VwGH 97/05/0066

VwGH97/05/006629.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde 1. der CF,

  1. 2. des Dipl.-Ing. AP, 3. der ES, 4. des Dr. KB, 5. des Mag. MJ,
  2. 6. des Dr. GG, 7. des EG, 8. des Dr. GA, 9. des WH, 10. des Dr. NK, 11. des Dr. KM, 12. des Dr. WS, 13. des Univ.Doz. Dr. GH, 14. des Dr. RK, 15. des Dr. AA, 16. des Dr. MS, 17. des Mag. JM, 18. der BE und 19. des HG, alle vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in E, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. November 1996, Zl. UVS-04/A/40/00350/96 und weiter Zahlen betreffend die Abweisung von Wiedereinsetzungsanträgen und die Zurückweisung von Berufungen in Bezug auf baurechtliche Verwaltungsübertretungen (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aufgrund der Beschwerden und der diesen angeschlossenen Bescheiden ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Mit Straferkenntnissen des Magistrates der Stadt Wien vom 4. April 1996 wurde den Beschwerdeführern zur Last gelegt, sie hätten es als Bauwerber der auf der Liegenschaft in Wien 4., M-Gasse 11, EZ n1, KG Wieden, befindlichen Baulichkeit zu verantworten, daß in der Zeit vom 31. März 1994 bis 18. April 1994 insofern bauliche Anlagen ohne die erforderliche baubehördliche Bewilligung errichtet worden seien, als Arbeiten zur Verstärkung der Fundamente im Bereich der Mittelmauer des Gebäudes an der Front M-Gasse ausgeführt worden seien, wodurch es schließlich am 18. April 1994 nach Mitternacht in diesem Bereich der Mittelmauer zu einem Grundbruch gekommen sei und dadurch in diesem Gebäudeteil die Mittelmauer und sämtliche Geschoßdecken auf einer Frontlänge von ca. 20 m eingestürzt seien. Wegen dieser Verwaltungsübertretung seien über die Beschwerdeführer jeweils eine Geldstrafe von S 20.000,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen verhängt worden. Diese Straferkenntnisse seien nach den Angaben in den Beschwerden am 10. Mai 1996 entsprechend den in den erstinstanzlichen Akten einliegenden Rückscheinen im Postwege an die Beschwerdeführer an der näher angegebene Adresse zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 17. Juni 1996 (bei der Behörde erster Instanz eingelangt am 18. Juni 1996) stellten die Beschwerdeführer in einer gemeinsamen Eingabe einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG sowie einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 71 Abs. 6 AVG und erhoben gleichzeitig jeweils Berufung gegen die ergangenen Straferkenntnisse. Unbestritten wurde im Antrag auf Wiedereinsetzung nach der Anführung des Datums der Zustellung der Straferkenntnisse an die Beschwerdeführer (als Einschreiter bezeichnet) folgendes ausgeführt:

"In Ansehung der Einschreiter ist die Berufungsfrist indes abgelaufen, was auf ein Versehen der rechtsfreundlichen Vertretung der Einschreiter zurückzuführen ist; der rechtsfreundliche Vertreter der Einschreiter, Rechtsanwalt Dr. J, erhielt von der Firma I-Ges.m.b.H., welche Firma im bisherigen Verfahren gegen die Einschreiter Bevollmächtigter war, am 13. Mai 1996 den Auftrag Berufung gegen den Bescheid vom 4.4.1996 einzulgen.

Bescheinigung: beigeschlossenes Schreiben der I-Ges.m.b.H. vom 13.5.1996.

Diesem Schreiben waren die Straferkenntnisse des Magistrates der Stadt Wien NICHT beigeschlossen. Aus diesem Grund wurde von den im Sekretariat beschäftigten Personen kein Fristvormerk zur Evidenzhaltung der Berufungsfrist im großen Kanzleikalender eingetragen.

Dem bevollmächtigten Anwalt RA Dr. J fiel in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der fristgerechten Einlegung der Berufung nicht auf, weil das Schreiben vom 13.5.1996 der I-Ges.m.b.H. in der Kanzlei für einige Tage in Verstoß geraten ist; nämlich zeitgleich, und zwar am 13.5.1996 wurde die Berufung für Dr. CB vom 10.5.1996 zur Post gegeben, sodaß es geschehen konnte, daß das Schriftstück der I-Ges.m.b.H. vom 13.5.1996 nicht sogleich in den Handakt des Vertreters eingelegt wurde und wegen der äußeren Form dieses Schriftstückes für das Personal des Vertreters die Notwendigkeit eines Fristvormerkes nicht erkannt wurde.

