VwGH 96/18/0438

VwGH96/18/043816.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des KO, (geb. 1.2.1966), in Wien, vertreten durch Dr. Manfred Schlögl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Mai 1996, Zl. SD 190/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §47;
ZPO §292;
AVG §45 Abs2;
AVG §47;
ZPO §292;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Mai 1996 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer sei am 1. Dezember 1988 mit einem gültigen türkischen Reisepass auf dem Luftweg legal nach Österreich eingereist und habe in der Folge einen Asylantrag gestellt. Dort habe er angegeben, dass er bis 1986 Kellner in Bursa und Istanbul, anschließend Infanteriesoldat gewesen wäre und zuletzt auf der Landwirtschaft seines Vaters gearbeitet hätte. In seiner Familie wäre niemand politisch aktiv gewesen. Ebenso wäre auch er nie Mitglied einer politischen Gruppierung gewesen. Die Unterdrückung durch die Militärs in der Türkei wäre aber nicht mehr erträglich gewesen, er wäre von den Militärs wiederholt beschuldigt worden, den Partisanen zuzugehören und die kurdischen Freiheitskämpfer zu unterstützen. Er wäre misshandelt worden und man hätte ihm nahe gelegt, "das Dorf" zu verlassen. Andere Gründe habe er damals nicht angeben können. Während drei seiner Geschwister in Österreich lebten, befänden sich seine Eltern und vier weitere Geschwister nach wie vor in der Türkei. Der Asylantrag sei in beiden Instanzen abgewiesen worden, der diesbezügliche Berufungsbescheid vom 9. Dezember 1992 sei am 21. Dezember 1992 in Rechtskraft erwachsen. Am 4. November 1993 habe der Beschwerdeführer neuerlich beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt, der ebenfalls abgewiesen worden sei; der betreffende Bescheid sei seit 4. Jänner 1994 rechtskräftig.

Im März 1994 habe der Beschwerdeführer ein "angebliches Schreiben der Staatsanwaltschaft Kigi vom 13.08.1993" mit folgendem Text vorgelegt:

"Kemal Orbay, geboren am 01.02.1966, wohnhaft im Dorf Akimli in Kigi, wird wegen Angehörigkeit einer linken Organisation, illegal Flugblätter verteilen und Plakate aufhängen gesucht."

Dieses Schreiben sei mit "Veli Gercek" gezeichnet gewesen. Dieses Schriftstück hätte er über Vermittlung des Ortsvorstehers von Kigi, eines Verwandten von ihm namens "Akimli Köyü", der es ihm zugesandt hätte, erhalten. Dazu neuerlich vernommen habe der Beschwerdeführer angegeben, er wäre Sympathisant der linksorientierten Organisation "Partisan" gewesen. Es handelte sich dabei um keine Partei. Diese Organisation hätte sich zum Ziel gesetzt, sich auszuweiten und im Fall der Vergrößerung eine Partei zu gründen und sich an die Spitze der Regierung zu stellen. Es hätte sich dabei um eine soziale Regierung handeln sollen. Der Beschwerdeführer selbst wäre nicht Mitglied sondern nur Sympathisant dieser Organisation gewesen. Die türkische Regierung wäre jedoch der Meinung, dass er Mitglied dieser Organisation wäre. Auf die Frage, wie der Anführer dieser Organisation geheißen hätte, habe der Beschwerdeführer keine Angaben machen können. Er wüsste lediglich, dass der Gründer "Ibrahim Kalpakaija" gewesen wäre. Diese Organisation wäre im Jahr 1972 gegründet worden und er wäre von 1982 bis 1988 Sympathisant dieser Organisation gewesen. Er wäre im Jahr 1983 und im Jahr 1984 je einmal von der Gendarmerie verhaftet und zwei Tage gefangen gehalten worden. Er wäre auch geschlagen worden. Anschließend wäre er wieder freigelassen und weiterhin verfolgt worden. Dann wäre er eineinhalb Jahre beim Militär gewesen und hätte anschließend versucht, ohne Reisedokument zu flüchten, was ihm nicht gelungen wäre. Im Jahr 1988 hätte er dann einen Reisepass erhalten, weil er den zuständigen Beamten mit Geld bestochen hätte.

