VwGH 94/20/0761

VwGH94/20/076114.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Blaschek und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des A in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. August 1994, Zl. 4.344.872/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnA;
FlKonv Art1 AbschnF litb;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnA;
FlKonv Art1 AbschnF litb;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, reiste am 7. August 1994 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. August 1994 den Asylantrag. Bei seiner am 17. August 1994 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich erfolgten Vernehmung gab der Beschwerdeführer im wesentlichen an, seit Ende Dezember 1991 aktiv kämpfendes Mitglied der PKK gewesen zu sein und in D mit der Waffe gegen das Militär der türkischen Regierung bis Ende des Jahres 1992 gekämpft zu haben, zu welchem Zeitpunkt er mit Einverständnis der Führung der PKK wieder in seine Heimatstadt E zurückgekehrt sei. Er habe jedoch Angst, von Organen der türkischen Regierung als aktives Mitglied der PKK erkannt, verhaftet und verurteilt zu werden. Da es in seinem Familienkreise mehrere aktive PKK-Kämpfer gebe, habe er von der Führung der PKK die Erlaubnis erhalten, in Istanbul unterzutauchen, was er im März 1993 auch getan habe. Seit diesem Zeitpunkt habe er nichts mehr mit der PKK gemeinsam unternommen. Dennoch rechne er damit, von der türkischen Regierung als aktives PKK-Mitglied gesucht und unter Umständen auch getötet zu werden, falls er in die Türkei zurückkehre. Freunde, die vom türkischen Militär verhaftet worden seien, hätten bekannt, er (der Beschwerdeführer) sei eine "Führungskraft der PKK" gewesen, was jedoch nicht gestimmt habe. Er sei nur kämpfendes Mitglied gewesen. Er könne allerdings nicht sagen, wie viele Personen des türkischen Militärs er persönlich im Zuge des Bürgerkrieges getötet habe, er habe jedoch bewußt das türkische Militär beschossen und "versucht, dieses zu dezimieren". Nunmehr könne er den Führungs- und Kampfstil der PKK nicht mehr akzeptieren.

Mit Bescheid vom 17. August 1994 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl im wesentlichen mit der Begründung ab, kein Staat müsse Angriffe auf seinen Bestand und auf seine äußere oder innere Sicherheit tolerieren. Es unterliege der Souveränität eines Staates, eine derartige Organisation, wie es die PKK sei, zu verbieten und deren Mitglieder auszuforschen, wenn dieselben kriminelle Handlungen (z.B. Terroranschläge gegen Privat- und Militärpersonen) ausführten. Bestimmungen dieser Art gebe es auch in demokratischen Rechtsordnungen und es wäre das Vorgehen der türkischen Regierung gegen den Beschwerdeführer dem allgemeinen Strafrecht zuzuordnen. Im übrigen seien die Terrorakte der PKK längst nicht mehr auf die Türkei beschränkt, sondern hätten mittlerweile auch in Mitteleuropa stattgefunden, was unter anderem auch zu einem Verbot der PKK in Deutschland geführt habe. Diese Terroraktionen träten in Brandanschlägen, blindwütigen Sachbeschädigungen, Überfällen auf türkische Vertretungen und Schutzgelderpressungen zutage und würden zudem planvoll organisiert und ausgeführt. Im übrigen nahm das Bundesasylamt Verfolgungssicherheit in einem nicht näher bezeichneten Durchreisestaat an.

In seiner fristgerecht dagegen eingebrachten Berufung führte der Beschwerdeführer nach einer kurzen Situationsschilderung und Darlegung seiner Motive für seinen Beitritt zur PKK aus, aus den besonderen, in seiner Heimatprovinz herrschenden Verhältnissen könne nicht davon ausgegangen werden, er habe sich an irgendwelchen kriminellen Aktionen oder gar Terroraktionen der PKK beteiligt. Gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit wendete der Beschwerdeführer insbesondere ein, die Erstbehörde sei nicht einmal in der Lage gewesen, ein konkretes Drittland anzugeben, in welchem er tatsächlich vor Verfolgung sicher gewesen wäre.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Begründung stellt die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zwar nicht in Frage, vermeinte aber rechtlich, der Beschwerdeführer habe dadurch, daß er von Dezember 1991 bis Ende des Jahres 1992 bewaffnet gegen das türkische Militär gekämpft und im Zuge dessen Militärangehörige in der Absicht, "das türkische Militär zu dezimieren", beschossen habe, jedenfalls das Verbrechen des versuchten (respektive vollendeten) Mordes begangen. Insbesondere da ein derartiger "Übergriff gegen Organe des Souveräns nicht als Handlung eines legitimen Kombatanten verstanden werden" könne, sondern nur und ausschließlich als Angriff von Privaten gegen die demokratische Obrigkeit und deren Organe (die wiederum physische Personen seien), sei dies jedenfalls als Mordversuch anzusehen. Damit stünde aber der Beschwerdeführer im Verdacht, "ein schweres, nicht politisches Verbrechen" im Sinne des Art. I Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention begangen zu haben. Dazu führt die belangte Behörde ferner aus:

"Ob sich für Sie mit der Begehung des genannten - per se "unpolitischen" - Verbrechens des versuchten Mordes irgendwelche ideologischen Implikationen und Äthiologien verbunden haben mögen, ist hier insofern unbeachtlich, als abstrakt auf das Wesen des in Frage stehenden Deliktes abzustellen ist und der versuchte Mord, im Gegensatz zu Hochverrat, Überzeugungsdelikten und ähnlichem, in seinem Tatbestand auf "Politisches" auch im weitesten Sinne nicht Bezug nimmt. Insofern handelt es sich hiebei nicht bloß um ein "schweres", sondern auch um ein "unpolitisches" Verbrechen, wobei keinerlei Rechtfertigungsgrund für Sie ersichtlich ist."

