgegenstehe.

Die gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung war mit Bescheid der belangten Behörde vom 29. September 1994 als unbegründet abgewiesen worden, die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem im Vorerkenntnis vom 13. Mai 1996, 95/07/0092, 0093, als unbegründet abgewiesen. In den Gründen des genannten Erkenntnisses hat der Verwaltungsgerichtshof auf die bestehende Bindung an genehmigte Satzungen verwiesen, welche im konkreten Fall eine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Bewilligungspflicht für den Erwerb agrargemeinschaftlicher Anteile unter den in diesen Satzungen näher umschriebenen Voraussetzungen statuiert; dass die Beschwerdeführerin diesen Voraussetzungen zufolge Fehlens eines ordentlichen Wohnsitzes im Land Vorarlberg nicht entspreche, stehe nicht in Streit.

Mit einem bei der AB am 11. Dezember 1997 eingelangten Antrag vom 10. Dezember 1997 verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass der vom Verwaltungsgerichtshof geprüfte Berufungsbescheid vom 29. September 1994 noch vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft rechtskräftig geworden sei. Nunmehr könne die Beschwerdeführerin allerdings den Schutz des Gemeinschaftsrechtes in Anspruch nehmen, woran der Umstand nichts ändere, dass die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin sei. Es liege ein grenzüberschreitender Sachverhalt im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor, weil es für die in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätige Beschwerdeführerin um den Erwerb einer Liegenschaft in Österreich gehe. Entschiedene Rechtssache könne nicht vorliegen, weil der Berufungsbescheid des ersten Rechtsganges vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zugestellt worden sei. Es hätten die Agrarbehörden den Sachverhalt nunmehr nach Gemeinschaftsrecht neu zu prüfen. Im Lichte des Gemeinschaftsrechtes sei schon das Bestehen einer Bewilligungspflicht für die Eintragung ins Anteilsbuch einer Agrargemeinschaft zu verneinen, wozu noch komme, dass die in den Satzungen der MP enthaltene Wohnsitzklausel als diskriminierend nicht anwendbar sei. Im Anschluss an dieses Vorbringen stellte die Beschwerdeführerin folgende Anträge:

"Es wird daher zu erlassen nachfolgender

SPRUCH:

1. Es wird festgestellt, dass der letzte Halbsatz des § 4 Ziffer 2 Satz 1 des Statuts der (MP) im Fall der (Beschwerdeführerin) unanwendbar, allenfalls nichtig, ist, sodass § 4 Abs. 2 der Satzung der (MP) im Fall der (Beschwerdeführerin) folgenden Wortlaut hat:

Im Erbfalle ist der Erwerb von Weiderechten durch die Kinder, Ehegatten und Geschwister unbeschränkt möglich.

2. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin für den Erwerb der 3 3/4 Weide- und des Hüttenrechts keiner agrarbehördlichen (konstitutiven) Bewilligung bedarf;

3. es wird festgestellt, dass die Antragstellerin als Erwerberin von 3 3/4 Weide- und einem Hüttenrecht in das Anteilsbuch der (MP) einzutragen ist.

In eventu wird

beantragt,

den Erwerb dieser 3 3/4 Weide- und des einen Hüttenrechts

agrarbehördlich zu genehmigen."

Die AB erließ daraufhin am 15. Dezember 1997 einen Bescheid

mit folgendem Spruch:

"Bescheid

Frau (Beschwerdeführerin), vertreten durch ..., beantragt mit Schreiben vom 10.12.1997 die agrarbehördliche Genehmigung zum Erwerb von 3 3/4 Weiderechten und eines Hüttenrechtes an der (MP) von der Verlassenschaft nach dem verstorbenen (Vater der Beschwerdeführerin).

Hierüber ergeht gemäß § 82 Flurverfassungsgesetz (FlVG.), LGBl. Nr. 2/1979, folgender

Spruch:

Der Antrag von (Beschwerdeführerin) auf agrarbehördliche Genehmigung der Übertragung von 3 3/4 Weiderechten und eines Hüttenrechtes an der (MP) von der Verlassenschaft nach dem (Vater der Beschwerdeführerin) wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1991 wegen entschiedener Sache

zurückgewiesen."

