VwGH 94/19/1381

VwGH94/19/138128.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. August 1994, Zl. 4.329.586/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Tunesiens, ist am 26. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 13. Jänner 1992 beantragt, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark am 16. Jänner 1992 gab er im wesentlichen an, in seiner Heimat seit 1986 Mitglied der legalen Partei "EL NAHDA" zu sein; die Mitglieder dieser Partei seien Moslems. 1987 sei er bei einer Demonstration in Tunis von der Polizei festgenommen und - ohne daß ihm der Haftgrund mitgeteilt worden sei - für eine Woche in Haft genommen worden. Dabei sei er mehrmals verhört, geschlagen und mißhandelt worden. Sichtbare Verletzungen habe der Beschwerdeführer nicht davongetragen. Nach seiner Freilassung sei er dauernd vom tunesischen Geheimdienst überwacht worden und habe seine Aktivitäten (in der Partei) reduzieren müssen. Im Jahre 1991 habe er wieder aktiv gearbeitet und so auch eine Versammlung der Partei im Juni besuchen wollen. Bei dieser seien jedoch alle seine Parteifreunde verhaftet worden; aufgrund des Umstandes, daß er sich verspätet habe, sei er nicht festgenommen worden, habe sich jedoch zur Flucht entschlossen. Die Regierungspartei würde das Land wie eine "Diktatur" regieren und die Partei, der er angehöre, zerschlagen wollen. Bei seiner Rückkehr müsse er mit seiner Ermordung durch den tunesischen Geheimdienst rechnen. Am 15. September 1991 sei er zu Fuß über die Grenze nach Algerien geflüchtet und habe sich dort ca. 3 Monate bei einem Freund aufgehalten. Er habe jedoch Algerien verlassen müssen, "da die algerische Polizei mit unserer zusammenarbeite" und er "sofort überstellt worden wäre".

Mit Bescheid vom 12. März 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht erfülle.

In seiner dagegen erhobenen Berfung verwies der Beschwerdeführer auf die in erster Instanz gemachten Angaben und führte unter anderem aus, daß er im Jahre 1990 verhaftet worden sei. Während seiner Haft, die drei Monate angedauert habe, sei er geschlagen und mißhandelt worden; man habe von ihm Auskünfte über geheime Untergrundtätigkeiten seiner Partei verlangt, die er aber nicht habe geben können. Er sei schließlich aus dem Gefängnis entlassen worden, da keine Beweise vorgelegen seien, wonach er der "moslemischen Partei" angehöre. Er sei jedoch ständig von der Polizei verfolgt worden, welche schließlich, als dann Beweise für seine Mitgliedschaft bei der Partei vorgelegen seien, nach ihm gefahndet habe. Aus diesem Grunde habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen.

Mit dem Bescheid vom 26. August 1994 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Die belangte Behörde hatte das Asylgesetz 1991 anzuwenden, da die mit 19. März 1992 datierte Berufung des Beschwerdeführers am 20. März 1992 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark eingelangt war.

Die belangte Behörde ging hiebei davon aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 sei; bei ihm liege die "begründete Furcht vor Verfolgung" nicht vor, da konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen nicht glaubhaft gemacht worden seien. Die Verhaftung des Beschwerdeführers im Jahre 1987 sei, da schon längere Zeit vor der Ausreise gelegen, nicht beachtlich. Auch habe die Überwachung und Kontrolle durch den tunesischen Geheimdienst nicht die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Intensität und Qualität erreicht.

Dementgegen war der Beschwerdeführer nach seinem - auch von der belangten Behörde nicht ohne weiteres als unglaubwürdig angesehenen - Vorbringen aufgrund seiner politischen Gesinnung Verfolgungsmaßnahmen in seinem Heimatstaat ausgesetzt, die wohl - soweit sie von der Intensität des Eingriffes her in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnten (Inhaftierung und Mißhandlungen) - nicht bis zu seiner Ausreise angedauert haben. Anhaltend war allerdings die Überwachung durch die Polizei, die aber für sich allein keinen solchen Eingriff bildet, daß aus objektiver Sicht gesagt werden müßte, der Verbleib des Beschwerdeführers in seinem Heimatland wäre für ihn unerträglich gewesen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. November 1994, Zl. 94/19/0635, mit weiteren Nachweisen).

Der Beschwerdeführer hat aber insbesondere im Zusammenhang mit den von ihm dargestellten Vorgängen bei der Zusammenkunft im Juni 1991 dem Sinne nach vorgebracht, er habe aufgrund der Tatsache der Inhaftierung seiner Parteifreunde damit rechnen müssen, selbst in Haft genommen zu werden; er sei nur aufgrund des Umstandes, daß er zu spät gekommen sei, nicht verhaftet worden. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht hat, er habe seine Aktivitäten im Rahmen seiner Partei im Jahre 1991 trotz der polizeilichen Überwachung wieder verstärkt, kann eine polizeiliche Fahndung nach ihm nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wie dies die belangte Behörde getan hat. Auch könnte die Furcht des Beschwerdeführers vor Verhaftung und Bestrafung angesichts des Umstandes, daß er der Polizei bereits als Mitglied seiner Partei bekannt und wegen dieser Mitgliedschaft bereits einmal inhaftiert und mißhandelt worden war, nicht als unbegründet angesehen werden (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 25. November 1994). Mit diesen Fragen hat sich die belangte Behörde aber nicht auseinandergesetzt und auch jegliche Ermittlung in dieser Hinsicht (z.B. ergänzende Befragung des Beschwerdeführers) unterlassen.

Soweit die belangte Behörde ausführt, daß die Inhaftierung seiner Parteifreunde noch keine konkrete, gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung indiziere, ist ihr zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer nicht gehalten war (weitere) Verfolgungsmaßnahmen durch die Behörde seines Heimatstaates abzuwarten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0283).

Die belangte Behörde hat überdies noch ausgeführt, daß der Beschwerdeführer bereits in Algerien einen Asylantrag hätte stellen können, sodaß ein Anspruch auf Asylgewährung in Österreich mangels eines "entsprechenden Sicherheitsbedürfnisses" nicht gegeben sei. Dem hält der Beschwerdeführer zutreffend entgegen, daß die belangte Behörde sein Vorbringen nicht näher berücksichtigt habe, wonach die Polizei Algeriens mit der tunesischen Polizei zusammenarbeiten würde und er keinen Rückschiebungsschutz genossen habe. Allein aus der Tatsache, daß Algerien Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention ist (vgl. BGBl. Nr. 61/1967), kann nämlich - unter dem Blickwinkel der bereits in seiner niederschriftlichen Vernehmung aufgestellten Behauptung - nicht darauf geschlossen werden, der Beschwerdeführer sei in Algerien in seiner konkreten Situation und entgegen seinem Vorbringen vor Rückschiebung sicher gewesen. Es kann daher - zumindest beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens - auch das Vorliegen des - von der Behörde nicht ausdrücklich herangezogenen - Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nicht bejaht werden.

Damit sind der belangten Behörde aber Verfahrensmängel unterlaufen, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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