Normen
ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs6;
ASVG §11 Abs2;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs3;
ASVG §49 Abs6;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse hat dem Bund Vorlageaufwand in der Höhe von S 565,-- und der erstmitbeteiligten Partei Schriftsatzaufwand in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens steht folgender Sachverhalt außer Streit:
Der Zweitmitbeteiligte war vom 1. November 1973 bis 29. September 1989 bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft als Verkäufer beschäftigt. Er hatte zunächst das Dienstverhältnis am 31. August 1989 zum 30. September 1989 gekündigt. Mit 29. September 1989 erklärte er unter Berufung auf § 26 Abs. 2 des Angestelltengesetzes seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis. Er klagte offenes Entgelt bis zum Austrittstag inkl. Urlaubsentgelt und Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung für den 30. September 1989 und (vorerst) Abfertigung für drei Monate (S 214.090,86 brutto) sowie sonstige kleinere Beträge, insgesamt S 540.136,67 brutto, ein. Am 14. Mai 1990 dehnte er das Klagebegehren um die (inzwischen fällig gewordene) Abfertigung von weiteren drei Monaten im Betrag von S 214.090,86 brutto auf S 754.227,53 brutto aus. Die erstmitbeteiligte Gesellschaft machte mit Widerklage gegenüber dem Zweitmitbeteiligten S 256.227,66 aus dem Titel der Konventionalstrafe geltend. Beide Verfahren wurden miteinander verbunden.
Danach schlossen die erstmitbeteiligte Gesellschaft und der Zweitmitbeteiligte in den verbundenen Verfahren einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich die erstmitbeteiligte Gesellschaft verpflichtete, dem Zweitmitbeteiligten "den Betrag von S 300.000,-- an gesetzlicher Abfertigung ... binnen acht Tagen ab Rechtswirksamkeit dieses Vergleiches bei Exekution zu bezahlen." Dieser Vergleich wurde zunächst bedingt geschlossen ("Dieser Vergleich wird nur rechtswirksam, wenn nicht ein Widerruf einer der Parteien bis 11.6.1990 bei Gericht eingelangt ist."), in der Folge aber nicht widerrufen. Ferner vereinbarten die Parteien in diesem Verfahren, daß bei Rechtswirksamkeit dieses Vergleiches "sämtliche gegenseitige Ansprüche verglichen und bereinigt" seien.
Mit Bescheid vom 12. Juli 1991 sprach die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse unter Berufung auf die §§ 11, 44, 49, 54 und 58 ASVG sowie 1 und 62 AlVG aus, daß die infolge der Tätigkeit des Zweitmitbeteiligten im Betrieb der erstmitbeteiligten Gesellschaft bis 29. September 1989 bestandene Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherung bis 4. Dezember 1989 verlängert werde.
Dem von der erstmitbeteiligten Gesellschaft erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 1. Juli 1992 keine Folge und bestätigte den Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse.
Die erstmitbeteiligte Gesellschaft erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung Folge gegeben und in Abänderung des Bescheides des Landeshauptmannes festgestellt, daß der Zweitmitbeteiligte aufgrund seiner Tätigkeit als Verkäufer im Betrieb der erstmitbeteiligten Gesellschaft nur bis 29. September 1989 der Voll- und Arbeitslosenversicherung nach § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG bzw. § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.