Zusammengefaßt ist die Fristversäumung auf eine Kombination mehrerer Ursachen zurückzuführen: Einerseits im Unterlassen der Übermittlung der Bescheide durch die Firma I-Ges.m.b.H. und andererseits dadurch ausgelöst im Unterlassen eines Fristvormerkes im Terminvormerkungskalender der Kanzlei.

Die Fristversäumnis wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter der Einschreiter Rechtsanwalt Dr. J am 13.6.1996 gewärtig. Mit Telefaxschreiben vom 12.6.1996 ersucht nämlich die Hausverwaltung, I-Ges.m.b.H., um Übersendung der weiters eingebrachten Berufungen, was eine Nachschau ausgelöst hat.

Bei der daraufhin begonnenen Suche nach den Bescheiden, wurde das Schreiben vom 13.5.1996 der I-Ges.m.b.H. entdeckt. Mit diesem Zeitpunkt ist das Hindernis, welches der rechtzeitigen Einlegung der Berufung entgegenstand, weggefallen, sodaß der gegenständliche Antrag fristgerecht eingebracht erscheint.

Das Verhalten von RA Dr. J bzw. seinem Sekretariat kann noch als leichter Grad des Versehens beurteilt werden, weil die angestellten Kanzleikräfte ansonsten zuverlässig Rechtsmittelfristen im großen Kanzleikalender in Evidenz nehmen. Daß der drohende Ablauf der Rechtsmittelfrist bei Lektüre des Schreibens der Firma I-Ges.m.b.H. vom 13.5.1996 der rechtsfreundlichen Vertretung des Einschreiters nicht sogleich aufgefallen ist, ist darauf zurückzuführen, daß dieses Schreiben einige Tage, der genaue Zeitpunkt kann nicht mehr eruiert werden, in Verstoß geraten ist; in diesem Zusammenhang spielt eine Rolle, daß wegen des Hauseinsturzes des Hauses K-Gasse 12/M-Gasse 11 eine zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem Bauführer droht und in diesem Zusammenhang weitwendige tatsächliche und rechtliche Recherchen angestrengt wurden. Aus diesem Grund ist das vorliegende Aktenmaterial bereits äußerst umfangreich, sodaß schon wegen der äußeren Form der Mitteilung der Firma I-Ges.m.b.H. vom 13.5.1996 die drohende Fristversäumnis nicht unbedingt auffallen mußte.

Bescheinigung: Schreiben der Firma I-Ges.m.b.H. vom 12.6.1996;

RA Dr. J in E, als Zeuge, dessen Einvernahme im Rechtshilfeweg vor der Bezirkshauptmannschaft erfolgen wolle."

Diesem Schriftsatz sei folgendes Schreiben der I-Ges.m.b.H. beigelegen:

"Betrifft: Miteigentümergemeinschaft

1040 Wien, K-Gasse 12

Sehr geehrter Herr Dr. J

Ergänzend zu unserem Schreiben vom 2. Mai 1996 teilen wir Ihnen höflich mit, daß zwischenzeitig die Zustellung von 19 weiteren Straferkenntnissen an unsere Gesellschaft erfolgt ist:

Zustellung am 9. Mai 1996

Dr. AA Dr. MS

Dr. GG Dr. KB

ES HG

Zustellung am 10. Mai 1996

Dr. GH Dr. RK

EG Dr. GA

CF Mag. MJ

BE Mag. JM

D.-I. AP Dr. KM

Dr. WS Dr. NK

WH

Es ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß Herrn Univ. Prof. Dr. GH mit Kaufvertrag vom 21.2.1994 seine Miteigentumsanteile an Herrn RH veräußert hat.

Wir ersuchen Sie höflich um fristgerechte Erhebung von Rechtsmitteln, stehen jederzeit zur Verfügung, falls Sie weitere Unterlagen oder Informationen benötigen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

I-Ges.m.b.H.

RH

Geschäftsführer"

In den den Wiedereinsetzungsanträgen angeschlossenen Berufungen sei von den Beschwerdeführern bestätigt worden, daß ihnen das Straferkenntnis am 10. Mai 1996 zugestellt worden sei.

