VwGH 94/20/0804

VwGH94/20/080414.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 28. Oktober 1994, Zl. 418.392/244-V 7/94, betreffend Einleitung des Entlassungsvollzuges und Bewilligung von Freigang, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art94;
PersFrSchG 1988 Art6 Abs2;
StGB §145 Abs2;
StGB §46 Abs5;
StPO §410;
StVG §11;
StVG §12;
StVG §13;
StVG §145;
StVG §16 Abs1;
StVG §16 Abs2;
StVG §162 Abs2;
StVG §18;
StVG §7 Abs1;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art94;
PersFrSchG 1988 Art6 Abs2;
StGB §145 Abs2;
StGB §46 Abs5;
StPO §410;
StVG §11;
StVG §12;
StVG §13;
StVG §145;
StVG §16 Abs1;
StVG §16 Abs2;
StVG §162 Abs2;
StVG §18;
StVG §7 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreis-(jetzt Landes-)gericht Korneuburg vom 18. Dezember 1984, GZ. 10 Vr 949/82-570, wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. b (aF) Waffengesetz schuldig erkannt, nach §§ 28, 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 2 StGB angeordnet.

Dieses Urteil wurde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986, GZ 9 Os 76/85-27, im Schuldspruch bestätigt, im Strafausspruch jedoch dahin abgeändert, daß der Beschwerdeführer einerseits zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, andererseits der Antrag auf Unterbringung gemäß § 21 Abs. 2 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgewiesen wurde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte mit Entscheidung vom 21. September 1993, Zl. 29/1992/374/448, fest, daß nach Lage des Falles die persönliche Anwesenheit des Angeklagten beim Gerichtstag über die Berufung im Interesse der Fairneß des Verfahrens geboten gewesen wäre und erblickte in der unterbliebenen Sicherstellung der Anwesenheit des Beschwerdeführers bei der mündlichen Berufungsverhandlung, um ihn solcherart in die Lage zu versetzen, sich "persönlich selbst zu verteidigen", eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 lit. c der EMRK.

Der Beschwerdeführer verbüßt die über ihn verhängte Freiheitsstrafe auf Lebensdauer derzeit in der Justizanstalt Wien-Mittersteig.

Gestützt auf das vorerwähnte Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stellte der Beschwerdeführer am 26. Mai 1994 an den Leiter der Justizanstalt Wien-Mittersteig das Ansuchen, die Einleitung des Entlassungsvollzuges gemäß § 145 Abs. 2 erster Satz StVG in der Weise zu bewilligen, daß ihm der Besuch der Universität Wien zur Durchführung des bereits bewilligten Studiums des Faches "Geschichte" von Montag bis jeweils Freitag in der Dauer von jeweils 12 Stunden täglich gestattet werde.

Mit (formloser) Entscheidung des Anstaltsleiters vom 26. Mai 1994 wurde diesem Ansuchen unter Verweis auf den, eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers gemäß § 46 Abs. 1 StGB ablehnenden Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Mai 1994, AZ 18d BE 636/93, nicht stattgegeben.

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 28. Oktober 1994 nicht Folge. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer werde die zeitlichen Voraussetzungen für seine bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs. 5 StGB erstmals im Dezember 1997 erfüllen. Die im Rahmen des § 145 StVG zu erstellende Prognose habe von den im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden, die aktuelle Strafzeit unmittelbar bestimmenden gerichtlichen Entscheidungen auszugehen. Die Einleitung des Entlassungsvollzuges sei - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - daher frühestens im Dezember 1996 möglich. Ein derzeit anhängiges Verfahren im Sinne des § 410 StPO könne daran nichts ändern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf fehlerfreie Anwendung des § 145 StVG verletzt. Des weiteren regt er an, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der zeitlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 5 StGB wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 PersFrG als verfassungswidrig zu beantragen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeausführungen lassen sich im wesentlichen dahin zusammenfassen, daß der Beschwerdeführer die im § 46 Abs. 5 StGB normierte zeitliche Voraussetzung (für die bedingte Entlassung eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Rechtsbrechers) der Verbüßung der Freiheitsstrafe von wenigstens 15 Jahren für verfassungswidrig ansieht. Hinsichtlich der Auslegung des angewendeten § 145 StVG wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, weder das von ihm erwirkte Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte noch das im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anhängige Verfahren auf nachträgliche Strafmilderung (im Sinne des § 410 StPO) in die Prognose über seine voraussichtliche Entlassung einbezogen zu haben. Dieser Umstand wäre jedoch - nach Ansicht des Beschwerdeführers - deshalb wesentlich gewesen, weil die dem Obersten Gerichtshof vorbehaltene Beschlußfassung im Sinne des § 410 Abs. 3 StPO "in absehbarer Zeit zu erwarten sei".

