VwGH 94/20/0870

VwGH94/20/087028.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. September 1994, Zl. 4.328.607/4-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1 impl;
FlKonv Art1 AbschnF litb;
AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1 impl;
FlKonv Art1 AbschnF litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, der am 28. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat seinen am 31. Oktober 1991 gestellten Asylantrag bei seiner Befragung am 11. Februar 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark damit begründet, er sei seit 1987 aktives Mitglied der Jatio-Partei. Seit Februar 1991 sei die BNP an der Regierungsmacht, weshalb dauernd Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern dieser Parteien stattfänden. Im April 1991 habe der Beschwerdeführer an einer Wahlveranstaltung seiner Partei teilgenommen, bei der Mitglieder der BNP erschienen seien und die Veranstaltung gestört hätten. Die Veranstaltung sei gewalttätig ausgeartet und der Beschwerdeführer habe einen ihm persönlich bekannten Gegner mit einer Keule schwer verletzt. Daraufhin sei er von der Polizei, die auch bei ihm zu Hause nachgeforscht habe, gesucht worden. Er habe sich bis zu seiner Ausreise bei Verwandten in Dhaka versteckt gehalten. Er habe, da er bereits einen Reisepaß besessen habe, sein Heimatland ohne Probleme verlassen können. Er habe angenommen, er werde infolge der stationären Aufnahme des von ihm verletzten Gegners in ein Krankenhaus inhaftiert werden. Vor diesem Vorfall sei er nie verfolgt oder in Haft genommen worden. Er habe sein Heimatland nur verlassen, um einer möglichen Haft aus dem Wege zu gehen.

Mit Erledigung vom 1. Juli 1992 stellte das Bundesasylamt fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Die gegen diese Erledigung erhobene Berufung, in der der Beschwerdeführer geltend machte, er habe wegen seiner Aktivitäten für die Jatio-Partei ständig Probleme mit der Polizei gehabt, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 27. Juni 1994 mit der Begründung zurück, es mangle der Erledigung des Bundesasylamtes infolge Fehlens der leserlichen Beifügung des Namens des Unterfertigenden an der Bescheidqualität.

Mit Bescheid vom 1. August 1994 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab. Begründend wurde ausgeführt, die Befürchtung, wegen des Begehens der Körperverletzung als einer gerichtlich strafbaren Handlung bestraft zu werden, könne nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich bei den von ihm geschilderten Ausschreitungen lediglich mit einem Knüppel verteidigt. Mittlerweile sei ihm aus seiner Heimat ein Auszug der gegen ihn erhobenen Anklage, den er auch der Behörde übermittelt habe, nachgesandt worden. Demnach sei er nicht nur wegen Körperverletzung sondern auch deswegen zur Verhaftung ausgeschrieben, weil er durch Schüsse und Bombenexplosionen Panik erzeugt habe. Derartige Anschuldigungen seien in seinem Heimatland typisch für politische Verfolgung. Es sei ihm nicht zumutbar, vor ein Gericht seines Heimatlandes zu treten, weil es keine ordentliche und unabhängige Gerichtsbarkeit gebe und er daher automatisch im Sinne der Anklage schuldig gesprochen würde.

Mit Bescheid vom 2. September 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind am 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, sie habe bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden gehabt, ergibt sich aus dem Umstand, daß das Verfahren infolge Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 8. August 1994 (dies ist das Datum der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides durch den Beschwerdeführer) am 1. Juni 1992 noch nicht bei ihr anhängig war, die Rechtsfolge, daß sie verpflichtet gewesen wäre, das Asylgesetz (1968) anzuwenden (vgl. für viele andere insbesondere das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Daraus, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, ist dem Beschwerdeführer, der dieses Vorgehen der belangten Behörde auch gar nicht gerügt hat, zunächst insoweit kein Rechtsnachteil erwachsen, als die belangte Behörde zu ihrer Entscheidung deshalb gelangt ist, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 beurteilt hat, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff darstellt. Auch wurde der Beschwerdeführer nicht von vornherein deshalb in seinen Rechten verletzt, weil die belangte Behörde in (fälschlicher) Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 etwa nicht auf sein Berufungsvorbringen eingegangen wäre. Vielmehr hat sich die Behörde zumindest insoweit mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt, als sie die Berufungsausführungen wegen Widerspruchs zu den erstinstanzlichen Ausführungen als unglaubwürdig beurteilt hat. Hiebei kann der belangten Behörde allerdings nicht gefolgt werden, wenn sie der Ansicht ist, die Angaben des Beschwerdeführers in der Berufung stünden in Widerspruch zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen. Insbesondere hat es die belangte Behörde unterlassen darzulegen, worin sie derartige Widersprüchlichkeiten überhaupt erblickt.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung auf Urkunden, insbesondere auf die gegen ihn verfaßte Anklageschrift, hingewiesen, die er bereits anläßlich seiner Berufung gegen die Erledigung des Bundesasylamtes vom 1. Juli 1992 der Behörde vorgelegt hatte. Diese Unterlagen dienen der Bekräftigung seiner Angaben; die im Zusammenhang mit dem Verweis auf diese Urkunden im Berufungsvorbringen enthaltenen geringfügigen Unterschiedlichkeiten gegenüber den Erklärungen bei der Ersteinvernahme vom 11. Februar 1992 stellen sich als nähere Darlegung seiner Fluchtgründe dar und können nicht dazu führen, daß allein deshalb dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müßte. Somit wäre es aber Aufgabe der belangten Behörde gewesen, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der Berufung und insbesondere auf die von ihm vorgelegten Dokumente einzugehen.