Mit Bescheiden des Magistrates der Stadt Wien vom 25. Juni 1996 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Hinblick auf diese Anträge abgewiesen.

Die dagegen von den Beschwerdeführern erhobenen Berufungen wurden von der belangten Behörde mit den angefochtenen Bescheiden gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und die erstinstanzlichen Bescheide jeweils bestätigt (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurden die jeweils mit den Wiedereinsetzungsanträgen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer in der Verwaltungsstrafsache zurückgewiesen. In allen Bescheiden wird zunächst festgestellt, daß die Berufungsfrist gegen die von den Beschwerdeführern angefochtenen erstinstanzlichen Bescheide unbestritten bereits abgelaufen sei. Zu der Frage, ob dem Parteienvertreter an der Versäumung der Berufungsfrist nur ein minderer Grad des Versehens treffe, wird in den Bescheiden betreffend die Erstbis Sechstbeschwerdeführer ausgeführt, daß die wiedergegebene Antragsbegründung ergebe, daß das Kanzleipersonal die Fristen betreffend Einlangen der Schriftstücke evident zu halten und in den Kalender einzutragen habe, noch bevor der Rechtsanwalt von den einzelnen Schriftstücken Kenntnis erlange. Daß dem Kanzleipersonal dabei ein relativ großer Handlungsspielraum zukomme, ergebe sich daraus, daß der Vertreter der Beschwerdeführer den logischen Grund für die unterbliebende Information seiner Person über den gegenständlichen Berufungsantrag in der Tatsache sehe, daß der Auftraggeber die Straferkenntnisse nicht beigeschlossen und das Kanzleipersonal daher nicht die weiteren nötigen Veranlassungen getroffen habe. Damit zeige sich aber ganz deutlich, daß die Bediensteten der Kanzlei des Berufungswerbervertreters die Aufgabe wahrnähmen, einlangende Schriftstücke einer ersten Diversifikation zu unterziehen und nach entsprechender Beurteilung Fristen hiefür vorzumerken, ohne daß sämtliche einlangende Schriftstücke zuerst dem Rechtsanwalt vorgelegt würden. Damit stellten diese Tätigkeiten aber keine ausschließlich "manipulativ-technische Tätigkeiten" im Sinne des Berufungsbegehrens dar, sodaß der Vertreter der Beschwerdeführer unzutreffenderweise die Rechtsansicht vertrete, daß ihn diesbezüglich keine Kontrollpflicht treffe.

Wenn der Vertreter der Beschwerdeführer seine eigene Darstellung des Wiedereinsetzungsantrages in seiner Berufung dahingehend abzuändern versuche, daß er die Ursache seiner Säumnis nun nicht (mehr) in der vorgenommenen selektivierenden Tätigkeit seines Personals, sondern ausschließlich in der unterlassenen sofortigen Vorlage des Auftragsschreibens darzulegen versuche, sei in Würdigung dieser Divergenz (auch in Entsprechung der höchstgerichtlichen Judikatur) doch davon auszugehen, daß den diesbezüglichen Ausführungen im ersten Schriftsatz mehr Glaubwürdigkeit zukomme, seien diese doch noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse verfaßt worden. Jedenfalls aber bleibe eine Partei an die im Wiedereinsetzungsantrag angeführten Wiedereinsetzungsgründe gebunden, weshalb eine Auswechslung dieses Grundes im Berufungsverfahren nicht zulässig sei. Den Vertreter der Beschwerdeführer habe eine Überwachungspflicht gegenüber seinen Bediensteten getroffen, weshalb die angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes den Beschwerdeführern nicht zum Erfolg verhelfen könnten. Die verwiesenen Erkenntnisse hätten demgegenüber die Kontrolle von Kanzleibediensteten bei rein technischen Vorgängen, und zwar beim Abfertigen von vom Rechtsanwalt verfaßten, bereits kontrollierten und auch schon unterfertigten Schriftstücken betroffen. Zu der Frage, wie das Versehen des Vertreters der Beschwerdeführer zu bewerten sei, wird zunächst auf drei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juli 1995, Zl. 95/02/0168, vom 6. Oktober 1994, Zl. 93/16/0075, und vom 28. Juni 1994, Zl. 94/05/0111, verwiesen. Nach dieser Judikatur sei für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Anwalt selbst verantwortlich. Der Rechtsanwalt selbst habe die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender entweder selbst auszuführen oder im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen.

