VwGH 95/21/0775

VwGH95/21/077520.3.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 8. Mai 1995, Zl. III 231/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §20 Abs2;
JGG §1 Z2;
JGG §5 Z4;
StbG 1985 §10 Abs1;
StGB §201 Abs2;
FrG 1993 §20 Abs2;
JGG §1 Z2;
JGG §5 Z4;
StbG 1985 §10 Abs1;
StGB §201 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 8. Mai 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und §§ 19 bis 21 FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführer vom Landesgericht Innsbruck (als Schöffengericht in Jugendstrafsachen) am 16. Juli 1993 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden sei. Dieser Verurteilung liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer im Juni 1992 in Mieders in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit einem weiteren türkischen Staatsbürger als Mittäter die M mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung des Beischlafes genötigt habe. Damit sei der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele der Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen bzw. zum Schutz der Rechte anderer dringend geboten (§ 19 FrG).

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei ein schwerer Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, der sich, allerdings nicht ununterbrochen, seit dem Jahr 1978 im Bundesgebiet aufhalte. Auch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers hielten sich seit 1973 bzw. 1976 im Bundesgebiet auf, dennoch gehe die Interessenabwägung angesichts der erheblichen Gefährdung öffentlicher Interessen durch die Straftat des Beschwerdeführers zu seinen Lasten aus. Mit seinem Vorbringen, die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sei im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG unzulässig, übersehe der Beschwerdeführer, daß sämtliche der im § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 angeführten Voraussetzungen im Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Innsbruck vorliegen müßten. Bezogen auf diesen Zeitpunkt (den 28. Oktober 1993) sei zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen im Sinne der vorzitierten Bestimmung erfülle. Dies sei zu verneinen, weil § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 fordere, daß der Fremde, der die österreichische Staatsbürgerschaft anstrebe, nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten müsse, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bilde. Das vom Beschwerdeführer begangene schwere Verbrechen schließe diese Annahme aus. Da der Beschwerdeführer seine Tat bereits im Juni 1992 begangen habe, habe er zum Zeitpunkt der Rechtskraft seiner Verurteilung die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 nicht erfüllt. Überdies sei die Behauptung des Beschwerdeführers, er halte sich seit dem Jahr 1978 ununterbrochen im Bundesgebiet auf, durch die Aktenlage nicht gedeckt.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bekämpft die Auffassung der belangten Behörde, § 20 Abs. 2 FrG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Er macht geltend, daß die belangte Behörde bei Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz vorliegen, zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung abgestellt habe. Für diese Beurteilung sei vielmehr der Zeitpunkt der Anlaßtat im Juni 1992 maßgeblich.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Die Auffassung der belangten Behörde, daß als Zeitpunkt für die Beurteilung der Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 das Datum der Rechtskraft der als Anlaß für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Verurteilung maßgeblich ist, steht mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 20 Abs. 2 FrG nicht in Einklang. Nach dieser ist für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben sind, im Falle mehrerer Verurteilungen der Zeitpunkt der Rechtskraft der vorletzten dieser Verurteilungen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0491, vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/18/0533, und vom 17. November 1994, Zl. 93/18/0271) maßgeblich, verschiedentlich auch der unmittelbar vor der letzten rechtskräftigen Verurteilung des Betroffenen gelegene Zeitpunkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0063). Mit den Erkenntnissen vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0320, vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0339 und vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0453, hat der Verwaltungsgerichtshof auch zum Ausdruck gebracht, daß als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "maßgeblicher Sachverhalt" im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nur solche Umstände herangezogen werden dürfen, die zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, in welchem der Fremde die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG nicht (mehr) erfüllt hat. Bei Fremden, die die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllt haben, ist gemäß § 20 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes daher nur dann zulässig, wenn es bei Anwendung der §§ 18 bis 20 Abs. 1 FrG auch unter Außerachtlassung jener Umstände verhängt werden dürfte, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StGB geführt haben. Dies ist im vorliegenden Fall in Ansehung des von der belangten Behörde ausdrücklich angesprochenen § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht der Fall.

Unabdingbare Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 ist nach § 10 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. auch die Tatsache, daß der Fremde seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat. Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde befindet sich der Beschwerdeführer zwar seit 1978 im Bundesgebiet, allerdings nicht "ununterbrochen". Die belangte Behörde hat aber nicht festgestellt, wann und wie lange diese Unterbrechungen des Aufenthaltes des Beschwerdeführers gewesen sind, sodaß mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage nicht beurteilt werden kann, ob die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG im maßgeblichen, oben angeführten Zeitpunkt vorgelegen hatte. Im Hinblick auf die gemäß § 5 Z. 4 JGG auf die Hälfte herabgesetzte Strafdrohung des § 201 Abs. 2 StGB bis zu fünf Jahren kommt § 20 Abs. 2 letzter Halbsatz FrG nicht zur Anwendung.

Da die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid aufgrund der erwähnten rechtsirrtümlichen Auffassung der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis bedurfte es keines Eingehens auf die vom Beschwerdeführer noch ergänzend aufgeworfene Frage einer "qualifiziert negativen Zukunftsprognose" bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates gemäß dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei ex 1963 (vgl. dazu aber hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1996, Zl. 95/18/1354).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994; der begehrte Stempelaufwandsersatz war nur insoweit zuzuerkennen, als er für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig erschien.

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