VwGH 93/08/0114

VwGH93/08/011417.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde des Vereines "F", vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 8. März 1993, Zl. 120.066/3-7/93, betreffend Verzugszinsen von Sozialversicherungsbeiträgen (mitbeteiligte Partei: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Dornbirn, Jahngasse 4), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §58 Abs3;
ASVG §59 Abs1;
AVG §70 Abs1;
ASVG §58 Abs3;
ASVG §59 Abs1;
AVG §70 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 565,--, und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 5. April 1984 sprach die mitbeteiligte Vorarlberger Gebietskrankenkasse aus, daß die beschwerdeführende Partei zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 648.642,40 (resultierend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen von Chormitgliedern in den Jahren 1982 und 1983) verpflichtet sei. Mit einem weiteren Bescheid vom 5. April 1984 schrieb die mitbeteiligte Partei der beschwerdeführenden Partei einen Beitragszuschlag in der Höhe von S 32.433,-- vor.

Dem gegen diese beiden Bescheide erhobenen Einspruch der beschwerdeführenden Partei gab der Landeshauptmann von Vorarlberg mit Bescheid vom 4. Dezember 1984 Folge und stellte fest, "daß wegen Nichtvorliegens eines versicherungspflichtigen Dienstverhältnisses der (Chormitglieder) die Beitragsnachverrechnung sowie die Vorschreibung eines Beitragszuschlages durch die (mitbeteiligte) Gebietskrankenkasse zu Unrecht erfolgt" seien.

Die gegen diesen Bescheid von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eingebrachte Berufung betreffend die Beitragsnachverrechnung und den Beitragszuschlag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. April 1987 gemäß § 415 ASVG als unzulässig zurückgewiesen. Soweit die Entscheidung des Landeshauptmannes die Versicherungspflicht zum Gegenstand habe, werde sie gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 1987 gab der Landeshauptmann von Vorarlberg dem Antrag der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse auf Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 4. Dezember 1984 abgeschlossenen Einspruchsverfahrens (nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG) statt und sprach aus, daß das Verfahren betreffend die Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Verhängung eines Beitragszuschlages in zweiter Instanz wieder aufgenommen werde. Begründet wurde die Entscheidung damit, daß inzwischen die relevante Frage der Versicherungspflicht der Chormitglieder als Hauptfrage rechtskräftig im Sinne ihrer Bejahung entschieden worden sei.

Die gegen diesen Bescheid von der beschwerdeführenden Partei erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. April 1988, Zl. 87/08/0298, als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid vom 23. Februar 1989 gab der Landeshauptmann von Vorarlberg dem Einspruch der beschwerdeführenden Partei gegen die beiden obgenannten Bescheide der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 5. April 1984 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte diese Bescheide. Daraufhin bezahlte die beschwerdeführende Partei die nunmehr rechtskräftig festgestellten bzw. vorgeschriebenen Beträge mit Wertstellung vom 16. Mai 1989.

Mit Bescheid vom 18. Mai 1989 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Partei zur Bezahlung von 10,5 % Verzugszinsen aus S 648.642,40 für die Zeit vom 19. April 1984 bis 2. Mai 1989 im Betrag von S 345.202,15.

Dem dagegen von der beschwerdeführenden Partei erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Vorarlberg mit Bescheid vom 6. April 1990 keine Folge.

Diesen Bescheid hob der Verfassungsgerichtshof über Beschwerde der beschwerdeführenden Partei mit Erkenntnis vom 12. Dezember 1991, Zl. B 665/90, gestützt auf sein Erkenntnis vom selben Tag, VfSlg 12.945 (mit dem ausgesprochen wurde, daß die Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982, BGBl. Nr. 612/1982, über die Höhe der Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG vom Beginn des Jahres 1986 bis Ende des Jahres 1989 gesetzwidrig gewesen sei) auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch der beschwerdeführenden Partei gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 18. Mai 1989 gemäß § 66 Abs. 4 in Verbindung mit § 73 AVG insofern Folge, als der beschwerdeführenden Partei gemäß § 59 Abs. 1 ASVG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 612/1982 für die Zeit vom 19. April 1984 bis 31. Dezember 1985 Verzugszinsen im Betrag von S 116.058,98, für die Zeit vom 1. Jänner 1986 bis "12." (richtig: 2.) Mai 1989 gemäß § 59 Abs. 1 ASVG jedoch keine Verzugszinsen zur Zahlung vorgeschrieben würden. Hinsichtlich der Vorschreibung von Verzugszinsen wurde dieser Bescheid - in Auseinandersetzung mit den drei wesentlichen Einwänden der beschwerdeführenden Partei - wie folgt begründet:

Der Einwand, es seien deshalb nach § 59 Abs. 1 ASVG keine Verzugszinsen vorzuschreiben, weil gleichzeitig ein Beitragszuschlag vorgeschrieben worden sei, sei deshalb unbegründet, weil nur für den gleichen Zeitraum nicht zugleich ein Beitragszuschlag verhängt und Verzugszinsen berechnet werden könnten. Im Beschwerdefall umfasse der zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsende Beitragszuschlag, der aufgrund der nichterstatteten Anmeldung bzw. der nichtentrichteten Beiträge verhängt worden sei, lediglich den Zeitraum bis zur Erstellung der Beitragsrechnung. Die Berechnung der Verzugszinsen beziehe sich aber auf den Zeitraum danach, und zwar auf die Zeit ab dem 19. April 1984. Dieser Tag sei ausgehend vom 5. April 1984, der Datierung des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, unter Hinzurechnung der Frist des Postenlaufes und einer weiteren zinsfreien Zahlungsfrist von 11 Tagen errechnet worden. Unbegründet sei auch das zweite Argument der beschwerdeführenden Partei, wonach mangels eines Verschuldens bzw. mangels einer Leistungsfrist für den noch gegenständlichen Zeitraum gar keine Verzugszinsen vorzuschreiben wären. Denn die Verpflichtung zur Bezahlung der gegenständlichen Versicherungsbeiträge sei nach § 58 ASVG weder von der Erstattung einer Anmeldung noch davon abhängig, ob der einen oder anderen Seite irgendein Verschulden zur Last falle. Die Dauer des anhängigen Einspruchsverfahrens mindere aber den Zinsenanspruch nicht. Schließlich lägen (in Erwiderung auf den dritten Einwand) die Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 ASVG nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich die beschwerdeführende Partei in ihrem Recht, keine Verzugszinsen zahlen zu müssen, und in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung verletzt erachtet. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes wird unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ausgeführt, es sei dem angefochtenen Bescheid keine "kompakte Sachverhaltsdarstellung" zu entnehmen. Nach den Bestimmungen des AVG müsse ein Bescheid so begründet sein, daß er für sich allein verständlich sei, das heiße, daß man aus ihm allein verstehe, um was es im Verfahren gegangen sei und nach welchen Kriterien die Behörde entschieden habe. Eine solche Bescheidbegründung liege nicht vor. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wendet die beschwerdeführende Partei Nachstehendes ein: Es gehe im Beschwerdefall (nur noch) um zwei Zeiträume, nämlich zum einen um jenen zwischen der Entscheidung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 5. April 1984 und der Erlassung des Bescheides des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 4. Dezember 1984 und zum anderen um den Zeitraum zwischen der Aufhebung der Beitragsvorschreibung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse durch den Landeshauptmann mit dem eben genannten Bescheid und dem 31. Dezember 1985. Verzug liege vor, wenn der Schuldner bei Fälligkeit eine geschuldete Leistung nicht erbringe oder nicht ordnungsgemäß anbiete. Er setze demgemäß zwar nicht Verschulden des Schuldners voraus, wohl aber Fälligkeit der Leistung. Diese Fälligkeit sei im Beschwerdefall aber nicht gegeben gewesen. Denn für den erstgenannten Zeitraum habe zwar ursprünglich Leistungspflicht hinsichtlich der Beiträge und der Verzugszinsen bestanden, die Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge und damit wegen Akzessorietät der Verzugszinsen auch jene zur Zahlung der Verzugszinsen sei aber durch den Bescheid des Landeshauptmannes vom 4. Dezember 1984 in Wegfall gekommen. Für den zweitgenannten Zeitraum habe überhaupt keine Leistungspflicht bestanden, weil gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom 4. Dezember 1984 kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig gewesen sei. Die später erfolgte Wiederaufnahme des Verfahrens habe schon nach dem Gesetz keinen rückwirkenden Charakter. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. März 1977, VwSlg NF 9277/A) trete der ursprüngliche Bescheid, gegen den sich die Wiederaufnahme richte, "bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Wiederaufnahmsbescheides außer Kraft". Abgesehen davon könne auch eine spätere Wiederaufnahme des Verfahrens nichts an der Tatsache ändern, daß vor der Wiederaufnahme keine Leistungspflicht bestanden habe und damit schon rein begrifflich nicht Verzug habe vorliegen können.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete aber keine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die behauptete Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt schon deshalb nicht vor, weil für die rechtliche Beurteilung des Beschwerdefalles allein der oben wiedergegebene, zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unstrittige (und vom Beschwerdeführer im übrigen in der Beschwerde selbst gegenüber der Begründung des angefochtenen Bescheides ergänzte) Sachverhalt relevant ist.