Im Wege des Bundesministeriums für Inneres habe durch die österreichische Botschaft in Ankara ermittelt werden können, dass es sich bei dem Schriftstück um eine Fälschung handle und der Name "Veli Gercek" bei der Staatsanwaltschaft Kigi nicht bekannt sei.

Einer im Berufungsverfahren veranlassten persönlichen Vernehmung des Beschwerdeführers zu den Umständen, unter denen er in den Besitz des Schriftstückes gekommen sei, habe sich der Beschwerdeführer nicht unterzogen und lediglich "im Wege seines Rechtsvertreters lapidar behauptet", dass das Schriftstück keine Fälschung wäre, und nun, abweichend von früher, angegeben, dass ihm das Schriftstück durch einen Herrn Yaldizli zugeschickt worden wäre. Dabei sei es dem Beschwerdeführer in Ansehung der erfolgten Ermittlungen aber nicht gelungen, die Echtheit des Schriftstückes glaubhaft zu machen. Schließlich könne das Schriftstück auch vom Inhalt her keine Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, zumal der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der angeblichen Ausstellung bereits seit fünf Jahren nicht mehr in der Türkei gelebt und er selbst nicht behauptet habe, außerhalb der Türkei Anlass für ein Verfahren gegeben zu haben. Eine Vernehmung des in der Türkei lebenden, als Zeugen angebotenen Herrn Yaldizli sei abzulehnen, zumal sich der Beschwerdeführer selbst der Vernehmung nicht unterzogen und daher keine Bereitschaft gezeigt habe, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Schließlich habe der Beschwerdeführer nicht einmal ausgeführt, welchen Sachverhalt der Genannte konkret hätte bezeugen sollen.

Zusammenfassend sei zu sagen, dass öffentliche ausländische Urkunden dann als echt gälten, wenn sie durch das "Bundesministerium für Äußeres" oder durch eine diplomatische oder konsularische Vertretungsbehörde beglaubigt worden seien, und dass die Echtheit in freier Beweiswürdigung von der Behörde zu beurteilen sei, sowie dass im vorliegenden Fall die Stellungnahme der Vertretungsbehörde bzw. des Bundesministeriums für Inneres, aber auch der Inhalt und die sonstigen Umstände gegen die Echtheit der Urkunde sprächen.

Mit den übrigen Aussagen des Beschwerdeführers hätten sich bereits die Asylbehörden eingehend befasst; das Bundesministerium für Inneres sei zum Ergebnis gelangt, dass die vom Beschwerdeführer angeführten Gründe eine Verfolgung im Sinn des Asylgesetzes nicht aufzuzeigen vermöchten.

Der Darstellung, die der Beschwerdeführer am 18. Mai 1994 im vorliegenden Fall gegeben habe, fehle es an Klarheit und Konkretheit und es lasse sich daraus in keiner Weise erkennen, weshalb der Beschwerdeführer, sei es einer Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen, sei es sonst einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe im Fall seiner Rückkehr ausgesetzt sein sollte, sodass auch von daher keine Anhaltspunkte vorlägen, die für die Echtheit der vorgelegten Urkunde sprechen könnten.

Die belangte Behörde sei vorliegend daher zum Ergebnis gelangt, dass keine stichhaltigen Gründe für eine Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG in der Türkei vorlägen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1094, mwH).

2.1. Die Beschwerde wendet gegen den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen ein, die belangte Behörde sei fälschlich zu dem Ergebnis gelangt, dass das vom Beschwerdeführer vorgelegte - oben unter I.1. teilweise wiedergegebene - Schreiben der Staatsanwaltschaft Kigi vom 13. August 1993 nicht echt sei. Die Behörde lasse sich diesbezüglich offenbar von einer unrichtigen Lesart dieses Schriftstückes leiten: Der Namenszug des auf diesem Schriftstück Unterfertigten sei unleserlich, weshalb die Behörde fälschlich angenommen habe, dass dieses Schriftstück von Veli Gercek unterfertigt worden sei. Wenn die belangte Behörde daher "über die österreichische Botschaft in Akara" ermittelt habe, dass der besagte Name "bei der Staatsanwaltschaft Kigi nicht bekannt sei", könne daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass das in Rede stehende Schriftstück nicht echt sei. Weiters könne aus dem äußeren Erscheinungsbild dieses Schriftstückes keine Fälschung erkannt werden, da ein Rundsiegel aufgestempelt sei, "dessen Anfertigung für einen einfachen Urkundenfälscher wohl nicht einfach möglich sein würde".