Im übrigen erachtete die belangte Behörde ebenfalls Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben, weil "aufgrund der geographischen Lage der Türkei und der von Ihnen angeführten Reiseart (per Reisebus) bzw. Reisedauer (drei Tage)" es als erwiesen anzusehen sei, "daß Sie sich nach dem Verlassen der Türkei entweder in Bulgarien, in Griechenland oder in der russischen Föderation aufgehalten haben müssen". In diesen Staaten, die alle Mitglieder der Genfer Flüchtlingskonvention seien, sei der Beschwerdeführer daher bereits vor Verfolgung sicher gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, bei ihm liege sowohl der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 (Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention) als auch jener des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor.

Dazu ist folgendes zu sagen:

Gemäß Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention sind die Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, daß sie, bevor sie als Flüchtling in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben. Die belangte Behörde hat hiezu festgehalten, der Beschwerdeführer habe von Dezember 1991 bis Ende des Jahres 1992 bewaffnet gegen das türkische Militär gekämpft und im Zuge dessen Militärangehörige in der Absicht, "das türkische Militär zu dezimieren" jedenfalls das Verbrechen des versuchten (respektive vollendeten) Mordes begangen, wobei es sich nach den Darlegungen der belangten Behörde ihrer Meinung nach um ein "nicht politisches" Verbrechen gehandelt habe. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Behauptung, es sei das legitime Recht eines jeden Volkes, Maßnahmen zu setzen, um sich selbst zu schützen. Der kurdische Widerstand gegen das staatliche türkische System sei legitim, jedenfalls aber politisch motiviert. Davon, daß der Beschwerdeführer ein schweres NICHT POLITISCHES Verbrechen, nämlich einen oder mehrere Morde begangen habe, könne daher schon aus diesem Grunde nicht die Rede sein. Im übrigen stehe keinesfalls fest, er habe tatsächlich an kriminellen Aktionen der PKK teilgenommen und tatsächlich Morde bzw. Mordversuche zu verantworten.

Bereits in der Berufung hatte der Beschwerdeführer nach Herausstellung der wirren politischen Verhältnisse in seinem Heimatbezirk angegeben, die PKK durch Geldsendungen und Kleidung unterstützt zu haben. Bereits hier hatte er auch betont, daß es nicht ersichtlich gewesen sei, er habe sich an irgendwelchen kriminellen Aktionen oder gar Terroraktionen der PKK beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß allein der Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung die Anerkennung als Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) nicht ausschließt, weil damit noch nicht gesagt ist, daß die gegen den Asylwerber zu erwartenden staatlichen Sanktionen ihre Grundlage in strafrechtlichen Belangen und nicht darüber hinaus auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten sind, hätten. Selbst terroristische Aktivitäten hindern die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht von vornherein, sofern nicht der Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt (vgl. hg. Erkenntnisse vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882, und jeweils vom 17. Juni 1993, Zlen. 92/01/0986, 0987). Es ist vielmehr in jedem Falle durch Ermittlungen zu klären und festzustellen, in welchem Zusammenhang die dem Asylwerber vorzuwerfenden strafbaren Handlungen mit seiner politischen Tätigkeit bzw. Meinung stehen, um beurteilen zu können, ob die drohende Strafverfolgung sich nicht als eine solche wegen der politischen Gesinnung (oder aus einem anderen in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund) angesehen werden kann (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 18. März 1993, Zl. 92/01/0720). Wertet nun die belangte Behörde die Tätigkeit des Beschwerdeführers bei der PKK lediglich als (unpolitische) "kriminelle Handlung" ohne weitere Ermittlungen und Feststellungen über die tatsächlichen Umstände der Aktivitäten des Beschwerdeführers in dieser Zeit anzustellen, so belastet sie ihren Bescheid mit Verfahrensmängeln, weil nicht auszuschließen ist, daß die vom Beschwerdeführer vorgenommene Beteiligung an militärischen Auseinandersetzungen oder Unterstützungsaktionen im Zusammenhang mit den von der PKK gesetzten Aktivitäten und damit auch die von den türkischen Behörden deswegen gegen den Asylwerber ergriffenen Maßnahmen ihre Grundlage in ethnisch-politischen Belangen haben kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703 und vom 21. Juni 1994, Zl. 94/20/0106). Mit dem Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention) sollen besonders schwere Verstöße gegen in allen Staaten gleichermaßen geschützte Rechtsgüter verstanden werden, bei denen die Verwerflichkeit ein allfälliges Schutzinteresse überwiegt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0630, welches einen erheblichen Verstoß des dortigen Beschwerdeführers gegen Suchtgiftbestimmungen zur Grundlage hatte).

Insofern die belangte Behörde auch den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 heranzieht, ist ihr vorzuwerfen, daß sie diesbezüglich eindeutige Feststellungen nicht getroffen, damit aber auch ihrer Begründungspflicht im Sinne des § 60 AVG nicht entsprochen hat. Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, daß bloß hypothetische Aufenthaltsmöglichkeiten in nicht näher definierten Drittländern nicht ausreichen, die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers (wo?) anzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/20/0678). Die belangte Behörde wird sich daher mit der Frage zu befassen haben, durch welche konkreten Länder der Beschwerdeführer gereist ist und aus welchen Gründen er in diesen nicht bereits um Asyl angesucht hat. Im übrigen wird zur Frage nach der amtswegigen Ermittlungspflicht der belangten Behörde in diesem Punkte auf das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413 gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Aus diesen Gründen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Verfahrensmängeln, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG infolge Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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