Aber auch die Rechtsrüge ist unbegründet.

Nach § 58 Abs. 3 ASVG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, hat der Beitragsschuldner (im Sinne des § 58 Abs. 2) die nach § 58 Abs. 1 leg. cit. fälligen Beiträge auf seine Gefahr und Kosten unaufgefordert an den zuständigen Träger der Krankenversicherung einzuzahlen. Werden Beiträge nicht innerhalb von 11 Tagen nach der Fälligkeit eingezahlt, so sind gemäß § 59 Abs. 1 erster Satz ASVG von diesen rückständigen Beiträgen, wenn nicht gemäß § 113 Abs. 1 leg. cit. ein Beitragszuschlag vorgeschrieben wird, Verzugszinsen in einem Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten.

Die beschwerdeführende Partei hält ihrer bescheidmäßigen Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen für den relevanten Zeitraum - aus den oben wiedergegebenen Gründen des angefochtenen Bescheides mit Recht - nicht mehr die rechtskräftige Vorschreibung eines Beitragszuschlages entgegen. Ihre behauptete mangelnde Verpflichtung resultiert aber auch nicht aus der während der Zeit der Geltung des rechtskräftigen Bescheides des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 4. Dezember 1984 zweifellos fehlenden Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge und damit auch der als Annex zum Hauptanspruch zu wertenden Verzugszinsen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 26. November 1992, Zl. 92/09/0177). Denn dieser Bescheid trat zunächst als Folge des die Wiederaufnahme anordnenden Bescheides des Landeshauptmannes vom 15. Oktober 1987 außer Kraft (vgl. das auch in der Beschwerde zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. März 1977, Slg. Nr. 9.277/A, sowie u.a. das Erkenntnis vom 13. November 1986, Slg. Nr. 12.299/A) und wurde dann durch den rechtskräftigen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 23. Februar 1989, mit dem u.a. die kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 3 ASVG) bestehende Verpflichtung der beschwerdeführenden Partei zur Bezahlung der obgenannten Beiträge festgestellt wurde, mit Wirkung "ex tunc" (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, 251, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Mai 1949, Slg. Nr. 814/A) ersetzt. Diese rechtskräftige Feststellung hat aber in Verbindung mit der kraft Gesetzes (§ 59 Abs. 1 ASVG) bestehenden Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen von rückständigen Beiträgen zur Konsequenz, daß die beschwerdeführende Partei auch für den noch maßgebenden Zeitraum vom 19. April 1984 bis 31. Dezember 1985 - ungeachtet des zwischenweiligen Bestehens einer (aus der Sicht des rechtskräftigen Bescheides vom 23. Februar 1989 rechtswidrigen) individuellen Norm - zur Zahlung von Verzugszinsen in der unstrittigen Höhe von S 116.058,98 verpflichtet und daher (da sonstige Einwände nicht erhoben wurden) deren bescheidmäßige Vorschreibung nicht rechtswidrig ist.

Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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