VwGH 97/06/0165

VwGH97/06/016518.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Schrefler-König, über die Beschwerden des J in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, 1. gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 26. Juni 1997, Zl. Ve1-550-2301/1-3, und 2. gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. Juni 1997, Zl. Ve1-550-2301/1-2, jeweils betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. A in S, 2. Gemeinde Seefeld, vertreten durch den Bürgermeister) zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO Tir 1974 §30 Abs4 impl;
BauO Tir 1978 idF 1989/010 impl;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauO Tir 1989 §4 Abs1;
BauO Tir 1989 §56 Abs2;
BauRallg;
VwRallg;
AVG §8;
BauO Tir 1974 §30 Abs4 impl;
BauO Tir 1978 idF 1989/010 impl;
BauO Tir 1989 §30 Abs4;
BauO Tir 1989 §4 Abs1;
BauO Tir 1989 §56 Abs2;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 25.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gemeinde vom 20. April 1976 wurde dem Erstmitbeteiligten die Baubewilligung für einen Hotelaufbau auf seinem bestehenden Hotelgebäude erteilt. Ein Baubewilligungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer nicht zugestellt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt Eigentümer der benachbarten Liegenschaft war. Der Beschwerdeführer erhob am 6. Oktober 1994 Berufung gegen diesen Bescheid und führte darin aus, daß das gesamte Bauverfahren nichtig sei, weil er dem Verfahren nicht zugezogen worden sei. Es seien in diesem Bauverfahren auch unter Ausschluß der Nachbarn Geländekorrekturen und Geländeaufschüttungen erfolgt. Das Vordach im Nordosten des Gebäudes rage in die privatrechtliche Bauverbotszone der M.L. Es seien keine ausreichenden Stellplätze vorhanden. Nachdem der Beschwerdeführer einen Devolutionsantrag gestellt hatte, gab der nunmehr zuständige Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 21. März 1997 dem Devolutionsantrag statt, die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 20. April 1976 wurde abgewiesen. Hinsichtlich der Frage der Schaffung von Stellplätzen räume die Tiroler Bauordnung dem Nachbarn kein Mitspracherecht ein. Zum Vorbringen, das Vordach des Gebäudes rage in eine privatrechtliche Bauverbotszone sei festzustellen, daß es der Baubehörde verwehrt sei, über privatrechtliche Einwendungen abzusprechen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 26. Juni 1997 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 97/06/0165 protokollierte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 4. Juli 1977 wurde dem Erstmitbeteiligten die Baubewilligung für die Abänderung des mit Bescheiden vom 15. Oktober 1975 und vom 20. April 1976 bewilligten Objektes erteilt. Nach dem Abbruch bestehender Gebäudeteile sollte ein Neubau ohne Unterkellerung mit Erd- und drei Obergeschoßen und einem Satteldach errichtet werden, wobei das Erdgeschoß nur teilweise erneuert werde, die drei Obergeschoße zur Gänze.

Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er auf die Nichtigkeit des Bauverfahrens hinwies, weil er diesem nicht zugezogen worden sei. Aufgrund eines Devolutionsantrages hat der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 25. März 1997 dem Devolutionsantrag stattgegeben und die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 4. Juli 1977 abgewiesen. Das Bauvorhaben sei von der Berufungsbehörde aufgrund der zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung geltenden Rechtslage zu beurteilen. Aufgrund von Beschlüssen des Gemeinderates vom 9. September 1996 seien der Flächenwidmungsplan und der Bebauungsplan für diesen Teilbereich geändert worden, wobei diese Beschlüsse vom Amt der Tiroler Landesregierung mit Bescheiden vom 13. Jänner 1997 aufsichtsbehördlich genehmigt worden seien.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 23. Juni 1997, Zl. Ve1-550-2301/1-2, abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 97/06/0166 protokollierte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und in zwei Gegenschriften jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zunächst beschlossen, wegen des sachlichen und personellen Zusammenhanges die Beschwerden zur gemeinsamen Beschlußfassung und Entscheidung zu verbinden.

In der Sache selbst hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der zur hg. Zl. 97/06/0165 protokollierten Beschwerde wird zunächst gerügt, daß das Baugrundstück über keine geeignete Zufahrt verfüge. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß es sich bei der Vorschrift des § 4 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung, derzufolge Grundstücke, auf denen bauliche Anlagen errichtet werden, eine rechtlich gesicherte Verbindung mit einer öffentlichen Verkehrsfläche haben müssen, nicht um eine Regelung handelt, die gemäß § 30 Abs. 4 leg. cit. dem Schutz des Nachbarn dient (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. April 1976, Zl. 664/76, sowie vom 23. Mai 1978, Zl. 148/77). Der Beschwerdefall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzurücken.

In der Beschwerde wird weiters ausgeführt, aufgrund der unzureichenden Zufahrt und mangels ausreichender Stellplätze komme es zu einem erschwerten Zugang für die Feuerwehr, der Beschwerdeführer sei deshalb in subjektiv-öffentlichen Rechten berührt, weil die Bestimmungen des Brandschutzes verletzt würden. Zu diesem bereits in der Vorstellung erhobenen Vorbringen hat die belangte Behörde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei damit präkludiert.

