VwGH 96/20/0816

VwGH96/20/081618.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der S in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Oktober 1996, Zl. 4.349.949/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
AVG §67;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
AVG §67;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität und reiste am 5. Jänner 1996 in das Bundesgebiet ein. Am 10. Jänner 1996 beantragte sie die Gewährung von Asyl. Anläßlich ihrer am 1. Februar 1996 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab sie zu ihren Fluchtgründen an, sie habe schon immmer in die Schule gehen wollen. Sie sei kurdischer Abstammung und habe keine Möglichkeit für ein Studium gesehen. Ihre Freundin und sie selbst hätten bei Universität in Malatya um eine Aufnahmeprüfung für das Studium angesucht und gesehen, wie man ihre ausgefüllten Formulare zerrissen habe. Von Polizei und Gendarmerie ihres Heimatlandes sei sie andauernd beschuldigt worden, eine "Linke" zu sein, sie sei seit 1994 Mitglied der Partei "Hadep". Nachdem sie ihre Schule mit einem Diplom abgeschlossen habe, sei sie zwischen Malatya und Akcadag hin- und hergefahren, weil sie eben Mitglied der Partei "Hadep" in Malatya gewesen sei und aus diesem Grunde nicht immer in ihrem Dorf habe bleiben wollen. Außerdem sei sie in Malatya bereits in die Schule gegangen, sodaß ihr die Umgebung schon bekannt gewesen sei. Auch habe sie mit Leuten sprechen wollen. Sie habe für die Leute etwas machen sollen, nämlich Versammlungen organisieren und mit den Leuten sprechen. Diese Versammlungen seien im allgemeinen in privaten Quartieren abgehalten worden. Wann genau solche Versammlungen stattgefunden hätten, könne sie datumsmäßig nicht mehr angeben. Für die Partei habe sie Zeitungen verteilt und versucht, die Bevölkerung zu informieren. Sie habe auch versucht, Versammlungen zu organisieren und Interessierte am Versammlungsort zu informieren. Sie selbst habe keine führende Position innegehabt, sie sei ja nur kurze Zeit bei der Partei gewesen. Sie selbst habe auch den Inhalt dieser Zeitungen nicht verfaßt, sondern diese als fertiges Produkt erhalten und lediglich verteilt. Sie habe mit einigen Parteimitgliedern die Versammlungsorte ausgesucht und die Bevölkerung eingeladen, daran teilzunehmen, indem sie mit ihnen gesprochen habe. In den Versammlungen hätten die Leute ihre Erfahrungen und ihre "Unterdrückungen" wiedergegeben und man habe versucht, dafür Lösungen zu finden. Vor einigen Monaten sei die Polizei zu einer dieser Versammlungen gekommen und habe gefragt, was sie täten. Sie seien etwa 15 Personen gewesen und die Polizei habe nichts feststellen können. Man habe von ihr wissen wollen, was sie "planten". Sie hätten lediglich erklärt, die Diskussion ginge um ihre eigenen Probleme, daraufhin seien die Polizeibeamten wieder gegangen. Diese hätten sie allerdings beschuldigt, Terroristen zu sein. Sie selbst sei zwei Monate vor ihrer Flucht das letzte Mal von ihrem Heimatort von Polizeibeamten abgeholt und zur Polizeistation gebracht und dort fünf Stunden festgehalten worden unter der Beschuldigung, sie würde Terroristen Unterschlupf gewähren und Nahrungsmittel geben. Die Polizeibeamten hätten ihr jedoch nichts nachweisen können, sodaß sie die Polizeistation danach wieder habe verlassen können. Vor diesem Ereignis sei sie bereits fünf oder sechs Mal von der Polizei in ihrem Heimatdorf anläßlich von Razzien mitgenommen worden, jedes Mal unter der Beschuldigung, den Terroristen zu helfen und in der Absicht, sie davon abzuhalten. Sie sei bis auf das letzte Mal jeweils zwei Stunden festgehalten worden und habe danach nach Hause gehen können. Diese Art der Polizeiintervention sei lediglich in ihrem Heimatdorf erfolgt. Zwei bis drei Wochen vor ihrer Flucht sei eine Freundin in ihrem Heimatdorf tot aufgefunden worden. Es könnte sein, daß sie sich von einem Felsen heruntergestürzt habe. Man habe nicht gewußt, ob sie vergewaltigt worden sei und sich dann das Leben genommen habe, oder ob sie hinuntergestoßen worden sei. Sie selbst habe ihre Freundin zwar nicht gefunden, jemand anderer habe sie gefunden, aber sie seien alle hingegangen und hätten sie gesehen. Neben der Leiche sei ein Zettel gefunden worden, auf dem gestanden sei, daß dies eine Lehre für alle jene sein solle, die Terroristen unterstützten; dies (gemeint Unfall oder Mord) könne auch ihren Kindern zustoßen. Nach diesem Ereignis habe ihr Vater ihr verboten, weiter für die Partei "Hadep" tätig zu sein. Dies sei der Grund gewesen, warum sie ihr Heimatland verlassen habe. Sie habe ihre Parteifreunde nicht im Stich lassen wollen und andererseits auch nicht gegen ihren Vater tätig werden wollen. Auf die Frage, warum die Beschwerdeführerin immer wieder in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sei und nicht endgültig in Malatya geblieben sei, antwortete sie, ihre Eltern hätten noch in ihrem Heimatort gewohnt. In Malatya habe es keine Gedankenfreiheit gegeben. Man habe nicht alles erzählen können, was man denke.

