VwGH 97/19/0575

VwGH97/19/057513.3.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1974 geborenen KK in D, vertreten durch DDr. WS, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Dezember 1996, Zl. 107.628/12-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §10 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs3;
AufG 1992 §3 Abs4 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs2 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs3 idF 1995/351;
AufG 1992 §5 Abs2 idF 1996/201;
AufG 1992 §6 Abs1 idF 1995/351;
AuslBG §2 Abs2;
AVG §56;
B-VG Art130 Abs2;
AufG 1992 §10 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs3;
AufG 1992 §3 Abs4 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §4 Abs2 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs3 idF 1995/351;
AufG 1992 §5 Abs2 idF 1996/201;
AufG 1992 §6 Abs1 idF 1995/351;
AuslBG §2 Abs2;
AVG §56;
B-VG Art130 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 31. März 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck gab sie die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit an.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk namens des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 9. August 1994 gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin erhob am 19. September 1994 Berufung. Darin führte sie aus, sie habe das Antragsformular unvollständig ausgefüllt. Sie sei leibliche Tochter eines schon jahrelang in Österreich aufhältigen Fremden. Sie habe kaum Kontakt und Beziehungen zu ihrer Mutter. Ihre einzige Bezugsperson sei ihr Vater. Sie vertrete daher die Auffassung, daß sie einen Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung habe, bzw. bevorzugt zu berücksichtigen sei.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. April 1995 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 9 Abs. 3 AufG (in der Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995) abgewiesen, weil die für das Bundesland Niederösterreich in der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1995, BGBl. Nr. 1023/1994, festgelegte Höchstzahl von 1700 Bewilligungen erreicht sei und der Beschwerdeführerin ein Rechtsanspruch gemäß § 3 AufG nicht zustehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Dieser hob den angefochtenen Bescheid mit Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0131, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Der Verwaltungsgerichtshof vertrat in diesem Erkenntnis die Rechtsauffassung, ein Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 AufG stehe der Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Volljährigkeit nicht zu. Auch eine besondere Härte im Sinne des § 3 Abs. 3 AufG aF liege nicht vor. Im Hinblick auf die vorliegende konkrete Fallkonstellation sei jedoch die Bescheidfeststellung, die für das Land Niederösterreich festgelegte Höchstzahl von 1700 Bewilligungen sei im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erreicht gewesen, nicht ausreichend begründet.

Mit Note vom 31. Oktober 1996 forderte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin auf, eine gültige Sicherungsbescheinigung, eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein vorzulegen. Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin nicht nach.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Dezember 1996 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 2 AufG dürfe zum Zweck der Ausübung einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn für den Fremden von der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung für die Änderung des Aufenthaltszweckes oder eine gültige Sicherungsbescheinigung oder eine gültige Beschäftigungsbewilligung ausgestellt wurde oder der Fremde eine Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitze. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei "im wesentlichen" damit begründet, daß sie beabsichtige, im Bundesgebiet einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Da sie jedoch keine der in § 5 Abs. 2 AufG genannten ausländerbeschäftigungsrechtlichen Genehmigungen vorgelegt habe, sei die Bewilligung gemäß § 5 Abs. 2 AufG zu versagen gewesen. Selbst wenn die Beschwerdeführerin sich auf mehrere Aufenthaltszwecke gestützt haben sollte, könne dem Antrag kein Erfolg beschieden sein, weil gemäß § 6 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 1 der Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Aufenthaltszwecke und die Form der Aufenthaltsbewilligung, BGBl. Nr. 395/1995, nur ein Aufenthaltszweck angegeben werden dürfe. Dies gelte auch für das Berufungsverfahren. Die öffentlichen Interessen an der Versagung der Bewilligung überwögen die privaten Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 2 AufG in der Fassung des Strukturverbesserungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, lautete:

"(2) Zum Zweck der Aufnahme einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn für den Fremden von der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung für die Änderung des Aufenthaltszwecks oder eine gültige Sicherungsbescheinigung oder eine gültige Beschäftigungsbewilligung ausgestellt wurde oder der Fremde eine Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitzt."