Von Bedeutung erscheint hiebei zunächst die Behauptung des Beschwerdeführers, daß ihm, obwohl er seinen unwiderlegt gebliebenen Angaben zufolge sich mit einer Keule bzw. einem Knüppel verteidigt habe, in der Anklageschrift das Zünden von Bomben und das Abgeben von Schüssen zur Last gelegt werde, wobei es sich um für politische Verfolgung in seinem Heimatland typische Anschuldigungen handle. Auch sei ein ordentliches Gerichtsverfahren zufolge staatlicher Einflußnahme nicht zu erwarten. Unter den vom Beschwerdeführer geschilderten Umständen (gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Anhängern der die Regierung stellenden BNP und der in Opposition befindlichen Jatio-Partei) können die gegen den Beschwerdeführer unternommenen, sein Verhalten in erhöhtem Maße kriminalisierenden gerichtlichen Schritte nicht ohne weiteres als von seiner politischen Gesinnung losgelöst betrachtet werden (vgl. in diesem Zusammenhang z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0151). Ins Gewicht fällt hiebei auch die vom Beschwerdeführer als nicht unabhängig dargestellte Gerichtsbarkeit in seinem Heimatland. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu wiederholten Malen ausgesprochen hat, kann in Gebieten, in denen bürgerkriegsähnliche politische oder ethnisch-religiös bedingte Auseinandersetzungen im Gange sind, an das Verhalten staatlicher Behörden nicht ohne weiteres jener Maßstab angelegt werden, der in einer gefestigten, nicht durch innere Unruhen erschütterten Demokratie angebracht erscheint (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806). Zu diesen Darlegungen hat die belangte Behörde keinerlei Feststellungen getroffen. Demnach kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß die Furcht des Beschwerdeführers, auf Grund seiner Parteizugehörigkeit "automatisch" schuldig gesprochen zu werden, objektiv begründet ist.

Die belangte Behörde hat auch die Auffassung vertreten, der Asylgewährung an den Beschwerdeführer stehe - selbst für den Fall, daß ihm Flüchtlingseigenschaft zukäme - der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 entgegen, weil Artikel 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention auf ihn anwendbar sei. Gemäß der angeführten Gesetzesstelle wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er unter Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention fällt. Ein derartiger Ausschließungsgrund ist auch in § 1 Asylgesetz (1968) enthalten. Art. 1 Abschnitt F lit. b dieser Konvention sieht die Unanwendbarkeit der Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen vor, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, daß sie, bevor sie als Flüchtling in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben. Gründe für einen derartigen den Beschwerdeführer betreffenden Verdacht wurden von der belangten Behörde darin erblickt, daß es sich bei seiner "Teilnahme an den Gewalttätigkeiten im Rahmen einer Wahlveranstaltung um ein schweres nicht politisches Verbrechen gehandelt hat". Wenn auch der belangten Behörde beizupflichten ist, daß sie nicht gehalten war, das Vorliegen dieses Ausschlußgrundes nachzuweisen, so läßt doch ihre Argumentation jede Auseinandersetzung mit der hinsichtlich dieses Vorfalles in der Berufung gebotenen Erklärung, der Beschwerdeführer habe sich nur selbst mit einem Knüppel verteidigt, vermissen. Eine solche Auseinandersetzung wäre im Beschwerdefall aber umso notwendiger gewesen, als der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme nicht zu erkennen gegeben hat, er habe bei der Verletzung seines Gegners in Angriffsabsicht gehandelt. Vielmehr hat er angegeben, daß die Mitglieder der BNP die Wahlveranstaltung gestört hätten, worauf die Veranstaltung gewalttätig ausgeartet sei. Dafür aber, daß das im Zuge von Verteidigungshandlungen erfolgende Verletzen eines Angreifers von vornherein als schweres, nicht politisches Verbrechen zu werten wäre, können weder dem Asylgesetz 1991 noch der Genfer Flüchtlingskonvention Anhaltspunkte entnommen werden.

Somit sind Ermittlungen bzw. entsprechend belegte Feststellungen zu einem im Lichte der angeführten Judikatur bedeutsames Sachvorbringen unterblieben und ist somit auch der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.

Da insoweit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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