VwGH 93/16/0075

VwGH93/16/00756.10.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerden des Dr. P, Rechtsanwalt in B, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 10. März 1993, Zlen. 197/1-6/92 und 198-6/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (i.A. Grunderwerbsteuer und Rechtsgebühr), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 9.130,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 20. Jänner 1992 gegen die Versäumung der Berufungsfrist in den mit rechtskräftigen Bescheiden des Finanzamtes für Gebühren und Verkehrsteuern in Klagenfurt vom 13. Dezember 1991 (zugestellt am 17. Dezember 1991) betreffend Grunderwerbsteuer

(hg. Zl. 93/16/0075) und Rechtsgebühr (hg. Zl. 93/16/0076) entschiedenen Abgabenverfahren die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte im wesentlichen vor:

"Mit heutigem Tage, sohin dem angeführten Fälligkeitstag für beide Zahlungen, wurde ich, Wiedereinsetzungs- und Berufungswerber von meinen Kanzleiangestellten Frau E und Frau Z auf den Fälligkeitstag aufmerksam gemacht; es wurde jedoch aus einem Irrtum der beiden Angestellten heraus unterlassen, für beide Bescheide die Rechtsmittelfrist, welche 3 Tage vor dem Fälligkeitstag ablief, sohin am 17. Jänner 1992, mich aufmerksam zu machen. Auch eine Eintragung im Fristenbuch unter den wahrzunehmenden Fristen wurde in der offensichtlich irrtümlichen Annahme unterlassen, gegen die beiden Bescheide sei sohin kein Rechtsmittel zu verfassen. Wie sich im folgenden darstellen läßt, war diese Rechtsmeinung meiner beiden ansonsten sehr verlässlichen für die Führung der Termine und Fristen verantwortlichen Angestellten irrig; diese hatten lediglich die rechnerische Richtigkeit der Bescheide überprüft und hatten dabei keinen Mangel festgestellt. So konnte es geschehen, daß die in beiden Verträgen genannten Bedingungen, welche dort ausdrücklich als Geschäftsgrundlage dargestellt werden, übersehen wurden."

In der gegen die den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweisenden Bescheide mit einem Schriftsatz erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend:

"Wie schon im Wiedereinsetzungsantrag vom 20.1.1992 ausgeführt, haben meine Mitarbeiterinnen Frau E und Frau Z lediglich den Fälligkeitstag für die Überweisungen im Terminkalender eingetragen, nicht aber die Rechtsmittelfristen; die beiden Angestellten haben in Eigenverantwortung aufgrund einer irrigen rechtlichen Ansicht, es sei gegen die Vorschreibungen kein Rechtsmittel einzubringen, lediglich die Fälligkeiten eingetragen, was der sonstigen Übung in meiner Anwaltskanzlei, wo ständig auch die Rechtsmittelfristen eingetragen werden, widersprach. Wie bereits ausgeführt, sind meine beiden Angestellten ansonsten überaus verläßlich und handelt es sich um eine einmalige Fehlleistung."

Mit Berufungsvorentscheidungen vom 3. September 1992 wies das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Klagenfurt die Berufung gegen die Beschwerde als unbegründet ab.

In dem gegen diese Bescheide gestellten Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz führte der Beschwerdeführer unter anderem aus:

"Als Berufungswerber darf ich meine nach wie vor ungebrochene Überzeugung äußern, daß die zuständige Sachbearbeiterin meiner Kanzlei, die nach wie vor dieselben Aufgaben wahrnimmt, als absolut verläßlich einzustufen ist; sie hat lediglich in Kompetenzüberschreitung, mit der ich als Anwalt nicht rechnen mußte, weil sie nie zuvor vorkam, anstelle der Frist für die Berufung oder gemeinsam mit der Zahlungsfrist, die Zahlungsfrist allein eingetragen, weil ihr nach Prüfung der Unterlagen nicht aufgefallen war, daß die Voraussetzungen für die Einbringung einer Berufung vorliegen."

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 10. März 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gegen die Bescheide als unbegründet ab. In der Begründung dieser Bescheide führte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend jeweils gleichlautend aus, in den Beschwerdefällen habe die Abgabenbehörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen, weil die Nichtvornahme einer Terminvormerkung zur Erhebung etwaiger Rechtsmittel und die Unterlassung einer vermehrten Kontrolle von Personal und Organisation durch den Beschwerdeführer eine auffallende, diesem zuzurechnende Sorglosigkeit dargestellt habe. Die naheliegende Frage, ob der Beschwerdeführer in dem Fall, in dem er selbst Partei und nicht deren Vertreter gewesen sei, die Rechtsmittelfrist gesetzt und ihre Vormerkung im Fristenbuch angeordnet habe, werde in der Begründung zum Wiedereinsetzungsantrag nicht angesprochen, sondern nur dargetan, daß es aus einem Irrtum seiner beiden sonst verläßlichen Kanzleiangestellten heraus unterlassen worden sei, ihn auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist aufmerksam zu machen. Auch eine Eintragung im Fristenbuch sei in der offensichtlich irrtümlichen Annahme unterlassen worden, gegen den Bescheid sei sohin kein Rechtsmittel zu verfassen. Wenn der Beschwerdeführer darauf hinweise, daß es seiner Kanzleikraft nach Prüfung der Unterlagen nicht aufgefallen sei, daß die Voraussetzungen für die Einbringung einer Berufung gegeben seien, so übersehe er, daß die Feststellung, ob gegen den Bescheid ein Rechtsmittel einzubringen sei, wohl der Rechtsanwalt selbst und nicht seine Kanzleikraft zu treffen habe, insbesondere, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um seine eigene Steuervorschreibung gehandelt habe. Der Beschwerdeführer könne sich daher nicht auf eine Kompetenzüberschreitung seiner Angestellten ausreden, wenn er nicht einmal den Auftrag zur Vormerkung seiner eigenen Rechtsmittelfrist gegeben habe. Aus diesem Grunde dürfte auch die Eintragung im Fristenbuch unterblieben sein. In den Beschwerdefällen sei der Beschwerdeführer weder durch ein unvorhergesehenes noch durch ein unabwendbares Ereignis gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Setzung der Rechtsmittelfrist, insbesondere bei einem den Anwalt selbst betreffenden Bescheid, bzw. die Anordnung der Vormerkung im Fristenvormerk falle in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwaltes. Der Beschwerdeführer habe im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. in der Berufung nicht glaubhaft darzutun vermocht, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der betreffenden Kanzleiangestellten beruht habe und in seiner Person kein Verschulden vorliege. Die rechtliche Beurteilung, ob "gegen seinen eigenen Bescheid" ein Rechtsmittel einzubringen gewesen sei, sei in seinem Aufgabenbereich gelegen. Das Verschulden sei daher in der Person des Beschwerdeführers gelegen. Die Nichtvornahme der Terminvormerkung zur allfälligen Erhebung eines Rechtsmittels bedeute daher ein nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizierendes Verschulden des Beschwerdeführers, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit denen sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde erstattete Gegenschriften, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verbindung beider Rechtssachen wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung beschlossen und danach erwogen:

