VwGH 93/18/0320

VwGH93/18/032030.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des D, in Wien, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Mai 1993, Zl. SD 164/93, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §20 Abs2;
JGG §1 Z2;
JGG §5 Z4;
StGB §130;
StGB §142 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;
JGG §1 Z2;
JGG §5 Z4;
StGB §130;
StGB §142 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 25. Mai 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführer vom Jugendgerichtshof Wien zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei, und zwar mit Urteil vom 14. Mai 1991 wegen des Verbrechens des Raubes (§ 142 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, bedingt auf drei Jahre Probezeit (unter gleichzeitiger Bestellung eines Bewährungshelfers), und mit Urteil vom 18. Dezember 1991 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Bandendiebstahls durch Einbruch (§§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 129 Z. 1, 130 zweiter und vierter Fall und 15 StGB), wegen des Vergehens der Bandenbildung (§ 278 Abs. 1 StGB) und wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen (§ 138 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten. Daraus schloß die belangte Behörde auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG in zweifacher Hinsicht: einerseits, weil der Beschwerdeführer mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt, anderseits, weil hiebei das in der vorzitierten Gesetzesstelle normierte Strafausmaß erheblich überschritten worden sei. Damit sei aber auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Das Aufenthaltsverbot bedeute zweifellos einen bedeutsamen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers, der in Wien geboren sei und seitdem hier mit seiner gesamten Familie lebe. Angesichts der schweren Rechtsbrüche, die sich der Beschwerdeführer habe zuschulden kommen lassen, sei jedoch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte Dritter jedenfalls zulässig (§ 19 FrG). Aufgrund der Schwere der Rechtsbrüche und vor allem des sofortigen Rückfalles des Beschwerdeführers könne eine Zukunftsprognose nicht günstig ausfallen. Den Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie könne deshalb kein solches Gewicht beigemessen werden wie den öffentlichen Interessen an der dringend gebotenen Verhängung dieser Maßnahme. Da somit die Voraussetzungen der §§ 19 und 20 FrG nicht vorlägen, sei das Aufenthaltsverbot zu Recht erlassen worden.

Der Hinweis des Beschwerdeführers, die Verhängung des Aufenthaltsverbotes über ihn sei gemäß § 20 Abs. 2 FrG unzulässig, weil nach § 5 Z. 4 des Jugendgerichtsgesetzes 1988-JGG bei Jungendlichen das Höchstmaß der angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen auf die Hälfte herabgesezt werde, gehe ins Leere. Der Gesetzgeber bringe nämlich deutlich zum Ausdruck, daß im Fall der Gründung eines Aufenthaltsverbotes auf § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG eine solche Maßnahme auch in dem im § 20 Abs. 2 leg. cit. umschriebenen Fall zulässig sei. Von rechtlicher Relevanz könne daher im vorliegenden Zusammenhang nur die jeweilige Strafdrohung nach dem StGB sein, nicht aber die "Strafdrohung, die dem Einzelnen aufgrund seines jugendlichen Alters zukommt". Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei demnach auch aus dieser Sicht zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FrG - § 18 Abs. 1 und 2 Z. 1, § 19 sowie § 20 Abs. 1 und 2 - lauten:

§ 18. (1) Gegen einen Fremden ist ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt

1. die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder

2. anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; ...

§ 19. Würde durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

§ 20. (1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen.

(2) Ein Aufenthaltsverbot darf außerdem nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre auf § 18 Abs. 2 Z. 1 zu gründen, weil der Fremde wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden ist.

2. In der Beschwerde bleiben die im angefochtenen Bescheid als maßgeblicher Sachverhalt festgestellten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers (oben I. 1.) unbestritten. Die Beschwerde läßt weiters den aus diesen Feststellungen gezogenen rechtlichen Schluß auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG und in der Folge jenes des § 18 Abs. 1 leg. cit. unbekämpft. Beim Verwaltungsgerichtshof sind insoweit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aufgetaucht.