In der Begründung wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens, der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf verwiesen, daß es den Parteien des arbeitsgerichtlichen Verfahrens freigestanden sei, eine Vereinbarung zu treffen, wonach nur die beitragsfreien Ansprüche bezahlt, auf die beitragspflichtigen Gehaltsbestandteile jedoch verzichtet werde. Aufgrund des ergänzenden Ermittlungsverfahrens vor der belangten Behörde, in dem der Rechtsvertreter des Zweitmitbeteiligten vernommen worden sei, ergebe sich, daß die erstmitbeteiligte Gesellschaft als Dienstgeber ihrerseits Schadenersatzansprüche geltend gemacht habe, da aus ihrer Sicht ein (gemeint: unberechtigter) vorzeitiger Austritt des Zweitmitbeteiligten erfolgt sei. Die Bezeichnung "gesetzliche Abfertigung" in der Vergleichsausfertigung sei auf Initiative der erstmitbeteiligten Gesellschaft zurückgegangen. Der Zweitmitbeteiligte sei damit einverstanden gewesen, da der Betrag unterhalb jenes Betrages gelegen sei, der tatsächlich an gesetzlicher Abfertigung zugestanden wäre. Nach Auffassung der belangten Behörde ergebe sich daraus, daß die Vereinbarung nicht einzig den Zweck, die Beitragspflicht des Dienstgebers zu umgehen, gehabt habe, sondern aus der konkreten wirtschaftlichen Überlegung heraus erfolgt sei, daß eine für den Zweitmitbeteiligten allenfalls riskante Fortführung des Verfahrens über die einander gegenüberstehenden Schadenersatzansprüche (Kündigungsentschädigung auf der Seite des Zweitmitbeteiligten und Schadenersatzansprüche der erstmitbeteiligten Gesellschaft) vermieden werden sollten. Der Zweitmitbeteiligte habe daher den Vergleich über den von Seite der erstmitbeteiligten Gesellschaft anerkannten Betrag an gesetzlicher Abfertigung geschlossen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Die erstmitbeteiligte Gesellschaft hat eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 11 Abs. 1 ASVG erlischt die Pflichtversicherung der in § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen, soweit in den Abs. 2 bis 6 nichts anderes bestimmt wird, mit dem Ende des Beschäftigungs-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.
Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich die Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gemäß § 49 nicht zum Entgelt im Sinne dieses Bundesgesetzes gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen gedeckt ist.
Nach § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
Gemäß § 49 Abs. 3 Z. 7 ASVG gelten als Entgelt im Sinne des Abs. 1 und 2 nicht:
Vergütungen, die aus Anlaß der Beendigung des Dienst(Lehr)verhältnisses gewährt werden, wie z.B. Abfertigungen, Abgangsentschädigungen, Übergangsgelder, nach gesetzlicher Vorschrift gewährte Urlaubsabfindungen.
Gemäß § 539 ASVG sind Vereinbarungen, wonach die Anwendung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zum Nachteil der Versicherten (ihrer Angehörigen) im voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird, ohne rechtliche Wirkung.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Wortlaut eines Vergleiches (die Bezeichnung der verglichenen Ansprüche) für die Beurteilung des Fortbestandes der Pflichtversicherung (vgl. hiezu etwa das Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0058) und die Beitragsberechnung insoweit unmaßgeblich, als beitragspflichtige Entgelte - zur Beitragsvermeidung - fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile oder sonstige, nicht der Beitragspflicht unterliegende Ansprüche des Dienstnehmers bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem genannten Erkenntnis vom 19. Februar 1991 dargelegt, daß die Behörden der Sozialversicherung bei der Feststellung der sich aus einer vergleichsweisen Vereinbarung ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers an den Wortlaut dieser Vereinbarung insoweit nicht gebunden sind, als Entgeltansprüche im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG allenfalls fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG deklariert wurden. Derartige, der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen sind schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs. 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von gemäß § 49 nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen erlaubt: Es kommt daher auch im Zusammenhang mit § 11 Abs. 2 ASVG nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien im Vergleich wählen, sondern darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorliegen. Soweit die Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich ist, liegt im Zweifel jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 AlVG vor.