In der Folge wird auf die Passage im Schreiben der angeführten Gesellschaft an den Vertreter der Beschwerdeführer vom 13. Mai 1996 verwiesen, in dem dem Vertreter der Beschwerdeführer mitgeteilt worden sei, daß zwischenzeitig die Zustellung von 19 weiteren Straferkenntnissen an die Gesellschaft erfolgt sei. Es werde daher um fristgerechte Erhebung von Rechtsmitteln ersucht. Daß ein solches Schreiben mit umfassender und deutlich herauslesbarer Beauftragung nicht sofort dem Rechtsanwalt weitergeleitet worden sei und der Vertreter die logische Ursache für die Nichtweiterleitung bzw. unterbliebene Fristvormerkung seitens seiner Kanzleibediensteten ernsthaft im Fehlen der angeschlossenen Straferkenntnisse erblicke, erweise schon für sich, daß es in der Kanzlei offenbar an den essentiellen Vorkehrungen mangle, um vorhersehbare Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen im Sinne der angeführten höchstgerichtlichen Judikatur auszuschließen. Insbesondere wäre der Kanzleibetrieb dergestalt einzurichten, daß dem Beschwerdevertreter tatsächlich sämtliche Poststücke zukommen, was nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sogar "Leerkuverts" einschließe, somit erst recht Auftragsschreiben, denen keine Straferkenntnisse angeschlossen seien. Wenn nun aber, wie in den gegenständlichen Fällen, durch die Vorwegselektion der Poststücke und selbständige Fristvormerkung durch das Kanzleipersonal geradezu herausgefordert werde, daß der Rechtsanwalt nicht alle Schriftstücke zu Gesicht bekomme, so "liege auf der Hand, daß den Vertreter eine entsprechende Überwachungspflicht trifft". Da der Beschwerdevertreter die Einhaltung der ihn treffenden diesbezüglichen Überwachungspflicht nicht behauptet, sondern sogar im Gegenteil deren Notwendigkeit hinsichtlich der in Rede stehenden Tätigkeiten seiner Kanzleibediensteten negiert habe, treffe ihn ein nicht bloß minderer, sondern erheblicher Verschuldensgrad.

In den angefochtenen Bescheiden betreffend die Siebt- bis Zwölftbeschwerdeführer wird nach Anführung der bereits erwähnten Passage des Schreibens der angeführten Gesellschaft vom 13. Mai 1996 ausgeführt, aufgrund dieser Urkunde könne die einzige Schlußfolgerung nur lauten, daß ein sorgsamer Rechtsanwalt dieses Schreiben sofort zum Anlaß genommen hätte, um die notwendigen Unterlagen zur exakten Rechtsmittelfristbestimmung anzufordern und umgehend die richtige Fristsetzung im Kanzleikalender vorzunehmen. Da aber, wie die Siebt- bis Zwölftbeschwerdeführer in ihren Wiedereinsetzungsanträgen vorgebracht hätten, das relevante Schriftstück lediglich von nicht weiter bestimmten, im Sekretariat beschäftigten Personen nach Eingang manipuliert worden und da diese entsprechend eigenem Vorbringen des Beschwerdevertreters nicht ausreichend rechtskundig gewesen seien, habe auch nicht der diesem Schriftstück innewohnende Hinweis auf die Existenz von 19 weiteren Berufungsfristen wahrgenommen und daher auch diesen nicht durch die entsprechenden Eintragungen Rechnung getragen werden können, weshalb es zur Fristversäumnis gekommen sei.