§ 6 Abs. 1 AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 lautete:

"§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. In dem Antrag ist der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes genau anzugeben und glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Der Antragsteller kann den bei der Antragstellung angegebenen Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern."

§ 6 Abs. 1 letzter Satz trat am 20. Mai 1995 in Kraft.

Die Beschwerdeführerin, die schon im Verwaltungsverfahren Einzelsicherungsbescheinigungen mit Geltungsdauer bis 14. Juni 1994 bzw. bis 12. Mai 1995 vorgelegt hatte, vertritt die Rechtsauffassung, der Bestimmung des § 5 Abs. 2 AufG sei schon dadurch Genüge getan, daß (irgendwann) eine Sicherungsbescheinigung für den Fremden ausgestellt wurde. In diesem Zusammenhang legte die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine weitere Einzelsicherungsbescheinigung mit Geltungsdauer bis 28. Juli 1995 vor.

Der Argumentation der Beschwerdeführerin ist jedoch entgegenzuhalten, daß § 5 Abs. 2 AufG die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Ausübung einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG daran knüpft, daß "eine gültige Sicherungsbescheinigung ausgestellt wurde". Das Erfordernis der Gültigkeit der Sicherungsbescheinigung stellt auf den Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde ab. Wurde also eine Sicherungsbescheinigung ausgestellt und ist deren Gültigkeit im Zeitpunkt der Entscheidung der Aufenthaltsbehörde bereits abgelaufen, so ist dem Erfordernis des § 5 Abs. 2 AufG nicht Genüge getan. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde davon ausging, daß ihr die Erteilung einer Bewilligung zum Zweck der Ausübung einer Beschäftigung gemäß § 2 Abs. 2 AuslBG an die Beschwerdeführerin aus dem Grunde des § 5 Abs. 2 AufG verwehrt war.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin nämlich darauf, sich in der Berufung auch auf den Aufenthaltszweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Vater gestützt zu haben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/2134, mit näherer Begründung dargetan hat, war sowohl vor als auch nach Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 bzw. der Verordnung BGBl. Nr. 395/1995 die Geltendmachung mehrerer Aufenthaltszwecke zulässig. Auch der Änderung des Aufenthaltszweckes in einer vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 erhobenen Berufung stand kein Hindernis entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/19/1837). Einer solchen Änderung ist auch die Hinzufügung eines weiteren Aufenthaltszweckes gleichzuhalten. Damit hat sich die Beschwerdeführerin aber auch wirksam auf den Aufenthaltszweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Vater gestützt. Zwar ist nach wie vor davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG, aber auch jene des § 3 Abs. 4 (vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995: Abs. 3) AufG nicht gegeben sind. Der Behörde war es daher verwehrt, im Wege einer gesonderten Ermessensentscheidung gemäß § 3 Abs. 4 AufG eine Bewilligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG dennoch zu erteilen und damit in Ansehung der Bewilligungsdauer die (privilegierende) Bestimmung des § 4 Abs. 3 AufG anzuwenden. Es war ihr jedoch nicht verwehrt, im Wege einer Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG der Beschwerdeführerin auch aus den geltend gemachten familiären Gründen eine Bewilligung zu erteilen (vgl. das zur gleichartigen Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 ergangene hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0291, sowie das zur Frage einer Verlängerung einer Bewilligung nach dem Tatbestand des § 4 Abs. 2 AufG ergangene hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1997, Zl. 96/19/2101).

Ausgehend von ihrer ausdrücklich geäußerten unzutreffenden Rechtsauffassung, es sei lediglich die Geltendmachung eines einzigen Aufenthaltszweckes zulässig, unterließ es die belangte Behörde, das ihr gemäß § 4 Abs. 1 AufG zustehende Ermessen in Ansehung des in der Berufung geltend gemachten weiteren Aufenthaltszweckes auszuüben.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht zuerkannt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 1985, Zl. 83/01/0314).

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