Mit Bescheid vom 10. Juli 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin infolge Verneinung ihrer Flüchtlingseigenschaft und auch unter Heranziehung des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 infolge ihres Aufenthaltes in Ungarn ab. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung bekämpfte die Beschwerdeführerin insbesondere die angenommene Verfolgungssicherheit sowie die unrichtige Beurteilung ihrer Flüchtlingseigenschaft, deren Verneinung auf ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren im Sinne einer Verletzung der Bestimmungen des § 16 Asylgesetz sowie §§ 37 bis 45 AVG zurückzuführen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist statt (Spruchpunkt I), wies aber im übrigen die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab (Spruchpunkt II). Die Abweisung der Berufung begründete die belangte Behörde im wesentlichen damit, es habe entgegen der Behauptung in der Berufung kein wesentlicher Verfahrensmangel festgestellt werden können, der im Sinne des § 20 Abs. 2 Asyl 1991 eine Wiederholung oder Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hätte rechtfertigen können. Auch eine Verletzung der behördlichen Manuduktionspflicht könne nicht festgestellt werden, da diese nicht dazu diene, den Asylwerber zur erfolgversprechenden Vorbringensgestaltung anzuleiten. Die belangte Behörde übernahm daher die Sachverhaltsfeststellung und die "zutreffende rechtliche Beurteilung" des Bescheides der Behörde erster Instanz und erhob diese "vollständig zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides" (mit Ausnahme der Wortfolge "und bescheinigt").

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Insoweit die Beschwerdeführerin eine mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides darin sieht, daß die belangte Behörde im Begründungsteil des angefochtenen Bescheides lediglich auf die inhaltliche Begründung des Bescheides erster Instanz verweist, kann - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1996, Zlen. 95/20/0501 und 95/20/0521, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden, in der der Verwaltungsgerichtshof die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise unter der Voraussetzung der bestehenden Nachvollziehbarkeit als nicht rechtswidrig erkannt hat. Die Nachvollziehbarkeit der entscheidungswesentlichen Erwägungen der belangten Behörde ist durch diese verkürzende Vorgangsweise jedoch im vorliegenden Fall nicht beeinträchtigt.

Soweit die Beschwerdeführerin der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 AsylG 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotene Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen.

Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 AsylG 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln oder den Asylwerber anzuleiten, wie er sein Vorbringen zu gestalten habe, damit es erfolgreich ist (vgl. als Beispiel für viele das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0331). Es erscheint daher nicht rechtswidrig, daß die belangte Behörde ausgehend von der Aktenlage die Voraussetzungen für eine Ergänzug oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 nicht als gegeben erachtet hat. Damit aber war sie im Sinn des § 20 Abs. 1 leg. cit. verpflichtet, die Ermittlungsergebnisse des Verfahrens erster Instanz ihrer Entscheidung zugrundezulegen.

Insoweit die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erstmals in der Beschwerde die Behauptung aufstellt, die Hadep-Partei sei eine im Heimatland der Beschwerdeführerin verbotene Partei, sie selbst sei anläßlich ihrer kurzfristigen Einvernahmen durch Polizeibeamte ihres Heimatdorfes auch mißhandelt worden, steht dies nicht nur im Widerspruch zu ihren eigenen Angaben, sondern stellen diese Behauptungen auch im Sinn des § 41 VwGG eine nicht beachtliche Neuerung dar. Es erscheint auch insbesondere in Ermangelung näherer Kenntnisse über die Umstände des Todes der Freundin der Beschwerdeführerin nicht zwingend, daß ihr mit einer für das Asylverfahren notwendigen Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Schicksal gedroht habe. Auch entbehrt die in der Beschwerde ausgedrückte Vermutung, die Beschwerdeführerin sei in ihrem Heimatland "nicht sicher" gewesen, bei einem neuerlichen Aufgreifen durch Polizeibeamte gefoltert und mißhandelt, in weiterer Folge unter Umständen getötet zu werden, eines jeglichen, konkreten Anhaltspunktes. Auch zu der von den Verwaltungsbehörden herangezogenen, die Gewährung von Asyl ausschließenden "inländischen Fluchtalternative", also der Möglichkeit der Beschwerdeführerin, in einem anderen Teil ihres Heimatlandes Schutz vor Verfolgung zu finden, finden sich in der Beschwerde keine konkreten Anhaltspunkte, diese Annahme als nicht stichhältig erscheinen zu lassen. Vielmehr erweist sich diese Annahme im Hinblick auf die Angaben der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Ersteinvernahme, die - kurzfristigen - Einvernahmen und Anhaltungen seien lediglich durch Polizeibeamte in ihrem Heimatdorf erfolgt, als nicht rechtswidrig. Daß diesen kurzfristigen Anhaltungen sowie einer einmaligen Inhaftierung ohne weitere Vorkommnisse die asylrechtlich relevante Intensität mangelt, entspricht der ständigen hg. Rechtsprechung.

Insgesamt erweist sich daher die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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