Normen
ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AVG §56;
EMRK Art8;
VwRallg;
ARB1/80 Art6 Abs1;
AufG 1992 §13 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AVG §56;
EMRK Art8;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte am 5. Oktober 1993 (nicht wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vermeint, am 5. Oktober 1994) den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Im Antrag wies er darauf hin, daß er sich seit 20 Jahren in Österreich aufhalte, perfekt deutsch spreche und voll integriert sei.
Die Behörde erster Instanz wies den Antrag mit Bescheid vom 20. April 1994 ab, weil sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes (1. Juli 1993) nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Der "letzte Sichtvermerk" des Beschwerdeführers sei "bereits am 31. Mai 1992 abgelaufen". Zur Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz käme daher nur mehr eine Erstantragstellung vor der Einreise vom Ausland aus in Betracht (§ 6 Abs. 2 AufG).
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, er halte sich seit dem Jahr 1975 in Österreich auf und habe seit dieser Zeit regelmäßig Sichtvermerke erhalten. Zuletzt hätte ihm bereits ein unbefristeter Sichtvermerk erteilt werden können, er erfülle auch die Voraussetzungen für die Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Sein letzter Sichtvermerk sei am 31. Mai 1992 abgelaufen, zu diesem Zeitpunkt sei der Reisepaß des Beschwerdeführers sichergestellt gewesen und sei ihm erst im Februar 1994 wieder ausgehändigt worden. Im Hinblick auf den beinahe 20-jährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers sei daher sein Antrag als Verlängerungsantrag zu werten und könne auch vom Inland aus gestellt werden. Die von der Erstbehörde vertretene Rechtsansicht stelle eine unbillige Härte dar und würde den Berufungswerber in seinem durch Art. 8 MRK gewährleisteten Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens verletzen. Die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung könne in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreifen und es sei dieser Eingriff nur zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele zulässig. Aufgrund der Integration des Beschwerdeführers in Österreich sei ihm eine Erstantragstellung vor der Einreise vom Ausland aus nicht zumutbar.
Die belangte Behörde führte kein Ermittlungsverfahren im Hinblick auf den behaupteten rechtmäßigen Voraufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet durch. Während des Berufungsverfahrens erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er auf seine aus dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei vom 12. September 1963 und die Beschlüsse Nr. 2/76 vom 20. Dezember 1976 und Nr. 1/80 vom 19. September 1980 des Assoziationsrates abzuleitenden Rechte hinwies.
Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid damit, gemäß § 13 Abs. 1 AufG könnten Fremde, die sich beim Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, mit Ablauf der Geltungsdauer dieser Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften (§ 6 Abs. 2 AufG) beantragen. Gemäß § 6 Abs. 2 AufG sei der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung könne auch vom Inland aus gestellt werden. Es stehe fest, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes und seiner Antragstellung über keinerlei Sichtvermerk verfügt und sich daher illegal im Bundesgebiet aufgehalten habe. Es sei somit kein Verlängerungsantrag, sondern ein Erstantrag zu stellen, dieser habe vor der Einreise in das Bundesgebiet vom Ausland aus zu erfolgen.
Aus diesem Grund und infolge der Verfahrensvorschrift des § 6 Abs. 2 AufG sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und es sei auf das Vorbringen des Beschwerdeführers - auch im Zusammenhang mit seinen persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, der mit Beschluß vom 11. Oktober 1995, B 1953/95-6, deren Behandlung ablehnte und sie in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat, nach deren Ergänzung erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Beurteilung der im § 6 Abs. 2 AufG umschriebenen Erfolgsvoraussetzung der Antragstellung vom Ausland aus ungeachtet des Zeitpunktes der Antragstellung die Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung maßgeblich (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 95/19/0578). Demnach hatte die belangte Behörde im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides (12. Mai 1995) § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung vor der Aufenthaltsgesetz-Novelle BGBl. Nr. 351/1995 anzuwenden.
Insoferne der Beschwerdeführer vorbringt, sein Antrag vom 5. Oktober 1993 sei deshalb als Verlängerungsantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AufG zu werten, weil ihm der letztgültige Sichtvermerk mit einer Gültigkeitsdauer bis 31. Mai 1992 rechtswirksam erst am 14. Februar 1994 durch Ausfolgung des Reisepasses erteilt worden sei und diesbezüglich mit weitwendigen Ausführungen Verfahrensmängel behauptet, ist ihm entgegenzuhalten, daß die Gründe, die dazu führten, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes über keine Berechtigung zum Aufenthalt im Inland verfügte, für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 AufG vorliegen oder nicht, bedeutungslos sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/19/1061). Insbesondere verkennt der Beschwerdeführer, daß es im Hinblick auf § 13 Abs. 1 AufG gleichgültig ist, wann ihm der letzte, bis 31. Mai 1992 gültige Sichtvermerk tatsächlich erteilt wurde, weil er auch im Falle des Zutreffens seiner Behauptungen mangels Vorliegens eines Sichtvermerkes keine Berechtigung zum Aufenthalt im Inland am 1. Juli 1993 im Sinne des § 13 Abs. 1 AufG innegehabt hätte.
Insoweit sich der Beschwerdeführer auf seine behaupteten Rechte aus dem Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei und den darauf beruhenden Beschlüssen des Assoziationsrates beruft, ist er darauf zu verweisen, daß in seine - allenfalls bestehenden - Rechte aus diesem Abkommen durch den angefochtenen Bescheid nicht eingegriffen wurde (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424).
Der Beschwerdeführer hat aber bereits im Verwaltungsverfahren auf seinen langjährigen Aufenthalt, seine Integration und die durch die Anwesenheit seiner Familie im Bundesgebiet bedingten privaten und familiären Interessen in Österreich hingewiesen. Wenngleich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zweifelsfrei ein durchgehender rechtmäßiger Aufenthalt abzuleiten ist, so reichen die diesbezüglichen Hinweise, er habe seit 1975 regelmäßig Sichtvermerke erhalten, in Verbindung mit der Feststellung der Behörde erster Instanz, der "letzte Sichtvermerk" sei am 31. Mai 1992 abgelaufen, aus, um auf einen längerdauernden rechtmäßigen Aufenthalt hinzudeuten und eine Ermittlungspflicht der Behörde auszulösen.
Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, daß bei einer auf § 6 Abs. 2 AufG a.F. gestützten Entscheidung grundsätzlich auf die durch Art. 8 MRK geschützten Rechte des Fremden Bedacht zu nehmen ist. In diesem Zusammenhang sind nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94), der sich der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1996, Zl. 95/18/0759, u.a.), solche Fremde geschützt, die sich seit vielen Jahren rechtmäßig in Österreich aufgehalten haben. Träfen die Behauptungen des Beschwerdeführers zu, er lebe seit 20 Jahren rechtmäßig in Österreich, arbeite hier und seine Familie lebe ebenfalls rechtmäßig hier, dann hätte die belangte Behörde bei Berücksichtigung dieser privaten und familiären Interessen im Sinne der Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 MRK zu einem anderen Bescheid kommen können.
Die belangte Behörde ist im belangten Bescheid davon ausgegangen, daß auf das Vorbringen des Beschwerdeführers - "auch im Zusammenhang mit ihren persönlichen Verhältnissen - nicht weiter einzugehen" sei. Sie hat damit die Rechtslage verkannt. Die Nichtdurchführung von Ermittlungen zum rechtmäßigen Voraufenthalt des Beschwerdeführers stellt sich daher als sekundärer Verfahrensmangel dar.
Deshalb erweist sich der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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