3. Die Frage, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer aus dem Blickwinkel des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG zulässig war, bedarf im Hinblick auf die folgenden Ausführungen keiner weiteren Erörterung.

4.1. Die Beschwerde hält den bekämpften Bescheid (u.a.) deshalb für rechtswidrig, weil die belangte Behörde den § 20 Abs. 2 FrG im Fall des Beschwerdeführers unrichtig angewendet habe. Diese Bestimmung sei jedenfalls so zu verstehen, daß die für den betroffenen Fremden geltende konkrete Strafdrohung zu beachten sei. Im Hinblick auf die danach zum Tragen kommende Vorschrift des § 5 Z. 4 JGG, wonach das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe bei Jugendlichen auf die Hälfte herabgesetzt werde, sei der Beschwerdeführer tatsächlich nicht wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden. Richtigerweise hätte im Beschwerdefall die um die Hälfte herabgesetzte Strafdrohung beachtet werden müssen, da für Jugendliche die Strafdrohungen nach dem StGB nicht gelten würden.

4.2. Zwei der Straftaten, deretwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, sind nach dem StGB mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren, nämlich jeweils mit einem bis zu zehn Jahren, bedroht (§ 142 Abs. 1; § 130 zweiter Satz). Der Beschwerdeführer ist Jugendlicher im Sinne des § 1 Z. 2 JGG; die von ihm begangenen Straftaten sind demnach Jugendstraftaten (§ 1 Z. 3 JGG). Es kommen deshalb für ihn die im § 5 JGG normierten "Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten" zum Tragen, näherhin die Bestimmung der Z. 4. Nach der Einleitung des § 5 JGG gelten für die Ahndung von Jugendstraftaten die allgemeinen Strafgesetze, soweit im folgenden (hier: Z. 4) nichts anderes bestimmt ist. Gemäß der zuletzt genannten Norm "(wird) das Höchstmaß aller sonst angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen auf die Hälfte herabgesetzt; ein Mindestmaß entfällt". Für Jugendliche treten somit an die Stelle der allgemeinen (für Erwachsene geltenden) Strafdrohungen nach dem StGB die Strafdrohungen nach dem JGG. Es handelt sich um für eine bestimmte Personengruppe (Jugendliche) geltende, gegenüber den im StGB vorgesehenen Strafdrohungen geänderte Strafdrohungen eigener Art, was dazu führt, daß für die Beurteilung, ob die besagte Ausnahme im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG greift, bei jugendlichen Fremden von eben diesen eigenständigen Strafdrohungen auszugehen ist. Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, daß hier an die Stelle der für erwachsene Fremde geltenden Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren die gemäß § 5 Z. 4 JGG vorgesehene Strafdrohung, also ein Strafrahmen bis zu fünf Jahren (ohne Untergrenze), zu treten hat. Damit aber erweist sich die im bekämpften Bescheid vorgenommene Auslegung des im § 20 Abs. 2 FrG verankerten Ausnahmetatbestandes ("es sei denn ... verurteilt worden ist.") als rechtsirrig.

5. Aufgrund dieser verfehlten Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen zu prüfen, ob im Beschwerdefall die Voraussetzung des § 20 Abs. 2 erster Teil FrG erfüllt ist. Sie hätte hiezu zu erwägen gehabt, ob nicht schon allein die zweite rechtskräftige gerichtliche Verurteilung (vom 18. Dezember 1991) als bestimmte Tatsache i.S. des § 18 Abs. 1 FrG die dort umschriebene Annahme gerechtfertigt hätte und ob - bejahendenfalls - vor Verwirklichung des diesfalls maßgeblichen Sachverhaltes (nämlich der Rechtskraft dieser Verurteilung) der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer dessen erste rechtskräftige gerichtliche Verurteilung (vom 14. Mai 1991) entgegengestanden wäre (s. § 10 Abs. 1 Z. 2 lit. a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985).

6. Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leidet, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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