VwGH 95/21/1074

VwGH95/21/107412.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des M B, (geboren am 2. Jänner 1969), in Kirchschlag, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Marienstraße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 8. Mai 1995, Zl. St 147/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 8. Mai 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei somit zulässig.

Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Liberia und habe bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 15. März 1995 angegeben, seine Heimatstadt Coast Rivercess im Bezirk Kru am 10. Februar 1995 verlassen zu haben sowie über Sierra Leone und Slowenien illegal nach Österreich eingereist zu sein. Er wäre in seiner Heimat Prediger des christlichen Glaubens gewesen und hätte am 15. August 1993 mit vier anderen Predigern im Haus seines Vaters eine eigene christliche Glaubensgemeinschaft mit den Namen "New Men in Christ Gospel Ministeries" gegründet. Am 3. Februar 1995 (laut dem in den Verwaltungsakten erliegenden Vernehmungsprotokoll: am 2. Februar 1995) hätte er im Haus seines Vaters gepredigt und anschließend direkt bei den Leuten, indem er von Haus zu Haus gegangen wäre. Er hätte den Leuten gepredigt, sich nicht den jeweiligen Bürgerkriegsparteien anzuschließen und nicht am Bürgerkrieg teilzunehmen, weil keiner sich um die verstümmelten und verwundeten Personen mehr kümmern würde. Er träte dafür ein, dass Gott der einzige Herrscher in Liberia wäre, und spräche sich auch offiziell gegen alle kriegsführenden Parteien aus. Während einer Predigt wäre seine Versammlung von einer ihm nicht bekannten Bürgerkriegspartei beschossen worden. Es hätte sich dabei vermutlich um Soldaten aus dem Norden (Soldaten von Charles Taylor) gehandelt. Im Jahr 1994 wäre die Gruppe des Beschwerdeführers durch Soldaten des Dr. Amos Sawyer dreimal inhaftiert und ihm verboten worden, politisch motivierte Predigten abzuhalten. Er hätte sich jedoch nicht daran gehalten und weiterhin öffentlich gepredigt. Während des Angriffs am 2. Februar 1995 wären einige Personen getötet worden. Dem Beschwerdeführer wäre es jedoch gelungen, zu flüchten und sich zwei Tage lang bei einem Glaubensbruder zu verstecken. Auch hätte er erfahren, dass das Haus seines Vaters von der Polizei der Interimsregierung umstellt worden wäre. Vermutlich hätte man den Beschwerdeführer wegen des Zwischenfalls wiederum festnehmen wollen, wie dies bereits im Jahr 1994 geschehen wäre. Der Glaubensbruder hätte ihm dann mitgeteilt, dass es besser wäre, nicht zurückzukehren, und ihm geraten, in ein 70 Meilen entferntes Camp zu gehen.

Weiters habe der Beschwerdeführer angegeben, in Liberia noch nie gerichtlich verurteilt worden zu sein und weder von der Polizei noch vom Gericht gesucht zu werden. Hinsichtlich seines gemäß § 54 FrG gestellten Antrages habe er auf die im Asylverfahren gemachten Angaben verwiesen. Sein Asylantrag sei im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. März 1995, rechtswirksam erlassen am 4. April 1995, abgewiesen worden.

Nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen des Fremdengesetzes führte die belangte Behörde aus, dass mit dem genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres rechtskräftig festgestellt worden sei, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukäme und er in seinem Heimatland vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sicher wäre. Da sich der Begriff des Flüchtlings mit den Verfolgungsgründen nach § 37 Abs. 2 FrG decke und der Beschwerdeführer in dem dem Asylverfahren folgenden fremdenpolizeilichen Verfahren keine neuen Tatsachen vorgebracht habe, sondern hinsichtlich der Fluchtgründe auf sein Vorbringen im Asylverfahren verwiesen habe, könne davon ausgegangen werden, dass die Verfolgungsgründe nach § 37 Abs. 2 FrG nicht vorlägen.

Die belangte Behörde könne aber auch keine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG feststellen, zumal der Beschwerdeführer in der Berufungsschrift vom 2. Mai 1995 angeführt habe, dass es am 21. Dezember 1994 in Accra zu einem Friedensabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien gekommen wäre. Entgegen seiner Ansicht lägen keine Informationen vor, aus denen der Schluss gezogen werden könnte, dass sich die einzelnen Parteien nicht an dieses Friedensabkommen halten würden. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1994 dreimal inhaftiert und ihm lediglich verboten worden wäre, weiterhin politisch motivierte Predigten abzuhalten, spreche doch eher dafür, dass er nicht im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG gefährdet sei, zumal er weder angegeben habe, während seiner Inhaftierung unmenschlich behandelt worden zu sein, noch ihm in seinem Heimatstaat eine unmenschliche Strafe oder sogar die Todesstrafe drohen würde. Seine Angaben im Asylverfahren, wonach er während einer Versammlung beschossen worden wäre, seien wenig zielführend, zumal er nicht habe angeben können, wer die Schüsse abgegeben hätte, und er lediglich vermutet habe, dass es sich um Soldaten aus dem Norden handelte. Im Übrigen seien seine Angaben durch keine Dokumente belegt. Bedenke man zusätzlich, dass er sich bei seiner Einreise nach Österreich einer "Schlepperorganisation" bedient habe und es sicherlich schon zum Service derartiger Organisationen gehöre, entsprechende Unterlagen bzw. Informationen für die Geschleppten zu beschaffen, so schienen seine Angaben (auch im Licht des bereits geschlossenen Friedensabkommens) wenig glaubwürdig. Möge es auch sein, dass es im Heimatstaat des Beschwerdeführers trotz des bestehenden Friedensabkommens noch vereinzelt zu Auseinandersetzungen komme, so hätten jedoch alle Bewohner seines Heimatlandes in gleicher Weise diese Auswirkungen zu erdulden, sodass die dadurch bedingten Benachteiligungen als keine gegen ihn gerichtete individuelle Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG zu werten sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstösse der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, mwN.)

