VwGH 97/21/0286

VwGH97/21/028612.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der VA (verehelichte B) in Neunkirchen, geboren am 12. Mai 1973, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Jänner 1997, Zl. Fr 4821/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 22. Jänner 1997 wurde auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin, einer jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß sie in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides und nach Zitierung der maßgeblichen fremdengesetzlichen Bestimmungen die Angaben der Beschwerdeführerin im Asylverfahren wieder. Demnach wäre diese seit 1994 mit einer Freundin Mitglied der Organisation "Mutter Theresa" gewesen und hätte seither bei der Verteilung humanitärer Hilfslieferungen an Arme mitgeholfen. Deswegen würde sie seit Februar 1995 von den Behörden gesucht. Am 15. Juni 1995 hätte im Haus ihres Onkels eine Besprechung stattfinden sollen. Ca. zwei Stunden vor dem vereinbarten Termin wären vier Polizisten gekommen und hätten die Beschwerdeführerin und ihre Freundin mitgenommen. Man hätte sie nach dem Onkel gefragt, sie hätte jedoch nicht viel verstanden, weil sie nicht sehr gut serbokroatisch sprechen würde. Nach vier Stunden wäre der Onkel gekommen und hätte den Sachverhalt aufgeklärt. Daraufhin hätte die Beschwerdeführerin "gehen können" und wäre aufgefordert worden, sich am 19. Juni 1995 wieder zu melden. Daraufhin hätte sie sich nach Prishtina begeben und wäre aus Angst, abgeholt zu werden, ausgereist. Außerdem hätte sie ihren Bruder nicht belasten wollen, weil dieser einen Einberufungsbefehl zu erwarten gehabt hätte. Der Onkel hätte ihr geraten, das Land zu verlassen, und zwar wegen eventueller Schwierigkeiten des Bruders, der auf Grund seines Alters einen Einberufungsbefehl bekommen würde. Wäre sie (die Beschwerdeführerin) zu Hause geblieben, hätte man sie vielleicht eingesperrt; man hätte sie gesucht und vielleicht ihren Bruder vorgefunden und zur Armee gebracht.

Der Asylantrag der Beschwerdeführerin sei vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 10. Juli 1995 abgewiesen worden, der dagegen erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 16. November 1995 keine Folge gegeben.

In ihrem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe die Beschwerdeführerin keine über das Asylverfahren hinausgehenden Angaben gemacht. In ihrer Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid habe sie (lediglich) ausgeführt, daß ihr Abschiebungsaufschübe erteilt worden wären und daß sie gegen den negativen Asylbescheid Verwaltungsgerichtshofbeschwerde eingebracht hätte. Außerdem habe sie vorgebracht, daß ihre Gefährdung nicht ausreichend geprüft worden wäre; sie habe auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen verwiesen, die von Repressalien gegen Rückkehrer in den Kosovo sprechen würden; die Menschenrechtslage wäre unverändert schlecht.

Der Behörde sei es auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Demnach sei die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde nach Zusammenfassung der Angaben im Asylverfahren - außer bei der Verteilung von humanitären Hilfsgütern nie politisch tätig gewesen. Ihre Verantwortung, wonach sie von den serbischen Behörden bereits vor dem 15. Juni 1995 gesucht worden wäre, habe sie nicht "darlegen" können. Die (serbische) Behörde hätte sie nach dem Aufenthalt ihres Onkels gefragt und nach dessen Erscheinen wieder entlassen. Die Verantwortung, die Beschwerdeführerin habe das Land verlassen, um ihren Bruder allenfalls vor einer Einberufung zur Armee zu bewahren, erscheine unschlüssig; ebensowenig sei ihre Vermutung "glaubhaft", daß sie im Fall ihrer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "und/oder" wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte für den Fall des Obsiegens Kostenzuspruch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes führt die Beschwerdeführerin in der Beschwerde aus, daß sie als Angehörige der albanischen Volksgruppe moslemischen Glaubens und als Mitglied der Organisation "Mutter Theresa" mehrfach von der serbischen Polizei verfolgt worden sei. Bei Rückkehr nach Jugoslawien wäre sie nicht nur in ihrer Gesundheit, sondern auch in ihrem Leben bedroht. Offensichtlich auf Grund dieser Sachlage habe der Verwaltungsgerichtshof der eingebrachten Beschwerde im Asylverfahren aufschiebende Wirkung zuerkannt. Es dürfe als amtsbekannt vorausgesetzt werden, daß die Menschenrechtssituation im Kosovo äußerst bedenklich sei und daß das allgemeine Vorgehen der Polizei gegen die albanische Mehrheit nicht selten einem Terror gleichkomme; Festnahmen, Mißhandlungen, schwere Verprügelungen, willkürliche Verfolgungen und willkürliche Hausdurchsuchungen seien "nicht selten". Die bloße Verteilung von Hilfslieferungen begründe berechtigterweise und objektiv Verfolgungsängste, dies vor allem im Hinblick auf an der Tagesordnung stehende willkürliche Verfolgungshandlungen gegen die eigene Volksgruppe. Daß im Kosovo Gruppenverfolgungen für albanisch-stämmige Bürger gegeben seien, stelle ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Aachen vom 23. März 1995 fest.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eine Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0977, m.w.N.). Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399).

