VwGH 95/19/0676

VwGH95/19/067621.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde der Y in W, vertreten durch den Vater E, dieser vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Mai 1995, Zl. 104.518/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
MeldeG 1991 §1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §45 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
MeldeG 1991 §1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.132,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. April 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Die der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehende Wohnung weise lediglich eine Nutzfläche von 31 m2 auf. Bei Erteilung der angestrebten Aufenthaltsgenehmigung würden insgesamt sechs Personen an der antragsgegenständlichen Adresse wohnen, weshalb eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nicht zur Verfügung stehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte vor, daß an der gegenständlichen Adresse lediglich vier Personen gemeldet seien und die Wohnung infolge Doppelmeldung ihres Onkels von lediglich drei Personen benutzt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 1995 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides führte die belangte Behörde wie folgt aus:

"Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß an der angegebenen Adresse nicht wie ermittelt sechs, sondern nur vier Personen aufhältig seien.

Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung gesetzwidrig gewesen wäre. Gerade die Notwendigkeit in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Ist eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Diese Beurteilung zeigt in Ihrem Fall, daß durch den Überbelag im Hinblick auf die sanitären Einrichtungen der Wohnung diese allenfalls nicht als ortsüblich bezeichnet werden kann.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Die Beschwerdeführerin bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In ihrer Beschwerde wiederholt die Beschwerdeführerin im wesentlichen das bereits in ihrer Berufung erstattete Vorbringen, daß die Behörde zu Unrecht davon ausgegangen sei, an der angegebenen Wohnadresse wohnten sechs Personen. Richtig sei vielmehr, daß an der angeführten Adresse sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde lediglich vier bzw. nunmehr lediglich drei Personen angemeldet und wohnhaft seien.

Der Beschwerde kommt im Ergebnis aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

Abgesehen davon, daß dem angefochtenen Bescheid nicht eindeutig zu entnehmen ist, von welcher Anzahl von an der Wohnadresse aufhältigen Personen die belangte Behörde ausging - die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in dieser Frage ist nicht aktenkundig -, verweist die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich auf die Richtigkeit der "Ermessensausübung der Behörde" (gemeint wohl: der Behörde erster Instanz) bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung. Dieser Hinweis vermag - unabhängig von dem dahinterstehenden Entscheidungswillen der belangten Behörde - eine Ermessensentscheidung der belangten Behörde schon deshalb nicht zu tragen, weil auch die Behörde erster Instanz keine Ermessensentscheidung getroffen hat. Im übrigen steht der Behörde bei der Beurteilung der Frage der Ortsüblichkeit einer Wohnung kein Ermessen zu. Sie hat diese Frage in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 1996, B 2843/95).

Sollte - ungeachtet der diesbezüglich mangelnden Deutlichkeit in der Bescheidbegründung - davon auszugehen sein, die belangte Behörde habe angenommen, an der in Rede stehenden Wohnadresse seien vier Personen wohnhaft, so ist der angefochtene Bescheid im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, ihr Onkel sei an dieser Anschrift bloß gemeldet, wohne jedoch nicht dort, mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Dieser Mangel ist auch wesentlich, weil die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Mangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Es stellt nämlich keineswegs eine offenkundige Tatsache dar, daß eine 31 m2 große, von einem Erwachsenen und zwei Kindern bewohnte Wohnung keine für Inländer ortsübliche Unterkunft bildet (vgl. das zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0132). Aus dem alleinigen Umstand der polizeilichen Meldung ist kein zwingender Schluß auf den tatsächlichen Aufenthalt der gemeldeten Personen in dieser Unterkunft zulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1996, Zlen. 95/19/0214, 0215).

Der im angefochtenen Bescheid enthaltenen Formulierung "Diese Beurteilung zeigt in Ihrem Fall, daß durch den Überbelag im Hinblick auf die sanitären Einrichtungen der Wohnung diese allenfalls nicht als ortsüblich bezeichnet werden kann." ist entgegenzuhalten, daß eine "allenfalls" getroffene Feststellung keine Feststellung im Rechtssinn ist. Die belangte Behörde hat diesbezüglich einen Begründungsmangel zu verantworten.

Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid aber auch aus einem anderen Grund mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet:

Die Behörde ist (auch) bei Anwendung der im § 5 Abs. 1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art. 8 MRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen würde, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die privaten und familiären Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. März 1995, B 2259/94, sowie die hg. Erkenntnisse vom 18. September 1995, Zl. 95/18/0936, und vom 19. September 1996, Zlen. 95/19/1243, 1244).

Diese - im vorliegenden Fall gebotene - Interessenabwägung hat die belangte Behörde nicht vorgenommen. Obwohl ihr nach Ausweis der Akten bekannt war, daß die Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt im Jahre 1985 im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Vater und ihrem Bruder lebt, hat sie es unterlassen, diese unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffes in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung relevanten Umstände bei ihrer Entscheidung mitzuberücksichtigen.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des insgesamt gestellten Kostenbegehrens auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsses dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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