Betreffend die unterschiedliche Darstellung des Wiedereinsetzungsgrundes im Antrag und in der Berufung wird in diesen Bescheiden ausgeführt, daß der geltend gemachte technische Einlege- und Vorlagefehler nur als eine Konsequenz der im Wiedereinsetzungsantrag ausdrücklich angeführten Unterlassung des Fristvermerkes durch die "im Sekretariat beschäftigten Personen" angesehen werden könne. Daher sei im Hinblick auf die in der Berufung leicht abgewandelte Darstellung des Sachverhaltes hinsichtlich des Säumnisgrundes davon auszugehen, daß das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag als früherem Vorbringen mehr Wahrheitsgehalt als dem späteren Vorbringen in den Berufungen zukomme. Die Fristversäumnis falle somit nach der angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in die alleinige Verantwortung des Rechtsanwaltes, da dieser es unterlassen habe, seine Kanzlei derart zu organisieren, daß sämtliche eingehenden Schriftstücke von ihm oder einem seiner rechtskundigen Rechtsanwaltskanzleikollegen auf mögliche Fristen überprüft würden und diese umgehend zur Eintragung gelangten. Es handle sich somit nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdevertreters in den vorliegenden Fällen nicht um ein rein technisch manipulatives Versehen, sondern um einen grundlegenden Mangel in der Gestaltung der Ablauforganisation der Kanzlei, da in von den Beschwerdeführern zugestandener Weise der Einlauf von nicht dafür qualifiziertem Personal nach Fristen gesichtet werde. Da es sich dabei um die Handhabung des Einlaufes und nicht, wie bei den in der Berufung zitierten Entscheidungen, um die Handhabung des Auslaufes einer Rechtsanwaltskanzlei handle, sei die Berufung abzuweisen gewesen.

In den von den Dreizehnt- bis Neunzehntbeschwerdeführern angefochtenen Bescheiden wird überdies festgestellt, das Vorbringen der Beschwerdeführer lasse eindeutig erkennen, die Kanzlei des Vertreters sei derart organisiert, daß einlangende Post von den im Sekretariat beschäftgten Personen auf Fristen hin untersucht, von diesen die Fristvermerke vorgenommen würden und wichtige (vorzulegende) von unwichtiger Post getrennt würde. Dies zeige sich insbesondere in den zitierten Ausführungen ("daß das Verhalten von Rechtsanwalt Dr. J ... bzw. seinem Sekretariat noch als leichter Grad des Versehens beurteilt werden kann, weil die angestellten Kanzleikräfte ansonsten zuverlässig Rechtsmittelfristen im großen Kanzleikalender in Evidenz nehmen"). Überdies wird in diesen Bescheiden ausgeführt, daß die Anträge auf Wiedereinsetzung selbst dann keinen Erfolg haben könnten, wenn man die Angaben in den Berufungen hinsichtlich der Organisation der Kanzlei als Präzisierung des ursprünglichen Wiedereinsetzungsantrages ansähe. Der Vertreter der Beschwerdeführer vertrete auf Seite 5 der Berufungsanträge die Auffassung, für einen Rechtsanwalt sei es generell nicht möglich, die Öffnung jener Poststücke, die weder RSa- bzw. RSb-Briefe noch eingeschriebene Postschriftstücke seien, in eigener Person zu veranlassen und die betreffenden Akten herauszusuchen. Bei diesen manipulativen Tätigkeiten müsse sich der Rechtsanwalt auf sein Personal verlassen können. Ein Kanzleibetrieb habe jedoch derart organisiert zu sein, daß die Möglichkeit der Verlegung von Schriftstücken in Akten oder die Nichtvorlage von Akten nicht gegeben sei, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen habe. Es werde überhaupt nicht dargelegt, in welcher Weise der Vertreter der Beschwerdeführer die Kanzlei organisiert habe, sodaß ein Inverstoßgeraten von Poststücken auszuschließen sei. Der Vertreter der Beschwerdeführer habe nicht angeführt, wie er im besonderen Fall die Überwachungspflicht vorgenommen habe bzw. daß er das Bestehen einer solchen Pflicht überhaupt erkannt hätte. Er sei jedoch auch dazu nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet.

In den dagegen erhobenen Beschwerden wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG sowie in dem Recht nicht entgegen § 135 Abs. 1 Bauordnung für Wien bestraft zu werden, verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist u.a. gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. zu bewilligen, wenn

  1. "1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten ... und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft".

Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die belangte Behörde gehe ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und ohne Beweisaufnahme zum Nachteil der Beschwerdeführer davon aus, daß der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer am 13. Mai 1996 von der Existenz der Straferkenntnisse "positive Kenntnis" erlangt habe, obwohl im Wiedereinsetzungsantrag sowie in der Berufung ausdrücklich vorgebracht und unter Beweis gestellt worden sei, daß das Schreiben vom 13. Mai 1996 in der Kanzlei des Rechtsvertreters in Verstoß geraten und erst aufgetaucht sei, als die Hausverwaltung mit Schreiben vom 12. Juni 1996 die Übersendung der Berufungen gefordert habe. Die belangte Behörde habe damit gegen ihre Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit gemäß § 37 ff AVG verstoßen.