Wenn die Beschwerdeführerin zunächst darauf hinweist, daß sie in allen Stadien des Verfahrens betont habe, (bis zu ihrer Ausreise) "mehrfach von der serbischen Polizei verfolgt" worden zu sein, so ist das aktenwidrig. Die Beschwerdeführerin hat nämlich (im Asylverfahren) lediglich angegeben, sie sei sich sicher, daß sie seit vier Monaten wegen der Verteilung humanitärer Hilfsgüter von den heimatlichen Behörden gesucht werde; von Verfolgungshandlungen war - darüber hinaus - hingegen nicht die Rede. Einzig in diese Richtung deutbar wäre der Vorfall vom 15. Juni 1995, doch hat sich dieser - jedenfalls bezüglich der Beschwerdeführerin - gemäß ihrem Vorbringen auf ihre Verbringung zum Polizeirevier beschränkt, das sie nach Intervention durch ihren Onkel nach insgesamt vier Stunden wieder habe verlassen dürfen. Eine im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG relevante Verfolgungshandlung kann hierin nicht erblickt werden. Davon ausgehend hat aber auch die darauf gestützte Befürchtung, die Beschwerdeführerin hätte in der Folge vielleicht eingesperrt werden können (so im Asylverfahren) bzw. sie wäre für den Fall ihrer Rückkehr nach Jugoslawien dort in ihrer Gesundheit und in ihrem Leben bedroht (so die Beschwerde), keine hinreichende Grundlage. Daß der Verwaltungsgerichtshof der Beschwerde im Asylverfahren aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, vermag daran nichts zu ändern.

Die Beschwerde ist allerdings insoweit im Recht, als der angefochtene Bescheid außer Acht läßt, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen auch - ergänzend zu ihr individuell bereits widerfahrenen Ereignissen - ausgeführt hat, daß Rückkehrer in den Kosovo albanischer Ethnie Repressalien unterlägen und daß die Menschenrechtslage unverändert schlecht sei. Dabei hat sie auf beiliegende Berichte verwiesen, in denen u.a. - bezogen auf den Zeitraum Jänner bis September 1996 - zwölf Fälle von Tötungen albanisch-stämmiger Personen durch die serbischen Sicherheitskräfte, zwölf Fälle von Verletzungen und 4921 Fälle von Folterungen aufgelistet sind.

Zur Dartuung einer für den Fall der Abschiebung drohenden Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG eignen sich nicht nur gegenüber dem einzelnen gesetzte Verfolgungsmaßnahmen. Eine solche Gefahr kann auch darin begründet sein, daß regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodaß die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (siehe zur vergleichbaren Problematik aus asylrechtlicher Sicht die hg. Erkenntnisse vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0295, vom 22. Juni 1994, Zl. 93/01/0061 und vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0384 und 0385). Vor diesem Hintergrund wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, sich mit den von der Beschwerdeführerin ihrer Berufung beigelegten Unterlagen auseinanderzusetzen. Das hat die belangte Behörde ohne jede Begründung gänzlich unterlassen, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. Februar 1999

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