Die Beschwerdeausführungen sind nicht geeignet, eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit aufzuzeigen und die Beschwerde zum Erfolg zu führen.

Insoweit der Beschwerdeführer rügt, der auf Grund des Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 eingeleitete (und aufrecht erhaltene) Strafvollzug sei als konventionswidrige Haft anzusehen, er werde dadurch und des weiteren durch die Anwendung des § 46 Abs. 5 StGB in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt, ist er darauf zu verweisen, daß die Prüfung derartiger Rechtsverletzungen gemäß Art. 144 B-VG in die alleinige Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes fällt und mithin gemäß Art. 133 Z. 1 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher zur Nachprüfung der behaupteten Verfassungswidrigkeit (bzw. der behaupteten Verletzung von im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen der EMRK), zumal die Beschwerde daraus keine unrichtige Anwendung des Strafvollzugsgesetzes ableitet, nicht berufen.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß Art. 92 Abs. 1 B-VG oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen. Nach Art. 94 B-VG ist die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.

Im Bereich des Strafvollzuges (Vollzug gerichtlicher Strafurteile) sind sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, nämlich einerseits das Vollzugsgericht - darunter ist der gemäß § 16 Abs. 1 StVG zuständige Gerichtshof erster Instanz, dem die in den §§ 16 Abs. 2 und 162 Abs. 2 StVG aufgezählten Entscheidungskompetenzen zukommen, zu verstehen - und andererseits die in den §§ 11 bis 13 und 18 StVG genannten Verwaltungsbehörden (Anstaltsleiter, Vollzugsoberbehörde, oberste Vollzugsbehörde und Vollzugskommission) tätig.

Die Anordnung des Strafvollzuges (§ 7 Abs. 1 StVG) fällt jedoch eindeutig in die gerichtliche Kompetenz (sie steht nämlich dem Vorsitzenden des erkennenden Strafgerichtes zu) und gehört nicht in die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde.

Auf dem Boden dieser Rechtslage (kompetenzrechtlichen Gewaltenteilung), insbesondere aus dem Blickwinkel des Art. 94 B-VG, kann daher den auf Nachprüfung des (vom Beschwerdeführer ausdrücklich als "Fehlurteil" bezeichneten) in einer gerichtlichen Strafsache ergangenen Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 durch den Bundesminister für Justiz hinauslaufenden Beschwerdeausführungen nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer verkennt dabei, daß im vorliegenden Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz dem Verwaltungshandeln die dargelegten normierten Grenzen gesetzt waren und der belangten Behörde mithin Kompetenzen dahin, das rechtskräftige Straferkenntnis des Obersten Gerichtshofes bzw. die den Strafvollzug danach anordnende Entscheidung des Vollzugsgerichtes - aus welchen Gründen auch immer - nachträglich abzuändern, nicht zukommen konnten. Der Vorwurf, die durch das Verfahren gemäß § 410 StPO angeblich bevorstehende Korrektur der Strafbemessung des zu vollziehenden Strafurteiles sei nicht berücksichtigt worden, muß ebenfalls ins Leere gehen, weil die belangte Behörde bei der Bescheiderlassung von dem dem innerstaatlichen Rechtsbestand angehörenden gerichtlichen Strafurteil bzw. von der Vollzugsanordnung des Vollzugsgerichtes auszugehen hatte. Daß die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung diese (in einem gerichtlichen Verfahren zustandegekommenen) Entscheidungsgrundlagen zu beachten bzw. bindend zugrundezulegen hatte, ergibt sich letztlich auch aus der Bestimmung des § 145 StVG selbst mit hinreichender Deutlichkeit (arg. "Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe"; "Rechtskraft des weiteren Strafurteiles"). Für die vom Beschwerdeführer nach dem Inhalt seiner Beschwerde angestrebte Umsetzung des Urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - die auf eine nachträgliche Änderung der Strafhöhe (Strafzumessung) abzielt und damit das Erkenntnisverfahren betrifft - bietet das vorliegende Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz keine Handhabe.