Gegen diesen Bescheid, welcher damit begründet wurde, dass sich seit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1996, 95/07/0092, 0093, weder die Sach- noch die Rechtslage geändert habe, erhob die Beschwerdeführerin eine Berufung, in welcher sie den Text ihres Anbringens vom 10. Dezember 1997 wiedergab, auf die mit dem 1. Jänner 1995 in Kraft getretenen Vorschriften des Gemeinschaftsrechtes verwies und ihren oben wiedergegebenen Entscheidungsantrag an die AB als Berufungsantrag an die belangte Behörde wiederholte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung mit der Begründung ab, dass der Gesetzgeber nicht ausgesprochen habe, dass der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sich auch auf Sachverhalte auswirken solle, welche vor dem Beitritt rechtskräftig abgetan worden seien. Zur Aufrollung alter Verfahren zum Zwecke ihrer Neubeurteilung im Lichte der Rechtsnormen des Gemeinschaftsrechtes bestehe keine Möglichkeit. Es habe die AB den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag damit rechtens wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung jedoch mit seinem Beschluss vom 7. Oktober 1998, B 1650/98, abgelehnt und sie über nachträglichen Antrag der Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 11. November 1998 dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten hat. Vor diesem Gerichtshof begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Erklärung, sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten "auf Sachentscheidung, auf Berücksichtigung einer neuen Rechtslage, auf Feststellung der Genehmigungsfreiheit eines Weiderechtserwerbs, auf Genehmigung eines Weiderechtserwerbs, auf Eintragung eines Weiderechtserwerbs im Anteilsbuch, auf Erbrecht nach dem eigenen Vater, auf Privat- und Familienleben, auf Außerachtlassung nichtiger Vorschriften, auf Außerachtlassung nichtiger Vertragsbestimmungen, auf Arbeitnehmerfreizügigkeit, auf Beachtung mehrerer Diskriminierungsverbote, auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung und auf ordnungsgemäße Verfahrensführung" verletzt zu erachten.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die MP hat sich trotz gebotener Gelegenheit am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ob sich das von der Beschwerdeführerin (auch) gestellte Begehren auf agrarbehördliche Genehmigung des Erwerbes der betroffenen Anteilsrechte an der MP im Grunde des § 68 Abs. 1 AVG ohne Rechtsirrtum zurückweisen lässt, wird sich, worin der Beschwerdeführerin beigepflichtet werden muss, nicht auf der Basis der österreichischen Rechtsvorschriften, sondern nur auf jener des Gemeinschaftsrechtes zuverlässig beurteilen lassen. Für die Beurteilung des Vorliegens einer neuen, die Rechtskraftwirkung des im Vorerkenntnis geprüften Bescheides der belangten Behörde vom 29. September 1994 durchbrechenden Rechtslage wird es dabei entscheidend darauf ankommen, ob zum Einen die Gemeinschaftsrechtslage der Beschwerdeführerin einen Anspruch auf Anteilserwerb überhaupt einräumen könnte, ob somit das Gemeinschaftsrecht die Rechtslage über den Erwerb agrarischer Anteilsrechte überhaupt gestaltet, und zum Anderen, ob sich der Vorrang des Gemeinschaftsrechtes auch auf Satzungen von Agrargemeinschaften erstrecken und sowohl die Rechtskraft des solche Satzungen genehmigenden Bescheides als auch die Rechtskraft des individuell konkreten Verwaltungsaktes der belangten Behörde vom 29. September 1994 durchbrechen kann.

Die Lösung dieser Rechtsfragen steht im Beschwerdefall allerdings noch nicht an. Der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des von der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall (auch) gestellten neuerlichen Begehrens auf agrarbehördliche Genehmigung des Anteilserwerbes durch die Beschwerdeführerin steht nach Lage des Beschwerdefalles nämlich verfahrensrechtlich hindernd der Umstand entgegen, dass die AB, was die belangte Behörde nicht erkannt hat, zur Entscheidung über das Genehmigungsbegehren der Beschwerdeführerin funktional noch nicht zuständig geworden war. Die Beschwerdeführerin hat das Begehren auf agrarbehördliche Genehmigung des Anteilserwerbs in ihrem Anbringen vom 10. Dezember 1997 nämlich unmissverständlich nur als Eventualbegehren erhoben und diesem Eventualbegehren drei Hauptbegehren vorangestellt, über welche die AB einen Abspruch unterlassen hat.

Das Wesen eines Eventualantrages liegt daran, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird jedoch eine Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, dann belastet dies eine solche Erledigung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. Oktober 1998, 98/19/0020, 0021 und 0022, vom 22. Dezember 1997, 96/19/2048, vom 25. August 1994, 94/19/0302, und vom 20. Februar 1990, 89/01/0114, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Es hätte die AB im Beschwerdefall dementsprechend zunächst die von der Beschwerdeführerin in ihrem Anbringen vom 10. Dezember 1997 als Primäranträge gestellten Feststellungsbegehren erledigen müssen, die auf Feststellung des Inhaltes einer bestimmten Satzungsbestimmung (Punkt 1.), auf Feststellung der Bewilligungsfreiheit des Anteilserwerbs (Punkt 2.) und auf Feststellung der Verpflichtung der MP zur Eintragung der Beschwerdeführerin als Erwerberin der betroffenen Anteilsrechte (Punkt 3.) gerichtet waren. Erst nach einer allfällig negativen Erledigung der als Hauptanträge gestellten Feststellungsbegehren durch deren Zurückweisung oder Abweisung konnte der AB zu einem Abspruch über den als Eventualbegehren gestellten Genehmigungsantrag die funktionale Zuständigkeit zur Entscheidung erwachsen.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass die Rechtsrichtigkeit der allein über das Eventualbegehren getroffenen Entscheidung der belangten Behörde beurteilt werden konnte.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte der Verwaltungsgerichtshof schon aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand nehmen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1999

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