VwGH 97/19/0255

VwGH97/19/025525.6.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der 1969 geborenen SG in Wiener Neustadt, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in B,

1) gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Dezember 1996, Zl. 120.899/2-III/11/96 (betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheiten des Aufenthaltsgesetzes), sowie 2.) gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Dezember 1996, Zl. 120.899/7-III/11/96 (betreffend Zurückweisung einer Berufung betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), sowie

3.) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Juni 1995, Zl. I/2-AG-95/00213, betreffend Aufenthaltsbewilligung und 4.) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 3. Oktober 1996, Zl. I/2-AG-95/00213, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand,

Normen

AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

1. Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Der zweitangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 3.847,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

II. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde gegen die dritt- und viertangefochtenen Bescheide wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 4. Oktober 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem in Österreich aufhältigen Ehegatten. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Juni 1995, dem drittangefochtenen Bescheid, wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin nach der Aktenlage am 4. Juli 1995 zu eigenen Handen zugestellt. Mit dem nunmehr erstangefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde die gegen diesen Bescheid am 1. April 1996 erhobene Berufung wegen Verspätung zurückgewiesen. Der Bundesminister für Inneres ging davon aus, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 4. Juli 1995 rechtswirksam erfolgt sei und die Berufung erst am 1. April 1996 und daher verspätet eingebracht worden sei.

Im Schriftsatz vom 1. April 1996 hatte die Beschwerdeführerin neben ihrer Berufung auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (in die Frist zur Erhebung der Berufung) begehrt. Dieser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 3. Oktober 1996, dem viertangefochtenen Bescheid, gemäß § 71 AVG nicht stattgegeben. Dieser Bescheid wurde dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin nach Ausweis der Verwaltungsakten am 8. Oktober 1996 zugestellt.

Ein mit 29. Oktober 1996 datiertes Schreiben einer erstmals einschreitenden Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin langte am 31. Oktober 1996 bei der Aufenthaltsbehörde erster Instanz ein und hatte folgenden Wortlaut:

"Betreff: GS, geb. 20.4.1969, H, geb. 12.9.1988, E, geb. 5.10.1989, I, geb. 12.5.1992, G, geb. 30.10.1993 / aufenthaltsrechtliche Angelegenheiten

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!

Ich habe seit dem 29.10.1996 die rechtsfreundliche Vertretung der Herrschaften G, 2700 Wiener Neustadt, B übernommen, da das Vollmachtsverhältnis zu Herrn Dr. L von meinen Mandanten gelöst wurde.

Ich lege, wie gewünscht, eine entsprechende Gehaltsbestätigung des Herren GS in Fotokopie vor.

Weiters darf ich höflichst ersuchen, mir den Stand der Angelegenheit mitzuteilen. Ich danke im Voraus für Ihre Mühewaltung und zeichne

mit vorzüglicher Hochachtung"

Der Bundesminister für Inneres wertete dieses Schreiben der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin als Berufung gegen die Nichtstattgebung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wies mit dem nunmehr zweitangefochtenen Bescheid vom 12. Dezember 1996 die "Berufung" wegen Verspätung gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück.

Gegen die genannten Bescheide des Bundesministers für Inneres und des Landeshauptmannes von Niederösterreich richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der erst- und zweitangefochtenen Bescheide in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG, hinsichtlich der dritt- und viertangefochtenen Bescheide in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a VwGG gebildeten Senat erwogen bzw. beschlossen hat:

1. Zur Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid:

Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung. Die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiter zu leiten.

Die Beschwerdeführerin hatte im Verwaltungsverfahren bereits im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Fall geltend gemacht, der Bescheid erster Instanz sei ihr nicht rechtswirksam zugestellt worden und sie habe nie eine diesbezügliche Hinterlegungsanzeige erhalten. Die belangte Behörde ging im erstangefochtenen Bescheid

Mit Verfügung vom 8. März 1999 wurde der Beschwerdeführerin seitens des Verwaltungsgerichtshofes vorgehalten, dass sich

Der Verwaltungsgerichtshof legt daher seiner weiteren rechtlichen Beurteilung die Aktenlage, insbesondere den mängelfreien Rückschein über die Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides durch die Beschwerdeführerin am 4. Juli 1995 (Aktenseite 45) zu Grunde. Wurde der Beschwerdeführerin aber an diesem Tag der Bescheid der Behörde erster Instanz zugestellt, so erweist sich die Zurückweisung der am 3. April 1996 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Berufung wegen Verspätung als rechtmäßig.

Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2. Zur Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid:

Der Landeshauptmann von Niederösterreich wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (in die versäumte Berufungsfrist) mit Bescheid vom 3. Oktober 1996 ab; dieser Bescheid wurde nach dem diesbezüglich unbedenklichen Ausweis der Verwaltungsakten dem damaligen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 8. Oktober 1996 zugestellt. Das in der obigen Sachverhaltsdarstellung wörtlich wiedergegebene Schreiben der neu einschreitenden Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin vom 29. Oktober 1996 wertete die belangte Behörde als Berufung gegen den Bescheid vom 3. Oktober 1996 und wies diese ebenfalls wegen Verspätung zurück.

Der Beurteilung des Schriftsatzes vom 29. Oktober 1996 als Berufung kann der Verwaltungsgerichtshof nicht folgen. Dem zitierten Schreiben ist nämlich lediglich zu entnehmen, dass die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin anlässlich der Bekanntgabe ihrer Bevollmächtigung eine Gehaltsbestätigung des Gatten der Beschwerdeführerin in Fotokopie vorgelegt und die Behörde ersucht hatte, ihr den - ihr vermutlich nicht bekannten - Stand der Angelegenheit mitzuteilen.

Dass die Rechtsvertreterin von der Existenz des Bescheides vom 3. Oktober 1996 überhaupt wusste, ist dem Schreiben vom 29. Oktober 1996 nicht zu entnehmen; dementsprechend fehlt auch jede Erklärung dahin, diesen Bescheid anzufechten und eine Begründung einer derartigen Anfechtungserklärung. Dem Schriftsatz ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin die Abänderung oder Aufhebung eines Bescheides begehrte und womit sie einen derartigen Standpunkt vertreten wolle.

Mit Verfügung vom 8. März 1999 richtete der Verwaltungsgerichtshof an den (nunmehrigen) Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin auch die Frage, ob neben diesem Schriftsatz am 29. Oktober 1996 ein weiterer, als Berufung anzusehender Schriftsatz an die Aufenthaltsbehörden gerichtet worden sei. Auch diese Frage wurde innerhalb der zur Verfügung stehenden (und um drei Wochen verlängerten) Frist nicht beantwortet. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher vom vorliegenden Akteninhalt, somit davon aus, dass tatsächlich nur der zitierte Schriftsatz vom 29. Oktober 1996 existiert, welcher jedoch - aus den dargelegten Gründen - den Erfordernissen einer Berufung nicht genügt.

Entscheidet eine Behörde über eine Berufung, ohne dass eine solche überhaupt vorliegt, so belastet sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1997, Zl. 95/19/1825). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Behörde über die (nicht vorhandene) Berufung meritorisch entscheidet oder die (nicht vorhandene) Berufung zurückweist, weil beide Entscheidungsarten das Vorliegen einer Berufung voraussetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1999, Zl. 98/19/0274).

Der zweitangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

3. Zur Beschwerde gegen die dritt- und viertangefochtenen Bescheide:

In der Beschwerde werden auch die Bescheide des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Juni 1995 und vom 3. Oktober 1996 angefochten. Der Beschwerde ist ausdrücklich der Antrag zu entnehmen, auch diese Bescheide wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Die Beschwerden gegen diese erstinstanzlichen Bescheide waren aber gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen, weil Gegenstand der Beschwerde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren immer nur ein Bescheid der letzten Instanz sein kann (vgl. u.a. den hg. Beschluss vom 5. Juni 1991, Zl. 90/18/0232, 0277).

4. Der Kostenzuspruch stützt sich jeweils auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 52 leg.cit., in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da die Beschwerdeführerin, die insgesamt vier Bescheide bekämpfte, nur hinsichtlich des zweitangefochtenen Bescheides obsiegte, war ihr ein Viertel des insgesamt von ihr begehrten Kostenersatzes zuzusprechen. Der (hinsichtlich der erst- und zweitangefochtenen Bescheide) belangten Behörde war auf Grund ihres Obsiegens hinsichtlich des erstangefochtenen Bescheides die Hälfte des von ihr insgesamt beantragten Aufwandersatzes zuzusprechen.

Wien, am 25. Juni 1999

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