Der belangten Behörde kann - da die aus Art. 53 EMRK sich ergebende (völkerrechtliche) Verpflichtung der Republik Österreich dem Beschwerdeführer im Bereich des vorliegenden Verfahrens nach dem Strafvollzugsgesetz nicht den vom Beschwerdeführer behaupteten Anspruch verschafft - daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie das bislang im innerstaatlichen Rechtsbestand unberührt gebliebene Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986 und die darauf beruhende Vollzugsanordnung des Vollzugsgerichtes ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Danach muß aber das dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegende Ansuchen des Beschwerdeführers auf Überstellung in den Entlassungsvollzug schon an den im § 46 Abs. 5 StGB normierten zeitlichen Voraussetzungen für seine bedingte Entlassung scheitern. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist aus dem Umstand allein, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein auf nachträgliche Milderung der Strafbemessung gerichtetes Verfahren (im Sinne des § 410 StPO) anhängig gewesen ist, noch nicht zu folgern, daß die rechtskräftig ausgesprochene Strafe im Ergebnis der Höhe nach herabgesetzt werden wird. Der insoweit in der Beschwerde herangezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. Mai 1994, GZ. 14 Os 33/94-14, kann nämlich lediglich entnommen werden, daß dem Erstgericht aufgetragen wurde, diesen Antrag des Beschwerdeführers - nach Herstellung der Tatsachen- und Entscheidungsgrundlage - sachlich zu beurteilen, ohne daß damit aber eine Aussage über den Erfolg des Antrages gemacht worden wäre. Aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. Mai 1994 (14 Os 33/94-14) ist für den Standpunkt des Beschwerdeführers daher nichts zu gewinnen.

Der Beschwerdeführer verkennt somit die rechtliche Trageweite des von ihm erwirkten Urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auf das vorliegende Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz.

Wenn die belangte Behörde letztlich zu dem Ergebnis gelangte, daß der Beschwerdeführer derzeit voraussichtlich weder bedingt noch unbedingt entlassen werden wird, kann diese Beurteilung bezogen auf den Zeitpunkt der ERLASSUNG DES ANGEFOCHTENEN BESCHEIDES weder als unschlüssig noch als inhaltlich rechtswidrig angesehen werden.

Des weiteren übergeht der Beschwerdeführer aber auch den für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer bedingten Entlassung wesentlichen Umstand, daß eine bedingte Entlassung (sowohl gemäß § 46 Abs. 1 StGB und noch vielmehr eine solche gemäß Abs. 2 leg. cit.) zusätzlich zu zeitlichen Bedingungen auch die Erfüllung weiterer, spezial- und generalpräventiver Voraussetzungen erfordert, in seiner Beschwerde mit völligem Stillschweigen. Selbst wenn die über den Beschwerdeführer auf Lebenszeit verhängte Freiheitsstrafe in Zukunft auf eine zeitliche Freiheitsstrafe gemildert werden sollte - was im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch weder der Fall war noch konkret vorhersehbar gewesen ist - dann bleibt der Beschwerdeführer noch immer Argumente dafür schuldig, warum eine allenfalls derart gemilderte Freiheitsstrafe nicht dennoch von ihm zur Gänze zu verbüßen wäre. Kommt die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers DERZEIT (im Zeitpunkt der Bescheiderlassung) - wie die belangte Behörde insoweit zutreffend ausgeführt hat - schon mangels Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen nicht in Betracht, dann war es aber nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer begehrte Überstellung in den Entlassungsvollzug und damit auch die Bewilligung von Freigang abgelehnt hat.

Da der Verwaltungsgerichtshof - entgegen den Beschwerdeausführungen - an der Verfassungsmäßigkeit der zeitlichen Regelung des § 46 Abs. 5 StGB keine begründeten Zeifel hegt, war der Anregung des Beschwerdeführers (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 152 wiedergegebene hg. Judikatur), insoweit einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu richten, nicht näherzutreten.

Die sich als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben, weil auch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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