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 - 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumung, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die in Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben.

Für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist in einem bestimmten Fall ist in einer Rechtsanwaltskanzlei grundsätzlich immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich. So wird er beispielsweise selbst die entsprechende Frist festsetzen, ihre Vormerkung anordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gegenüber seinen Kanzleiangestellten bestehenden Aufsichtspflicht überwachen müssen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm hiebei ein Versehen, ohne daß er dartun kann, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden.

In Ansehung dieser Frage muß davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, daß insbesondere die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch eine entsprechende Kontrolle unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. Erkenntnis vom 27. Juni 1985, Zl. 85/16/0032).

Weder im Administrativverfahren noch in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hat der beschwerdeführende Rechtsanwalt behauptet, die Rechtsmittelfrist selbst festgesetzt und dann deren Vormerkung angeordnet zu hahen. Nach dem Vorbringen im verwaltungsbehördlichen Verfahren ist vielmehr davon auszugehen, daß der beschwerdeführende Rechtsanwalt jedenfalls die Berechnung der Rechtsmittelfrist nicht selbst vorgenommen, sondern den Kanzleiangestellten überlassen und - wie die belangte Behörde mit Recht festgestellt hat - keinen Auftrag zur Vormerkung der Rechtsmittelfrist gegeben hat. Daß es "der sonstigen Übung" in der Anwaltskanzlei entsprochen habe, ständig auch die Rechtsmittelfristen einzutragen, ändert nichts daran, weil es Sache des Rechtsanwaltes ist, klare Anordnungen zu geben, ob in einem bestimmten, noch dazu ein Abgabenverfahren des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes betreffenden Fall eine Fristvormerkung vorzunehmen ist oder nicht.

Weiters hat der Beschwerdeführer nichts in bestimmter Weise vorgebracht, daß er in irgendeiner Weise seine Überwachungspflicht tatsächlich selbst gehandhabt hätte und nur im vorliegenden Fall die an sich ausgeübte Überwachungspflicht nicht zur Entdeckung der Fehlleistung geführt habe

(vgl. hg. Erkenntnis vom 16. September 1983, Zl. 81/02/0341, Slg. Nr. 11140/A).

Zwar hindert ein minderer Grad des Versehens der Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Eine solche leichte Fahrlässigkeit liegt aber nur dann vor, wenn ein Fehler begangen wird, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen, als an Rechtsunkundige oder bisher noch nie an Verfahren beteiligten Personen. War die Versäumung voraussehbar und hätte sie durch ein dem Beschwerdeführer zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern (vgl. OGH vom 29. August 1990, 9 Ob A 199/90, EvBl 1990/18.

Allein schon deswegen, weil der beschwerdeführende Rechtsanwalt nicht einmal die Frist selbst festgesetzt hat und auch keine klare Anordnung der Vormerkung einer Frist gegeben hat sowie weiters nichts Konkretes vorzubringen vermochte, ob und wie er selbst die Überwachungspflicht der Kanzleiangestellten überhaupt gehandhabt hat, konnte die belangte Behörde ihm mit Recht auffallende Sorglosigkeit vorwerfen. Verstärkt wird dieser Vorwurf insbesondere durch die im Administrativverfahren vorgebrachte Darstellung des Beschwerdeführers, wonach die Kanzleiangestellten "lediglich die rechnerische Richtigkeit der Beschwerde" überprüft und dabei keinen Mangel festgestellt hätten sowie weiters, daß ihre "Rechtsmeinung", es sei kein Rechtsmittel zu verfassen, irrig gewesen sei. Auch sei der Kanzleisachbearbeiterin "nicht aufgefallen", daß die "Voraussetzungen für die Einbringung einer Berufung" vorgelegen seien. Unter diesen Umständen konnte der Beschwerde daher - ohne auf das übrige, zum Teil mit den Ausführungen in den Schriftsätzen an die Abgabenbehörde in Widerspruch stehende Beschwerdevorbringen einzugehen - kein Erfolg zukommen.

Die Beschwerde war daher nach § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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