Wenn und soweit aber die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch offenen (strittigen) Ansprüche eines Arbeitnehmers tatsächlich teils aus beitragspflichtigen, teils aus beitragsfreien Entgeltbestandteilen bestehen, sind die Parteien eines darüber abgeschlossenen Vergleiches durch keine Rechtsnorm dazu verpflichtet, etwa die Anerkennung der beitragspflichtigen vor dem beitragsfreien Ansprüchen zu vereinbaren. Die Vertragsparteien sind vielmehr in der vergleichsweisen Disposition über diese Ansprüche insoweit frei, als durchaus die Leistung der beitragsfreien Ansprüche vereinbart und auf die beitragspflichtigen Gehaltsbestandteile verzichtet werden kann. Eine Grenze fände diese Dispositionsbefugnis jedoch, wenn etwa ein höherer Betrag an beitragsfreien Ansprüchen verglichen worden wäre, als gemessen an den Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 ASVG tatsächlich zustünde (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 8. Oktober 1991, Zl. 90/08/0094).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage stand es den Parteien des arbeitsgerichtlichen Verfahrens frei, sich über alle strittigen wechselseitigen Ansprüche dahin zu vergleichen, daß dem Zweitmitbeteiligten ausschließlich beitragsfreie Entgeltbestandteile (hier: die Abfertigung) zustehen sollten. Ob dies eher dem Interesse des Dienstgebers (erstmitbeteiligte Gesellschaft) als jenem des Dienstnehmers (Zweitmitbeteiligter) oder beider Interessen entsprach, ist ohne Bedeutung. Unstrittig ist, daß dem Zweitmitbeteiligten für den Fall, daß sein vorzeitiger Austritt berechtigt gewesen sein sollte, ein höherer Betrag an gesetzlicher Abfertigung als der verglichene in Höhe von S 300.000,-- zugestanden wäre. Diese Feststellung der belangten Behörde wird auch von der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse in ihrer Beschwerde nicht bestritten. Soweit aber eine arbeitsvertragsrechtlich zulässige Vereinbarung über tatsächlich strittige Ansprüche aus dem Dienstverhältnis vorliegt, kann von einer Vereinbarung, durch welche (bloß) die Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zum Nachteil des Versicherten ausgeschlossen oder beschränkt wird (iS des § 539 ASVG), auch dann nicht die Rede sein, wenn dem Dienstnehmer aufgrund einer solchen Vereinbarung nur beitragsfreie Entgeltteile zustehen, während auf beitragspflichtige Entgeltteile verzichtet wurde.
Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde enthält der am 14. Mai 1990 abgeschlossene gerichtliche Vergleich einen "Verzicht" auf allfällige sonstige Ansprüche ("Bei Rechtswirksamkeit dieses Vergleiches sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche verglichen und bereinigt.").
Die Berufung der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse auf das Erkenntnis vom 28. November 1962, Zl. 2031/61, führt diese nicht zum Erfolg: Dieses Erkenntnis betraf einen Sachverhalt, dem ein anderer Vergleichsinhalt zugrundelag. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof unter Berufung auf ein weiteres Erkenntnis vom 19. April 1961, Zl. 1641/60, im Hinblick auf den in einem Vergleich verwendeten Ausdruck "Abgangsentschädigung" aus § 11 Abs. 2 ASVG abgeleitet, eine unter den Beispielen für die Vergütung, die aus Anlaß der Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, angeführte und als solche beitragsfreie Abgangsentschädigung könne dann nicht vorliegen, wenn in einer aus Anlaß der Beendigung des Dienstverhältnisses dem Dienstnehmer gewährten Leistung auch Entgelt oder Arbeitslohn enthalten ist, weil im § 11 Abs. 2 ASVG Bezüge der letztgenannten Art den "gemäß § 49 nicht zum Entgelt im Sinne dieses Bundesgesetzes gehörenden Bezügen" und somit auch den im § 49 Abs. 3 Z. 7 erwähnten Abgangsentschädigungen gegenübergestellt sind.
Der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie aus der Aussage des Rechtsvertreters des Zweitmitbeteiligten ableitet, im Vergleichsbetrag von S 300.000,-- seien auch beitragspflichtige Sozialversicherungsbeiträge enthalten. Der Vertreter des Zweitmitbeteiligten hat nämlich in der am 27. Juli 1993 vor der belangten Behörde aufgenommenen Niederschrift u.a. erklärt, daß die Bezeichnung "gesetzliche Abfertigung" in der Vergleichsausfertigung auf die Initiative der erstmitbeteiligten Gesellschaft zurückgegangen sei. Er nehme an, daß sie dies deshalb gefordert habe, weil sie sich den Folgezahlungen habe entziehen wollen. Der Zweitmitbeteiligte sei aber damit einverstanden gewesen, da der Betrag unterhalb jenes Betrages gelegen sei, der ihm tatsächlich an gesetzlicher Abfertigung zugestanden wäre. Bezüglich des ausständigen Gehaltes und der Provisionen seien einander gegenseitige Schadenersatzansprüche gegenüber gestanden. Dieses Vorbringen erweist sich als zutreffend.
Die Auffassung der belangten Behörde, daß der Zweitmitbeteiligte aufgrund seiner Tätigkeit als Verkäufer im Betrieb der erstmitbeteiligten Gesellschaft nur bis 29. September 1989 der Voll- und Arbeitslosenversicherung unterlegen sei, erweist sich daher als zutreffend.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs.1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Stempelgebührenersatz war der erstmitbeteiligten Gesellschaft aufgrund der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.
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