VwGH 94/19/0635

VwGH94/19/063525.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des C in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. März 1992, Zl. 4.301.100/3-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. März 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Simbabwes, der am 13. August 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist, nicht Flüchtling im Sinne des AsylG (1968) sei.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 22. Juni 1992, B 626/92, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese mit Beschluß vom 16. September 1992 dem Verwaltungsgerichtshof ab, der darüber erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 3. September 1990 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich angegeben, er sei seit 1988 Funktionär der "Z.U.M." (einer politischen Partei) gewesen. Vor den Wahlen habe der Sicherheitsdienst in seiner Wohnung eine Hausdurchsuchung durchgeführt und dabei Propagandamaterial gefunden. Das Material sei sofort vernichtet und der Beschwerdeführer festgenommen und in das "Cangoroo-Court", ein "brutales" Gefängnis, gebracht worden. Dort sei er 17 Tage inhaftiert gewesen, wobei er regelmäßig verhört und gefoltert worden sei. Man habe vom Beschwerdeführer Auskünfte über die Parteizentralen in Mosambique erfahren wollen. Von den Folterungen seien Narben zurückgeblieben. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis habe sich der Beschwerdeführer täglich bei der Polizei melden müssen.

Am letzten Wochenende vor der Wahl habe er mit seiner Partei ("wir") in einem Stadion in Gweru eine Wahlveranstaltung organisiert, an der etwa 3.000 Personen teilgenommen hätten. Während der Veranstaltung seien Geheimdienstleute der Regierungspartei mit sieben Lastwagen gekommen und hätten in die Menge geschossen. Dabei seien 27 Personen, darunter auch der Parteichef der "Z.U.M.", getötet und 300 verletzt worden. Solche Aktionen hätten an diesem Wochenende bei allen größeren Wahlveranstaltungen der "Z.U.M." stattgefunden. Der Beschwerdeführer selbst habe von der Wahlveranstaltung flüchten können und habe sich in der Folge 40 Tage lang bei Freunden in Bulawayo versteckt gehalten. Von Parteifreunden habe er erfahren, daß die Polizei nach ihm suche. Über Botswana sei er schließlich nach Europa geflüchtet. In Simbabwe habe er keine Chance mehr gesehen. Sollte er zurückkehren müssen, befürchte er hingerichtet zu werden.

In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung erstattete der Beschwerdeführer kein neues Vorbringen, da er daran - wie er ausführte - "aufgrund der Unmöglichkeit Akteneinsicht zu nehmen, gehindert gewesen" sei.

Die belangte Behörde gelangte im nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid zu der Auffassung, daß dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu entnehmen sei, dies insbesondere, weil sie seine Angaben durchwegs als unglaubwürdig beurteilte.

Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, wenn er rügt, daß diese Beweiswürdigung nicht schlüssig nachvollziehbar ist.

So führt die belangte Behörde keinerlei Gründe an, weshalb die vom Beschwerdeführer angegebene Inhaftierung zweifelhaft sei und ist auch ihre Folgerung, daß die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der "Z.U.M." deshalb unlaubwürdig sei, weil er keine "Kenntnisse über die Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitsweise der Partei nachweisen konnte", insofern aktenwidrig, als aus dem Akteninhalt nicht hervorgeht, daß der Beschwerdeführer dazu überhaupt befragt worden wäre. Auch wenn die belangte Behörde die Verfolgung von "Z.U.M.-Mitgliedern" im allgemeinen aufgrund der politischen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers sowie aufgrund mangelnder Zeitungsberichte als unwahrscheinlich erachtete, so ist eine solche Wertung, ohne dem Beschwerdeführer dazu Parteiengehör gewährt zu haben, mangelhaft. Ebenso mangelt es der Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte in einem anderen Teil Simbabwes Schutz vor Verfolgung finden können, an jeglicher Sachverhaltsgrundlage.

Der Beschwerdeführer war nach seinem sohin nicht ohne weiteres als unglaubwürdig zu wertenden Vorbringen aufgrund seiner politischen Gesinnung Verfolgungsmaßnahmen in seinem Heimatstaat ausgesetzt, die wohl - soweit sie von der Intensität des Eingriffes her in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnten (Inhaftierung und Folter) - nicht bis zu seiner Ausreise angedauert haben. Anhaltend war allerdings die tägliche Meldepflicht bei der Polizei, die aber für sich allein keinen solchen Eingriff darstellt, daß aus objektiver Sicht gesagt werden müßte, der Verbleib in seinem Heimatland wäre für den Beschwerdeführer unerträglich gewesen (vgl. hg. Erkenntnisse vom 16. März 1994, 93/01/0724, 0725).

Der Beschwerdeführer hat aber insbesondere im Zusammenhang mit den von ihm dargestellten Vorgängen bei einer Wahlveranstaltung geltend gemacht, er sei nach seiner Flucht von dieser Veranstaltung polizeilich gesucht worden. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht hat, er habe an der Organisation dieser Veranstaltung mitgewirkt, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß die ins Treffen geführte polizeiliche Nachforschung ihre Ursache im Bekanntwerden des Mitwirkens an der Organisation der Wahlveranstaltung gehabt haben könnte. Zutreffendenfalls könnte aber die Furcht des Beschwerdeführers vor Verhaftung und Bestrafung angesichts des Umstandes, daß er der Polizei bereits als Mitglied seiner Partei bekannt und wegen dieser Mitgliedschaft bereits einmal inhaftiert und gefoltert worden war, nicht als unbegründet angesehen werden. Mit diesen Fragen hat sich die belangte Behörde aber nicht auseinandergesetzt und auch jegliche Ermittlung in dieser Hinsicht (z.B. ergänzende Befragung des Beschwerdeführers) unterlassen.

Damit sind der belangten Behörde aber Verfahrensmängel unterlaufen, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere Art. III Abs. 2.

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