Zu diesem Vorbringen genügt es festzustellen, daß die angefochtenen Bescheide eine derartige Sachverhaltsfeststellung nicht enthalten. Es wird zum Schreiben der angeführten Gesellschaft vom 13. Mai 1996 einerseits in den angefochtenen Bescheiden der Erst- bis Siebtbeschwerdeführer ausgeführt, daß die Nichtweiterleitung eines solchen Schreibens, das eine umfassende und deutlich herauszulesende Beauftragung enthalten habe, und der Umstand, daß der Vertreter der Beschwerdeführer die Ursache für die Nichtweiterleitung bzw. das Unterbleiben der Fristvormerkung seitens seiner Kanzleibediensteten im Fehlen der in dem Schreiben erwähnten Straferkenntnisse erblickte, schon zeige, daß es in der Kanzlei an essentiellen Vorkehrungen gegen vorhersehbare Unzulänglichkeiten mangle. Andererseits wird in den übrigen Bescheiden dazu festgestellt, daß ein Rechtsanwalt dieses Schreiben sofort zum Anlaß genommen hätte, um die notwendigen Unterlagen zur exakten Bestimmung der Rechtsmittelfrist anzufordern und um umgehend die richtige Fristsetzung im Kanzleikalender vorzunehmen. Es handelt sich dabei bereits um rechtliche Erwägungen und nicht um eine Sachverhaltsfeststellung.

Weiters wenden sich die Beschwerdeführer dagegen, daß es nach Auffassung der Behörden in der Kanzleiorganisation eines anwaltlichen Vertreters nicht vorkommen dürfe, daß einfache, nicht zu persönlichen Handen zugestellte Schreiben in Verstoß geraten könnten. Damit werde unterstellt, daß die Kanzleiorganisation des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer nicht so ausgestaltet sei, daß die Vorlage von Schriftstücken und somit die Einhaltung von Terminen verläßlich sichergestellt sei. Auch hinsichtlich dieser Behauptungen hätte die belangte Behörde nach einem Ermittlungsverfahren konkrete Tatsachenfeststellungen treffen müssen, die von den Beschwerdeführern vorgebracht und auch unter Beweis gestellt worden seien. So hätte die belangte Behörde konkret die Feststellung treffen müssen, daß die Organisation der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer dergestalt sei, daß einlangende Schriftstücke zuerst von der dafür zuständigen Kanzleikraft geöffnet und auf zu vermerkende Termine überprüft würden, danach in den entsprechenden Handakt eingelegt und dem Rechtsanwalt vorgelegt würden. Sämtliche Schriftstücke würden sodann vom Rechtsanwalt nochmals hinsichtlich der Fristenevidenz kontrolliert und erst dann einer weiteren Bearbeitung zugeführt. Gerade diese Feststellung habe die belangte Behörde aber nicht getroffen. Insbesondere sei die Zeugeneinvernahme des Vertreters unterlassen worden.

Zu diesem Vorbringen ist zunächst klarzustellen, daß sich die belangte Behörde lediglich in den angefochtenen Bescheiden betreffend die Dreizehnt- bis Neunzehntbeschwerdeführer für den Fall, daß man von den Angaben in der Berufung ausginge, auf die hg. Judikatur maßgeblich berufen hat, nach der ein Kanzleibetrieb eines Rechtsvertreters derart zu organisieren ist, daß die Möglichkeit der Verlegung von Schriftstücken in anderen Akten nicht gegeben ist, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018). Das entscheidende Argument in diesem Zusammenhang war, daß der Beschwerdevertreter in keiner Weise dargelegt habe, in welcher Weise im Sinne des angeführten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 91/10/0018 die Kanzlei organisiert sei, sodaß ein Inverstoßgeraten von Poststücken auszuschließen sei. Die belangte Behörde hat dazu kein Ermittlungsverfahren durchführen müssen, weil sämtliche Wiedereinsetzungsgründe (einschließlich der Darlegung der gebotenen Überwachungspflicht eines Rechtsvertreters über sein Kanzleipersonal) im fristgerecht gestellten Wiedereinsetzungsantrag enthalten sein müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Dezember 1985, Zl. 85/18/0347). Vom Vertreter des Beschwerdeführers selbst wird nicht behauptet, daß er im Wiedereinsetzungsantrag ein solches Vorbringen erstattet hätte. Abgesehen davon stünde dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführer in der Beschwerde das vom Verwaltungsgerichtshof im Falle eines mängelfreien Verwaltungsverfahrens aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen.