2.1. Die Beschwerde bekämpft die Beweiswürdigung der belangten Behörde und macht geltend, dass vom Beschwerdeführer die Vorlage von Dokumenten als Beleg für seine Angaben nicht verlangt werden könne, weil er vor seiner Flucht wegen der Gefahr, in seinem Haus festgenommen zu werden, nicht mehr dorthin habe zurückkehren können. Der Hinweis, es gehörte zum Service der Schlepperorganisationen, Papiere zu beschaffen, sei eine bloße Vermutung. Dass gegen den Beschwerdeführer konkrete Verfolgungshandlungen gesetzt worden seien, ergebe sich aus seiner Aussage im Asylverfahren, dass gezielt Schüsse auf die Predigergruppe abgefeuert worden wären und in der Folge auch das von ihm bewohnte Haus umstellt worden wäre.

2.2. Dieses Vorbringen ist zielführend.

Die belangte Behörde hat sich, soweit sie die Voraussetzungen für die Annahme einer Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG beurteilt hat, mit dem Verweis auf den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. März 1995 begnügt, worin festgestellt worden war, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme. Dieser Begründung des angefochtenen Bescheides ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Bescheid vom 31. März 1995 mit hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 96/01/0033, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wurde. Auf die diesbezügliche Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Der angefochtene Bescheid ist daher ebenso mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 1998, Zl. 95/21/0914).

3.1. Weiters rügt die Beschwerde, dass die belangte Behörde sich nicht mit dem Inhalt des Friedensabkommens von Accra auseinandergesetzt habe und nicht auf die Argumente des Beschwerdeführers in der Berufung eingegangen sei. In Liberia seien auf Grund des Bürgerkriegs Recht und Ordnung zusammengebrochen und die Regierungspartei nicht gewillt bzw. außerstande, Verfolgungen und damit zusammenhängende Menschenrechtsverletzungen hintanzuhalten. Das Friedensabkommen von Accra sei nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung in Liberia wiederherzustellen und die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten.

3.2. Auch diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vom 2. Mai 1995 vorgebracht, dass der im Friedensabkommen von Accra am 21. Dezember 1994 vereinbarte Waffenstillstand zu keiner Verbesserung der Situation in Liberia geführt habe und faktisch nicht eingehalten worden sei, was durch Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 6. Jänner 1995 bzw. der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde vom 13. Jänner 1995 bestätigt worden sei (siehe Stellungnahme- schreiben des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten vom 7. Februar 1995 zu FZ 517.124/III.4/95). In der derzeitigen Situation könne daher das Leben eines nach Liberia abgeschobenen Menschen nicht garantiert werden, zumal in keiner Weise ausgeschlossen werden könne, dass Personen des einen Truppenverbandes die abgeschobene Person für ein Mitglied bzw. einen Sympathisanten des jeweils anderen Truppenverbandes hielten. Diese Verdächtigung allein könne in der derzeitigen Situation jedoch bereits lebensbedrohend sein.

Diesem Vorbringen kommt rechtliche Relevanz zu. Führt nämlich eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies bei der Beurteilung gemäß § 54 FrG beachtlich. Wenn die belangte Behörde die Ansicht vertrat, eine Benachteiligung, die alle Bewohner in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angesehen werden, so verkannte sie damit die Rechtslage und belastete insofern den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 95/21/1097.)

Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, sich mit den in der Berufung angeführten Berichten auseinanderzusetzen - was offensichtlich infolge des aufgezeigten Verkennens der Rechtslage unterblieben ist. Angesichts dessen stellt der bloße Hinweis im angefochtenen Bescheid, dass der belangten Behörde keine Informationen vorlägen, aus denen der Schluss gezogen werden könnte, dass sich die einzelnen Parteien nicht an das genannte Friedensabkommen hielten, keine ausreichende Begründung dar. Abgesehen davon lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, dass keine Auswirkungen einer Bürgerkriegssituation mehr zu befürchten seien, hält es doch die belangte Behörde ausdrücklich für möglich, dass es "trotz des bestehenden Friedensabkommens noch vereinzelt zu Auseinandersetzungen kommt".

4. Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid sowohl mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften als auch mit (prävalierender) inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. April 1999

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