Nun kommt zwar eine Präklusion im Sinne des § 42 AVG schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht unter Androhung dieser Präklusionsfolgen zu einer mündlichen Verhandlung geladen wurde, doch erfolgte die Abweisung der Vorstellung - ungeachtet dessen, ob der Beschwerdeführer die Einwendungen im Berufungsverfahren vorgebracht hat oder nicht - in bezug auf die beiden Vorbringen jedenfalls zu Recht: Weder die Beeinflussung der Verkehrsverhältnisse durch eine geplante Bauführung noch die Verpflichtung zur Herstellung von Abstellplätzen berührt subjektiv-öffentliche Rechte eines Nachbarn (vgl. die bei Hauer, Tiroler Baurecht, 2. Auflage, Seite 178 zu 39 und 40 zitierte hg. Judikatur).

§ 30 Abs. 4 TBO in der seit 1974 im hier maßgeblichen Umfang unveränderten Stammfassung LGBl. Nr. 42/1974 räumt dem Nachbarn ein Mitspracherecht hinsichtlich des Brandschutzes ein, es handelt sich dabei aber um ein Mitspracherecht im Zusammenhang mit Gefährdungen, die von der baulichen Anlage bzw. deren Benützung selbst ausgehen. Daß dies der Fall wäre, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht behauptet. Ein Mitspracherecht dahingehend, daß die Zufahrt für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr gewährleistet sein müßte, wird dem Nachbarn aber nicht eingeräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 96/05/0025, zur in dieser Hinsicht vergleichbaren Niederösterreichischen Bauordnung).

Geländeveränderungen durch Aufschüttung des Bauplatzes waren nicht Gegenstand dieses Baubewilligungsverfahrens, das sich lediglich auf die Aufstockung bezog und keine Änderung des anschließenden Geländes vorsah. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen geht daher ins Leere.

Mit der Rechtsfrage, welche Rechtslage die Berufungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung anzuwenden hat, hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt auseinandergesetzt. Mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, sowie in den Erkenntnissen vom 13. Februar 1986, Zl. 85/06/0122, BauSlg. Nr. 626, vom 23. September 1986, Zl. 86/05/0055, BauSlg. Nr. 760, u.v.a. hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß die Berufungsbehörde im allgemeinen die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides anzuwenden hat. Eine andere Betrachtungsweise ist u.a. dann geboten, wenn in einer Übergangsregelung ausdrücklich anderes bestimmt ist. Das ist hier der Fall:

Die hier anzuwendenden Übergangsbestimmungen des § 56 Abs. 2 TBO in der Fassung der 3. Bauordnungsnovelle LGBl. Nr. 10/1989 bestimmen, daß Bauverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits eine Entscheidung der Behörde erster Instanz erlassen worden ist, nach den bisher geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen sind. Alle anderen Verfahren sind nach den Bestimmungen dieses Gesetzes durchzuführen. Nach dem letzten, erst durch die 3. Bauordnungsnovelle eingefügten Satz dieser Bestimmung ist der Entscheidung über ein Rechtsmittel eines übergangenen Nachbarn die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gegenüber dem Bauwerber zugrunde zu legen.

Zur Rechtslage vor der genannten Novelle hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Februar 1990, Zl. 88/06/0187, unter Verweis auf seine Vorjudikatur ausgesprochen, daß die Übergangsregelung des § 56 Abs. 2 TBO nicht für Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes gelte.

Aufgrund der durch die 3. Bauordnungsnovelle erfolgten Ergänzung des § 56 Abs. 2 TBO ist nunmehr geregelt, welche Rechtslage im Falle eines übergangenen Nachbarn anzuwenden ist. Wegen der Verwendung des Begriffes "Rechtslage", der jedenfalls umfassender ist als die Wortfolge "nach den bisher geltenden Bestimmungen", ist nunmehr allgemein angeordnet, daß in einem Fall wie dem beschwerdegegenständlichen jener Flächenwidmungsplan und jene Bebauungsgrundlagen zu berücksichtigen sind, die im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide gegenüber dem Bauwerber in Geltung standen.

Der Gemeinderat hätte demnach nicht den aufgrund von Beschlüssen des Gemeiderates vom 9. September 1996 geänderten Flächenwidmungs- und Bebauungsplan seiner Entscheidung zugrunde zu legen gehabt, sondern die im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 20. April 1976 geltenden Bebauungsbestimmungen einschließlich der in diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen der Tiroler Bauordnung. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sich ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

In der zur hg. Zl. 97/06/0166 protokollierten Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer sein Vorbringen hinsichtlich Zufahrt, Stellplätzen sowie der Zufahrt von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr. Diesbezüglich ist auf die oben angeführte Begründung zur hg. Zl. 97/06/0165 zu verweisen. Auch das der Beschwerde zur Zl. 97/06/0166 zugrundeliegende Bauvorhaben sieht weder Aufschüttungen am Bauplatz noch Niveauveränderungen vor, sodaß das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ins Leere gehen mußte, da ein Baubewilligungsverfahren immer projektbezogen ist.

Hinsichtlich der Ausführung zur Anwendung des neuen, im Zeitpunkt des Berufungsbescheides geltenden Bebauungsplanes ist auf das oben Gesagte zur hg. Zl. 97/06/0165 zu verweisen.

Da sich somit auch dieser Bescheid als rechtswidrig erweist, waren beide Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da im pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer enthalten ist und weder die Zuerkennung einer Verbindungsgebühr noch eines Streitgenossenzuschlages vorgesehen ist.

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