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde - im Ergebnis - eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass das in Rede stehende Schriftstück das äußere Erscheinungsbild einer ausländischen öffentlichen Urkunde aufweist. Da diese weder vom Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten noch von einer österreichischen Vertretungsbehörde beglaubigt wurde, war die Echtheit dieser Urkunde - wie die belangte Behörde zutreffend festhält (vgl. oben I.1.) - in freier Beweiswürdigung zu beurteilen (vgl. Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts7, 1999, Rz 343).

Nach dem vorgelegten Verwaltungsakt hat die Erstbehörde mit Schreiben vom 9. Juni 1994 das Bundesministerium für Inneres ersucht, festzustellen, ob das besagte Schriftstück der Staatsanwaltschaft Kigi gefälscht sei, und ihr weiters den Strafrahmen für das in diesem Schriftstück vorgeworfene Delikt mitzuteilen (vgl. Aktenblatt 133). Mit Schreiben vom 15. November 1994 teilte das Bundesministerium für Inneres aufgrund dieses Ersuchens der Erstbehörde mit, dass seitens der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde "vertrauliche Erhebungen durchgeführt" worden seien, die ergeben hätten, dass der "die 'Anklageschrift' ausfertigende Schriftführer Veli Gercek bei der Staatsanwaltschaft Kigi nicht bekannt" sei, es sich bei dem genannten Schriftstück "somit um eine Fälschung" handle und "dieser Umstand in den Entscheidungen entsprechend zu berücksichtigen" sei (Aktenblatt 139).

Offenbar auf dieser Grundlage wird im angefochtenen Bescheid festgehalten, es habe im Wege des Bundesministeriums für Inneres durch die besagte Vertretungsbehörde "ermittelt werden" können, dass es sich bei dem besagten Schriftstück um eine Fälschung handle und der genannte Name bei der Staatsanwaltschaft Kigi nicht bekannt sei. Wenn auch im angefochtenen Bescheid weiters "zusammenfassend" festgehalten wird, dass neben diesem Verfahrensergebnis "auch der Inhalt und die sonstigen Umstände gegen die Echtheit" des besagten Schriftstückes sprächen, zeigen der geschilderte Aktenvorgang sowie die Bezugnahme darauf im bekämpften Bescheid, dass das genannte Schreiben des Bundesministeriums für Inneres für die von der Behörde vorgenommene Beweiswürdigung von ausschlaggebender Bedeutung war (wobei es dahinstehen kann, ob dies auf den obzitierten letzten Halbsatz dieses Schreibens zurückzuführen ist).

Die auf dieses Ministerialschreiben gestützte Beweiswürdigung erweist sich aber im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. den Beschluss eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 82/03/0053) als nicht nachvollziehbar und daher als nicht schlüssig. Der Verweis in diesem Schreiben auf "vertrauliche Erhebungen" lässt die nähere Vorgangsweise hiebei völlig im Dunklen; so bleibt u.a. offen, von welcher Stelle die an das Bundesministerium für Inneres im Wege der Amtshilfe (Art. 22 B-VG) von der österreichischen Vertretungsbehörde weiterzuleitende Mitteilung stammt, weshalb nicht einmal nachvollziehbar ist, ob diese Mitteilung von einer Stelle eingeholt wurde, die verlässlich über eine Zugehörigkeit der namentlich genannten Person zu der genannten Staatsanwaltschaft Auskunft zu geben vermochte. Im Übrigen hätte die von der belangten Behörde eingeschlagene Vorgangsweise den Beschwerdeführer, selbst wenn ihm zu den Ermittlungsergebnissen Parteiengehör eingeräumt worden wäre, außerstande gesetzt, diese Ergebnisse zu entkräften.

3. Da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Unterlassen des aufgezeigten Begründungsmangels zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid im Grunde des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Vorliegend kam lediglich der Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes (§ 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG iVm Art. I Abschnitt A Z. 1 der genannten Verordnung) in Betracht, weil dem Beschwerdeführer im Rahmen der Verfahrenshilfe die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Stempelgebühren gewährt wurde und solche vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht entrichtet wurden.

Wien, am 16. April 1999

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