Die übrigen angefochtenen Bescheide berufen sich auf eine mangelnde Überwachungspflicht des Rechtsvertreters im Hinblick darauf, daß - wie sich dies aus dem Wiedereinsetzungantrag ergibt - die Poststücke in der Kanzlei des Vertreters der Beschwerdeführer selektiert und selbständig Fristen vorgemerkt werden. Im Hinblick auf diese sich aus dem Wiedereinsetzungsantrag ergebende Vorgangsweise hätte der Beschwerdeführervertreter im Antrag auch darzulegen gehabt, welches Kontrollsystem in bezug auf Fristvormerkungen durch sein Kanzleipersonal gehandhabt wird. Auch eine derartige Darlegung erfolgte in den Wiedereinsetzunganträgen nicht.

Den Ausführungen in den Beschwerden, es liege nur ein minderer Grad des Versehens der Beschwerdeführer an der Versäumung der Berufungsfrist vor, ist entgegenzuhalten, daß nach der hg. Judikatur (vgl. das Erkenntnis vom 28. Juli 1995, Zl. 95/02/0168) für die richtige Berechnung der Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt selbst verantwortlich ist. Der Rechtsanwalt hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender entweder selbst auszuführen oder im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 26. April 1976, Slg. Nr. 9040/A). Die Organisation eines Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes ist daher so einzurichten, daß insbesondere die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch eine entsprechende Kontrolle unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1994, Zlen. 93/16/0075, 0076). Das Versehen eines Kanzleibediensteten stellt immer nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Rechtsvertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Juni 1992, Zl. 92/09/0043, und vom 6. Oktober 1994, Zl. 93/16/0075). Im Wiedereinsetzungsantrag ist das von einem Rechtsvertreter gehandhabte Kontrollsystem darzulegen. Es muß weiters auch begründet werden, daß der Rechtsvertreter seine Überwachungspflicht tatsächlich gehandhabt habe und nur im vorliegenden Fall die an sich ausgeübte Überwachungspflicht nicht zur Aufdeckung der Fehlleistung geführt habe (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zlen. 93/16/0075, 0076). Die in den angefochtenen Bescheiden nahezu vollständig zitierten Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführer enthalten keine derartigen Ausführungen über das beim Vertreter der Beschwerdeführer gehandhabte Kontrollsystem. Ein derartiges Kontrollsystem muß auch Kontrollen in Bezug darauf vorsehen, ob dem Rechtsanwalt auch immer tatsächlich alle eingehenden Poststücke vorgelegt werden. Auch diesbezüglich enthält der Wiedereinsetzungsantrag nichts. Angemerkt wird, daß auch das in den Beschwerden nunmehr geschilderte Kontrollsystem, nach dem sämtliche einlangenden Schriftstücke dem Rechtsvertreter zur Kontrolle und Fristüberprüfung vorzulegen seien, keine Kontrolle dahingehend aufzeigt, daß dem Rechtsvertreter auch tatsächlich sämtliche Eingangsstücke vorgelegt werden. Es ist der belangten Behörde Recht zu geben, daß es sich bei der Administrierung des Einlaufes in der dargestellten Art nicht um rein manipulative Tätigkeiten, wie etwa beim Abfertigen von Briefstücken einer Rechtsanwaltskanzlei, handelt.

Ein minderer Grad des Versehens der Partei liegt im Falle einer leichten Fahrlässigkeit vor, wenn also ein Fehler begangen wird, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen, als an Rechtsunkundige oder bisher noch nie an Verfahren beteiligte Personen (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zlen. 93/16/0075, 93/16/0076). Die belangte Behörde ist in den vorliegenden Beschwerdefällen zutreffend davon ausgegangen, daß mangels Einhaltung der gebotenen Überwachungspflicht durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführer von einem nicht bloß minderen Grad des Versehens bei der Versäumung der Berufungsfristen auszugehen ist.

Da bereits der Inhalt der Beschwerden erkennen läßt, daß die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, waren die Beschwerden gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Auf die Anträge der Beschwerdeführer, den Beschwerden aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, war daher nicht mehr einzugehen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte